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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON IBRAHIM IBN EL-MAHDI UND DEM KAUFMANNE

Der Beherrscher der Gläubigen el-Mamûn sprach einst zu Ibrahîm ibn el-Mahdî': ,Erzähle uns das Wunderbarste, das du je erlebt hast!' Jener erwiderte: ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen!

Vernimm, ich zog eines Tages zu meinem Vergnügen aus, und da führte mich mein Weg zu einem Orte, wo ich den Duft von Speisen roch. Mich verlangte danach, und ich blieb stehen, o Beherrscher der Gläubigen; aber ich war unentschlossen und wußte nicht, ob ich weitergehen oder in jenes Haus eintreten sollte. Wie ich nun zufällig meinen Blick hob, entdeckte ich ein Gitterfenster und hinter ihm eine Hand und ein Handgelenk, so schön, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Bei diesem Anblicke war ich wie von Sinnen, ich vergaß den Duft der Speisen um jener Hand und des Handgelenkes willen, und ich sann auf ein Mittel, wie ich in das Haus dort hineingelangen



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könnte. Da sah ich plötzlich einen Schneider in der Nähe; zu dem ging ich heran und grüßte ihn. Nachdem er meinen Gruß erwidert hatte, fragte ich ihn: ,'Wem gehört dies Hause' ,Einem Kaufmanne', erwiderte er. Ich fragte ihn eiter: ,Wie heißt er denn?' Der Schneider antwortete: ,Er heißt Soundso, Sohn des Soundso, und er verkehrt nur mit Kaufherren.' Während wir so miteinander redeten, nahten sich auf einmal zwei vornehme Männer mit klugen Gesichtern, die beritten waren; und der Schneider erzählte mir, sie seien die vertrautesten Freunde des Kaufmannes, und er nannte mir auch ihre Namen. Da trieb ich mein Reittier auf die beiden zu, und als ich bei ihnen war, sprach ich: ,Ich gebe mein Leben für euch! Abu Fulân' wartet schon lange auf euch!' Dann begleitete ich sie, bis wir zum Haustore kamen. Dort trat ich mit den beiden Männern ein, und wie mich der Hausherr bei ihnen sah, zweifelte er nicht daran, daß ich ihr Freund sei; somit hieß er mich willkommen und wies mir den ersten Platz an. Dann brachte man den Speisetisch, und nun sagte ich mir: ,Allah hat mir meinen Wunsch nach diesen Speisen gnädiglich erfüllt; nun bleiben nur die Hand und das Handgelenk noch übrig.' Nachher begaben wir uns zum Trinkgelage in ein anderes Zimmer, und ich sah, daß es mit allerlei hübschen Dingen ausgestattet war. Der Hausherr erwies mir besondere Aufmerksamkeit und richtete immer das Wort an mich; denn er hielt mich ja für einen Gast seiner eigenen Gäste, während die beiden ebenfalls mir die größte Höflichkeit erwiesen, da sie meinten, ich sei ein Gast des Hausherrn. So wetteiferten denn alle in ihrer Freundlichkeit gegen mich, bis wir eine Anzahl von Bechern getrunken



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hatten. Dann trat eine Sklavin bei uns ein; die glich einem Weidenzweig in ihrer großen Schönheit und ihrer zierlichen Gestalt. Und sie griff zur Laute, begann zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Ist's denn nicht wunderbar, daß ein Haus uns umschließet,
Und daß du mir nicht nahst, dein Mund kein Wörtlein sagt?
Die Augen melden nur der Seelen heimlich Sehnen;
Sie künden, wie die heiße Glut an Herzen nagt.
Und Blicke geben Zeichen, Augenbrauen nicken,
Und Lider brechen, während Hände Grüfte schicken.

Da war ich im Innersten erregt, o Beherrscher der Gläubigen, und mich faßte Entzücken ob des Übermaßes ihrer Schönheit und ob der Zartheit des Liedes, das sie sang. Doch weil ich sie um ihre herrliche Kunst beneidete, sprach ich zu ihr: ,Dir fehlt noch etwas, Mädchen!' Da warf sie zornig die Laute aus der Hand und sprach: ,Seit wann bringt ihr freche Menschen in eure Gesellschaften?' Nun bereute ich, was ich getan hatte, und als ich sah, daß auch die Leute es mir übelnahmen, sagte ich mir: ,Jetzt ist mir alles, was ich hoffte, entgangen.' Und ich sah keinen anderen Ausweg, dem Tadel zu wehren, als daß ich um die Laute bat und sprach: ,Ich will euch zeigen, was ihr in der Weise, die sie spielte, gefehlt hat.' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten die Leute. Dann brachten sie mir eine Laute; ich ließ die Saiten zum Stimmen erklingen und begann dies Lied zu singen:

Hier ist dein Freund, gebeugt von seinem Liebeskummer,
Der ihm auf seine Brust die Tränen rinnen läßt.
Die Rechte hebt erflehend und bittet vom Erbarmer
Erhörung, und die Linke hält er ans Herz gepreßt.
Die du ihn sterben siehst in seinem Liebesleid,
Durch deine Hand und Augen ist er de,,, Todgeweiht.



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Da sprang die Sklavin auf, warf sich vor meinen Füßen nieder, küßte sie und rief: ,Es ist an dir, mich zu entschuldigen, mein Gebieter! Bei Allah, ich kannte deinen Rang nicht, und ich habe noch nie solcher Kunst gelauscht.' Darauf begannen die Leute mich zu ehren und zu feiern; denn sie waren über die Maßen entzückt. Und ein jeder von ihnen bat mich, noch einmal zu singen; so sang ich denn eine lustige Weise. Schließlich wurden die Gäste trunken, ihr Verstand entwich, und sie wurden nach Hause gebracht; nur der Hausherr und das Mädchen blieben. Nachdem er einige Becher mit mir getrunken hatte, sprach er: ,Lieber Herr, mein Leben ist bisher vergeblich dahingeflossen, da ich bis zu dieser Stunde keinen, der dir gliche, kennen gelernt habe. Doch bei Allah, lieber Herr, sag mir, wer du bist, damit ich weiß, welchen Zechgenossen Allah mir heut nacht beschert hat.' Zuerst gab ich ausweichende Antworten und verriet ihm meinen wahren Namen nicht; aber als er mich beschwor, tat ich ihn ihm kund. Sowie er meinen Namen erfuhr, sprang er auf' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 347. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibrahîm ibn el-Mahdî des weiteren erzählte: ,Sowie der Hausherr meinen Namen erfuhr, sprang er auf die Füße und sprach: ,Ich war schon darüber erstaunt, daß ein anderer als du solche Gaben besitzen sollte, und das Geschick hat mir heute eine Gunst erwiesen, für die ich ihm nicht genug danken kann. Aber vielleicht ist dies nur ein Traum; wie hätte ich denn sonst je mich des Wunsches vermessen können, daß die Kalifenwürde mein Haus besuchen und heute nach mein Trinkgenosse sein möchte?' Als ich ihn dann beschwor, sich zu setzen, ließ er sich nieder,



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und darauf begann er mich in den höflichsten Worten nach dem Anlasse meines Besuches bei ihm zu fragen. Nun erzählte ich ihm die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende und verschwieg ihm nichts; und ich schloß mit den Worten: ,Was die Speisen betrifft, so ist mir nunmehr mein Wunsch erfüllt; aber an Hand und Handgelenk habe ich noch nicht erreicht, was ich wünsche.' Da erwiderte er: ,Auch an Hand und Handgelenk sollst du deinen Wunsch erfüllt sehen, so Allah der Erhabene will.' Dann rief er: ,Du da, Mädchen, sag Derundder, sie möge herunterkommen!' Und er ließ seine Sklavinnen eine nach der anderen kommen und zeigte sie mir alle; aber ich fand sie nicht, die ich meinte. Schließlich sagte er: ,Bei Allah, hoher Herr, jetzt ist niemand mehr übrig außer meiner Mutter und meiner Schwester. Aber bei Gott, ich muß auch sie beide herunterkommen lassen und sie dir zeigen, auf daß du sie siehest.' Erstaunt über seine Großmut und Weitherzigkeit sprach ich: ,Ich will mein Leben für dich dahingeben! Beginne mit der Schwester!' ,Herzlich gern!' erwiderte er. Als seine Schwester dann herunterkam und er mir ihre Hand zeigte, siehe, da hatte sie die Hand und das Handgelenk, die ich gesehen hatte. Ich aber rief: ,Mein Leben will ich für dich dahingeben, sie ist die Maid, deren Hand und Handgelenk ich gesehen habe.' Sofort gab er seinen Dienern Befehl, sie sollten unverzüglich die Zeugen holen, und sie taten also. Dann ließ er zwei Beutel mit je zehntausend Goldstücken kommen und sprach zu den Zeugen: .Dieser unser Herr und Gebieter, Ibrahîm ibn el-Mahdî, der Oheim des Beherrschers der Gläubigen, bittet um die Hand meiner Schwester Soundso; und ich nehme euch zu Zeugen, daß ich sie ihm vermähle und daß er ihr zehntausend Goldstücke als Morgengabe gebracht hat.' Dann fuhr er fort: ,Ich vermähle dir meine Schwester Soundso, gegen die genannte



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Morgengabe.' Ich erwiderte: ,Ich nehme es an und bin damit einverstanden.' Darauf gab er den einen der beiden Beutel seiner Schwester, den anderen aber den Zeugen. Und von neuem hub er an: ,Gebieter, ich will dir ein Gemach herrichten lassen, darinnen du mit deiner Gattin ruhen kannst.' Da machte die Großmut, die er mir bezeugte, mich verlegen, und ich scheute mich, ihr im Hause ihres Bruders zu nahen. Deshalb sprach ich zu ihm: ,Statte sie aus und sende sie in meine Wohnung!' Und bei deinem Leben, o Beherrscher der Gläubigen, er sandte sie mir mit einer so großen Ausstattung, daß unser Haus trotz seiner Größe sie kaum fassen konnte. Und später schenkte sie mir diesen Knaben, der vor dir steht.'

Da staunte el-Mamûn über die Großmut dieses Mannes, und er rief: ,Welch ein vortrefflicher Mann! Von seinesgleichen habe ich noch nie gehört.' Und er befahl Ibrahîm ibn el-Mahdî, ihn zu holen, damit er ihn kennen lerne. Der holte ihn herbei. und der Kalif unterhielt sich mit ihm; und da fand er an seinem klugen und feinen Wesen solches Gefallen, daß er ihn zu einem seiner vertrauten Freunde machte: Allah aber ist der Geber und Spender!

Ferner wird erzählt


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