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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

11. Die hohen Beamten des Reiches

Das alte vorfulbische Nupereich, so wie es uns aus den Berichten der alten Leute und aus der Geschichte entgegenblickt, ist eine Despotie von reinstem Wasser. Gewiß zeigten auf dem Lande noch die Empfindungen und Einrichtungen alter Familienverbände in Hader, in Insurrektion, in Bauerntrotz und Stammesfehde ihre selbstverständlichen Eigenheiten. Zwar mag in jener Zeit das Nupevolk noch viel weiter als heute davon entfernt gewesen sein, auch als eine einheitliche Nupenation dargestellt zu werden - all das ist, wo nicht sicher, so doch wahrscheinlich -, aber in jener vorfulbischen Zeit durchzog das ganze Nupevolk auch noch als eine weit bindungsstärkere Empfindung die Tatsache der mehrere Jahrhunderte lang hindurch einheitlich und ungestört erhaltenen Edegidynastie und der noch weiter zurückreichende Blick in sagenhafte Größe und Kulturbeziehung. Also war das Ganze doch eine Einheit und als Einheit eben eine ausgesprochene Despotie.

An der Spitze des Reiches stand ein Kaiser, eine in seiner Machtvollkommenheit imposante Gestalt. So wie von ihm die ganze Staatsmaschine dirigiert und geleitet ward, war sie anderen despotischen Reichen dieser Länder anscheinend sehr ähnlich, vor allem aber so geeignet und für den Fulbegebrauch praktisch, daß die Fulbe an der



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Gesamteinrichtung nichts änderten und sie eigentlich genau so übernahmen, wie die Fürsten der Edegiperiode sie ausgestaltet oder, was wahrscheinlich ist, aus noch älterer Zeit übernommen hatten.

Es war ein großer Apparat von Beamten, sowohl erblicher wie gewählter, die dem Etsu, dem Kaiser, bei dem Regiment über dieses durchaus nicht sehr ausgedehnte, wenn auch außerordentlich volkreiche Land behilflich waren. Als Grundsatz können wir fraglos erklären, daß von allen den vielen hohen Thronbeamten, die wir nachher aufzuzählen haben, nicht einer einen eigenen Willen hatte, daß vielmehr der Despot allein herrschte, ohne sich im geringsten hineinreden oder eine Modifikation seiner Verordnung gefallen zu lassen. Betrachten wir die Kategorien des regierenden Beamtenheeres.

Es gab zwei Formen der Unterscheidung, einmal nach der Geburt, dann nach dem Rang. Der Geburt nach gab es die Djitsu (aus Edji = Sohn und Tsu =Herrscher), dem Rang nach die Edji Saraki (aus Edji =Sohn und Saraki =angesehener Patrizier; aus diesen Saraki, das man sehr wohl auch mit "Obmann" oder "Meister" übersetzen kann, muß das Haussawort Serki, das fälschlich mit König übersetzt wird, hervorgegangen sein). Djitsu als Adlige und Edji Saraki als Patrizier standen sich verbindungslos gegenüber. Es sind die beiden Hauptklassen der Beamtenschaft. Kein Mitglied einer dieser beiden Klassen konnte eine Stellung erhalten, die der anderen Klasse zukam. Aber jede der beiden Klassen zerfiel wieder in je zwei Gruppen, eine von Ober-, eine von Unterbeamten. Die Mitglieder der oberen Gruppe wurden als Enako, die der unteren als Enagi oder Enaki bezeichnet. Es gab sowohl unter den Djitsu wie unter den Sarakitsu (Patrizier im kaiserlichen Dienst) Enako und Enaki, nur spielten die Enaki der Sarakitsuklasse eine so untergeordnete Rolle, daß sie im Hofchargenverzeichnis gar nicht mit aufgeführt wurden, während viele der Enako der Sarakitsuklasse eine so hohe Stellung einnahmen, daß jeder Prinz ihnen Ehrfurcht erweisen mußte. Um das Verhältnis der einzelnen untereinander verständlich zumachen, will ich zunächst einmal die Arten der Hofbeamten gruppenweise aufzählen.

I Klasse der Djitsu. Die Gruppe Djitsu-Enako:

Saba (der Kronprinz) Benu oder Bennu
Botun Gara
Makun Tschekwa
Nokodji Ndpherma
Luqua Neidja
Rani Naquena
Tschetscheko N'kotschi
Netsu Zoeda
Nadjenu Nbandoma



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Das ist die Gruppe der höchsten Würdenträger des Reiches. Von ihnen stand in der bestimmten (hier aufgeführten) Reihenfolge immer ein jeder unter dem Vorhergehenden. Starb der Etsu, so ward der Saba Kaiser und der Botun rückte in die Stellung des Saba, des Thronfolgers, ein; der neuernannte Kaiser setzte dann einen neuen Botun ein, der Theorie nach, der dem Botun folgende Makun, so daß die ganze Reihe nachrückte und alle Nachfolgenden die Stelle ihrer Vorgesetzten einnahmen. In Wahrheit wurde die Reihenfolge aber wohl stets unterbrochen. Die beiden Obersten, der Saba und Botun, wenn einmal eingesetzt, konnten nicht wieder umgewechselt werden. Aber die Stellung der anderen hing doch sehr von der Gnade ab, in der der Betreffende beim Kaiser stand. Die hier aufgeführten Worte sind Titel, keine Namen. Ihre Verwendung fand in der Weise statt, daß der Herrscher die Stadtherren und Provinzverwalter mit der Verwaltung und Vertretung seiner Interessen betraute. Denn der Theorie und Praxis nach war der Etsu Inhaber aller Macht, über alle Personen und Besitztümer seines Landes, und diese Herren verwalteten diese Omnipotenz und nahmen die Steuern und Abgaben für den König ein. Die gezahlte Abgabe hieß Edu (Haussa=Gandu; Joruba =Code). Die Verteilung erfolgte folgendermaßen. Von jeder Summe, die 100 Mark betrug, erhielt der Herrscher selbst 40 Mark, der Enako 20, die kleine Beamtenschaft insgesamt 35 und der einkassierende Bote 5 Mark als Tutschi (Tukuschi in Haussa =Botengeschenk). In solcher Weise wurden überhaupt die Verwaltungsausgaben gedeckt. Wenn der Etsu einem Enako sagen wir 20 Mark schenkte, so mußte er 2 1/2 Mark an seinen Enaki weitergeben, so daß ihm nur 17 1/2 Mark blieben. Im übrigen standen diese adligen Herren durchaus nicht in dem gewaltigen Ansehen, wie man denken möchte. Nicht sie, sondern (wie wir sehen werden) die Patrizier krönten den König, und mit Ausnahme des Etsu, des Saba und Botun mußte jeder Djitsu, wenn er einem Saraki begegnete und auf einem Pferd saß, absteigen und ehrerbietig grüßen. Auch pflegten alle diese hohen Herren nicht in ihrer Provinz, sondern in der Hauptstadt zu wohnen, in der jeder seinen weitausgedehnten Palast hatte.

2. Klasse der Djitsu. Die Gruppe Djitsu-Enagi:

Za-duja Damma
Bag-baruku Gijan(g)
Tschata Tjankuku
Kaffa Rofae (ng)
Foquo oder Fogbo Etsoa
Fogung Ebe
Satschi Netschintaba (Netschin =Herr)
Kussodung Tschoacha Djirraba
Zonku Schaquini
Itsa



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Auch diese alle sind Nachkommen des Herrscherstammes. Sie finden ihre Anstellung sowohl im Kriege als in kleinen Provinzstädten unter der Leitung eines Enako, der ihnen auch von den ihm zufallenden Einnahmen gebührend abzugeben hat. Im übrigen steht auch bei ihnen dem Range nach ein jeder über allen nach ihm in dieser Liste aufgeführten Prinzen.

3. Klasse der Sarakitsu. Die Gruppe der Enako, und zwar Verwaltungsbehörde:

Nedji Makama
Neffene Bana
Mansoqua Ndasa
Tschapako Tscheteko
Tsada

Dieses sind zwar nur "Saraki", aber doch sind es die höchsten Beamten des Reiches. Der Nedji ist derjenige, der den neuen Etsu krönt. Die vier ersten dieser Reihe sind die ständigen Beamten des Etsu. Sie haben ihm zu sagen, wenn er einen Irrtum begeht, haben ihn zu ermahnen, wenn er allzu grausam oder sinnlos regiert. Sie sind die höchsten aller Beamten. Dagegen werden die anderen fünf als Gesandte in Vertrauenssachen geschickt. —Diese sehr hohe Stellung der Saraki ist um so erstaunlicher, als die Klasse ebensowenig wie die prinzliche irgendein anderes Recht hat als das, das der Herrscher in jedem einzelnen Falle für Recht erklärt. Die Saraki dürfen nicht den Wohnort wechseln ohne Genehmigung des Etsu oder seiner Verwaltungsbehörde. Sie sind zum Teil steinreich. Es gibt Saraki, die Hunderte von Sklaven und Weibern, dann noch die hohe angesehene Stellung bei Hof haben; aber doch sind sie ebensowenig wie die Djitsu kaum mehr als Hörige. Wenn dem Worte Djitsu im Haussa Dan Serki, im Joruba Oma-ba, dann Edji Saraki im Haussa Dan-Sarakuna und im Joruba Oma-Lagba entspricht, so erkennen wir aus der Etymologie dieser Worte noch deutlich den Sinn. —Alles in allem können wir diese Gruppe als die der höchsten Verwaltungsbeamten bezeichnen.

4. Klasse der Sarakitsu. Die Gruppe der Enako, und zwar Palastverwaltung:

Gabissoidi Tatoto
Natoaki Djaba
Sonaji oder Sommaji Manlao
Soajatsu Santalitsu
Schiembo Wambei
Dsoafu Logu(ng)
Masentelli Mantoaki
Damaraki Kotonkomu
Mamfada Tschigilla



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Diese Sarakitsu der Oberklasse wurden mir auch als Esa-tschusi, als die ersten großen Palastdiener des Herrschers, dann auch als "Tasche des Häuptlings"oder als "Kronrat in Privatverwaltungsdingen" bezeichnet, und dem entspricht auch die übliche Verwendung einiger dieser Herren:

An ihrer Spitze standen:

I Der Gabissoidi; er war der Botenmeister, der die Fremden vorführte und versorgte.

2. Der Natoaki, der für Speise und Trank des Hofhaltes, in neuerer Zeit auch für den Harem zu sorgen hat.

3. Der Sonaji ist der oberste Stallmeister, hat aber auch die Fürsorge für den Thron und das kaiserliche Paradebett.

4. Der Soajatsu, hatte für allen anderen Besitz und Hausbestand der Hofhaltung zu sorgen, war zum Beispiel auch der Fürsorger der Kolanüsse.

Dieses waren in alter Zeit die vier Erzämter, die von kriegsgefangenen Häuptlingen besetzt wurden - also von Sklaven der vornehmsten Art. Es waren Ehrenstellen, und mehr die Titel als wirkliche Arbeitsverpflichtung, zeichneten die Leute. In den letzten Jahrhunderten wurde die Stellung dieser Herren mehr und mehr herabgesetzt, und zwar dies zum besten der Eunuchen, der Dansitsu. Diese, an deren Spitze nun auch gleiche oder ähnliche Namen auftauchen, verdrängten die alten vier "Oberherren". Vordem wurden also diese vier Erzämter von großen Männern hoher Stellung eingenommen, heute von vier weniger geachteten Eunuchen ähnlichen Namens. —Außer den vier obersten Herren spielten früher am Hofe auch eine bedeutende Rolle: der Masentelli, der private Schätze und das Mobiliar des Kaisers verwaltet; der Santalitsu, der die spezielle Aufsicht über die Pferde hat; der Wambei, der als Aufseher der Sklaven wirkt; der Tschigilla als Oberherr der Kutipriester und Reichsheiligtümer, soweit sie sich im Palast des Herrschers befinden.

5. Klasse der Sarakitsu, Gruppe der Enagi, und zwar Militärverwalter:

Soasudsu Badjako
Bandoaki Sokjara Dokoringi
Somfadako Sodjetsu
Sonlaudsu Songobi
Mamasun Sekiwuatsu
Edjiko Sonfaraqua
Barischi Maga-aki
Nogung

Dieses ist die militärische Oberverwaltung. Der Soasudsu entspricht dem Majeki, ist also der oberste Feldherr und führt als solcher heute



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unter den Fulbe auch den Titel Majaki. Die anderen wurden je nach ihrer Fähigkeit verwendet, meist als Hauptanführer im Kriege, zu Verproviantierungszwecken, am häufigsten aber als Anführer von Raubzügen, von Sklavenjagden, zu welchen Aufgaben mehr Verschlagenheit als große taktische und strategische Kenntnisse gehörten. Im übrigen war gerade diese Gruppe die, zu deren Nachfüllung am häufigsten fremde Elemente herangezogen wurden, teils weil ihre Sterblichkeit ziemlich groß war, teils weil sie am leichtesten und häufigsten Insurgenten produzierten, teils weil kriegerische Tüchtigkeit sich meist nicht so gut vererbt wie verwaltungstechnisches Geschick, und weil häufig meist aus den Reihen der Soldaten militärische Genies ganz von selbst sich hervortaten.

Endlich haben wir unter den Beamten noch eine Gruppe zu erwähnen, die am auffallendsten ist.

6. Klasse der Sarakitsu, Gruppe der Enagi, und zwar der Dansitsu:

1. Der Nda-toaki =Sprecher.

2. Der Soma-ji = Bote des Herrschers, der die Befehle im Palast weiterträgt.

3. Der Gabi-Ssoedi = der alle Bittsteller, Offiziere und Beamten empfängt und darüber dem König berichtet, ist der einzige, der auch des Königs Schlafgemach betreten darf.

4. Der Somfara-ko = der den Herrscher in allen Fragen der Geschenke an andere Fürsten berät und dem Tschirima der Haussa entspricht.

Alle diese vier sind Dansitju, Eunuchen, die ihre vollkommene und radikale Verstümmelung schon in der Kindheit erlebten. Sie repräsentieren die nächste intimste Umgebung des Herrschers, sind nach jeder Richtung die Bevorzugten des Palastdienstes.


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