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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

10. Religiös-soziale Einrichtungen

Wie bei allen Völkern, die um die Porta Atlantika herum wohnen, waren in alter Zeit alle religiösen Institutionen aufs engste und genetisch mit der sozialen Volksstruktur verwandt. Es ist klar, daß die Wirren der Bürgerkriege und der islamitischen Fulbeinvasion



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sowie der Umschwung, der sich im ganzen Wirtschaftsleben eingestellt hat, auf die alten Institutionen dieser Art zerstörend eingewirkt hat; aber immerhin können wir auch heute noch Reste der religiös-sozialen Tektonik erkennen und können kaum von Kuti oder gar Maske sprechen, ohne diese Beziehungen zwischen weiterforschenden Anschauungen und staatsbildenden Volksgruppierungen zu durchdringen, zu beobachten und in den Vordergrund zu stellen. An drei Stellen werden wir das ethnische Wesen der Nupe anschauen müssen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, einmal im Bereich der Kutieinflüsse, dann auf dem Boden der Elloforschung und endlich aber bei der Beobachtung des oben schon in seiner gesellschaftsschützenden Tätigkeit geschilderten Dako Boea.

Als Beispiel der Kuti führte ich vier Erscheinungen an. Das Wesentliche beruhte in alter Zeit nicht nur darin, daß ein solcher Kuti die verschwommenen Reste einer dämonischen Gestalt, wie etwa aus der Borireligion hervorgegangen, oder die degenerierte Bastardierung eines Orischa ähnlichen Gottes darstellt. Das Bedeutsame der Entwicklung ist vielmehr hier, genau wie bei den Joruba, daß jede Familie einen solchen Kuti hatte, daß die Familienglieder die Verehrung von den Altvordern in treuer Erbschaft übernehmen und daß ein leitender Priester, der Jigi, im Familienverbande die Kultur und die Beziehung zum Kuti aufrechterhielt. Jede den gleichen Kuti verehrende Familienvereinigung führte einen gemeinsamen Namen. Die Verehrer des Sogba hießen Sogbaschitschi, die des Tschelli Tschellischitschi, die des Sautschi Sautschischitschi. Alle Sogbaschitschi galten untereinander als nahe Verwandte, wenn sie auch aus verschiedenen Städten stammten und durchaus nicht imstande waren, die auf weite Generationen zurückreichende genealogische Beziehung wiederaufzufinden. Somit zerfiel vordem das ganze Volk in eine außerordentlich große Zahl von Kutifamilien dieser Art, und da nun mit der Verehrung eines Kuti Speiseverbote (Jetschi) Hand in Hand gingen, da Leute mit gleichen Speiseverboten sich nicht verheiraten durften, so können wir das gleiche Bild der sozialen Urgruppierung wieder herstellen, wie wir es bei den Joruba fanden, — nur ist wie gesagt, das alles heute zur Theorie, zur Reminiszenz herabgesunken und wird der Einhaltung solcher religiös-sozialer Gesetzgebung keinerlei Wert oder Folgenotwendigkeit beigelegt.

Ähnlich verhielt es sich auch mit anderen Dingen, z. B. mit der Verehrung der heiligen Krokodile, der Kanza, welche besonders in Mokwa und Daba heute noch aufrechterhalten wird, ohne daß man eigentlich weiß, welche Familien vordem als Egi-Kanza (Söhne des Krokodils) genannt wurden. Aber alles ist in der Ausübung zerstört und nur in der Erinnerung noch wahrhaft lebendig.



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Eine einzige Sippe fand ich, in der der Kutiglaube klar und unverkennbar das Menschenschicksal mythologisch und untrennbar mit dem heiligen Wesen verbindet. Hier wirkt noch eine echte alte Sitte, die Büffellegende, als Verbindendes aus einer Sippenbildung. Im Nupelande nämlich, und zwar in der Debogigegend bei Uschischi, lebt eine Sippe, die den Namen Guatschi (Guatschi-ji) führt. Gar nicht selten ereignet es sich dort, daß eine Frau einen Knaben oder ein Mädchen gebiert, das bei seinem Erscheinen Gras im Munde hatte. Solch ein Kind ist immer ein richtiger Guatschi. Wenn die Frauen das sehen, dann wird die Ello (die Nachgeburt usw.) vorsichtig und ohne Schütteln in einer Kalebasse begraben. Am anderen Morgen sieht man dann, daß sich von dieser Stelle aus ganz kleine Büffelspuren nach dem Busch hin verlaufen. Von da an weiß man, daß mit jenem Kinde ein ganz dem gleichen Schicksal unterworfenes Büffelkaib im Busch lebt. Wie das Kind, so wächst das Büffelkalb auf. Wenn der Knabe (es kann ebensogut ein Mädchen sein) etwa fünf Jahre alt ist, begibt der Vater sich zum Schigi oder Jigi, das ist hier das Haupt der Guatschi und der Leiter des Büffel-(Eja)Dienstes. Der Schigi gibt Medizin, die trinkt das Kind zum Teil. Einen Teil aber trinkt der Knabe in dem Busch, wo er sein Büffelkalb trifft. Dem gibt er den Rest zu trinken. Dann kommt das Büffelkalb drei Tage lang zu dem Knaben. Der muß es gut striegeln und abbürsten und ihm Sorghum zu essen geben. Knabe und Buschkalb sind durchaus identisch. Wenn eins von beiden stirbt, stirbt auch das andere. Wenn der Büffel von einem giftigen Pfeil getroffen wird, läuft er zu seinem Menschen, d. h. mit dem er zusammen geboren wurde. Der Mensch muß ihm den Pfeil herausziehen und Pfeil und Wunde entgiften. Sonst sterben alle beide. Wenn andererseits jemand den Burschen geschlagen hat, soll er sich recht wohl hüten, allein in den Busch zu gehen. Denn der Büffel fällt ihn gar leicht und sicher an und rächt, was er dem Burschen angetan hat. — Es versteht sich von selbst, daß kein Mitglied der Guatschifamilie Büffelfleisch genießt. — In der trockenen Zeit findet das 7 Tage währende Egbo statt, das ist ein Tanzfest, zu dem die großen und kleinen Büffel in die Stadt kommen und mit den Guatschi zusammen tanzen. Die Menschen (der Guatschifamilie) wie die Büffel rennen dann mit den Köpfen gegen die Hausmauer und sind auf die Stärke und Härte ihres Schädels stolz.

Soweit das Kuti als Symbol der Sippe. — Klarer und erkenntlicher haben andere Teile des religiösen Apparats sich erhalten, deren Symbol man ebenfalls den Namen "Kuti" zuzulegen pflegt, obgleich sie ihn nach keiner Richtung verdienen. Ich meine das Maskenwesen. Die Maskeraden zerfallen in zwei scharf voneinander zu trennende Typen, in die Ello, d. h. eigentlich Maske, und in die



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Gunuku oder Dako Boea. Für die erste Gruppe haben wir zwei Sagen, eine, welche das, was uns am meisten interessiert, nur flüchtig aber wesentlich beleuchtet, eine andere eingehender.* Die erste Angabe ist schnell besprochen: Ursprünglich waren die Ello in den Händen der Frauen, dann erst gingen sie in den Besitz der Männer über. Das sagte mir ein Mann aus Tatabu. Die Mokwaleute bestritten es. Da andere Stämme aber gleiche Sagen haben und von ganz unabhängiger englischer Seite mir ein gleichlautender Bericht zugegangen ist, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diese für die Verbreitung älterer sozialer Traditionen so wesentliche Angabe auch im Nupelande heimisch ist.

Der andere Bericht ist ausführlicher.

Es war einmal ein Mann, der war sehr entrüstet darüber, daß seine Frau sich mit einem anderen Manne in Liebeshändel eingelassen hatte. Er ging also zu dem Jetsu (gleich den Bale der Joruba, Bürgermeister) und sagte: "Meine Frau hat mit einem anderen Manne geschlafen. Ich glaube, sie hat das schon vordem getan. Was kann ich wohl dagegen tun?" Der Jetsu sagte: "Ich glaube auch, daß deine Frau es schon vordem getan hat. Denn es kommen häufig Männer zu mir und beschweren sich über diese Sache. Die Frauen lassen sich zuviel mit anderen Männern ein. Wir müssen also eine Sache machen. Alle Männer sollen zusammenkommen." Es kamen alle Männer zusammen. Der Jetsu sagte: "Was machen wir in dieser Sache ?" Die Leute sagten: "Wir machen eine Ello Iao (Maske einer jungen Frau)." Die Leute sagten: "Ja, wir wollen eine Ello Iao machen." Die Männer schnitzten nun eine Ello Iao. Es war ein Kopf mit zwei Hörnern. Die Männer sagten: "Das ist eine gute Ello Iao. Die Ello Iao soll tanzen." Die Ello Iao tanzte. Alle Männer und Frauen kamen zusammen und sagten: "Das ist schön!" Die Frauen sagten: "Das ist schön." Die Männer sagten: "Lacht nicht darüber. Das ist eine ernste Sache. Diese Ello Iao bleibt nun bei uns, und wenn eine von euch sich von einem anderen Manne als von ihrem eigenen beschlafen läßt, so wird sie einen solchen Ibilli (Teufel, wohl aus dem Haussa; arabisch =diabolos) gebären. Seht die Hörner! Wollt ihr einen solchen Ibilli gebären ?" Die Frauen schrien. Dann kamen die Frauen aber wieder zusammen und tanzten mit der Ello Iao. — Nun aber machten die Männer durch die Ello Iao noch den Dunkunlo. Dunkunlo war ein Topf mit einem Menschengesicht, der war bemalt. Der Dunkunlo stand beim Tanzen in der Mitte. Alle Männer warfen etwas Kohle und einige Kauri hinein. Gegen Ende des Tanzes wurde Wasser darübergegossen. Dann mußten alle Frauen herantreten, eine nach der andern, und



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jede mußte sich mit der Flüssigkeit die Vulva waschen. Die Männer sagten: "Wenn ihr nun wieder mit einem anderen Manne schlaft, so wird eure Vulva wie ein knöcherner Penis werden." Die Frauen ängstigten sich. Die Ello Iao ging hinweg.

Die Männer sagten: "Nun müssen wir aber noch eine Sache für die Männer haben. Die Ello Iao kann nicht allein sein." Der Jetsu sagte: "Ihr habt recht, man soll auch ein Ello Kunnegi machen." Die Männer gingen hin. Die Männer nahmen ein Netz (Sambara). Daraus machten sie einen Kopf und eine Jacke. Um die beiden hängten sie viele Felle. Sie gaben ihm Hosen. Die Felle hingen weit herum. Hernach gaben sie ihm vorn aber auch noch einen Stock, der hing da wie ein Penis. Der Ello Kunnegi konnte ihn aber auch hochnehmen und tanzte damit wie mit starker Erektion. Die Männer sagten: "Das ist gut. So soll der Ello Kunnegi tanzen. Dann wissen die Frauen, was ein Mann kann, und dann wissen die Männer, was ein Ello Kunnegi soll." Ello Kunnegi tanzte. Alle Männer, alle Frauen kamen zusammen. Sie sahen alle zu. Die Weiber sagten: "Was ist das?" Ello Kunnegi sagte: "Ich komme vom Himmel. Soko (Gott) selbst hat mich gesandt, ich soll hier Medizin machen." Alle Frauen sahen den Stock an und lachten. Ello Kunnegi sagte: "Lacht nicht! Gott sendet mich. Wenn ihr lacht, kann es euch gerade so gehen." Ello Kunnegi tanzte. Dann gingen alle heim.

Die Männer sagten: "Wir haben nun die Ello Iao für die Frauen; wir haben den Ello Kunnegi für die Männer. Nun fehlt uns noch ein Ello für den Jetsu. Wir müssen einen Ello für den Jetsu haben." Der Jetsu sagte: "Es ist recht. Was wollt ihr für einen Ello für mich machen?" Die Männer sagten: "Wir wollen einen Ello Gara (Gara =Dieb), eine diebische Maske für dich machen." Der Jetsu sagte: "Mir ist es recht." Die Männer machten nun eine Holzmaske. Die hatte nur einen Stab in der Mitte, aber keine Hörner. Als sie fertig war, tanzte sie. Ello Gara wollte auf den Markt gehen. Der Jetsu sagte: "Es ist gut, gehe auf den Markt und stiehl für mich. Nimm aber keine großen Sachen. Nimm kein Gold und keine Stoffe! Nimm Kauri und kleine Sachen." Dann sagte der Jetsu: "Gehe auch nicht alle Tage auf den Markt. Gehe nur im Herbst, zur Erntezeit hin, um für mich zu stehlen."

Der Jetsu sagte: "Es ist jetzt Erntezeit, wir wollen eine große Sache machen." Die Männer sagten: "Ja, alle Frauen sollen heute nachmittag um 4 Uhr zusammenkommen. Wir wollen auf dem Marktplatz sein. Wir wollen nur keine Kinder, Mädchen und schwangere Frauen da haben. Sonst sollen alle Männer und Frauen kommen, denn heute sollen Ello Iao und Ello Kunnegi miteinander tanzen. Sie sollen miteinander auf dem Marktplatz koitieren, und



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wir alle wollen zusehen, denn die Erntezeit ist vorüber.*Wir haben viel Bier und Korn und wir haben unsere Arbeit beendet!" Der Jetsu sagte: "Ja, so wollen wir es machen."

Am Nachmittag um 4 Uhr kamen alle (erwachsenen) Männer und Frauen auf dem Marktplatz zusammen. Es kamen Ello Iao und Ello Kunnegi. Ello Kunnegi tanzte. Ello Kunnegi tanzte sehr schön. Erst hing der Stock (Penis) Ello Kunnegis herunter. Es wurde dunkel. Als es gegen 7 Uhr war, hob sich der Stock Ello Kunnegis. Ello Kunnegi hatte einen starken, aufstehenden Penis. Ello Kunnegi tanzte auf Ello Iao zu. Als Ello Kunnegi so auf Ello Iao zutanzte, warf sich Ello Iao auf den Rücken. Ello Iao breitete die Beine aus. Ello Kunnegi legte sich auf sie. Ello Kunnegi drängte seinen Stock (Penis) zwischen Ello Jaos Beine. Ello Kunnegi beschlief Ello Iao. Alle Leute, alle Männer und Frauen sahen zu. Als sie so Ello Iao von Ello Kunnegi beschlafen sahen, da nahm ein jeder der anwesenden Männer die Frau, die gerade neben ihm stand. Er legte sie auf den Boden und beschlief sie. Der Mann, der zum Jetsu gekommen war, um sich darüber zu beschweren, daß sich seine Frau von anderen Männern beschlafen lasse, sagte: "Ein anderer Mann hat vordem meine Frau beschlafen. Heute will ich die Frauen anderer Männer begatten." So begattete jeder Mann die Frau anderer Leute, die gerade neben ihm auf dem Marktplatz stand.

Seitdem geschieht das noch heute in jedem Jahre am Beginn der Regenzeit. Man nennt das Fest Esollo. An dem allgemeinen Koitieren auf dem Marktplatze nehmen alle erwachsenen Männer und Frauen teil. Nur schwangere Frauen und Kinder durften sich daran nicht beteiligen.

Diese Tradition erleuchtet alles zur Genüge. Von den mehr familiär-populären Masken ist nur die Moma oder Mama genannte Strohmaske nicht aufgeführt. Diese ist recht verbreitet und tanzt in schwingenden Bewegungen wie ein Elefant, dabei immer "Ewu! Ewu! Ewu! Juhuhu!" (im Tonfall sinkend) und von Zeit zu Zeit "Eje! Eje!" rufend. Wenn sie in der allgemeinen Legende nicht aufgeführt ist, so kommt das daher, daß sie ursprünglich keine Nupemaske ist, sondern von den Bassa (Bassakomo), die nordöstlich und östlich der Nupe wohnen, übernommen wurde. — Im übrigen werden die drei Ellomasken, ihrem Aktionsfelde gemäß, ganz ausgezeichnet gemimt: das Paar Ello Kunnegi und Ello Iao als typisches Geschlechtspaar (siehe die paarweise Geschlechterdarstellung bei Habe, Joruba, dann die Geschlechterpaarmasken der Jukum!), der Ello Gara als bürgermeisterliche Plünder- oder Steuererhebungsmaske. Die Institution der Gara, der königlichen Privat- und Offizialdiebe, werde ich da zu



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schildern haben, wo die niederen Beamten des Königsreichs zu besprechen sind.

Als letzte der religiös-sozialen Institutionen muß noch dem Gunuko oder Dako Boea oder Baja einige Seiten gewidmet werden. Die Hauptsitze dieser Marktgottheit sind in Atagara (am Niger im Nupeland) Regi, Patigi und Lafia. Über den Ursprung herrscht nicht vollkommene Übereinstimmung. Einige wollen ihn im Lande "ur"eingeboren sein lassen. Andere Legenden bringen ihn mit dem Edegizuge ins Land. Ich sah ein altes Manuskript, in dem dieser Zug mit der Gunukomaske geschildert ist. Wieder andere lassen die Maske zwar gemeinsam mit der Edegiwanderung auftauchen; erklären sie jedoch als Manifestationen des alten Fürsten Guschi, der starb, als Edegi ins Land kam. Tatsache ist, daß auch Bassa und Gwarri den Gunu kennen, und daß seine ganze Form des Auftretens eine gewisse Ähnlichkeit mit Bassama hat, der heute zwar nur bei den Abaqua-Riga der Jukum zu herrschen scheint, in seinem ganzen Habitus und Gebaren aber schon an den Gunuku, den großen Gunu der Nupe, erinnert.

Die Gunumasken, die wir sahen, stammten zum Teil aus Atagara, eine aus der Umgebung von Bida. Man unterschied zwei Typen, von denen die eine kleinere als Suso-papagi (ruhige Kleine), die andere als Ndako-Baja (Großvater =Baja) bezeichnet wurde. Man kann diesen hohen Stoffbehang, auch wenn die Fransen an der Spitze sie etwas formvoller erscheinen lassen, unmöglich als hübsch oder besonders eindrucksvoll bezeichnen, aber die Art, wie die Begleitung der Masken mit langen grünen Palmwedeln sie umstehen, eine Palmblattwand um sie aufrichten und ihre Schritte und Bewegungen mit Chorgesang begleiten, hatte sicherlich etwas Feierliches. Die Menge war an dem Tage, an dem ich in Mokwa das Dako Bajafest veranstaltete, so hingerissen und begeistert, daß ich es verstehe, wenn behauptet wird, die Maskeninstitution habe in alten Zeiten viel mehr Einfluß gehabt als die Könige, ihr Einfluß sei dem der Nupekaiser gleichgekommen, und oft hätte der Nupekaiser sich ihrer bedient, um seinen eigenen Willen durchzusetzen. —Das Spezielle, was ich von dieser Maske hörte, soll in folgendem wiedergegeben werden, und zwar stelle ich eine Legende in den Vordergrund, die mir ein Mann aus einer alten Barafamilie mitteilte:

Der alte Name Dako Bajas war Lata. Lata kam von Osten her. Er kam auf dem Wege über Atagara ins Land. Die Leute von Atagara waren aber ebenso wie die von Tarabulur. Wer für Dako Baja tanzt, darf nie den Oberkörper bedeckt haben. Im Norden pflegt die Maske in der Mitte zu stehen und alles Volk mit entblößtem Oberkörper darum herumzutanzen. Edegi pflegte es in Atagara, wo er ebenso geübt wurde, auch so zu machen. Edegi trug ihn mit sich



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nach dem Nupelande. Edegi rief heimkehrend alle Leute zusammen und sagte: "Dies ist Dako Baja. Er kam von Tarabulur nach Atagara. Der Atagara (von Ida) gab ihn mir für euch mit. Niemand soll mit Dako Baja spielen, sonst wird er getötet. Jedes Jahr soll man für Dako Baja Speise bringen und ihm reichen." Die Leute fragten: "Was kann man ihm bringen?" Edegi sagte: "Bringt ihm Ziegen, Hühner und Hahn, bittere Kolanüsse (Nupe =Afata; Haussa =Ngoro-billi; Joruba =Obita-abata) und Bier." Dann wählte Edegi einen Mann und sagte: "Du bist Daro; du sollst der erste Mann der Sache sein. Du sollst ihm jährlich das Bier (Nupe =Edje; Haussa =Djia; Joruba =Obi) und Palmwein (Nupe = Muge; Haussa =Borini; Joruba =Emu) geben. Wenn jemand zu Dako Baja kommen will, muß er erst zu dir, dem Daro, gehen, und du wirst ihn dann dem Dako Baja vorstellen." Edegi nahm eine Medizin, das Schiwe Schagba, gab es dem Daro und sagte: "Nimm die Schagbamedizin und binde sie dir um die Hand, damit du die Innen-(Trag-) stange der Maske halten kannst. Wenn du diese Medizin um die Hand hast, dann kann dich niemals jemand sehen -auch wenn man den Stoffbehang der Maske einmal öffnet. Wenn du an einen Fluß kommst, kannst du ohne Boot hinüberfahren!"(Vgl. die Baschamalegende in Jukum-Haussa, Atlantis Bd. VII) Egedi nahm die Maske und gab sie dem Daro. Der Daro rief alle jungen Leute zusammen und sagte ihnen, daß er von Egedi die Oberaufsicht über Dako Baja empfangen habe.

Wir haben oben schon gesehen, in welcher Weise Dako Baja gegen die Gatschi zu Felde zieht, bis der Daro die Subache zuletzt totschlägt. Nun hören wir hier noch einige andere Sachen über diesen Krieg gegen die sozialen Schädlinge.

Wenn - um den obigen Bericht fortzusetzen -die Gatschi oder Gazi in einem anderen Land ihr Unheil treiben, so kommen die Geschädigten zu dem Daro und sagen: "Hier bringen wir dir Stoff, Hühner, Kolanüsse und Ziegen. Wir bitten den Dako Baja, uns gegen die Gatschi zu unterstützen." Der Daro nimmt die Gaben in Empfang, wendet sich zum Dako Baja und sagt: "Hier sind Leute aus einem anderen Land. Die Gatschi schaden ihnen sehr. Sie bringen dir 200000 Kauri, Stoffe, Kolanüsse, Hühner und Ziegen. Es sind Nupeleute. Ich werde deine Antwort sehen." Der Daro warf dann das Kolaorakel, d. h. er zerbrach eine Kolanuß in ihre natürlichen vier Segmente. Einen Teil gab er der Maske. Drei Teile warf er hin. Wenn zwei Stücke geschlossen, eins aber offen hinfiel, dann gab Dako Baja damit sein Einverständnis. Dako Baja will also helfen. Der Daro legt nun ein Stück Kola auf Dako Bajas Kleid, kaut ein zweites, um dann den zermalmten Brei auch auf den Stoff zu speien.



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Darauf bereitet der Daro die Entsendung des Dako Baja, die grausige Strafgewalt, vor. Er ruft einen Anhänger und begünstigten Diener des Kultus. Er gibt ihm die Handbandmedizin, die Schagba, und dazu einen langen Strick, den Gatschi zu fangen. Auch dieser Strick ist durch magische Mittel so gekräftigt, daß er nicht reißen kann. Dann bändigt er ihm die eigentliche Maske, die Boa-De genannt wird, aus und sendet ihn mit anderen Kundigen und kräftigen Männern zum Fang aus. Er selbst, der Daro, bleibt daheim. —Der Vertreter wandert mit seiner Begleitung von dannen. Er sendet eine Nachricht voraus, die seine demnächstige Ankunft anzeigen soll. Darauf läuft denn in der von dem Nachtungeheuer bedrängten Stadt alles Volk zusammen. Jeder Mann, der von der nahen Ankunft des DakoBaja hört, nimmt einen tüchtigen Knüppel über die Schulter und kommt herbei, das Volk von den Farmen, die Bauern aus den umliegenden Dörfern. Es ist eine große Sache. — Inzwischen hat der Vertreter des Daro in unauffälliger Weise das Haus eines befreundeten Mannes erreicht. Palmblätter sind herbeigebracht, und so tritt die Maske auf den Marktplatz heraus. Der Dako Baja sendet nun eine Nachricht an das Stadthaupt, sei es, daß dies ein Jetsu, ein Verwandter des Kaisers ist, sei es, daß es nur ein Egbar, ein Verwalter, der vom Herrscher eingesetzt wurde, ist. Der Dako Baja läßt fragen: "Warum kommst du nicht, um mich zu begrüßen?" Der Ortsherr läßt sich nicht zweimal auffordern. Er kommt nun sehr bald und erweist den gefürchteten Maskengästen seine Verehrung. Dako Baja seinerseits fragt den Ortsmächtigen, ob es ihm erlaubt sei, den Gatschi zu fangen. Der Ortsherr ist natürlich hiermit einverstanden. Die große Kraft, die dem Dako Baja innewohnt, sagt nun dem Maskenträger sogleich, wo der Gatschi zu suchen sei und wer er ist. Die Maske sendet zunächst einen Mann seiner Begleitung mit dem Auftrag, die Arbeit zu vollführen. Der entsandte Mann stellt sich aber als solcher Aufgabe nicht gewachsen heraus und kommt zurück. Dako Baja muß sich selbst auf den Weg machen. Dako Baja sagt: "Trommelt für mich!"Die Trommeln rasseln. Dako Baja beginnt zu tanzen. Dako Baja zieht durch den Ort hin. Jeder, dem er begegnet, muß ehrfurchtsvoll grüßen, sonst wird er geschlagen. Nachdem der Dako Baja hier und da auf den Plätzen getanzt hat, geht er zur Wohnung des Gatschi. —Dort in der Behausung deckt Dako Baja den Schuldigen sogleich mit seinen Kleidern zu. Der Mann muß sich dem Zwang der gewaltigen Maske fügen. Unter dem Maskenmantel wird er auf den Marktplatz gebracht und dort fallen gelassen. Dann wird er getötet. Dako Baja erhält reiche Geschenke und zieht damit heim. — Zu Edegis Zeit übergab der Vertreter des Daro diesem seinem Herrn das gewonnene Geld. Der Daro ging damit zu Egedi. Egedi teilte die Einnahme. Einen Teil behielt er selbst, einen Teil gab er dem Daro. Der Daro seinerseits



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teilte die Einnahme mit seinen Leuten. —Damals, zu Egedis Zeiten, kamen viele Leute. Sie baten darum, daß man ihnen auch eine Institution des Dako Baja zuteil werden lasse; sie wünschten ihren eigenen Dako Baja. Daro untersuchte dann jedesmal die Sachlage. Der Daro berichtet darüber an Egedi, und Egedi seinerseits legte eine Zahlung auf, die zwischen dem Könige selbst und dem Daro geteilt wurde. Danach wurde dann der neue Dako Baja feierlich investiert. —In jedem Jahr kamen vordem einmal alle Dako Bajas zusammen. Die Stadt ihrer Zusammenkunft war Gharra, die Zeit der Januar. Einen Monat lang währte der Tanz, denn die einzelnen Masken trafen nicht gleichzeitig ein, die einen früher, die anderen später. Wenn dann alle vereinigt waren, so gab es an einem Tage einen sehr großen Tanz. Am anderen Tage zog alle Welt wieder heim. Jeder hatte reiche Geschenke nach Gbarra gebracht, auch wurde da Dako Baja ausgesandt, in den Heidenländern Sklaven einzufangen.

Im allgemeinen deckt sich der Inhalt dieses Berichts ausgezeichnet mit jenem, den wir im vorigen Abschnitt über die Subachen brachten. Um so auffallender ist die Abweichung, die ein Bericht gibt, den ich von den Alten im Nupelande empfing und der folgendermaßen lautete:

Danach ist Gunuku oder Dako Baja aus dem Grabe aufgestiegen, in dem Guschi 1. bestattet war. Dako Baja tötet Menschen, aber er tut das nicht selbst, sondern er sendet den kleinen Susso-Patagi zu solchen Zwecken aus. Zweifellos sei der Dako Baja die älteste Einrichtung dieser Länder -wird da gesagt und hinzugefügt, daß ohne ihn überhaupt vordem niemand die Würde des Mannes erreichen konnte. Das wird aber folgendermaßen erklärt. Wenn vordem ein Bursche etwa 7 Jahre alt war oder vielleicht auch noch in jüngeren Jahren, ward er weit weg in den Busch gebracht und dort tätowiert, da blieb er dann 3 Jahre, und wenn er wieder kam, sagte man: "Dako Baja hat ihn wieder gebracht." Solch ein Kind ward als Gummun oder Gummu bezeichnet und von ihm wörtlich behauptet: "Dako Baja Magie Mana", d. h. Dako Baja hat das Kind geboren. Derart von Dako Baja geborene Kinder hatten meist die Bangubatätowierung oder eine kleine, unscheinbare Haarlocke auf dem sonst glatt rasierten Schädel. Diese Art Leute durften in keinem Fall eine Mütze tragen und ebensowenig eine Tobe. Ihr Kleid war das Umschlagetuch, die einfache Toga, die zum Tanze vor dem Maskengotte um die Lenden geschlungen wird. Jeder Mann dieser Art hat ein klar vorgeschriebenes Speiseverbot (Enja schitschi); er durfte nicht essen Alligator, Binsenschlange (Evuaka), roter Affe (Ebe), Varanus (Katagbini), Buschschwein (Bakun), zudem durfte er nichts genießen, was in einer zerbrochenen Kalebasse aufgetragen ward.



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Das sind klare Parallelen zu Vorstellungen, wie wir sie aus Liberia und sonst kennen, Analogien zu den Vorstellungen von den Bundesgottheiten des Westens. An jene Legenden werden wir um so mehr gemahnt, wenn wir hören, daß der Name Gunuko mit der Bezeichnung für den Kronenkranich (Nupe = Ga Kun) zwanglos in Verbindung gebracht wird. Auch der Koma, der große Bund der Mande, verdankt diesem Tiere angeblich seinen Namen.

In früheren Zeiten hatte jedes größere Gemeindewesen im Westen der Stadt einen waldigen Busch, eine Waldinsel, Guno-ba genannt. Darin waren Töpfe, ganz große Töpfe aufgestellt. Dort wurden die Zusammenkünfte der Dako Bajamitglieder abgehalten. Dorthin wendet sich der Mann mit Geld und Geschenk, wenn sein Weib allzulange unfruchtbar blieb. Dort wurden viele, auch jene stillen Vereinbarungen auf Vernichtung unliebsamer Dorfgenossen getroffen, die wir bei den Mande und Bosso Soroko als Selbstverständlichkeiten eines patriarchalistisch-religiösen Altersregiments kennen lernten.

Deshalb kann man sagen, daß der Dako Baja mehr als eine nur religiöse, daß er seinem Ursprung und Entwicklungsgang zufolge unbedingt eine religiös-soziale Institution hohen Alters ist, bei der man nur zweifeln kann, ob sie im Nupevolke uralt oder von Nachbarvölkern übernommen ist.


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