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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON KÖNIG SINDIBÂD

Es wird erzählt -Allah aber ist allwissend! —, daß einst unter den Königen der Perser einer war, der Vergnügen und Unterhaltung und die Jagd auf Großwild und Kleinwild liebte. Er hatte einen Falken aufgezogen, von dem er sich nie trennte, weder bei Tage noch bei Nacht, und den er die ganze Nacht auf der Hand behielt; und sooft er auf die Jagd ging, nahm er diesen Vogel mit; auch hatte er ihm ein goldenes Näpfchen machen lassen, das er ihm um den Hals hängte, um ihn daraus zu tränken. Eines Tages nun, als der König in seinem Palaste saß, siehe, da kam der Großfalkonier und sprach: ,O König



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der Zeit, dies ist ein Tag, um zur Jagd auszuziehen.' Daraufhin gab der König Befehl zum Aufbruch und nahm den Falken auf die Faust; und sie zogen dahin, bis sie zu einem Flußtal kamen, wo sie einen Kreis schlossen zum Kesseitreiben; und siehe, da war eine Gazelle, die sich innerhalb des Kreises befand, und der König rief: ,Wer immer diese Gazelle über seinen Kopf entschlüpfen läßt, den werde ich töten lassen.' Als sie dann den Kreis enger um die Gazelle zusammenzogen, kam sie dorthin, wo der König war; und indem sie auf den Hinterläufen stehenblieb, legte sie die Vorderläufe an die Brust, als wolle sie vor dem. König niederfallen und den Boden küssen. Da neigte der König das Haupt, der Gazelle zum Gruß; die aber setzte über seinen Kopf hinweg und jagte in die Wüste davon. Nun stand der König da und sah, wie die Soldaten einander zublinzelten und auf ihn zeigten, und er fragte: ,O Wesir, was sagen die Soldaten?' Der erwiderte: ,Sie sagen, du habest verkündigt, wer immer die Gazelle über seinen Kopf entschlüpfen lasse, der solle getötet werden.' Da rief der König: ,Beim Leben meines Hauptes! Ich will ihr folgen, bis ich sie wiederbringe.' So ritt der König davon, auf der Spur der Gazelle, und gab die Verfolgung nicht auf, bis er zu einem Hügel des Berglandes kam; da wollte die Gazelle in ihren Schlupfwinkel kriechen. Aber der König warf seinen Falken hinter ihr drein, und der schlug ihr die Sporen in die Augen und machte sie blind und hilflos. Darauf ergriff der König seine Keule und schlug die Gazelle auf die Brust, daß sie zu Boden fiel. Dann saß er ab, durchschnitt der Gazelle den Hals, zog ihr das Fell ab und hängte sie an das Sattelhorn. Nun war es die Zeit der Mittagsruhe; aber das Land war wüste, und nirgends war Wasser zu finden. Da ward der König durstig und ebenso das Pferd; so ging er umher und erblickte einen Baum, von dem floß Wasser wie geschmolzene



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Butter. Nun trug der König Handschuhe aus Wildleder, so daß ihn kein Tropfen berührte. Er nahm das Näpfchen von dem Halse des Falken, füllte es mit jenem Wasser und stellte es vor sich hin. Aber siehe da, der Falke schlug an das Näpfchen und warf es um. Da nahm er das Näpfchen zum zweiten Male und fing die herunterträufelnde Flüssigkeit darin auf, bis es voll war; denn er glaubte, der Falke sei durstig. Und so setzte er es ihm vor; aber wieder schlug der danach und warf es um. Da wurde der König zornig auf den Falken, und er ging ein drittes Mal und füllte das Näpfchen. Nun setzte er es dem Pferde vor, aber der Falke schlug es mit seinen Flügeln um. Der König rief: ,Allah strafe dich, o du unseligster der Vögel! Du hast mich und dich selbst und das Pferd des Trankes beraubt!' Und er schlug mit dem Schwerte nach dem Falken und schnitt ihm die Flügel ab; aber der Vogel hob den Kopf und sagte durch Zeichen: ,Sieh, was auf dem Baume ist!' Da hob der König die Augen auf, erblickte eine Vipernbrut auf dem Baum und erkannte, daß die träufelnde Flüssigkeit deren Gift war; nun reute es ihn, daß er dem Falken die Flügel abgeschlagen hatte; wider stieg auf sein Pferd und ritt mit der Gazelle davon, bis er mit seiner Beute im Lager ankam. Die Gazelle gab er dem Koch, indem er rief: ,Nimm und brate sie!' Dann ließ der König sich auf dem Sessel nieder, während der Falke noch auf seiner Hand saß; da seufzte der Falke auf - er verschied. Aber der König schrie auf in Schmerz und Gram, weil er den Falken getötet hatte, der ihn doch vor dem Verderben gerettet hatte. Das ists, was dem König Sindibâd geschah.' — Als nun der Wesir die Worte des Königs Junân gehört hatte, sprach er zu ihm: ,O großmächtiger König, war das, was er tat, nicht eine Notwendigkeit? Ich sehe nichts Schlechtes an ihm. Und ich tue dies doch nur aus Sorge um dich, und damit du es als wahr erkennst.



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Sonst wirst du umkommen, wie der Wesir umkam, der gegen einen der Könige treulos handelte.' Da fragte der König Junân: ,Wie war denn das?' Und der Minister begann


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