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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

2. Dagbalscchi gewinnt die Braut durch Zahnraub

Dagbatschi sah ein sehr schönes Mädchen. Dagbatschi wollte das Mädchen zur Frau gewinnen. Dangi, die Katze, sah das sehr schöne Mädchen. Dangi wollte das Mädchen zur Frau gewinnen. Dagbatschi und Dangi kamen beide zum Vater des Mädchens. Dagbatschi sagte: "Gib mir deine Tochter zur Frau!"Dangi sagte: "Gib mir deine Tochter zur Frau!" Der Vater des Mädchens sagte: "Ich gebe meine Tochter dem, der mir 7 Zähne des Elefanten, 7 Zähne des Löwen, 7 Zähne des Leoparden und 7 Zähne des Krokodils bringt."Dangi hörte das. Dangi sagte: "Wie soll ich das machen? Bin ich nicht sehr klein?" Dagbatschi sagte: "Es ist gut; ich werde die Zähne bringen." Dangi sagte: "Wenn Dagbatschi die Zähne wirklich bringen kann, so muß ich scharf hinsehen."

Dagbatschi nahm einen Topf mit Bier. Dagbatschi nahm eine Trommel. Er ging zum Fluß hinab und begann am Fluß zu trommeln. Das Krokodil hörte das Trommeln. Nach einiger Zeit kam das Krokodil. Dagbatschi sah das Krokodil und sagte: "Kansa (Krokodil), ich trommle für meinen Großvater (soll heißen, daß Dagbatschi Kansa, schmeichelhafterweise, als seinen Großvater anspricht). Warum kommt mein Großvater nicht schneller?" Kansa sagte: "Ich wußte nicht, daß du es bist, der hier trommelt. Ich dachte, es seien die Menschen (Sauandji; Haussa =Mutum; Joruba =Enja). So kommt es, daß ich erst so spät dich begrüße!"Dagbatschi sagte: "Rufe mir alle anderen Krokodile zusammen, mein Kansa! Denn ich



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habe Bier mitgebracht, und wir wollen zusammen Bier trinken!" Kansa ging fort, die anderen Krokodile zu rufen. Als Kansa fort war, nahm er einen großen Stein und legte ihn neben sich. Kansa kam mit den andern Krokodilen zurück. Dagbatschi trommelte. Die Krokodile tanzten. Die Krokodile sagten: "Wir sind durstig; jetzt wollen wir Bier trinken!"Dagbatschi sagte: "Es ist recht. Wißt ihr denn, was die ehrbaren Leute taten zu Zeiten meines Großvaters, wenn sie Bier trinken wollten? Sie bissen vorher in einen Stein. Es war dieser Stein." Kansa sagte: "Was unser Großvater tat, wollen wir auch tun!" Kansa biß in den Stein. Zwei Zähne brachen ab und fielen zur Erde. Dann trank Kansa. Ein anderes Krokodil biß in den Stein. Zwei Zähne brachen ab und fielen zur Erde. Dann trank das Krokodil. Ein Krokodil nach dem anderen biß in den Stein, verlor zwei Zähne dabei und trank. Als alle Krokodile in den Stein gebissen, jeder zwei Zähne abgebrochen und getrunken hatte, trommelte Dagbatschi wieder. Dann steckte Dagbatschi die herausgefallenen Zähne in die Tasche und sagte: "Für heute ist es genug!" Dagbatschi stellte die Trommel auf den Uferrand und sagte: "In acht Tagen komme ich wieder."

Dagbatschi ging darauf zu Dagba (dem Elefanten) und sagte: "Jeder sollte tun, wie sein Großvater zu tun pflegte."Dagba sagte: "Ja, ein jeder sollte tun, wie sein Großvater zu tun pflegte. Mein Vater starb früh. Ich lernte es nicht. Du bist aber wohl sehr alt und klug. Weißt du, wie mein Großvater tat?"Dagbatschi sagte: "Ich bin nicht alt und klug, aber mein Vater erzählte mir, wie mein Großvater und dein Großvater zusammen zu tun pflegten. Wenn du es willst, kann ich es dir zeigen." Dagba sagte: "Ja, zeige es mir. Ist es schwer?"Dagbatschi sagte: "Man muß es erst lernen. Mir ist es nicht schwer geworden. Komm nur mit auf den Hügel!"

Dagba ging mit Dagbatschi auf den Hügel. Dagbatschi sagte: "Man muß sich nun auf den Kopf stellen und sich den Hügel herunterrollen lassen. Das ist alles. Ich mache es dir vor. Du kannst es dann nachmachen."Dagbatschi zog den Kopf ein, gab sich dann mit den Füßen einen Stoß gegen die Erde und rollte den Berg hinab. Als Dagbatschi unten war, rief er zu Dagba hinauf: "Du siehst, mein Dagba, es ist ganz einfach. Nun mache es mir nur nach!" Dagba beugte die Vorderbeine, stellte sich auf den Kopf, dann stemmte er sich mit den Hinterfüßen gegen die Steine und stieß sich ab. Dagba überschlug sich. Dagba schlug gegen die Steine. Er überschlug sich nochmals. Er rollte den Berg hinab. Er stieß mit dem



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Kopf gegen die Steine. Er brach einen Zahn nach dem anderen ab. Er rollte den Berg herab, aber er zerbrach sich die Zähne und hatte viele Wunden. Als er bei Dagbatschi ankam, sagte Dagbatschi: "Es ist bei dir viel besser gegangen, als bei mir beim ersten Male. Du bist nur etwas verwundet. Ich werde dir ein Haus bauen und dich pflegen bis du wieder gesund bist. Das erstemal ist es nicht so ganz leicht. Später macht es viel Freude."Dagbatschi ging hin und baute für den kranken Dagba ein Haus und errichtete ein Lager darin. Dagba ging hinein, um sich auszuruhen. Dagbatschi ging hin und sammelte auf dem Wege die 7 Zähne, die Dagba verloren hatte.

Dann ging Dagbatschi zu Gaba (dem Löwen; Haussa =Saki; Joruba =Keneu) und sagte: "Komm und sieh den Dagba. Dagba hat keine Zähne mehr. Komm und sage zu ihm: Mwillam-bokun!" (Zerbrochener Mund?! Soll jedenfalls ein Spottwort sein.) Dann ging Dagbatschi zu Nampa, dem Leoparden (Haussa =Damissa; Joruba =Ekun) und sagte: "Komm und sieh den Dagba. Dagba hat keine Zähne mehr. Komm und sage zu ihm: Mwillam-bokun!" Darauf ging Dagbatschi zu Dagba zurück und pflegte ihn. Nach einiger Zeit kam Gaba zu Dagba und sagte: "Oh, mein Dagba, weshalb hast du denn deine schönen Zähne weggelegt? Du läßt dir wohl neue Zähne machen? Du bist sehr schön so, mein Dagba!"Dagba sprang von seinem Lager auf. Dagba schlug Gaba ins Gesicht, daß ihm einige Zähne ausbrachen und Gaba sie ausspie. Gaba lief fort. Dagbatschi sagte: "So ist es gut; schlage jedem Unverschämten die Zähne aus!"Dagbatschi sammelte die Zähne Gabas auf und trug sie zur Seite.

Nach einiger Zeit kam Nampa zu Dagba und sagte: "Oh, mein Dagba, weshalb hast du denn deine schönen Zähne weggelegt? Du läßt dir wohl neue Zähne machen? Du bist sehr schön so, mein Dagba!"Dagba sprang von seinem Lager auf. Dagba schlug Nampa ins Gesicht, daß ihm einige Zähne ausbrachen und Nampa sie ausspie. Nampa lief fort. Dagbatschi sagte: "So ist es gut; schlage jedem Unverschämten die Zähne aus!"Dagbatschi sammelte die Zähne Nampas auf und trug sie hinaus.

Dagbatschi hatte in seinem Hause die 7 Zähne der Krokodile versteckt. Dagbatschi hatte in seinem Hause die 7 Zähne des Elefanten versteckt. Dagbatschi brachte nun die 7 Zähne des Löwen und die 7 Zähne des Leoparden. Er versteckte sie. Dangi (die Katze) hatte aber alles gesehen. Dangi sah, daß Dagbatschi nun auch die 7 Zähne des Löwen und die 7 Zähne des Leoparden hatte. Dangi sagte: "Nun



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hat Dagbatschi 7 Zähne der Krokodile, 7 Zähne des Elefanten, 7 Zähne des Löwen, 7 Zähne des Leoparden zusammengebracht. Was will der Vater des schönen Mädchens noch mehr haben?"

Als es Nacht war, schlich Dangi in Dagbatschis Zimmer. Dangi stahl alle Zähne. Am Morgen ging Dangi zu dem Vater des schönen Mädchens und sagte: "Du wolltest deine Tochter dem zur Frau geben, der dir 7 Zähne des Krokodils, 7 Zähne des Elefanten, 7 Zähne des Löwen und 7 Zähne des Leoparden bringt. Hier hast du alle diese Zähne."Dangi legte alle Zähne vor den Vater des schönen Mädchens hin. Der Vater des schönen Mädchens sah sie. Der Vater gab das schöne Mädchen Dangi. Dangi nahm die schöne Frau und ging mit ihr nach Hause. —Dagbatschi hörte das. Dagbatschi weinte.

Dagbatschi weinte drei Monate lang. Dann ging Dagbatschi eines Nachts in das Haus des Vaters des schönen Mädchens. Er griff in dem Hause des Vaters einen Hahn. Er tötete den Hahn im Hause des Vaters und ließ dabei viel Blut zur Erde fallen. Er ging dann mit dem geschlachteten Hahn den Weg zum Hause Dangis. Dann und wann ließ er einige Blutstropfen zur Erde fallen. Er ging mit dem geschlachteten Hahne in Dangis Haus hinein. Dangi und seine junge Frau schliefen. Dagbatschi schnitt den Kopf des Hahnes ab und steckte ihn in Dangis Hals. Den Hahn legte Dagbatschi neben Dangis Frau. Dann ging Dagbatschi nach Hause.

Am anderen Morgen erwachte Dangis Schwiegervater. Dangis Schwiegervater sagte: "Weshalb kräht denn heute morgen mein Hahn nicht." Er ging hinaus. Sein Hahn war nicht da. Er fand nur Blut. Dangis Schwiegervater sagte: "Ein Dieb hat meinen guten Hahn gestohlen."Dangis Schwiegervater fand einen anderen Blutstropfen. Er folgte den Weg, auf dem die Blutstropfen verspritzt waren. Er kam in das Haus seines Schwiegersohnes. Er trat in das Haus Dangis. Er trat in den Schlafraum Dangis. Er sah im Munde Dangis den Kopf seines Hahnes. Er sah neben seiner Tochter den toten Hahn. Der Schwiegervater Dangis nahm einen dicken Stock; er schlug Dangi über den Kopf, daß ihm 7 Zähne ausbrachen. Dangi erwachte. Dangi sprang auf. Der Schwiegervater schlug ihn mit dem Knüppel auf den Rücken. Dangi lief so weit weg, als er konnte.

Der Schwiegervater nahm seine schöne Tochter und gab sie Dagbatschi zur Frau. Er sagte: "Ich will meine Tochter nicht einem Dieb geben."

Wenn ein Mann einem anderen Schlechtes tut, soll der es ihm gut zurückgeben.


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