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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

33. Segen der Himmelsfrau

Ein Mann heiratete vier Frauen. Die ersten drei hatten noch Mutter und Vater. Die vierte Frau hatte weder Vater noch Mutter. Der Mann war längere Zeit mit ihnen verheiratet. Sie wurden aber nicht schwanger. Darauf ging der Mann zu einem Boschi. Er sagte zu dem Boschi: "Ich habe vier Frauen. Aber keine wird schwanger. Gib mir für die Frauen Medizin."

Der Boschi gab dem Manne Medizin. Der Mann nahm die Medizin mit heim und gab sie seiner ersten Frau. Er sagte zu der ersten Frau: "Das ist Medizin, damit ihr Kinder bekommt!" Die erste Frau teilte die Medizin in drei Teile, nahm einen für sich, gab einen der zweiten und einen der dritten Frau. Der vierten Frau gab sie aber nichts. Darauf neben die Frauen die Medizin auf den Mahisteinen und genossen sie. Die vierte Frau hatte nichts erhalten. Sie ging aber zu den Mahisteinen, kratzte den Rest, der hängen geblieben war, mit einem Besen herunter, tat ihn in Wasser und trank ihn.

Nach drei Monaten waren alle vier Frauen schwanger. Die erste Frau sagte zu der zweiten und dritten Frau: "Wenn es Zeit ist, werden wir hingehen zu unseren Müttern und unsere Kinder da gebären!" Die vierte Frau sagte bei sich: "Wo soll ich hingehen, wenn ich mein Kind gebären will? Ich habe keinen Vater und keine Mutter!"

Nach weiteren fünf Monaten sagte der Mann zu seinen Frauen: "Packt jede ihre Sachen und geht zu euren Eltern, um im Hause eurer Mütter eure Kinder zu gebären!" Die erste und die zweite und die dritte Frau packten eine jede ihre Sachen und gingen eine jede in das Haus ihrer Mutter. Die vierte packte ihre Sachen und weinte.

Die vierte Frau nahm ihre Sachen. Sie sagte: "Wer wird mir helfen? Wo werde ich gebären?" Die vierte Frau ging mit ihren Sachen in den Busch. Sie kam erst an ein Haus, das war ganz allein. Es regnete. Sie wollte in das Haus hineingehen. Eine Schlange kam heraus und jagte sie fort. Die Frau lief mit ihrer Last weiter. Sie kam an ein Haus, das lag allein im Busch. Es regnete. Sie wollte in das Haus gehen. Eine Hündin bellte sie an und wollte sie fortjagen. Die Frau lockte die Hündin. Die Hündin kam zu ihr. Die Hündin ließ sie in das Haus hineingehen. Die Frau legte sich an der einen Seite nieder, die Hündin an der andern.

Nach einiger Zeit kam eine alte Frau. Die alte Frau trat in das Haus. Sie hatte eine Last auf dem Kopfe und fragte die junge Frau:



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"Bist du vom Himmel oder bist du von der Erde?" Die junge Frau sagte: "Ich bin eine Frau von der Erde." Die Hündin kam herbei und begrüßte die alte Frau. Die alte Frau ging. Die alte Frau fragte die junge Frau: "Wie kommst du hierher?" Die junge Frau sagte: "Mein Mann hatte vier Frauen. Keine Frau wurde schwanger. Mein Mann kaufte beim Boschi Medizin. Die ersten drei Frauen meines Mannes haben Vater und Mutter. Mein Vater und meine Mutter sind längst gestorben. Die ersten drei Frauen teilten die Medizin untereinander. Sie neben sie auf dem Reibstein. Ich kratzte den Rest von dem Reibstein. Wir wurden alle vier schwanger. Die andern Frauen haben Vater und Mutter. Sie packten ihre Sachen und gingen zu ihren Müttern, die ihnen helfen werden, wenn sie gebären. Ich habe keine Mutter. Ich packte meine Sachen und lief in den Busch. Es regnete. Ich kam an ein Haus. Ich wollte hinein. Eine Schlange jagte mich fort. Ich kam an dies Haus. Die Hündin ließ mich ein. Nun bin ich hier." Die alte Frau war eine Frau aus dem Himmel. Die alte Frau sagte zu der jungen Frau: "Bleibe hier!" Die alte Frau brachte der jungen Frau einen Topf und Reis und Salz und Pfeffer. Sie sagte: "Koche dir!" Dann ging die alte Frau wieder in den Himmel.

Die alte Frau kam. Die alte Frau ging. Sie brachte der jungen Frau Essen und Feuerholz. Sie brachte ihr Matten zum Schlafen. Sie brachte ihr Wasser. Die junge Frau kam in die Wehen. Als die junge Frau in den Wehen war, winkte die alte Frau der Hündin. Die Hündin verwandelte sich in ein Mädchen. Das Mädchen half der jungen Frau. Die alte Frau zeigte dem Mädchen, wie sie zugreifen solle. Die alte Frau und das Mädchen halfen der jungen Frau bei der Geburt. Die junge Frau gebar ein Mädchen. Nach einigen Tagen fragte die alte Frau die junge Frau: "Wann willst du zu deinem Manne zurückkehren ?" Die junge Frau sagte: "In fünf Tagen will ich zurückkehren." Als der fünfte Tag gekommen war, packte die junge Frau ihre Sachen. Die alte Frau vom Himmel schenkte ihr 10 Perischnüre für die eigenen Lenden, zwei für das neugeborene Mädchen. Sie schenkte der jungen Frau auch Silber und sagte: "Sage aber deinem Manne nicht, daß jemand vom Himmel kam, um dir zu helfen." Die alte Frau ging in ihr Haus.

Die junge Frau ging mit dem neugeborenen Mädchen und mit ihren Perlen und ihrem Silber in das Dorf. Es kam auch die erste Frau; sie hatte einen Frosch (Tanquollo; Haussa =Quado; Joruba =Oquollo) geboren. Es kam auch die zweite Frau. Sie hatte eine



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Eidechse (Ekungwara; Haussa =Garangara; Joruba =Alagbamo) geboren. Es kam auch die dritte Frau. Sie hatte einen Salamander (Malolo; Haussa =Kumba; Joruba =Olosumbere) geboren. Nur die vierte Frau hatte ein Kind geboren.

Die erste Frau sagte: "Wir wollen zusammen zum Baden gehen!" Alle vier Frauen gingen zusammen zum Baden. Die erste Frau trug den Frosch auf dem Rücken. Die vierte Frau trug ihr Kind auf dem Rücken. Sie legten ihre Sachen am Ufer nieder. Die vierte Frau legte ihr Kind in eine Kalebasse. Die Frauen stiegen zusammen ins Wasser. Die erste Frau kam zuerst ans Land. Sie nahm das Kind der vierten Frau aus der Kalebasse. Sie legte ihren Frosch dafür hinein. Sie band das Kind der vierten Frau auf den Rücken und ging damit ins Dorf. Sie sagte: "Das ist mein Kind. Ich habe dies Kind geboren." Die junge Frau sagte nichts. Denn sie fürchtete den Streit. Das Kind nahm aber nicht die Milch der ersten Frau.

Am achten Tag wollte der Vater dem Kind einen Namen geben. Ein Wuli (Mekkapilger; in Nupe, Haussa und Joruba gleich benannt) sagte aber: "Gebt dem Kind noch keinen Namen; wartet, bis es größer geworden ist." Der Vater unterließ es. Das Kind wuchs heran, aber es nahm nicht die Milch der ersten Frau. Als das Kind drei Jahre geworden war, sagte der Wuli: "Nun könnt ihr dem Kind einen Namen geben. Schlachtet einen Schafbock (Kingwawa; Haussa =Rago; Joruba =Agunta). Gib dem Kind ein gutes Stück Fleisch davon und sage ihm, es solle dies Fleisch seiner Mutter bringen!" Der Vater sagte: "Es ist gut!" Der Vater schlachtete einen Schafbock. Er ließ alle seine Frauen zusammenkommen. Er gab dem kleinen Mädchen von dem Fleisch und sagte zu ihm: "Bringe dieses deiner Mutter!" Das Kind nahm das Fleisch und brachte es der vierten Frau. Sie nahm die Brust der vierten Frau und trank davon Milch. Alle Leute sagten: "Das ist die wahre Mutter des Kindes! Das ist die wahre Mutter des Kindes!" Als die erste Frau das sah, erschrak sie. Sie fiel um und starb.

Der Mann kam zu seiner vierten Frau und sagte zu ihr: "Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir!" Er ließ für sie ein großes Haus bauen; er gab ihr gutes Essen.


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