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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

30. Mütterlicher Schwindel

Eine reiche Frau heiratet einen reichen Mann. Sie haben aber nur einen kümmerlichen Sprossen, ein Kind mit verkrüppelten Beinen (Nupe =Erodji; Haussa =Gallagalla; Joruba =Aro), der außerdem noch einen Buckel (Nupe =Bukea; Haussa =Maidoro; Joruba = Abuke) hat und, um das Bild zu vervollständigen, mit langen Riesenohren geschmückt ist. Für dieses sucht nun die Mutter, als es die Geschlechtsreife erreicht hat, eine Frau. Niemand will das unglückliche Scheusal. Die Mutter leiht also einen anderen Burschen, wandert in eine andere Gegend und gibt den als ihren Sohn aus. Der geliehene Bursche ist hübsch. Ein Mädchen aus leidlicher Familie erklärt sich, ihn nehmen und in das ferne



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Land zu der reichen Schwiegermutter ziehen zu wollen. Es wird das Fest gefeiert, und dann kehrt die Mutter mit dem geliehenen Sohn und dem Bräutchen heim. Unterwegs wird der geliehene Sohn entlassen. Er hätte eine Kommission in einem anderen Lande, wird der Braut gesagt. —Man kommt heim. Der verkrüppelte echte Sohn ist in einem Kornspeicher versteckt, in einem Edo. Der unglückselige Bursche darf diesen ungemütlichen Aufenthaltsort immer nur verlassen, wenn das Mädchen, resp. die sog. junge Frau, auf einige Zeit das Gehöft verlassen hat. Drei Monate lang wartet die unglückliche und immer trauriger werdende Braut auf die "Rückkehr" des weggesandten Gatten, mit dem sie noch nicht ehelich verbunden ist. Sie weint und weint. Immer, wenn sie die Schwiegermutter angeht, sie solle ihr sagen, wo der junge Gatte bleibe, wann er wiederkomme, antwortet sie: "Morgen oder übermorgen." — Endlich erbarmt sich eine alte Frau der weinenden Maid. Sie nimmt das Mädchen beiseite und sagt ihr: "Du bist gar nicht verheiratet. Der dir als Sohn der Frau vorgeführt wurde, ist ein Fremder. Der wahre Sohn der Frau ist ein Erodji, ein Krüppel. Wenn du den Erodji sehen willst, begleite morgen früh seine Mutter in den Busch, um Holz zu schlagen. Und dann komm schnell zurück!" Auf diese Aufklärung hin erklärt die Braut der Schwiegermutter, daß sie sie morgen in den Busch begleiten wolle, um mit ihr Holz zu schlagen. Anfangs lehnt die Schwiegermutter das ab. Aber das Mädchen läßt es sich nicht ausreden. Also wandern beide am anderen Morgen in den Busch, um Holz zu schlagen. Als sie im Busch sind, ruft das Mädchen aus: "Ich habe meine Axt vergessen; ich will schnell zurücklaufen!" Die Schwiegermutter ruft in großer Angst: "Ich habe ja eine Axt im Busch; bleibe nur!" Aber das Mädchen läuft doch weg, und zwar so schnell als möglich. In großer Angst läuft die Schwiegermutter hinterher. Es ist vergebens. Das Mädchen kommt vor ihr an. Sie trifft den Erodji, den Krüppel, wie er gerade in weibischer Weise das Haus der Mutter ausfegt. Als der Erodji das Mädchen kommen und sich entdeckt sieht, will er schnell zu seinem Kornspeicher entfliehen. Aber die Beine und die Angst machen es ihm unmöglich, hinaufzuklettern. Er fällt bei den mehrfach wiederholten Versuchen immer wieder zum Boden herab.

Die vermeintliche Braut packt aber im Zorn ihre Sachen, kramt die Aussteuer dazu und erklärt sich der Schwiegermutter gegenüber als unverlobt und unverehelicht. Sie wandert als ungebundenes Mädchen wieder zum Tore hinaus.


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