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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

12. Weibliche Beamte (Amazonen)

Im allgemeinen sind damit die Kräfte aufgezählt, die das Nupereich regieren oder regierten. In diesem despotischen, patriarchalischen Gesamtregiment stechen auch einige weibliche Erscheinungen ganz besonders hervor. Soviel scheint sicher: Die Orte Gpataschi (oder Patatschi), Bokani, Doko (zwischen Bida und Moregi, ein von der Binifamilie regierter Ort) und Iba wurden früher von Frauen gegründet und vielleicht heute noch von weiblichen Herrschern dirigiert. In Bokani lautet die entsprechende Ursprungssage folgendermaßen:

Eine Frau namens Nabu, die einen Sohn namens Abu hatte, pflegte von Mokwa aus den Markt Gudiquido zu besuchen. Da ihr Weg ziemlich weit war, so übernachtete sie unterwegs unter einem



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Samiabaume, der am Wege stand. Sie ging oft von Mokwa nach Gudiquido und schlief unter dem Baume. Eines Tages traf sie da einen Mann. Sie redete dem Manne, der bei ihr bleiben wollte, zu, ihr ein Haus zu bauen. Der Mann tat es, die Frau siedelte sich unter dem Samiabaume an. Andere Leute kamen dazu, sie siedelten sich an. So entstand eine große Ortschaft, die unter der Herrschaft der Frau Nabu stand. Die Frau regierte die Ortschaft. Die Frau ward auch unter dem Baume begraben. Nach und nach hatte sich der Ort zu einer bedeutenden Ansiedlung entwickelt, die den Namen Bokani erhielt. In Bokani zeigt man noch heute den Samiabaum, unter dem die Gründerin begraben liegt. Auch Raba wurde in dieser Weise von einer Frau begründet. Genau die gleiche Gründungssage kursiert am Nil hinsichtlich Omdurmans. Und dort soll ebenfalls ein Baum stehen, unter dem man ähnliche Opfer darbringt, wie unter dem Samia für die Frau Nabu. — Gbatatschi soll auch von einer Frau gegründet sein, die aus Bussa kam. — In Iba weiß man heute noch von einer Weiberkönigin der älteren Zeit zu erzählen. In Doko soll jetzt noch eine Frau die offizielle Stadtleitung in Händen haben, wenn man auch Fremden gegenüber einen Mann vorschiebt.

Also führt der Volksglaube hier die Stadtgründung ebenso auf eine Frau zurück, wie in Timbuktu, wo man mir von der Graskornsammelnden mehrfach mitteilte.

Aber Nupe, d. h. das alte Kaiserreich Nupe, war noch viel reicher an Resten alter Frauenherrschaft. Da haben wir in der alten Reichshauptstadt Gbarra drei hohe Herrinnen, die in ihrer Stellung den Herren der Verwaltung weit überlegen waren: I die Sagi, 2. die Ninguje, 3. die Edjiwo(g)bo. Alle drei gingen aus der Reihe der Kaisertöchter hervor, waren also hochvornehme Frauen. Die Sagi war bei weitem die mächtigste. Sie galt als Königin aller Weiber der Stadt, war aber außerdem die Vorgesetzte aller Saraki. Ja sie galt als die "Mutter der Saraki". Ihr zur Seite stand die Ninguje; wenn ein Schafbock oder ein Bulle oder sonst ein großes Opfertier geschlachtet werden sollte, so fiel solche Arbeit dieser Frau zu, während die Edjiwo(g)bo die Aufgabe hatte, mit ihren Gehilfinnen die Opfertiere zu kochen und mit entsprechender Speise zusammen aller Welt vorzusetzen. —Jede von diesen dreien hatte vordem eine große Provinz, so sagt man. Heute sind sie nur noch in der Reichshauptstadt beschäftigt. Der Herrscher wählt sie unter seinen Töchtern. Er verleiht ihnen als Kennzeichen ihrer Würde einen Turban (Roni), richtige Schuhe und Pferde, so daß sie wie die Männer einhergehen.

Als weitere Stellung, die die Frau schon vor unendlichen Zeiten sich hier erobert haben muß, ist die der Sonja zu erwähnen; sie ist die Herrin des Marktwesens und die Mutter der Fremden. Sie hat



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mit ihren Mädchen dafür zu sorgen, daß die Fremden Holz und Wasser und sonstige Bequemlichkeit erhalten, daß die Marktgesetze eingehalten und daß die Abgaben der Marktweiber richtig erledigt werden. Sie überwacht z. B. den sehr komplizierten Perlenhandel. Da ist ferner die Nako, die Oberherrin aller Mädchen und Frauen, die dem Dako, dem Leiter der männlichen Knabenerzieher entspricht (siehe oben). — Also haben wir noch die Nakossu zu erwähnen, diese Nakossu gilt gewissermaßen als Mutter der Jünglinge, die sich in Notlage an sie wenden. Welches ihre eigentlichen Funktionen sind, habe ich nicht klar zu verstehen vermocht. Sicherlich steht sie wie die Sonja und Dako in ihrer Machtbefugnis weit unter der Sagi und ihrer Machtgruppe.

Auffallend bei dieser großen Bedeutung der weiblichen Beamten ist die geringe Macht, die die Natsu, die Mutter des Etsu, hat. Sie nimmt zwar eine im allgemeinen geachtete Stellung als Mutter des Herrschers ein, darf sich aber ihrerseits in keiner Weise mit den Handlungen des Despoten beschäftigen oder sich in seine Amts- und Privathandlungen hineinmischen. Sieht sie Dinge, die nicht mit ihrer weiblichen Gesinnung und Würde übereinstimmen, so kann sie nichts anderes tun, als sich an den Udegi wenden und dem die Sache vortragen, und der Udegi seinerseits hat Recht, Pflicht und Macht, dem Herrscher Vorstellungen zu machen.

Dagegen haben wir eine Erscheinung zu buchen, die stark in der Volkserinnerung eingegraben ist, die Tatsache der Kriegstüchtigkeit der vormaligen Nupefrauen. Vom Kampfesmut der Nupefrauen hörte ich aus Kpatatschi Daba, Kutigi, Maliu, Bodotschi, Batati, Rugatschiba, Lafiagi, Jegung und Bokani. Aber noch in vielen anderen Nupestädten soll es vordem auch Sitte gewesen sein, daß genau wie bei den Munduku und Namtji im Ssarrigebirge in Adamaua im Kriegsfall (und angeblich noch in heutiger Zeit) die Frauen ihre Messer nahmen und als Isadschi-Koseschi, was man nicht anders als mit Amazone übersetzen kann, zu Fuß ihre Männer mit in den Krieg begleiteten. Ja, eine der Frauen, die den Titel Naku(ng), d. h. Mutter der Krieger führte, pflegte sich in Männerkleidung zu werfen, pflegte ein Pferd zu besteigen und hoch zu Roß den Männern den kriegerischen Sinn zu schärfen. Es sollen das über alle Maßen tapfere und grausame Frauen gewesen sein, die in manchen Gefechten den Ausschlag gaben, und die Fulbe selbst, die doch einen guten Maßstab für die kriegerische Brauchbarkeit der Menschen haben, erklärten freimütig, daß die Erinnerung an die tüchtigen Frauen ihnen unangenehmer sei, als der Gedanke an die auch nicht zu verachtenden Nupekrieger.

Also sehen wir in diesem merkwürdigen Volke manche vorhistorische Einrichtung erhalten, die das Hervorgehen aus matriarchalem



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Volkstum außerordentlich deutlich beweist. Auch hier gab und gibt es Amazonen und hier ist die Stellung der Frau in manchem heute noch klarer erhalten als in anderen westafrikanischen Ländern.


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