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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

105. Menschen und Wassergeister

Eine Frau hatte Streit mit ihrem Manne, rannte ihm weg und ging in ihre Heimat. Der Mann sagte zu einem Freund: "Morgen will ich meine Frau suchen gehen. Willst du mir helfen?" Der Freund weigerte sich; so ging denn der Mann allein. Als er an einen Fluß kam, da sah er einen Menschenkopf ohne Körper, der sich wusch. Der Kopf fragte: "Wo willst du hin?" Der Mann antwortete: "Meine Frau ist mir weggelaufen, ich will in ihre Heimat gehen und sie suchen." Der Kopf sagte: "Wenn du mich mitnehmen willst, so kann ich dir vielleicht helfen." Der Mann steckte den Kopf in seine Hose, die er ausgezogen hatte, nahm sie über die Schulter und ging. Als er in die Heimat seiner Frau kam, nahm er die Hose und band sie mit dem Kopfe um die Lenden. Als er in das Gehöft seiner Schwiegermutter kam, ging er in ein Haus, um sich niederzulassen. Aber der Kopf in der Hose hielt seinen Penis fest. Der Kopf sagte: "Nun laß mir Essen bringen." Der Mann aber sagte: "Ich möchte die Leute nicht um Essen bitten, wenn sie mir nicht von selbst was bringen." Der Kopf in der Hose ärgerte sich darüber und kniff den Mann so in den Penis, daß dieser anfing, nach Hilfe zu schreien. Der Kopf sagte alsdann: "Laß dir eine Matte für uns geben." Der Mann sagte: "Ich schäme mich, eine Matte für uns zu fordern." "Ich kneife dich wieder", sagte der Kopf. Und er kniff ihn wieder so in den Penis, daß der Mann schnell nach einer Matte rief. Als die Matte da war, sagte der Kopf wieder: "Laß dir nun deine Frau kommen." Der Mann erwiderte: "Ich schäme mich, nach meiner Frau zu rufen." Da sagte der Kopf: "Wenn du es nicht tust, kneife ich dich wieder." Und er kniff den Mann so in den Penis, daß der Mann nach seiner Frau rief. Die Frau kam. Der Mann fragte den Kopf: "Was soll ich nun tun?" Der Kopf sagte: "Ziehe die Hose



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aus und hänge sie mit mir an einen Dachsparren." Der Mann tat es. Am nächsten Morgen kam der Mann aus der Hütte. Die Schwiegermutter fragte ihn: "Das Essen ist noch nicht fertig. Kannst du vielleicht Öl allein essen ?" "Nein, ich kann keins essen." Die Frauen gingen alle zum Wasserholen, da nahm der Mann die Kanduschale oder Topf aus Kuhhaut mit Öl und ging in sein Zimmer, stellte den Kandu auf sein Bett, nahm die Mütze ab und begann das Öl zu trinken. Nachher würde ja keiner denken, daß er das Öl getrunken habe, da er gesagt hatte, er trinke kein Öl. Auf einmal hörte er Schritte. In der Eile setzte er statt der Mütze den Kandu auf den Kopf und ging hinaus. Als die Mutter den Schwiegersohn sah, fragte sie ihre Tochter: "Dein Mann hat den Kandu auf dem Kopf und vor dem Mund das Öl?" Die Tochter log: "Immer an diesem Wochentage muß mein Mann das als Amulett machen, aber das Öl hat er nicht getrunken." Die Mutter fragte wieder: "Hast du nicht eine Medizin für deinen Mann ?" "Ja, ich habe sie und werde sie aus dem Busch holen." Die junge Frau ging in den Busch und nahm irgendwelche trockenen Blätter, warf sie zu Haus in einen Topf, setzte den aufs Feuer und legte einen Stoff über den Mann und den Topf, so daß der Mann den Rauch der dörrenden Blätter ins Gesicht bekam. Dann ging die Frau zu ihrer Mutter und sagte: "Mein Mann ist nicht ganz wohl." Da ließ die Mutter den Schwiegersohn fragen, ob er Mais essen könne, er aber sagte, er hätte noch nie Mais gegessen. Um Mitternacht, als die Frau schlief, kam der Mann ohne Kleider in die Farm, brach sich viel Mais und ging zurück. Dabei verirrte er sich und kam in die Hütte seiner Schwiegermutter und des Schwiegervaters. Dort machte er sich ein Feuer. Er röstete den Mais, kostete, gab seiner angeblichen Frau und sagte: "Nimm, Frau, dies dumme Volk baut wirklich guten Mais." Die Mutter nahm es und sagte: "Das ist aber nicht deine Hütte." Als der Mann seine Schwiegermutter erkannte, stürzte er zur Tür hinaus. Der Mann lief zu seiner Frau und weckte sie: "Was ist los?" fragte die. Der Mann erzählte und sagte: "Ich schäme mich, laß uns weggehen." Da gingen sie in Nacht und Nebel davon, vergaßen aber den Kopf in der Hose mitzunehmen. Am andern Morgen wachte der Kopf auf, schüttelte sich und fiel mit der Hose herunter. Da wunderte er sich, daß die Leute weg waren, mit denen er gekommen war, schlüpfte aus der Hose und rannte nun so schnell er konnte hinter dem Mann und der Frau her. Unterwegs rief er: "Wo seid ihr?" Der Hut des Mannes antwortete: "Hier, hier!" Da warf der Mann den Hut ab und trieb seine



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Frau zu größerer Eile an. Der Kopf rief wieder: "Wo seid ihr?" Da antwortete die Tobe des Mannes: "Hier, hier!" Da warf der Mann die Tobe weg und lief nackt mit seiner Frau weiter, und als sie endlich an den Fluß kamen, wo der Mann den Kopf mitgenommen hatte, holte dieser die beiden ein. Da rief der Kopf die Seinen aus dem Wasser und alle Jangrua kamen heraus. Alle hatten nur einen Kopf. Sie brachten für ihren König ein Bett, auf das er sich setzte, um über den Fall zu richten. Der König fragte den Mann: "Was ist zwischen dir und dem Jangrua?" Da erzählte der Mann, wie seine Frau ihn verlassen, wie er den Jangrua am Wasser getroffen habe. Der wäre mitgegangen und hätte ihn in der Heimat seiner Frau zu schlechten Sachen verführt, so daß er weggelaufen wäre mit seinem Weibe, und der Jangrua hätte sie hier am Flusse wieder eingeholt. Da sagte der König: "Du bist im Unrecht, du mußt die Hälfte deines Weibes dem Jangrua geben." Als der Mann den König noch um Gnade bat, kam ein anderer Mann dazu und fragte: "Was ist denn hier los?" Da erzählte der Mann seine Geschichte, und der andere sagte: "Warte, ich werde dir helfen." Dann ging er in den Busch, holte vier handfeste Knüppel, gab dem Verklagten zwei und dann schlugen sie auf die Jangrua ein, die eiligst ins Wasser flüchteten. Dann liefen die beiden Männer mit der Frau fort. Um Mitternacht mußten sie über ein Wasser nahe der Stadt. Das war angeschwollen. Da sagte der Mann zu seiner Frau: "Warte, ich will erst hinüberschwimmen, um zu sehen, wie das Wasser ist, und er schwamm herüber. Als er drüben einen Grashalm erreichte, um sich aufzuschwingen, hörte er im Wasser die Jangrua kommen. Er konnte aber noch schnell hinaufspringen. Ein Jangrua fragte den andern: "Hast du ihn erreicht?" "Nein." "Na warte, er kommt wieder um seine Frau zu holen." Drüben aber heulte eine Hyäne und die Frau des Mannes schrie. "Was", fragt der Erzähler seine Zuhörer, "würdet ihr nun tun, wenn ihr wüßtet, daß drüben die Hyäne euere Frau frißt? —Und wenn ihr dann ins Wasser stürzt, um ihr zu helfen, und euch die Jangrua packen?"...


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