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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ABU HASSAN EZ-ZIJÂDI UND DEM MANNE AUS CHORASÂN

Abu Hassan ez-Zijâdi erzählte: ,Einst lebte ich in sehr großer Not und Sorge; ja, Krämer und Bäcker und die anderen Geschäftsleute bedrängten mich, und ich geriet in ein solches Elend, daß ich keinen Ausweg mehr sah. Wie ich mich nun in dieser trüben Lage befand und nicht wußte, was ich tun sollte, da kam plötzlich einer meiner Diener zu mir herein und sagte: ,An der Tür steht ein Pilgersmann, der bei dir einzutreten wünscht.' Ich sagte: ,Laß ihn ein!' und als der Mann hereingekommen war, zeigte es sich, daß er ein Chorasânier war. Er begrüßte mich, ich erwiderte seinen Gruß, und dann fragte er mich: ,Bist du nicht Abu Hassânez-Zijâdi?' ,Jawohl, 'erwiderte ich, ,was ist dein Begehr?' Er fuhr fort: ,Ich bin ein Fremdling, und ich bin auf der Pilgerfahrt. Ich habe eine große Summe Geldes bei mir, und es ist mir nun zu lästig geworden, sie weiter mitzunehmen. Darum möchte ich diese zehntausend Dirhems da bei dir lassen, bis ich nach vollendeter Pilgerfahrt wieder heimkehre. Wenn die Karawane zurückkommt und du mich dann nicht siehst, so wisse, daß ich tot bin; dann soll das Geld dir als ein Geschenk von mir gehören. Kehre ich aber zurück. so bleibt es mein.' Ich erwiderte: ,Es sei, wie du wünschest. so Gott der Erhabene will!' Dann holte er einen Sack hervor, und ich sprach zum Diener: ,Bring mir eine Waage!' Nachdem der sie gebracht hatte, wog der Fremde das Geld und übergab es mir; dann zog er seiner Wege. Ich aber ließ die Geschäftsleute kommen und bezahlte meine Schulden.' — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 350.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Hassan ez-Zijâdi erzählte: ,Ich aber ließ die Geschäftsleute kommen und bezahlte die Schulden, die auf mir lasteten. Mit vollen Händen gab ich aus; denn ich sagte mir: ,Bis er zurückkehrt, wird Allah uns schon etwas von seinen Gnaden zuteil werden lassen!' Aber kaum war ein Tag verronnen, da kam der Diener wieder zu mir herein und meldete: ,Dein Freund aus Chorasân steht an der Tür!' ,Laß ihn ein!' sagte ich; und jener trat ein. Dann erzählte er: ,Ich war entschlossen, die Pilgerfahrt zu machen; aber jetzt habe ich die Kunde erhalten, daß mein Vater gestorben ist. Deshalb habe ich nun beschlossen, wieder heimzukehren; drum gib mir das Geld zurück, das ich dir gestern anvertraut habe!' Als ich diese Worte von ihm hören mußte, geriet ich in eine solche Verlegenheit, wie sie noch kein Mensch jemals gekannt hat, ich war gänzlich ratlos, und ich gab ihm zuerst keine Antwort; denn hätte ich es abgeleugnet, so hätte er mich schwören lassen, und mich würden im Jenseits Schimpf und Schande erwarten; hätte ich ihm aber gesagt, daß ich das Geld ausgegeben hatte, so hätte er geschrien und mich bloßgestellt. Also sprach ich zu ihm: ,Gott erhalte dich! Mein Haus hier ist keine Festung noch auch ein sicherer Hort für so viel Geld. Als ich deinen Sack erhalten hatte, habe ich ihn zu einem Manne gesandt, bei dem er jetzt ist. Komme morgen wieder zu uns, um ihn zu holen, so Gott der Erhabene will!' Da ging er fort; doch ich verbrachte die Nacht in Ratlosigkeit, weil der Chorasânier zu mir zurückgekommen war. In jener Nacht kam der Schlaf nicht zu mir, und ich vermochte kein Auge zu schließen. Da stand ich auf und befahl dem Diener: , Sattle mir das Maultier!' Doch er sprach: ,Herr, es ist ja noch dunkel, die Nacht hat kaum erst begonnen!' Ich kehrte wieder zu meinem



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Lager zurück, aber der Schlaf mied mich; und ich weckte den Diener immer wieder, ohne daß er dem Befehle Folge leistete, bis der Morgen dämmerte. Da endlich sattelte er mir das Maultier, und ich ritt davon, ohne zu wissen, wohin ich mich begeben sollte. Ich ließ dem Tiere die Zügel über die Schultern hängen und war in trübe Gedanken und Sorgen versunken, während es nach dem östlichen Teile von Baghdad dahinschritt. Unterwegs kam mir eine Schar von Menschen entgegen; sobald ich sie sah, wich ich ihnen aus und bog vor ihnen in eine andere Straße ein. Aber sie folgten mir, und da sie mich mit der Schärpe der höheren Beamten bekleidet sahen, so eilten sie auf mich zu und fragten mich: ,Weißt du, wo Abu Hassan ez-Zijâdi wohnt?' ,Der bin ich', antwortete ich ihnen; und da riefen sie: ,Folge dem Rufe des Beherrschers der Gläubigen!' Ich zog also mit ihnen dahin, bis ich vor el-Mamûn kam. Der fragte mich: ,Wer bist du?' Als ich ihm antwortete: ,Einer von den Genossen des Kadis Abu Jûsuf, einer von den Rechtsgelehrten und von den Kennern der Überlieferungen', fragte er weiter: ,Unter welchem Beinamen bist du bekannt?' Ich erwiderte: ,Als Abu Hassan ez-Zijâdi.' Da sagte er: ,Berichte mir, was es mit dir auf sich hat!' Nun tat ich ihm kund, wie es um mich stand; er aber weinte bitterlich und sagte dann: ,Unglücklicher, der Gesandte Allahs -Er segne ihn und gebe ihm Heil! —ließ mich heute nacht um deinetwillen nicht schlafen; denn als ich zu Beginn der Nacht kaum eingeschlafen war, erschien er mir und sprach zu mir: ,Hilf Abu Hassan ez-Zijâdi!' Da wachte ich auf; doch da ich dich nicht kannte, legte ich mich wieder schlafen. Aber wiederum erschien er mir und sprach: ,Wehe, hilf Abu Hassan ez-Zijâdi!' Ich wachte zum zweiten Male auf; und weil ich dich doch nicht kannte, schlief ich wieder ein. Allein er kam zum dritten Male zu mir und sprach: ,Wehe,



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hilf Abu Hassan ez-Zijâdi!' Nun wagte ich es nicht, weiterzuschlafen, sondern ich wachte die ganze Nacht hindurch, und dann weckte ich die Leute und sandte sie nach allen Seiten hin aus, um dich zu suchen.' Darauf gab er mir zehntausend Dirhems mit den Worten: ,Diese sind für den Chorasânier', und weitere zehntausend mit den Worten: ,Dies gib unbedenklich aus und bessere damit deine Lage!' Ferner schenkte er nur dreißigtausend Dirhems, indem er sprach: ,Damit statte dich aus, und wenn der Tag der Zeremonien kommt, so finde dich bei mir ein, auf daß ich dich mit einem Amt bekleide!' Nun nahm ich das Geld mit mir, ging fort und begab mich zu meiner Wohnung; dort sprach ich das Morgengebet. Alsbald aber war auch der Chorasânier da; ich führte ihn ins Haus, holte einen Beutel mit zehntausend Dirhems für ihn und sprach zu ihm: ,Da ist dein Geld!' Doch er entgegnete: ,Das ist nicht dasselbe Geld wie das meine!' ,Du hast recht', erwiderte ich. Als er dann fragte: ,Wie kommt das?' erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Da weinte er und sprach: ,Bei Allah, hättest du mir von Anfang an die Wahrheit gesagt, so hätte ich keine Zahlung von dir verlangt. Aber auch jetzt will ich, bei Allah, nichts annehmen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 349 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Chorasânier zu ez-Zijâdi sprach: ,Bei Allah, hättest du mir von Anfang an die Wahrheit gesagt, so hätte ich keine Zahlung von dir verlangt. Aber auch jetzt will ich, bei Allah, nichts von diesem Gelde annehmen, und du bist nun rechtens nicht mehr dafür verantwortlich.' Dann verließ er mich, und ich brachte meine Sachen in Ordnung. Am Tage der Zeremonien aber begab ich mich zum



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Tore von el-Mamûn und trat zu ihm ein, während er im Staate dasaß. Als ich vor ihm erschien, ließ er mich näher treten und nahm unter seinem Gebetsteppich eine Urkunde hervor, indem er sprach: ,Dies ist die Urkunde der Bestallung als Kadi für den Westbezirk der heiligen Stadt Medina vom Tore des Friedens bis zum äußersten Ende der Stadt; und ich verleihe dir soundsoviel als monatliche Einkünfte. So fürchte denn Allah. den Allmächtigen und Glorreichen, und gedenke daran, wie der Gesandte Gottes -Er segne ihn und gebe ihm Heil! —sich deiner angenommen hat!' Da staunten die Leute über seine Worte und fragten mich nach ihrer Bedeutung; ich aber erzählte ihnen die Geschichte von Anfang bis zu Ende, und die Kunde davon verbreitete sich unter den Menschen.'

Abu Hassan blieb darauf Kadi in der heiligen Stadt Medina, bis er starb, in den Tagen el-Mamûns -Allahs Barmherzigkeit über ihn!

Ferner wird erzählt


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