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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

106. Der gute und der törichte Knabe

Gatengatena"( =Die Geschichte ist da).*"Tasomoji" =(Beginne). Barungurungu (der Riese) hatte zwei Frauen, und jede hatte



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einen Sohn von ihm. Die Frauen hießen: Taroro (roro ist das Absammeln der abgeernteten Farmen durch arme Leute; sa tahen = sammeln. Die Mutter dieser Frau gebar letztere beim roro, d. h. in der Farm, darum wurde sie Taroro genannt). Die andere Frau hieß Tauwake (wake = Bohne, weil sie von der Mutter geboren wurde, als diese Bohnen von der Farm nach Hause trug. Solche Namengebung war bis heute allgemein Brauch). Tauwake starb, als ihr Sohn klein war. Taroro hatte auch einen Sohn; mit dem zusammen und Tauwakes Sohn lebte sie in ihrem Hause. Die beiden Knaben schliefen auf einer Matte. Taroros Sohn pißte eines nachts auf die Matte, Taroro sagte: "Das war Tauwakes Sohn. Wickle die Matte zusammen und gehe zum Flusse Ruambagadja (Wasser des Bagadja). Wasche die Matte. Weinend nahm der Knabe seine Matte auf den Kopf und ging. Da kam er an einen Fluß und fragte ihn: "Wasser, Wasser, bist du vielleicht Ruambagadja?" Der Fluß antwortete: "Ich bin nicht Ruambagadja, aber wenn du von mir trinken willst, tue es. Ich bin Kogi" (Fluß). Der Knabe sagte: "Nein, ich will zu Ruambagadja" und ging. Dann kam er zu einem andern Flusse (Strom) und fragte: "Wasser, Wasser, meine Mutter ist gestorben, meine Stiefmutter sendet mich zu Ruambagadja, meine Matte zu waschen, bist du vielleicht Ruambagadja ?" Da sagte der Fluß: "Ich bin nicht Ruambagadja, ich bin Bulbi, aber wenn du von mir trinken willst, tue es." Doch der Knabe sagte: "Ich will zu Ruambagadja, der ist der König der Flüsse" und ging. Da kam er an einen dritten Fluß, der war ganz rot. Er fragte ihn wieder. Der Fluß antwortete: "Ich bin Kogin uni (Blutfluß), aber wenn du aus mir trinken willst, so trinke." Aber der Knabe wollte nicht und ging weiter. Da kam er an den vierten Fluß. "Bist du der Ruambagadja?" "Nein, ich bin der Kogingananji, Ruambagadja ist weiter vorn... Aber wenn du trinken willst, tue es." Doch der Knabe ging weiter und kam an den fünften Fluß und fragte den wieder, ob er Ruambagadja wäre. Der Fluß sagte: "Ich bin Kogischudi (der blaue Fluß) Ruambagadja ist vorne." Da ging der Knabe weiter und kam noch an den Kogi majigi, den Rotholzfluß, Kogi madi (Bierfluß; madi = Bier aus der Frucht des Dunjabaumes), an den Kogi madera (Milchfluß), an den Kogi suna (Honigfluß). Jedesmal fragte der Knabe: "Bist du Ruambagadja?" Jedesmal antwortete der Fluß: "Der Ruambagadja ist vorne. Aber wenn du trinken willst, so trinke." Und immer antwortete der Knabe: "Gott danke es dir, aber ich will zu Ruambagadja, das ist der König aller Flüsse."Endlich



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kam er wieder an einen Fluß. Da fragte er wieder. Der Fluß erwiderte: "Maraba (willkommen). Ich bin Ruambagadja. Bagadja, die Frau des Flusses, ist nicht hier. Setze dich hin und warte." Der Knabe wartete, bis Bagadja kam. Die fragte ihn: "Wo kommst du her?" Und er erzählte: "Mein Vater hatte zwei Frauen, meine Mutter starb und ich blieb bei der andern Frau und schlief mit ihrem Sohne auf einer Matte. Der pißte nachts auf die Matte und die Frau jagte mich fort, damit ich bei dir meine Matte wüsche." Da gab ihm Bagadja Fleisch und Tuo (Brei aus Mais und Sorghummehl), Huhn und Furra (Milch und Reißbrei). Gab ihm am Ufer ein Haus, wo der Knabe schlief. Nachts nahm Bagadja die Matte, wusch sie gut und legte sie leise an ihren Platz zurück. Am nächsten Morgen kam Bagadja mit drei Eiern zu dem Knaben und sagte: "Wenn du nun zurück zum Gubiflusse kommst, wirf das erste Ei auf die Erde, das zweite zerbrich am Kogiflußufer. Das dritte zerwirf hinter der Stadtmauer dieser Stadt." Der Knabe tat, wie ihm gesagt war. Er zerwarf am Gulbi das erste Ei, und vor ihm standen 3000 Männer und 3000 Frauen. Die knieten alle vor ihm nieder und begrüßten ihn als ihren Herrn. Er hieß sie mitgehen. Am Kogi zerschlug der Knabe wieder ein Ei, da standen vor ihm Pferde, Esel, Kamele, Ziegen, Kühe, Schafe, Hühner, Tauben, Truthähne und alle Haustiere, von jeder Art, 3000 Stück. An der Stadtmauer zerwarf der Knabe das dritte Ei, da kamen Posaunenbläser, Trompeter und Trommler in Menge. Dazu Stoffe, viele Kleider, Kisten mit Gold und Silber und alles, alles, was man sich nur wünschen kann. Der Häuptling der Stadt hatte gehört von dem großen König mit den vielen Leuten. Und schon kamen alle seine Beamten, der Jerima, der Galadima, der Wassiri, der Alkali, der Linam, der Majaki, der Serkin dogari (Polizeimeister), die Dakara (Soldaten), Jenbindiga (Schützen), Lifidi und Sulke (Reiter). Mit allen diesen zog der König aus, aber als er die vielen da draußen sah, ergriff ihn Angst; er ging in die Stadt zurück und verschloß die Tore. Der Knabe sandte einen Boten an seinen Vater und ließ ihn herausbitten. Der Vater ging heraus und sprach mit dem Sohn. Dann kehrte der Vater zum Häuptling zurück und sagte ihm: "Fürchte dich nicht, der da draußen ist mein Sohn." Und zu seiner Frau sagte der Mann: "Sieh, das ist dein Stiefsohn, du wolltest ihn verderben, aber Bagadja machte ihn mächtig."

Als der Knabe an die Stadt gekommen war, schenkte er seinem Vater eine Kiste Gold und viele schöne Sachen. Als die Stiefmutter das sah, sagte sie zu ihrem Sohne: "Pisse heute nacht auf deine



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Matte und gehe auch zu Ruambagadja, sie zu waschen. Am nächsten Morgen nahm der Knabe seine Matte und ging. Bald kam er an den Kogi. "Bist du der Ruambagadja ?" —Der Kogi sagte: "Ich bin Kogi, aber wenn du durstig bist, so trinke." "Ja,"sagte der Knabe, "ich bin schon eine Stunde von Hause weg, ich will trinken."Und er trank. Dann ging der Knabe weiter und kam zum Gulbi. Er fragte "Bist du der Ruambagadja ?" "Nein,"sagte der Fluß, "ich bin Gulbi, aber wenn du trinken willst, so trinke." "Ja, ich bin schon lange unterwegs, ich will trinken", sprach der Knabe. Und er trank. So ging es weiter. Er trank aus allen Flüssen, nur vom Blutwasser, vom Kohlenwasser, vom blauen (Indigo) Wasser trank er nicht. Als er endlich zum Ruambagadja kam, fragte er: "Bist du Ruambagadja?" "Ja", sagte der Fluß. "Aber die Bagadja ist nicht hier. Warte und setze dich." "Darf ich etwas trinken?"fragte der Knabe. "Nein, das ist nicht Sitte, warte bis Bagadja kommt." Da kam die Bagadja und fragte nach seinem Begehr. Der Knabe sagte, daß seine Mutter ihn geschickt habe, um die Matte zu waschen. Da gab ihm Bagadja ein Haus und Essen. Als der Knabe nachts schlief, wusch Bagadja die Matte. Am nächsten Morgen gab Bagadja dem Knaben drei Eier und belehrte ihn, wie seinen Stiefbruder. Der Knabe kam an den Blutfluß und konnte es nicht lassen, ein Ei hineinzuwerfen. Da kamen 3000 Leprakranke heraus, begrüßten ihn als ihren Herrn und folgten ihm. Dann kam der Knabe an den Gulbi, warf wieder ein Ei hinein, und heraus kam ein Staat von Blinden mit ihrem blinden König auf einem blinden Pferde, mit blinden Trommiern und Bläsern, die bliesen: "Gabadurum, bajadurum, ridia gandabaganji serki makafi jatacho" (vorn ist es dunkel, hinten ist es dunkel, Gräben entfernt euch, der König der Blinden kommt). Der Knabe bekam Angst, überschritt den Kogi und zerschlug erst, wie ihm geheißen, am Bini das letzte Ei. Da kamen Tausende von Schmeißfliegen (kuda) heraus, dazu Löwe, Hyäne, Schakal (dila), Tiger, Einhorn (?!)(mann). Mit diesen allen kehrte der Knabe in die Stadt zurück. Der König wies sie hinaus, aber er konnte sie nicht loswerden. Daher kommen die Leprakranken, die Blinden, die Raubtiere, das Ungeziefer! — — Magana jakare!


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