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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

50. Der verkleidete König

Der König eines sehr großen Landes hat eine Frau, die er außerordentlich liebt. Seine Frau geht aber jeden Morgen an den Fluß, angeblich nur, um sich zu baden, in Wahrheit aber, um nach dem Bade mit einem Manne zu huren. Der König kommt eines Tages dahinter. Er will sich eine andere Frau suchen und denkt das am geschicktesten anzufangen, indem er sich selbst als Frau verkleidet und unter den Frauen nach einer guten Frau Erkundigungen einzieht. Er schmückt sich also mit Perlen. Er zieht schöne Kleider an. Er schmückt sich. Er wird eine wirklich schöne Frau, und in dieser Ausgestaltung begibt er sich in die Stadt, um nach einer guten Frau unter den Frauen zu fragen. Als er aus seinem Palast kommt, sieht ihn der Saba, der Thronfolger. Dieser große Fürst will nämlich außerordentlich gern einmal mit der oben erwähnten, als etwas extravagant bekannten ersten Frau des Königs schlafen und legte demnach



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schon mehrere Tage lang seine schöne, mit Lederwerk geschmückte Matte vor den Eingang seiner Palasttorhäuser, um von da aus den Königspalast und was darin ein- und ausgeht zu beobachten. An diesem Tage nun sieht er den zum Weibe verkleideten König herauskommen. Er verliebt sich sogleich in das königliche Weib und ruft die vermeintliche Frau heran. Das königliche "Weib" muß wohl oder übel kommen. Der Saba fragt es, ob es eine Frau des Königs sei? Das königliche "Weib"sagt "nein". Der Saba nimmt es sogleich ins Haus. Der König muß nun notgedrungen, um Aufsehen zu vermeiden, die Rolle weiterspielen. Der Thronfolger bestimmt den König, ihm zu Willen zu sein. Der König schämt sich so, daß er nicht die Wahrheit zu sagen wagt. Also behält der Thronfolger die vermeintliche Spröde da und gebietet allen seinen Frauen, ihr zu dienen. Alle Frauen werden eifersüchtig und neidisch. Der Fürst beschenkt "die" Spröde aufs reichste. Er vernachlässigt die anderen Frauen. Die Mißstimmung der Frauen wird immer böser. Der König bleibt spröde. Endlich macht eine der Frauen die große Entdeckung. Als der König einmal sein Wasser abschlägt, sieht eine der Sabafrauen sein Glied. Es entsteht ein Jubel. Aber so recht nach Nupeart geht die Korona nicht etwa zum Fürsten, ihm den Betrug zu sagen, nein, das Geheimnis wird auf einem Umwege gelüftet. Die Frauen bitten den König um ein Trommelfest, bei dem sie alle eine Art Geschlechtstanz aufführen wollen. Der Thronfolger, in der Hoffnung, an dem Tage die spröde Schöne bis zur Hingabebereitschaft erregen zu können, stimmt zu. Der Trommler kommt. Alle Frauen versammeln sich. Der Trommler beginnt sein Geklapper. Alle Frauen klatschen. Die erste tanzt aus der Reihe hervor auf den Thronfolger zu. Sie singt: "Jede von uns hat ihre Vagina. Nur eine von uns hat keine Vagina. Hier ist die Stelle, an der der Saba seine Lust findet." Bei dem letzten Satz wird das Kleid vorn auseinandergeschlagen, und da gleichzeitig ein rhythmisches Vor- und Zurückstoßen des Unterkörpers und eine Kniebeuge vorgenommen wird, so sieht der Fürst ostentativ die ganze Weiblichkeit deutlich erwiesen. So tanzt eine Frau nach der anderen. Zuletzt soll auch der verkleidete König tanzen. Doch ausgerechnet dieses Weib, auf dessen nähere Besichtigung sich der Fürst am meisten gespitzt hat, will nicht. Darauf reißt dem Saba doch die genügend angespannte Geduld. Er erklärt: "Entweder du tanzt das auch oder ich lasse dich auf der Stelle totschlagen." Der König verliert den Mut. Er tanzt. Er singt nicht dazu, aber alle Welt sieht seine männliche Veranlagung. Der Thronfolger befiehlt in großer



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Wut über diesen ihm bereiteten Schwindel die Enthauptung des Mannes. Er weiß nicht, daß dieser Mann der König ist. Der König schämt sich zu sehr, es zu sagen. Seine Hinrichtung ist beschlossene Sache, aber ein alter Mann des Thronfolgers schlägt vor, dem betrügerischen Manne einen Stein um den Hals zu hängen und ihn zu ersäufen. Der Thronfolger stimmt zu. Dem König wird ein Stein um den Hals gebunden und er wird ins Wasser geworfen. Im Wasser stirbt er nicht, sondern verwandelt sich in jenen grätenreichen Fisch, der bei den Nupe Engunji, bei den Haussa Kurungu, bei den Joruba Ganku heißt. Als der König abgeführt wird, geht der Saba mit seiner ersten Frau, die am geilsten getanzt hat, ins Haus und beschläft sie hintereinander dreimal.

Als er nach diesem Werke wieder in seine Katamba kommt, treffen Boten ein, die ihm mitteilen, der König des Landes sei seit einigen Tagen verschwunden. Man nehme an, er habe sich aus Gram über die Schlechtigkeit seiner ersten Frau ertränkt; also sei er, der Thronfolger, nun König.


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