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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

74. Der Drachentöter

Ein Mann heiratete ein Mädchen. Er zog mit seiner Frau in den Busch. Er wohnte weit fort von den Menschen. Er bestellte seine Farmen. Er erntete. Der Mann und die Frau machten alles, was sie brauchten, selbst. Als der Mann mit der Frau etwa ein halbes Jahr verheiratet war, war sie schwanger, und nachher gebar sie ihm ein Kind. Das Kind war ein Mädchen und hieß Sara oder Ssarra. Danach gebar die Frau noch acht andere Kinder, (gleich hier sei bemerkt, daß die Geschichtserzähler nicht anzugeben wissen, was mit ihnen geschah) und endlich noch ein zehntes Kind. Das zehnte Kind war ein kleiner Junge, und weil es der Jüngste war, nannten sie ihn Dan-Auta.

Dan-Auta war noch ein ganz kleiner Junge, da wurde der Vater krank. Der Vater sagte: "Ich werde sterben." Der Vater rief Ssarra. Der Vater sagte zu Ssarra: "Ich werde sterben! Behalte Dan-Auta immer bei dir. Achte immer auf Dan-Auta. Sorge dafür, daß Dan-Auta nie schreit und weint." Der Vater sagte das. Dann starb er.

Dan-Auta war noch ein ganz kleiner Junge. Da wurde die Mutter krank. Die Mutter sagte: "Ich werde sterben!" Die Mutter rief Ssarra. Die Mutter sagte zu Ssarra: "Ich werde sterben! Behalte Dan-. Auta immer bei dir. Achte immer auf Dan-Auta! Sorge dafür, daß Dan-Auta nie schreit und nie weint." Die Mutter sagte das. Dann starb sie.

Ssarra war mit Dan-Auta allein im Busch. Dan-Auta war ein kleiner Junge. Dan-Auta kroch auf der Erde herum und lief auch ein wenig. Ssarra und Dan-Auta hatten aber viel zu essen. Sie hatten einen ganzen Rumbu (Speicher) voller Dauwa (Sorghum). Sie hatten einen ganzen Rumbu voller Giero (Früh-penisetum). Sie hatten einen ganzen Rumbu voller Maiwa (Spät-penisetum). Sie hatten einen ganzen Speicher voller Adja (panicum). Sie hatten einen ganzen Speicher voller Erdnüsse. Sie hatten einen ganzen Speicher voller Bohnen. Sie hatten einen ganzen Speicher voller Mais. Ssarra sagte: "Wir werden genug zu essen haben, bis Dan-Auta so groß ist, daß er selbst seine Farm bestellen kann."

Ssarra ging hinaus. Ssarra mahlte Dauwa zu Mehl, um für sich und Dan-Auta Essen zu kochen. Als Ssarra das Mehl gemahlen hatte, brachte sie es in einer Kalebasse in die Hütte, in der sie kochte und in der Dan-Auta am Boden saß. Dann ging Ssarra wieder hinaus, um aus dem Busch Feuerholz zu holen. Als Ssarra hinausgegangen war,



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lief Dan-Auta zu der Kalebasse, in der das Mehl war. Dan-Auta warf sie um. Dann holte Dan-Auta von der Feuerstelle Asche und mischte sie mit dem Mehl, das am Boden lag. Nach einiger Zeit kam Ssarra wieder. Ssarra sah, was Dan-Auta getan hatte. Ssarra sagte: "Kai! (Du!) Mein Dan-Auta! Das Mehl, das wir zusammen essen wollten, wirfst du auf die Erde?!" Dan-Auta schluchzte auf. (An dieser Stelle ahmt der Erzähler jedesmal den Ton nach, den ein Kind ausstößt, wenn es nahe daran ist, zu weinen). Ssarra sagte schnell: "Mein Dan-Auta, weine nicht. Dein Baba (Vater) und deine lima (Mutter) haben gesagt, du sollst nicht weinen. Weine nicht. Ich war nur böse, weil du von dem Korn wegwirfst, von dem wir leben müssen, bis du stark genug bist, um eine Farm anzulegen!"

Ssarra ging hinaus. Sie nahm anderes Korn aus dem Speicher und rieb es zu Mehl. Ssarra arbeitete am Mahisteine. Dan-Auta nahm ein brennendes Holzscheit von der Kochstelle.. Dan Auta lief zu den Rumbu, in dem das Dauwa war und zündete ihn an. Der Rumbu brannte. Der Rumbu brannte ab. Ssarra sah es brennen. Ssarra lief herbei. Ssarra rief: "Kai! Dan-Auta! Du brennst den ganzen Rumbu ab! Wovon sollen wir beide leben! Ich bin nur eine Frau! (Frauen verrichten dort kein Farmwerk). Du bist aber noch so klein, daß es lange währen wird, bis du eine Farmarbeit verrichten kannst. Wovon sollen wir leben!" Dan-Auta schluchzte auf. Ssarra sagte schnell: "Dan-Auta weine nicht! Dein Vater und deine Mutter haben gesagt, du sollst nicht weinen. Weine nicht! Ich war nur böse, weil du einen Speicher mit Korn verbrannt hast, von dem wir leben müssen, bis du stark genug bist, eine Farm anzulegen!"

Ssarra ging hin; sie machte das Essen fertig. Ssarra brachte das Essen. Ssarra aß mit Dan-Auta. Dann legten sich beide hin und schliefen. Am andern Morgen, als Dan-Auta noch schlief, stand Ssarra auf, nahm den Topf und ging hinaus, um Wasser zu holen. Als Ssarra fort war, erwachte Dan-Auta. Dan-Auta sah, daß Ssarra fortgegangen war. Dan-Auta stand auf. Er ging zur Feuerstelle. Er blies das Feuer an. Er nahm einen Strohwisch und zündete ihn an. Mit dem brennenden Strohwisch lief Dan-Auta hinaus und zündete alle Rumbus an, in denen das Giero und Maiwa und Adja und die Bohnen und Erdnüsse und der Mais lagen. Alle Rumbus brannten. Alles Korn brannte. Alles Korn verbrannte. Ssarra sah das Feuer. Ssarra lief herbei. Ssarra sah, daß alle Rumbus brannten. Ssarra sah, daß alles Korn brannte. Ssarra rief: "Kai! Dan-Auta! Du verbrennst alles, was wir zu essen haben. Nun haben wir nichts mehr!" Dan-Auta



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schluchzte auf. Ssarra sagte schnell: "Mein Dan-Auta, weine nicht. Dein Vater und deine Mutter haben gesagt, du sollst nicht weinen! Weine nicht! Ich war nur böse, weil wir nun nichts mehr zu essen haben. Aber komm nur; ich werde Essen für uns suchen!"

Ssarra nahm Dan-Auta auf. Ssarra nahm Dan-Auta auf den Rücken und band (nach der Landesart) Dan-Auta mit dem Kleide fest. Dann ging Ssarra mit Dan-Auta in den Busch. Ssarra ging mit Dan-Auta im Busch hin. Ssarra kam auf einen Weg. Ssarra ging auf dem Wege hin. Der Weg führte in eine ganz große Stadt. Ssarra ging mit Dan-Auta in die Stadt. Ssarra ging mit Dan-Auta zu dem Viertel des Königs. Die erste Frau des Königs nahm Ssarra auf. Ssarra wohnte mit Dan-Auta bei der ersten Frau des Königs.

Die erste Frau des Königs gab Ssarra und Dan-Auta drei Tage lang Essen. Ssarra trug Dan-Auta immer auf dem Rücken. Ssarra setzte Dan-Auta nie auf die Erde. Die andern Frauen sagten zu Ssarra: "Warum trägst du Dan-Auta immer auf dem Rücken? Warum setzt du ihn nie hin und läßt ihn spielen nach der Weise anderer Frauen?" Ssarra sagte: "Laßt mich nach meiner Art. Dan-Autas Vater und Mutter haben gesagt, Dan-Auta solle nie weinen. Wenn ich Dan-Auta auf dem Rücken halte, wird er nicht schreien. Ich muß sehen, daß Dan-Auta nicht schreit."

Eines Tages sagte Dan-Auta: "Ich will mit dem Sohne des Königs spielen!" Ssarra setzte Dan-Auta auf die Erde. Dan Auta spielte mit dem Sohne des Königs. Ssarra nahm ihren Krug und ging hinab zum Wasser. Der Sohn des Königs nahm einen Stock. Dan-Auta nahm auch einen Stock. Der Sohn des Königs und Dan-Auta spielten mit den Stöcken. Der Sohn des Königs und Dan-Auta schlugen mit den Stöcken. Der Sohn des Königs und Dan-Auta stießen mit den Stöcken. Dan-Auta stieß dem Sohne des Königs ein Auge aus. Der Sohn des Königs fiel hin.

Ssarra kam herbei. Ssarra sah, daß Dan-Auta dem Sohn des Königs ein Auge ausgestoßen hatte. Es war aber niemand anders zugegen. Der Sohn des Königs schrie auf. Ssarra setzte den Topf hin, nahm Dan-Auta auf und lief mit ihm aus dem Hause, aus dem Viertel des Königs, aus der Stadt, in den Busch. Ssarra rannte mit Dan-Auta in den Busch hin so schnell sie konnte.

Es war niemand als der erste Sohn des Königs im Hause. Der Sohn des Königs schrie. Der König hörte seinen Sohn schreien. Der König fragte: "Weshalb schreit mein Sohn!" Die Frauen des Königs liefen hinzu. Die Frauen des Königs sahen, daß dem Sohn des



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Königs ein Auge ausgestoßen war. Die Frauen schrien auf. Der König hörte seine Frauen aufschreien. Der König kam herbei. Der König sah, daß seinem Sohne ein Auge ausgestoßen war. Der König schrie auf. Der König sagte: "Wer tat das?" Das Kind sagte: "Ssarra kam mit Dan-Auta in das Haus. Ich spielte mit Dan-Auta. Ich nahm einen Stock. Dan-Auta nahm einen Stock. Ich schlug mit dem Stock. Dan-Auta schlug mit dem Stock. Ich stieß mit dem Stock. Dan-Auta stieß mit dem Stock. Er stieß mir das Auge aus. Ssarra kam, hob Dan-Auta auf und lief mit ihm von dannen!" Der König sagte: "Sucht überall in der Stadt nach Ssarra und Dan-Auta! Bringt mir Ssarra und Dan-Auta!"

Alle Dogari des Königs liefen durch die Stadt. Alle Leute des Königs liefen durch die Stadt. Jedes Haus wurde geöffnet. In jedem Hause suchten sie nach Ssarra und Dan-Auta. Jeder Hausherr sagte: "In meinem Gehöft sind Ssarra und Dan-Auta nicht." Die Dogari und alle Leute suchten in allen Häusern. Sie fanden Ssarra und Dan-Auta nicht. Sie kamen alle zum König zurück und sagten: "Wir haben alle Gehöfte und Häuser der Stadt abgesucht. Wir haben Ssarra und Dan-Auta in keinem Hause gefunden. Ssarra und Dan-Auta sind nicht mehr in der Stadt."

Der König rief alle Leute. Der König rief alle Soldaten. Der König rief alle Reiter. Der König sagte: "Ssarra und Dan-Auta sind aus der Stadt entflohen. Ihr müßt Ssarra und Dan-Auta finden. Ihr müßt sie finden und fangen, wenn sie in das Wasser gegangen sind. Ihr müßt sie fangen und finden, wenn sie in die Erde gegangen sind. Ihr müßt sie finden und fangen, wenn sie in die Luft gegangen sind. Ihr müßt sie finden und fangen. Ich will selbst mit meinen Reitern hinausgehen und im Busch suchen." Alle Leute des Königs zogen aus der Stadt in den Busch, um Ssarra und Dan-Auta zu suchen. Die Leute zogen nach Osten und suchten. Aber sie fanden Ssarra und Dan-Auta nicht. Die Leute zogen nach Westen und suchten. Aber sie fanden Ssarra und Dan-Auta nicht. Die Leute zogen nach Süden und suchten. Aber sie fanden Ssarra und Dan-Auta nicht. Die Leute zogen nach Norden und suchten. Aber sie fanden Ssarra und Dan-Auta nicht. Zwei Tage lang zogen die Leute nach allen Seiten. Aber sie fanden Ssarra und Dan-Auta nicht.

Zwei Tage lang war Ssarra mit Dan-Auta auf dem Rücken im Busch dahingelaufen. Dann hörte Ssarra die Reiter kommen. Der König kam mit seinen Reitern hinter Ssarra her. Es war ein sehr, sehr großer Baum da. Ssarra sagte: "Ich werde auf diesen Baum



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steigen und mich mit Dan-Auta zwischen den Blättern dieses Baumes verstecken." Ssarra stieg mit Dan-Auta auf den Baum. Ssarra versteckte sich mit Dan-Auta zwischen den Blättern.

Der König kam mit seinen Reitern an den Baum. Der König sagte: Ich bin zwei Tage geritten; ich bin müde; ich will mich ausruhen; stellt mein Karaga (Rohrstäbchenbett; wie das der Fulbe in Adamaua) unter diesen Baum. Ich will mich auf mein Karaga setzen." Die Leute stellten das Karaga unter den Baum. Der König setzte sich darauf. Der König saß unter dem Ast, auf dem Ssarra und Dan-Auta saßen.

Dan-Auta sah auf den König herab. Dan-Auta sagte: "Ssarra!" Ssarra sagte: "Kai! Dan-Auta! Sei still!" Dan-Auta schluchzte auf. Ssarra sagte schnell: "Mein Dan-Auta weine nicht! Dein Vater und deine Mutter haben gesagt, du sollst nicht weinen. Weine nicht. Sag', was du willst!" Dan-Auta sagte: "Ich will mich entleeren; ich will mich auf den Kopf des Königs entleeren." Ssarra sagte: "Wir werden getötet werden, aber dein Vater und deine Mutter haben gesagt, du sollst nicht weinen. Also tue es!" Dan-Auta entleerte sich. Der Unrat fiel auf des Königs Kopf. Der König sagte: "Was ist das, was auf meinen Kopf fiel!" Der König faßte mit der Hand hin. Der König sagte: "Es ist Unrat!"

Der König blickte zum Baume empor. Der König sah Ssarra und Dan-Auta. Der König rief: "Bringt Beile herbei! Wir wollen sogleich den Baum umschlagen!" Die Leute liefen hin. Die Leute brachten Beile. Die Leute begannen den Baum umzuschlagen. Der Baum begann zu zittern. Die Leute schlugen in das Holz tiefer hinein. Der Baum begann zu schwanken. Die Leute schlugen die Hälfte des Stammes weg. Der Baum begann sich auf die Seite zu neigen. Ssarra sagte: "Jetzt werden sie uns fangen und töten!"

Ein großer Schurua (Hühnerweihe, auch Schirua genannt) flog über den Busch hin. Der Schurua kam nahe zu dem Baume, auf dem Ssarra mit Dan-Auta saß. Ssarra sah den Schurua. Der Baum begann sich zu neigen. Ssarra rief zu dem Schurua hinauf: "Mein Schurua! Sieh, die Leute werden Dan-Auta und mich töten, wenn du uns nicht wegnimmst!" Der Schurua hörte Ssarra. Der Schurua kam herab. Der Baum sank zur Seite. Der Schurua nahm Ssarra auf die eine Schulter, Dan-Auta auf die andere Schulter. Der Baum fiel auf die Erde. Der Schurua flog mit Ssarra und Dan-Auta ganz hoch hinauf in die Luft.

Der Schurua flog mit Ssarra und Dan-Auta ganz hoch oben in



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der Luft über das Land hin. Der Schurua flog hoch hinauf in die Luft. Der Schurua flog immer höher und weiter. Dan-Auta sah den Vogel an. Dan-Auta sah, wie der Vogel den Schwanz drehte (die Steuerbewegungen sind gemeint). Dan-Auta sagte: "Ssarra!"Ssarra sagte: "Kai! Dan-Auta! Was willst du nun wieder!" Dan-Auta schluchzte auf. Ssarra sagte schnell: "Mein Dan-Auta, weine nicht! Dein Vater und deine Mutter haben gesagt, du sollst nicht weinen. Weine nicht! Sag, was du willst!" Dan-Auta sagte: "Ich will meinen Finger in das Arschloch dieses Vogels stecken!" Ssarra sagte: "Wenn du das tust, wird der Schurua uns sogleich fallen lassen. Wir werden dann zur Erde hinabfallen. Wir werden unten sterben. Aber dein Vater und deine Mutter haben gesagt, du sollst nicht weinen. Also tue es!" Dan-Auta sagte: "Es ist mir gleich, ob wir sterben!" Dan-Auta steckte seinen Finger in das Arschloch des Schurua. Der Schurua schlug seine Flügel zusammen. Ssarra und Dan-Auta fielen herab.

Als Ssarra und Dan-Auta ganz nahe der Erde waren, zog gerade ein großer Gugua (Wirbelwind, Windhose) über das Land hin. Ssarra sah den Gugua. Ssarra rief: "Mein Gugua! Sieh, wir werden sogleich auf die Erde fallen und sterben, wenn du uns nicht auf fängst und (sanft) zur Erde trägst." Der Gugua kam heran. Der Gugua fing Ssarra und Dan-Auta auf. Der Gugua setzte Ssarra und Dan-Auta sanft auf die Erde. Ssarra und Dan-Auta waren in einem fremden Lande im Busch.

Ssarra ging mit Dan-Auta durch den Busch. Ssarra und Dan-Auta gingen im Busch hin. Ssarra und Dan-Auta kamen auf einen Weg. Ssarra und Dan-Auta gingen auf dem Wege hin. Der Weg führte in eine große Stadt. Die Stadt übertraf an Größe jede andere Stadt. Die Stadt war von einer mächtigen Birni (Mauer) umgeben. In dieser Mauer war ein großes eisernes Tor, das wurde jeden Abend geschlossen, wenn es dunkel war. Denn jeden Abend, wenn die Dunkelheit eintrat, kam ein gewaltiger Dodo. Dieser Dodo war hoch wie ein Esel; es war aber kein Esel. Dieser Dodo war lang wie eine Riesenschlange; aber es war keine Riesenschlange. Dieser Dodo war stark wie ein Elefant; aber es war kein Elefant. Dieser Dodo hatte Augen, die strahlten hell durch die Nacht, wie die Sonne am Tage. Der Dodo hatte einen Schweif. Der Dodo kam jede Nacht zu der Stadt. Deswegen war die große Mauer mit dem eisernen Tor um die Stadt gebaut. Ssarra und Dan-Auta gingen auf dem Wege hin, bis sie zu dieser großen Stadt kamen.



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Ssarra ging mit Dan-Auta in die Stadt. Sie gingen durch das Tor. An der Birni nahe dem Tore wohnte eine Sohua (d. i. eine alte Frau, entspricht Soho, d. i. ein alter Mann). Ssarra ging mit Dan-Auta zu der Sohua. Ssarra sprach mit der Sohua. Dan-Auta hörte zu. Die Sohua sagte: "Ich will dich und deinen kleinen Bruder aufnehmen. Aber jeden Abend kommt ein gewaltiger Dodo in die Stadt, und singt mit starker Stimme. Dann muß alles in der Stadt still sein. Wenn jemand darauf antwortet, kommt der Dodo in die Stadt und kann uns alle töten. Sorge also, daß der kleine Dan-Auta nachts nicht schreit, dann könnt ihr bei mir wohnen." Dan-Auta hörte alles. Ssarra und Dan-Auta wohnten bei der Sohua an der Stadtmauer nahe dem großen Tore.

Am anderen Tag ging Ssarra in die Stadt, um Essen zu bringen. Als Ssarra fort war, ging der kleine Dan-Auta auch fort. Dan-Auta nahm hier ein Scheit Holz und dort ein Scheit Holz. Dan-Auta trug die Holzstücke zu dem Hause der Sohua und verbarg sie hinter der Mauer. Dan-Auta lief herum und trug viel Holz zusammen. Er schichtete das Holz hinter der Mauer auf. Dan-Auta betrachtete den Holzstoß und sagte: "Das ist genug Holz!" Dann lief Dan-Auta wieder in die Stadt. Dan-Auta nahm hier einen Makodi (d. s. kugelige, faustgroße Steine, mit denen die Mahlsteine abgeklopft werden) weg und da einen Makodi weg. Dan-Auta trug die Makodi hinter das Haus der Sohua und versteckte sie an der Mauer. Dan-Auta trug die 100 Makodi zu dem Versteck und legte sie auf die Holzscheite. Dan-Auta betrachtete den Haufen Makodi und sagte: "Das sind genug Makodi. Nun brauche ich noch eine Zange!" Dan-Auta ging in die Stadt. Dan-Auta ging zu einem Schmiede und nahm eine Zange. Dan-Auta trug die Zange zu dem Hause der Sohua und versteckte sie neben dem Holzstoß und den Makodi hinter der Mauer. Niemand aber wußte davon, was der kleine Dan-Auta alles da zusammengetragen und versteckt hatte.

Als es Abend wurde, sagte Ssarra zu Dan-Auta: "Nun komme mit in das Haus, mein Dan-Auta, denn jetzt kommt bald der gewaltige Dodo, und dann kann er uns töten." Dan-Auta sagte: "Ich will heute draußen bleiben." Ssarra sagte: "Komm in das Haus!" Dan-Auta schluchzte auf. Ssarra sagte schnell: "Mein Dan-Auta, weine nicht! Dein Vater und deine Mutter haben gesagt, du sollst nicht weinen. Weine nicht! Wenn du draußen bleiben willst, bleibe nur draußen." Ssarra und die Sohua gingen in das Haus und machten hinter sich die Türe zu. Dan-Auta blieb draußen.



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Dan-Auta saß vor dem Hause der Sohua. Die Sohua und Ssarra und alle Leute der Stadt waren in die Häuser gegangen und hatten hinter sich die Türen geschlossen. Nur der kleine Dan-Auta war auf der Straße. Dan-Auta lief dahin, wo er das Holz und die Makodi versteckt hatte. Dan-Auta zündete das Holz an. Es wurde ein großes Feuer. Die Makodi lagen im Feuer und wurden ganz heiß. Als Dan-Auta eine Zeitlang bei seinem Feuer gesessen hatte, kam Dodo aus dem Busche her auf die Stadt zu.

Dan-Auta stieg auf die Birni. Dan-Auta sah Dodo aus der Ferne kommen, denn Dodos Augen leuchteten wie die Sonne und wie ein Feuer. Dan-Auta hörte Dodo, denn Dodo sang mit starker Stimme durch den Busch hin:

"Wuajanni (wer ist) agarinana ni Dodo (in dieser Stadt wie ich Dodo) !"

Als Dan-Auta das hörte, sang er von der Birni hinab in den Busch dem Dodo entgegen:

"Naijakai agarinana naijakai ni Auta (ich bin wie du in dieser Stadt, ich bin wie du, ich Auta) !"

Als Dodo das hörte, kam Dodo näher zur Stadt heran. Er kam bis dicht zur Stadt und sang: "Wuajanni agarinana ni Dodo!" Als Dodo das sang, zitterten alle Bäume in dem Busch und das trockene Gras begann weithin zu brennen. Dan-Auta aber sang:

"Naijakai agarinana najakai ni Auta!" Als Dodo das hörte, trat Dodo auf die Birni. Dan-Auta stieg herab und trat zu dem Holzstoß, auf dem die Makodi im Feuer glühten. Dodo aber sang von der Birni über die Stadt hin mit gewaltiger Stimme:

"Wuajanni agarinana ni Dodo!" Als Dodo das sang, zitterte das eiserne Tor und zitterten alle Häuser. Es war, als wenn 1000 Schmiede gleichzeitig den Ambos schlugen und wenn zehn Gewitter über einem Flusse donnern. Alle Bäume in der Stadt verdorrten unter dem Feuer, das aus Dodos Augen leuchtete. Alle Menschen in der Stadt hörten es in den Häusern und fühlten die Hitze durch die Mauern. Alle Menschen fürchteten sich so, daß sie glaubten sterben zu müssen. Und kein Mensch wagte in den Häusern den Mund zu öffnen.

Dan-Auta packte aber mit der eisernen Zange einen glühenden Makodi und sang:

"Naijakai agarinana najakai ni Auta!" Dodo stieg von der Birni. Wo Dodo hintrat, splitterte der Boden auf. Wo Dodo die Augen hinwandte, klappten die Wände auf. Dodo öffnete den Mund und sang gewaltig:



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"Wuajanni -"

Dan-Auta aber warf in den offenen Rachen zehn glühende Makodi. Dodo verschlang sie und sang heißerer: "Agarinana -"

Dan-Auta aber warf in den offenen Rachen zehn glühende Makodi. Dodo verschlang sie und sang leiser: "Ni Dodo."

Dan-Auta aber warf in den offenen Rachen zehn glühende Makodi. Dodo verschlang sie und stöhnte. Da warf Dan-Auta alle anderen glühenden Makodi in den Rachen. Dan-Auta aber sang: "Naijakai agarinana naijakai ni Auta!"

Dodo starb. Dan-Auta betrachtete Dodo. Dann ging Dan-Auta in das Haus der Sohua. Die Sohua hatte eine Kororo (Ledertasche), in der war ein Wuka (kleines Messer). Dan-Auta nahm die Kororo, ging wieder hinaus, dahin wo der getötete Dodo lag und schnitt mit der Wuka dem Dodo den Schweif (Utschia) ab. Diesen Schweif steckte er in die Kororo. Dann ging er mit der Tasche in das Haus, legte sich neben Ssarra nieder und schlief ein. —

Dann aber hörte man in der ganzen Stadt nichts mehr; man hörte nicht einmal die kleinen Termiten.

Am andern Morgen kamen die Leute aus den Häusern und liefen zum Serki, dem König. Der König fragte die Leute: "Was war das?" Die Leute sagten: "Wir wissen es nicht! Wir sind vor Furcht (fast) gestorben. Es war auf der Seite, wo das eiserne Tor ist!" Der König sagte zum Jägermeister (Serki Malhalba): "Geh du hin und sieh. was das war!" Der Serki Malhalba ging hin. Der Serki Malhalba sah den toten Dodo von weiten. Der Serki Malhalba kam langsam heran. Der Serki Malhalba sagte: "Das ist der gewaltige Dodo! Der gewaltige Dodo ist getötet." Der Serki Malhalba lief zurück zum König und sagte: "Es hat ein Mann den gewaltigen Dodo getötet und hat ihm den Schweif abgeschnitten!" Der König sagte: "Ist der gewaltige Dodo wirklich tot?" Der Serki Malhalba sagte: "Der Dodo ist tot."

Der König sagte: "Ich will selbst hinreiten und will es sehen!" Der König stieg auf ein Pferd. Die Dogari umringten den König und begleiteten ihn dahin, wo der tote Dodo lag. Der König sagte zu den Dogari: "Seht zu, ob der Dodo tot ist." Die Dogari gingen langsam hin. Sie kamen schnell zurück und sagten: "Der gewaltige Dodo ist tot; man hat ihm den Schweif abgeschnitten." Der König stieg vom Pferde. Der König ging langsam auf den Dodo zu. Der König sah,



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daß der gewaltige Dodo getötet war. Der König betrachtete Dodo und sagte: "Dieser Dodo, der seit der Zeit unserer uralten Väter jede Nacht unsere Stadt bedroht hat, dieser Dodo, der durch Schrecken viele Menschen hat sterben gemacht, dieser gewaltige Dodo liegt jetzt getötet in der Stadt. Ein Mann hat ihn getötet. Er hat ihm den Schweif abgeschnitten. Der Mann, der ihn getötet und ihm den Schweif abgeschnitten hat, soll zu mir kommen. Er soll mir den Schweif vorweisen. Dann will ich ihm die halbe Stadt schenken und er soll nach mir König sein!" Das sagte der König. Dann stieg der König auf sein Pferd und ritt wieder nach Hause.

Alle Leute des Königs hatten gehört, was der König gesagt hatte. Da ging jeder, der ein Pferd hatte, heim, schnitt seinem Pferde den Schweif ab, ging zum König, zeigte den Schweif und sagte: "Sieh hier; ich habe in der Nacht den Dodo getötet." Und jeder der eine Kuh hatte, ging heim, schnitt seiner Kuh den Schweif ab, ging zum König, zeigte den Schweif und sagte: "Sieh hier; ich habe in der Nacht den Dodo getötet." Und jeder, der ein Kamel hatte, ging heim schnitt seinem Kamel den Schweif ab, ging zum König, zeigte den Schweif und sagte: "Sieh hier; ich habe in der Nacht den Dodo getötet." Einer aber ging heim, der hatte einen Esel und er schnitt ihm den Schweif ab, ging zum König, zeigte den Eseischweif und sagte: "Sieh hier; ich habe in der Nacht den Dodo getötet."

Der König sagte: "Ihr alle seid Lügner. Nehmt die Schwänze der Pferde und Kühe und Kamele und Esel und bringt sie wieder heim. Sucht mir den Mann, der den gewaltigen Dodo getötet hat!" Es war da ein alter Mann, der sagte: "Ich glaube nicht, daß es ein Mann dieser Stadt war, der den gewaltigen Dodo getötet hat. Ich meine, es müsse ein Fremder gewesen sein. Ich habe, wie viele andere, in der Nacht seine Stimme gehört. Die Stimme war nicht die Stimme eines Mannes, sondern die eines Jungen. Es muß ein fremder Junge sein, der in der Nähe des eisernen Tores wohnt; wer er ist, das kann ich auch nicht sagen." Der König sagte: "In der Nähe des Tores wohnt ein altes Weib, bei der wohnen oftmals Fremde. Fragt die Sohual"

Die Leute gingen hin und riefen die Sohua. Die Sohua rief Ssarra und ging mit ihr zum König. Die Sohua sagte zum König: "Diese Ssarra und der kleine Dan-Auta wohnen bei mir!" Der König fragte Ssarra: "Hat der kleine Dan-Auta den gewaltigen Dodo getötet ?" Ssarra sagte: "Ich kann es nicht sagen. Man muß Dan-Auta selber fragen." Der König sagte: "Ruft den kleinen Dan-Auta!"



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Die Leute des Königs kamen zu Dan-Auta. Die Leute des Königs sagten zu Dan-Auta: "Komm mit! Der König will dich sehen."Dan-Auta stand auf. Er hing die Ledertasche um und ging mit den Leuten zum König. Die Leute sagten zum König: "Das ist Dan-Auta!" Der König fragte Dan-Auta: "Dan-Auta, hast du den gewaltigen Dodo getötet und ihm den Schweif abgeschnitten?" Dan-Auta öffnete die Ledertasche. Er zog den Schweif des gewaltigen Dodo heraus und gab ihn dem König. Der König sagte: "Ja, das ist Dan-Auta, der den Dodo getötet hat."

Der König gab Dan-Auta hundert Frauen, hundert Kamele, hundert Pferde, hundert Sklaven, hundert Kühe, hundert Kleider, hundert Schafe und die halbe Stadt. —

Seit der Zeit Dodos ist es aber, daß die Haussa um ihre Städte Birnis (Walimauern) bauen.

Diese Erzählung ist die gleiche, die ich bei den Nupe und anderen Stämmen fand. Bei den Nupe heißt der Held Mama. Verschiedener Varianten aus dem Gebiet der zweiten Reiseperiode erinnere ich mich sehr wohl. Z. B. wurde dort der umstürzende Baum mehrfach durch die Zauberkunst freundlicher Eidechsen wieder aufgerichtet, die dann von dem unnützen Knaben auch geärgert und getötet wurden. Ich habe früher das Hauptgewicht auf die unnützen Rüpeleien der schlimmen Knaben, die in Schmieden usw. ihren Unsinn machten, gelegt; hiernach aber scheint mir wenigstens bei den Haussa das Hauptgewicht auf die endgültige Siegerkraft des ungeschlachteten kleinen Knaben gelegt werden zu müssen, dessen Lebenslauf eine gewisse Ähnlichkeit mit dem unserer nordischen Siegfried-Drachentöter zu haben scheint. S. dazu die folgende, aus Kano stammende Variante.


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