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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES WACHTHAUPTMANNES VON KAIRO

In dieser Stadt lebten zwei Männer. die in allen Fällen von Blutschuld und Leibesverletzungen als rechtsgültige Zeugen aufzutreten pflegten; aber beide waren der Liebe zu den Dirnen und dem Weingenusse und der Zuchtlosigkeit ergeben. Ich konnte kein Mittel ausfindig machen, um sie dafür zur



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Rechenschaft zu ziehen, und ich gab die Hoffnung schon auf. Da beauftragte ich die Weinwirte und Krämer, die Fruchthändler und Kerzenverkäufer und die Besitzer von Häusern der Unzucht, mir diese beiden ehrenwerten Zeugen zu melden, wenn sie an irgendeinem Orte zechten oder ausschweiften, gleichviel ob sie zusammen wären oder getrennt; wenn der eine zusammen mit dem andern oder auch der eine allein etwas von den Dingen kaufte, die man beim Zechgelage braucht, so sollte man mich darüber nicht in Unkenntnis lassen. Jene Leute sagten: ,Wir hören und gehorchen!' Dann begab es sich einmal, daß ein Mann zur Nachtzeit zu mir kam und sprach: ,Herr, wisse, die beiden ehrenwerten Zeugen sind jetzt an dem und dem Orte in der und der Straße im Hause des Soundso, und sie treiben große Greuel.' Sofort machte ich mich auf; ich verkleidete mich, ebenso tat mein Diener, und dann gingen wir beide allein ohne jemand anders unverzüglich dorthin. Als ich vor der Tür stand, klopfte ich an; eine Sklavin kam her, öffnete mir die Tür und fragte: ,Wer bist du?' Ohne ihr eine Antwort zu geben, trat ich ein, und da sah ich die beiden Ehrenmänner und den Hausherrn zusammen mit gemeinen Dirnen sitzen, bei einer Fülle von Wein. Sobald sie mich erblickten, sprangen sie auf vor mir, begrüßten mich mit großer Höflichkeit und wiesen mir den Ehrenplatz an, indem sie sprachen: ,Willkommen, werter Gast und wackerer Zechgenosse!' So empfingen sie mich, ohne Furcht oder Scheu vor mir zu verraten. Dann erhob sich der Hausherr und blieb eine Weile fort; als er zurückkehrte, hatte er dreihundert Dinare bei sich, die er unbefangen zeigte. Darauf sagten sie zu mir: ,Herr Wachthauptmann, du vermagst über uns mehr als Schande zubringen, und es steht in deiner Hand, uns schwer zu strafen; aber daraus würden dir nur Unannehmlichkeiten erwachsen. Deshalb raten



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wir, du möchtest diese Summe annehmen und uns nicht verraten. Allah der Erhabene heißt doch der Schützer, und er liebt die unter seinen Dienern, die ihren Nächsten schützen; so erwartet dich auch Lohn und Vergeltung im Himmel.' Ich sagte mir nun: ,Nimm dies Gold von ihnen und beschütze sie noch dies eine Mal; wenn du sie aber noch ein anderes Mal in die Gewalt bekommst, dann zieh sie zur Rechenschaft!' Das Geld hatte mich verführt, und so nahm ich es von ihnen an, verließ sie und ging davon, ohne daß jemand mich bemerkte. Doch am nächsten Tage kam, ohne daß ich es ahnte, plötzlich ein Bote des Kadis zu mir und sprach: ,O Hauptmann, sei so gut und folge dem Rufe des Kadis; denn er verlangt nach dir !' Ich erhob mich und ging mit ihm zum Richter, ohne zu wissen, um was es sich handelte. Wie ich dann aber in den Gerichtssaal trat, sah ich die beiden Zeugen und den Hausherrn, der mir die dreihundert Dinare gegeben hatte, dort sitzen. Nun begann der Hausherr mich wegen dreihundert Dinare zu verklagen, und ich vermochte die Schuld nicht abzustreiten, da er einen Schuldschein vorzeigte und diese beiden ehrenwerten Zeugen auf Grund dessen bestätigten, daß ich dreihundert Dinare schuldig sei. Das Zeugnis der beiden wurde vom Kadi als gültig anerkannt, und er befahl mir, jene Summe zu zahlen; ich durfte auch nicht eher das Gericht verlassen, als bis sie die dreihundert Dinare von mir erhalten hatten. Ich war aber voll Zornes und gelobte ihnen alles Unheil und bereute, daß ich sie nicht schwer bestraft hatte; und ich ging tief beschämt von dannen. Das ist das Merkwürdigste, das ich in der Zeit meiner Amtsführung erlebt habe.'

Darauf hub der Wachthauptmann aus Bulak an und sprach: ,Was mich betrifft, o Herr Sultan, so ist das wunderbarste Erlebnis meiner Amtszeit das folgende.'



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Und er erzählte


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