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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

13. Das Kaisertum

Endlich wenden wir uns der Betrachtung der Nupekaiser, dem Etsu selbst zu, um uns ein Bild seiner Tätigkeit, Machtvollkommenheit und Insignien zu machen. Wie erwähnt, war der alte Etsu ein wahrer Despot, und außer vom Nedji und Wauwa-tsu ließ er sich von keinem Menschen in seine Handlungen hereinreden. Seine Despotie und das Recht zu solcher war durchaus anerkannt. Die geschichtlichen Aufzeichnungen und Traditionen wissen nichts von unnatürlichen Todesfällen durch Vergiftung, wie bei Mossikaisern und Jorubaherrschern zu berichten, wenn auch in dem letzten Jahrhundert mancher mißlungene Versuch in dieser Richtung zu buchen ist, der aber auf den Einfluß der Fulbe zurückgeführt wird - wohl mit Recht. Um so auffallender ist in diesem streng despotischen und aristokratischen Regiment die hohe Stellung der Saraki, zumal der Nedji. Und da das Wort Saraki oder Sarakitsu sicher mit Recht mit dem Haussaworte Serki =Obmann, Chef, König in Verbindung gebracht wird, so dürfen wir wohl daraus schließen, daß in dieser Institution ein Monument erhalten ist aus der Zeit, in der noch nicht die Dynastien aus dem Süden (Ida, Atagara, Joruba) mit Gewalt das Nupeland in ihre Hände gewannen. Diese Annahme finden wir in weitgehender und klarer Weise bestätigt. Bei Niamey, das am Westrande der Haussaländer liegt, wohnt ein Volk, das sich selbst Serma nennt, von den Fulbe Germa und von den Borguleuten Djerma genannt wird. Von diesem Volke, das der Provinz "Zaberma" angeblich den Namen gegeben hat, weiß die Tradition mit Bestimmtheit zu sagen, daß es einst aus Male stammte und den Niger herab bis hierher vordrang. "König" heißt nun bei diesem Volke, wenigstens in den alten Legenden, Djarra-ke, d. h. Anhänger der Djara oder Djarraki oder Sarraki. Das Wort belegt also den Ursprung von dem mächtigen Reichsgründer Djarra. Wenn wir nun bei allen westlichen Stämmen der Haussaverwandtschaft das Wort Sarraki oder Serki mit der Bedeutung "König" finden, so liegt darin nichts anderes, als die Erinnerung an eine Zeit, in der die Djarrafamilie Mali der westlichen Emirate auch diese westlichen Länder beherrschte. Und als Wangarra, d. h. Garra- oder Djarraleute wurden diese Träger der islamitischen Westkultur überhaupt von den Haussa genannt. Daher stammt also das Haussawort für "König".

Die Königsburg, das Emitsu, war stets ein gewaltiger, mit mächtigen Verteidigungsmauern umgebener und mit weiten Höfen und



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Baulichkeiten angefüllter Bezirk. Durch eine oder mehrere Durchgangshallen oder Katamba gelangte man in das Sigifa, das eigentliche Wohnhaus des Herrschers. Offizielle Besuche empfing er in der Katamba, in der sich alle Staatsaktionen abspielten, private in der Sigifa. Im höchsten Grade interessant ist uns das königliche Zeremonial und die Summe der kaiserlichen Insignien.

Wenn der Kaiser Besuch empfing, pflegte er auf einer Art Ruhebett aus Bambusstäben (einen Gado; Haussa =Gadon-serki; Joruba =Taraga) halb liegend, halb aufgestützt zu sitzen. Unter ihm war eine Matratze ausgebreitet. Die Gado war reich mit Metall beschlagen, mit Bronzefüßen versehen und im gewissen Sinne Symbol der Herrscherwürde. Die Gado war der Thron der Nupekaiser. Sie entspricht der Form nach dem Kuilukilandu, die in diesem Ausnahmefall ca. 10 cm hohe Bronzefüße hatte, ähnlich dem Mangbattuangareb. Wenn ein Etsu starb und sein Nachfolger bestätigt werden sollte, so geschah das in der Weise, daß der Udegi den Nachfolger aufforderte, darauf Platz zu nehmen.

Der Etsu pflegte in alter Zeit nicht selbst zu sprechen. Er lehnte mit dem einen Arm auf dem Soasudsu genannten Beamten, und zwar auf ihm oder an ihm. Durch den Druck, den er auf diese Würdenträger ausübte, veranlaßte er ihn zum Sprechen in seinem Namen. Der Mann wußte dann des Königs Willen und er sprach ihn aus.

Drei wesentliche Insignien schmückten den alten Nupeetsu und waren gleichzeitig Symbole seiner Würde.

1. Sein Haupt zierte ein Reifen aus Gelbguß mit überlaufenden Bogenbändern. Das Metallgerüst war mit Seide ausgeschlagen und hieß in Nupe Molfafing (in Haussa =Kollikolli; in Joruba = Akekeoba).

2. In der rechten Hand ruhte eine steinerne Kugel, etwa 20 bis 25 cm im Durchmesser und mit gelbem Metall verziert. Diese im Metalikleide mit Mustern versehene Kugel hieß Rogo. Auch der Thronfolger, der Saba, führte eine solche. Die war aber anscheinend etwas kleiner und wurde von ihrem Träger in der linken Hand gehalten.

3. Endlich ein Stab, ein großer (Tsukunsu; in Haussa = Sanda-Serki; in Joruba =Okwouba) oder ein kleiner (Tsukum-lufuma; in Haussa =Sanda-sufurma; in Joruba =Okwa-lufuma), den der Kaiser in der linken Hand trug. An der Spitze waren diese Stäbe mit einer Metalikrönung in irgendeiner Figurenausgestaltung geschmückt, die mir aber niemand mehr beschreiben oder klar verständlich hat schildern können.

Wohl nicht ohne Recht bezeichne ich diese drei Reichskleinodien als Krone, Reichsapfel und Zepter. Diese sämtlichen Stücke galten



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als uralt. Sie wurden lange vor Edegi von den Kaisern getragen, als sie noch in Gbarra usw. residierten. Edegi soll sie empfangen haben, als er nach seiner Landung nach Westen hin durch das Land zog. Die alten Leute sagen, diese drei Reichskleinodien sowie der alte kaiserliche Sitz, den wir als Thron bezeichnen wollen, seien noch zur Zeit der Fulbekriege vorhanden gewesen, dann aber, als Massaba sich der Schätze bemächtigen wollte, versteckt worden (Grabhöhlen). Solange die Fulbe oder irgendein anderes Volk diese Symbole nicht zu finden vermögen, solange sei das Nupereich nicht unterworfen. Zu diesen Insignien scheint noch ein Effingoa genannter Goldring gehört zu haben, der Kaiser trug je einen an jedem Unterarm, der Thronfolger einen aus Silber am linken Arm. — Diese Goldringe sollen den Fulbe in die Hände gefallen sein.

Dazu hatte der alte Etsu des älteren Nupereiches noch ein Symbol resp. das exklusive Recht, es in seinem Palast anzuwenden. Dieses Symbol hieß Goaquadan oder Sarra, war eine Art heiligen Zeichens und vor allem in seiner Katamba und in seinem Kataletsitsu (Schlafraum) angebracht. Wenn ein anderer Mann es vordem anwendete, ward ihm der Hals gebrochen. Es war ein Relief, aus einem Metallguß, in der Wand am Hauptplatz eingelassen. In älterer Zeit opferte man davor. Ein wenig zuverlässiger Mann sagte mir, man habe davor schwarze Bullen und schwarze Schafböcke geschlachtet. Das stammt aber aus einer wenig sicheren Quelle und wurde von allen anderen älteren Männern bestritten. Diese erklärten vielmehr übereinstimmend, im alten Nupereiche habe man sowohl den Freitag als den Sonntag heilig gehalten und an diesen Tagen nicht gearbeitet; und an einem dieser Tage, am Sonntag oder am Freitag sei das größere Opfer vor dem Goaquadan oder Sarra dargebracht worden. Das Opfer bestand angeblich in 5 Truthähnen (Torrotorro), 10 Hähnen, 10 Enten (Gwangwa). Zu dem Opferfest wurden alle Burschen eingeladen. Die Vögel wurden geschlachtet und verspeist. Dieses Zeichen Goaquadan oder Sarra wurde aber nicht nur derart im königlichen Schlosse an den Wänden an hervorragender Stelle angebracht, es zierte auch bestimmte andere Besitzungen der kaiserlichen Verwaltung, so vor allem die großen Transportkähne, die der Herrscher für seinen Bedarf und für eventuellen Heerestransport in Jebba, Eggan und Nupeko unterhielt. Jedes Boot dieser Flotte zeichnete sich durch eine mächtige Plattform am Hinterende aus, die mit dem Sarra geziert war. Wenn der Kaiser sein großes Boot bestieg, mußte er auf dem Zeichen niederknien und beten. Man kann diese Ornamente heute noch auf den Booten von Jebba sehen. Sie haben die Kreuzgestalt. Das Goaquadan ist das alte byzantinische Kreuz, wie es in unseren Orden noch weiterlebt und wie ich es im Nupeland häufig sah, hier und da auf Ruinen, dann aber auch in der



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Kleinkunst, auf Kalebassen und zweimal auf jenen hölzernen Deckeln, die in alter Zeit als Buchumschläge an Stelle der heute durch die Tripolisaraber eingeführten Pappdeckel, heute aber leider als Spiegeirahmen benutzt werden.

Der kaiserliche Hofhalt war in alter Zeit stets ausgezeichnet durch einen Hofnarren. Sein Name ist in Nupe =Wauwa-serki, in Haussa =Wauwa-tsu, in Joruba =Assri-oba. Wauwa heißt so viel als "verrückt". Aber der Mann war ganz und gar nicht verrückt. Im Gegenteil nahm man an, daß er sehr gescheit war, er durfte sich nur die wunderlichste Verrücktheit herausnehmen. Den letzten Hofnarren des Kaiserreiches Nupe hielt der Fulbefürst Maliki nach altem Vorbild. Daher lebt die Erinnerung an die Eigentümlichkeiten und die Aufführung eines solchen Individuums noch sehr lebendig im Volke.

Ein Wauwa-tsu war im allgemeinen ein wenig deformiert, sei es zwerghaft, verkrüppelt, wasserköpfig oder sonstwie entstellt. Er trug auffallende Kleider, Kleider, in denen er den Kaiser karikierte. Mit seinem Witze geißelte er die Schwächen der Großen des Reiches ebensogut wie die der Herrscher selbst. Waren des Etsu Kolanüsse, die an die Leute verteilt wurden, schlecht, so brachte er irgendwelche stinkenden Früchte, schüttete sie vor dem Kaiser und den Großen aus und sagte: "Seht hier meine Kolanüsse, sie sind nicht so sehr ausgezeichnet, aber immer noch besser als die, die euch der Etsu gibt." Kam der Herrscher in lässiger Kleidung in den Sitzungssaal, dann erschien der Hofnarr mit einem Blätterkranz und mit Blätterbüscheln statt des Gewandes. Dann sagte er: "Siehe, Etsu, ist meine Krone nicht schön? Sind meine Kleider nicht schön? Ich habe nicht soviel Geld dafür ausgegeben, wie du für die deinen, aber sie sind nicht so schmutzig." In alter Zeit (nur die Geschichten, nicht die Persönlichkeiten sind im Gedächtnis bewahrt worden) hatte ein Kaiser einen überaus grausamen und gewaittätigen Saba (Thronfolger), der die Menschen vergnüglichkeitshalber morden und leiden ließ. Niemand wagte dem Kaiser über das Gebaren des Saba zu berichten. Eines Tages war große Versammlung aller Edlen. Kaiser und Saba waren anwesend. Erscheint der damalige Hofnarr des Kaisers mit einem gefüllten Beutel. Der Kaiser fragte ihn: "Was hast du in dem Beutel?" Der Hofnarr: "Ach, du bemitleidenswerter kleiner Bruder! Ich habe Medikamente darin."Der Kaiser: "Warum bin ich bemitleidenswert? Für wen sind die Medikamente?" Der Hofnarr: "O du bemitleidenswerter kleiner Bruder, hast du denn nicht schon lange gemerkt, daß du blind bist?" Der Kaiser: "Wer ist blind?" Der Hofnarr: "Du, mein kleiner Bruder; aber gleich wirst du gesund werden. Trinke nur dies. Iß nur das!" Der Kaiser aß und trank, und dann zog der Hofnarr drei kleine Mäuse aus



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seinem Sack. Der Hofnarr sagte: "Nun bist du nicht mehr bemitleidenswert, mein kleiner Bruder. Nun kannst du sehen. Nun siehst du hier die drei kleinen Mädchen vom Bassavolk, wie sie unser guter Saba jeden Freitag am Röststäbchen röstet. Du bist erstaunt? Du glaubst es nicht? Sagte ich dir nicht, daß du blind und bemitleidenswert warst, ehe du meine Medizin erhieltst? Nun siehst du es! Wie du dich freust! Ich freue mich auch. Die Bassamädchen freuen sich auch. Nun nimmt unser guter Saba die drei Bassamädchen, schneidet ihnen den Bauch auf. Du siehst es jetzt? Nicht wahr, du hast es vorher nicht gesehen? Du warst eben vorher blind! Unser guter Saba schneidet ihnen so den Bauch auf und freut sich an den schönen Sachen, die herauskommen. Dann wirft er sie fort. Nun nimmt er drei andere Bassa. Früher hattest du, mein kleiner Bruder, gedacht, daß ich Mäuse aus dem Sacke nehme. Heute, wo du wieder sehen kannst, weißt du, daß unser guter Saba nach den drei Bassamädchen drei Bassaknaben nimmt. Nicht wahr, jetzt siehst du, daß ich drei Bassaknaben in der Hand habe. Nun will ich einmal sehen, mein kleiner Bruder, ob du nun schon besser sehen kannst. Ich will jetzt gar nichts mehr machen. Sage du mir nun, was du siehst!" Der Kaiser sagte: "Ich sehe, daß unser guter Saba es mit den drei Bassaknaben ebenso macht, wie mit den drei Bassamädchen!" Der Hofnarr: "Mein lieber kleiner Bruder, wie freue ich mich! Wie freut sich unser Saba! Es freuen sich alle Bassa." —Von da an stellte der Saba seine neronischen Grausamkeiten ein.

Eine andere, wenn auch weniger gut bewahrte kleine Legende zeigt die ganze Macht, die einem solchen Hofnarren eingeräumt ward. Einer der alten Kaiser war sehr geizig. Er suchte sich immer darum zu drücken, den Großen die dem Herkommen nach ihnen zustehende Morgenspeise reichen zu lassen. Er kam daher immer sehr spät aus dem Schlafgemach in die Katamba, in der die Adligen schon lange versammelt saßen. Als er eines Tages wieder so spät kam, ging der auch schon anwesende Wauwa-tsu (Hofnarr) heraus, ging über den Hof, öffnete die Türe zum Schlafgemach des Königs und rief ganz laut hinein: "Mein Bruder Etsu! Du brauchst heute nicht zu kommen. Ich kann alles für dich machen." Dann kam der Hofnarr zurück. Er setzte sich auf den Thron des Königs und sagte: "Heute werde ich eine neue Sache einführen. Ihr alle wißt, daß ich ein armer Etsu bin. Ihr aber seid die reichen Saraki und die reichen Enako und die reichen Enaki. Bis jetzt habe ich euch immer sehr wenig und schlechtes Essen gegeben. Von jetzt ab bringt jeder am besten nicht nur sein eigenes Essen mit, sondern auch noch so viel mehr, daß meine ioo Zinnschüsseln (wundervolle große gegossene Becken, die mehrere Kilo Brei und Fleisch faßten und früher morgens gefüllt in der Versammlung herumgereicht wurden) damit gefüllt



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werden können. Das verteile ich dann unter meine Leute. So wollen wir es in Zukunft machen." Also der Hofnarr, und die Volkserinnerung weiß, daß es von dem Tage an mit dem Geiz des Kaisers aus war.

Diese Hofnarren waren also eine so merkwürdige Einrichtung, wie man nur eine finden konnte. Sie waren unantastbar. Wenn ein Großer vom Wauwa-tsu derart angeärgert, ihn kränkte, konnte der kleine Unhold den Enako töten, und er wurde nicht zur Rechenschaft gezogen. Aber just wie wir dies aus der europäischen Vergangenheit wissen, just ebenso erschien unter der Maske freimütigfroher oder närrisch-törichter Ausdrucksweise die Äußerung der Volkskritik, die es sonst nicht wagen durfte, dem gewaltigen Despot nahezutreten.

Zunächst sehr unklar sind zwei offizielle, höchst sonderbare Diebes gemeinschaften, die im Auftrage des Herrschers und für dessen Rechnung stehlen.

Das erste waren die Gara (Plur. Garaschi), von denen wir schon oben einen Maskentyp kennen lernten. Diese Gara hatten das Recht, im Namen des Königs am Wege zu stehlen. Sie lieferten ihre Beute dem Herrscher ab und durften einen gewissen Anteil behalten. Zum zweiten hatte der Ibetsitsu ein gleiches Recht. Er "stahl" aber nicht am Wege oder auf dem Markt, sondern zog nachts in der Stadt bei reichen Leuten umher und brach ein. Auch er lieferte dem König ab. Er mußte aber in gewissen Bahnen bleiben und nicht unmäßig plündern. Niemand konnte sich seiner erwehren oder seinetwegen eine Klage anbringen. Er stahl ja im Auftrag des Herrschers. Wer aber sehr wohlhabend war und einem solchen peinlichen Nachtbesuch aus dem Wege gehen wollte, der besuchte eines Tages den Ibetsitsu und sagte zu ihm: "Ich habe dir hier Geschenke mitgebracht. Nun bitte ich dich aber: stiehl nicht bei mir!"

Wir sehen also in diesen beiden Einrichtungen eine sonderbare Art von Steuererhebungskommissionen tätig.

Nun werde ich noch einige Einzelheiten anführen, die für die Beurteilung der Frage nach dem kulturellen Zusammenhange dieser alten Reichskultur mit den andern Ländern wesentlich ist. Häufig sagten mir alte Nupe, daß sie die Fulbe in ihrer kriegerischen Art nur verachten könnten. Nie wäre einer der großen Eroberer ihres Landes selbst in die Schlacht geritten. Sie alle hätten immer ihre Vertreter mit dem Heere vorausgesandt. Sie wären gefolgt. Sie hätten nie eingegriffen. Die Nupekaiser aber hätten ganz anders gehandelt.

Im Anfange der Schlacht hält der Kaiser immer neben der Tutasu (der weißen Kaiserfahne; außer hier fand sie früher noch als Etsunu Verwendung, wenn nämlich viele Bauern sich vereinigten, um gemeinsam unter dem Flattern der an einem Bambus hochaufgezogenen



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Etsunu zur Farmarbeit hinauszuziehen). Wenn aber das Wogen der Schlacht irgendwo einmal zu gefährlich brandete, dann pflegte er, wie ein Hohenzoller bei Fehrbellin, seinen Schimmel einen treuen Mann besteigen zu lassen und selbst inkognito, mit gezogenem Schwert, in das Schlachtenzucken hineinzufahren. Manche Heldentat wird den alten ritterlichen Kaisern zugeschrieben.

Wenn die Armee des Kaisers heimzog, dann schaute ihm schon von weitem das Volk gespannt entgegen. Kam der Herrscher unter dem Flattern einer Tutajiko, einer schwarzen Fahne, an, so verbreitete sich Trauer. Dann hatte er schwere Verluste, auch an hohen Würdenträgern, und dann wurden in den nächsten Tagen viele Menschen geopfert. Schwebte über ihm eine Tutajuru, eine rote Fahne, so war das zwar besser, aber immer noch der Beweis unerwarteter Einbuße und Anzeichen nahe bevorstehender Menschenopfer. Voller Jubel aber schallte ihm entgegen, wenn er die weiße Fahne aufziehen ließ. Dann waren alle Wünsche erfüllt, dann war ein guter Sieg ohne schwere Verluste gelungen. — Dabei galt in alter Zeit persönliche Tapferkeit auch der Großen viel. Der lederne Schild (Kutufane) war vordem verpönt als ein Zeichen der Feigen. Ritterlich Gesinnte banden sich beim Ausritt Mahisteine an die Beine, so daß sie nicht vom Pferd herunter konnten. Das galt als Zeichen des hohen Mutes. — Die Kakakiposaunen waren einheimisch, Liffide (Wattepanzer) und Sulke (Kettenpanzer) aber in alter Zeit nur in Damergu und Katsena bekannt. Mit Haussa und Fulbe fanden sie im Nupereich Einführung. Im Haussagebiet wurden die Kakaki in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eingeführt. Und wie hier im Rüstzeug des Krieges, so scheint auch im Gewand des kaiserlichen Hoflebens vordem eine größere Einfachheit, Einführung der Prachtausstattung als Volksgut aber erst in jüngerer Zeit stattgefunden zu haben. Wer vor dem Kaiser erschien, hatte nur das große Umschlagetuch, die Toga um, er hatte sie über der Brust hochgezogen und unter dem Arm geknotet. Vor dem Kaiser warf man sich auf den Boden und bestreute den Kopf mehrfach mit Erde.

So sehen wir mancherlei Erbgut in dem Kulturschatz dieses Landes aufs engste mit der alten atlantischen Küstenkultur verbunden, die Toga, die Götterverehrung, in der Architektur Reste der Jorubahäuser, mancherlei sprachliche Affinität, Bogenformen usw.; und darüber andererseits liegt eine Decke östlicher und nördlicher Beziehungen, die ganz besonders im Hofdienst, in dynastischer Oberschicht haften geblieben ist. Da sehen wir die alte Erzählung von der uralten Stadt, wir sehen Thron, Reichsapfel und Zepter, wir sehen das Kreuz, das Kreuzschwert. Und doch das alles als verstreute Erscheinungen, die Anhäufung dieser Symptome, die ausgebildeten



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vier Erzämter, die Panzerritter, das östliche Staatskleid wird auf die älteren Haussastaaten, auf Katsena und Damergu zurückgeführt, so daß wir - und damit komme ich auf die Frage nach der Herkunft in vorjerubischer Edegidynastie (siehe Atlantis Bd. VI) zurück - wohl annehmen dürfen, daß eine Ablagerung der byzantinischen Kultur dem reichen Nupelande jene Dynastie gab. So entstand der Glanz und der Pomp nupescher Hofpracht. Da entwickelten sich die Zünfte und Innungen, Adel und Hofpracht. Wundervolles Gerät, hohe Bronzegefäße und weiße breite Zinnschüsseln kreisten unter den Hofherren des Kaisers, auf dessen Höfen, wie die Leute heute noch mit Bewunderung erzählen, gezähmte Löwen und Leoparden einherschritten, und dessen Frauen mit schönen glänzenden Steinperlen geschmückt waren.

Diese Steinperlen, die Kunst, Steinperlen zu schleifen und zu bohren, die heute nur noch von Gbarraleuten (wenn auch in Bida ausgeführt) und in Ilorin, angeblich auch in der Bassaprovinz, geübt wird, reicht aber weit, weit zurück, in eine schon vor Jahrtausenden untergegangene Zeit. Diese kleinen Kunstwerke verknüpfen das Heute dieser lebenden Kultur mit dem uralten Einst, das uns nur noch in den Gräbern der Sahara erhalten ist, in denen die Ahnherren dieser Perlen von Tuaregräubern aufgewühlt wurden, um dann zur Neubearbeitung nach Bida zu wandern. Nur Glasperlen abschleifen können die Weiber in der atlantischen Küstenkultur zwischen Niger und Liberia (diese schleifen sie in der Richtung der Mahlsteine, also von sich weg, zu sich hin, während die steinperlschleifenden Männer von Bida und Ilorin um sich herum schleifen, also den Arm als Radius benutzend). Das ist noch der Rest alter Kunstfertigkeit im atlantischen Gebiet, während in Gbarra und Ilorin die Kunst alter Jahrtausende bewahrt blieb.


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