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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

8. Familien- und Wirtschaftsleben

Die Hochzeit ist zu Ende. Das bürgerliche Eheleben nimmt seinen Anfang. Die junge Frau siedelt in ein Haus im Gehöft des Mannes über. Im übrigen erhebt das bürgerliche Leben im echt patriarchalischen Rahmen seine Ansprüche an Mann und Weib, d. h. für die Frau (um deren Leben weiter zu verfolgen), daß sie unter der Leitung der Familienmutter emsig und fleißig tagsüber arbeitet, wirtschaftet und handelt. Die nupeschen Frauen sind aber in der Tat durchaus arbeitsam, so daß sie am Abend ihre gesunde Müdigkeit verspüren.

Die Frau zieht sich im allgemeinen am Abend in ihre eigene Hütte zurück. Verspürt der Mann in der Nacht sehr starke eheliche Regungen, so ruft er sie zu sich auf sein Lager in seine Hütte hinüber. Die jungen Nupe sind im allgemeinen recht gierig auf solche Kost, und in den ersten Monaten bereiten sie sich diesen kleinen Genuß nicht selten einmal am Tage und einmal in der Nacht. Später wird das Blut kühler, und vernünftige Leute begnügen sich mit einer Erquickung am vierten oder fünften Tage. Die Menstruation (Nupe =Tschikan; Haussa =Paschia-sola oder Al'ada) schließt natürlich auch hier den Beischlaf aus. In der Periode wäscht die Frau nur den Körper, nicht die Kleidung. Erst nach Abschluß der ca. 3 bis 5 Tage währenden Zeit wird die Wäsche gereinigt. Hat diese mehrfache und ältere Spuren, so wird sie nun in Kammwood-Wasser gelegt, was ihnen eine hübsche, leider natürlich ganz unhaltbare rote Farbe verleiht. —Es gibt, um das hier noch einmal zu betonen, keine stärkeren Farbengegensätze, als ihn die Märkte der Joruba und, die der Nupe bieten. Die Jorubaweiber bevorzugen durchaus die blaue, aus Baumzweigen gewonnene Indigofarbe, und daher erscheinen die Märkte, wenn sie stark besucht sind, wie in blaue Farbe getaucht. Bei den Nupe aber tritt immer und immer wieder dieses Rot in den Vordergrund. Jede andere Farbe hebt sich von einem Hintergrunde von roter und brauner Farbe ab.

Der Nupe rechnet im allgemeinen, daß seine Frau nach etwa dreimonatlichem Eheleben die Schwangerschaft erreicht hat. Das hindert ihn nicht, die eheliche Ubung fortzusetzen bis etwa 2 Monate vor der Geburt. Wenn ihm nun aber diese Quelle der Ergötzung abgeschnitten ist, so ist er durchaus nicht willens, auf diese ihm lieb und üblich gewordene Betätigung zu verzichten, und somit sieht er sich nach anderen Partnerinnen um. Er findet sie sicher. Mancherlei Gelegenheit bietet sich. Und wenn die Jungfrauen im alten Nupeland als besonders keusch und züchtig galten, so ist das bei den Nupefrauen nicht und anscheinend nie so gewesen. Also, findet der junge, durch Fainilienzuwachs von der eigenen Gattin abgeschnittene



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Ehemann schon bei anderen Frauen Gunstbewilligungen, und harmlos wie dieses Bauernvolk ist, erzählt der junge Mann seiner Gattin auch ganz vergnügt von seinen Abenteuern und den speziellen Eigenarten und Vermögnissen anderer Weiber.

Darüber schmollt die Gattin ganz und gar nicht. Sie findet das belustigend und in manchen Punkten auch belehrend. Ja, sie geht noch weiter. Wenn der Gatte ihr in solcher Zeit sagt, er wolle recht gern einmal mit dieser oder jener Frau einen Liebeshandel beginnen, wisse aber nicht die Gelegenheit, es anzustellen, so nimmt sie sich seiner Not an. Sie berichtet der anderen. Sie sagt ihr: "Du siehst, in welchem Zustande ich jetzt bin. Ich kann meinem Manne nichts bieten. Er möchte einmal mit dir zusammenkommen. Komm doch also zu mir. Du wirst sehen, daß mein Mann ein ordentlicher und rechter Kerl ist. Vielleicht kommst du morgen früh einmal zu mir, um die Kalebasse wieder zu holen, die du mir jetzt leihen kannst." Also ist die Sache sehr einfach. Am anderen Morgen kommt die willige Frau. Sie durchschreitet das Gehöft mit fröhlichem Geplauder. Sie fordert die gestern geliehene Kalebasse zurück oder aber sie bittet um etwas Salz, erkundigt sich nach einem Kochrezept usw. usw. Mittlerweile betritt sie mit der Frau des tändellustigen Mannes eine Hütte, der Ehemann kommt dazu oder aber weilt schon darin. Die Ehefrau entfernt sich für einige Augenblicke, um irgend etwas zum "Zeigen" zu holen, und dehnt diesen Augenblick sicher so lange aus, bis die beiden da drinnen ihr Lüstchen gekühlt haben. Wenn sie wiederkommt, sitzen Ehemann und Freundin harmlos auf dem Bettrand. Die Frau begleitet die Freundin noch hinaus, und wenn die beiden Frauen gemeinsam über den Markt gehen, dann besprechen sie unter Kichern die Eigenarten der verschiedenen Gatten. Aber die Welt hat nichts gemerkt, und die heimkehrende Ehefrau, die so glänzend ihre Eifersuchtslosigkeit bewiesen hat, wird von dem Ehemann irgendeine hübsche Perle, ein Kopftuch oder dergleichen als Geschenk erhalten können, während die bereitwillige Freundin sich mit der Erinnerung an genußreiche Stunden begnügen muß. — So berichten wenigstens die schmunzelnden Nupemänner. Und das alles beweist, daß in diesem merkwürdigen Lande die Herzen weit, die Triebe stark und alle Ventile des Gefühlslebens leicht und beweglich sind.

Bei alledem muß das Eheleben des nupeschen Bauern durchaus als glücklich bezeichnet werden. Alles geht hier seinen naturgemäßen Weg. Es herrscht Kinderreichtum, Gesundheit und-Frohsinn. Aber das Eheglück ist auch hier ungleich verteilt. Die Nupe behaupten, wichtig wäre es, wie die Frau sich zum Manne in den Tagen der Verehelichung verhalte und wie der erste Ehestreit verlaufe. Entweder verhaut er sie oder sie-ihn. im ersteren-Falle werde



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vermieden, daß sie allzuhäufig den Füchsen des Nachbargehöftes den Hühnerstall öffne, und das sei übel, aber es bestehe auch die Gefahr, daß er dem Biere und dem Liebesleben in der Außenwelt zuviel Kraft widme. Die nupeschen Ehephilosophen sind sich darüber völlig einig, daß eine allzu große Schwäche des Weibes Gefahr bedeute, daß ein Pantoffel mit Holzhacken durchaus wünschenswert sei, daß es aber am besten sei, wenn jeder von beiden die Kraft des anderen gehörig kenne, achte und ein wenig fürchte. Sie drücken das nicht gerade philosophisch aus, aber deutlich. Sie kennen jedenfalls alle Gefahren des Ehelebens, das auf diesem eigenartigen Kraftmaß sich aufbaut. Und wenn sie auch nicht alles und jedes bewußt durchdenken, so ging doch aus dem häufigen Zwiegespräch mit meinen Nupefreunden ungemein deutlich hervor, daß sie diese Dinge für sehr wichtige Lebensfragen halten. Immer wieder kommen sie darauf zurück und mit manchem Beispiel suchten sie mir das zu beweisen, was ich hier als ihre Grundanschauung kurz zusammenzufassen versucht habe.

Nun die wirtschaftliche Grundlage des Ehelebens. Die Arbeit des jungen Ehepaares gliedert sich nach patriarchalischem Modus streng in das alte Gefüge des Gehöftsverbandes ein, in dem die junge Frau nun auch Aufnahme gefunden hat. In der Farmzeit arbeitet der junge Mann von 4-8 Uhr morgens auf eigener Farm, von 9-2 Uhr auf der des Vaters, von 2-6 Uhr wieder auf dem eigenen Besitztum. Der Tag wird also gründlich ausgenutzt und die Arbeit systematisch verteilt. Im allgemeinen herrscht auf dem Lande das Prinzip, daß die ganze Familie sich aus den Ergebnissen der Farmen des Familienvaters, die ja von allen Söhnen und Sklaven gleicherweise bebaut werden, lebt. Demnach gibt der Vater auch alltäglich das zum Leben notwendige Korn und den täglichen Jamsbedarf heraus. Aber die einzelnen Familienparallelen, die Familien der verheirateten Söhne, schaffen daneben noch eine Verbesserung und Vermehrung der Ernährungs- und Erhaltungssubstanzen. Wenn die Ernte abgeschlossen ist, zeigt der Sohn dem Vater all sein Erarbeitetes, und dann teilt er das Ganze in zwei Teile. Die eine Hälfte läßt er durch eine ältere Schwester oder einen älteren Bruder verkaufen, die andere verspeichert er aber und gibt davon seiner jungen Frau heraus, wenn er einmal eine besonders leckere oder reichliche Speise wünscht, wie sie die tägliche Ration aus Vaters genau bemessenem Familienbrotkorb nicht bieten kann.

Im allgemeinen lebte man in alter Zeit, auf dem flachen Lande jedenfalls, geradezu unglaublich billig. Man kannte allerdings in jener segensreichen Periode vor dem Fulbeeinfall nicht all die Schleckereien, die heute gang und gäbe sind, sondern war bescheiden in den Ansprüchen. Das Land muß ungemein menschenreich



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gewesen sein, und wie meist in Zeiten einfacher Lebensführung und starker Bevölkerung wurde entsprechend fleißig gearbeitet. In jener Zeit kostete, wie alle Leute noch von ihren Vätern wissen, eine ganze Kalebasse mit Korn nur 5 Kauri. Man konnte rechnen, daß ein erwachsener Mensch zur Ernährung per Monat nicht mehr als 1000 Kauri benötigte, das sind also ca. 35 Pfennig. Ein Webstoff, der heute nur für ca. 5-10 Mark, also etwa 20-30000 Kauri zu erstehen ist, kostete in jener guten alten Zeit nicht mehr als 100 Kauri. Denn jede Frau, jeder Mann verwebte in der Zeit zwischen den Farmarbeiten alle Baumwolle, die er auf den umfangreichen Feldern selbst gebaut hatte, auch selbst. In älterer Zeit lebte man - und die Eingeborenen begründen das mit dem billigen Leben und hohen Werte der kleinen Gelder -monogam. Auch Hochwohlhabende und Städter hatten damals nur 2 Frauen, und die Männer, die 3 oder gar 4 Frauen hatten, waren Berühmtheiten im Lande. Damals galt es aber als Pflicht reichgewordener Leute, den Minderbemittelten die Ausgaben der Verehelichung oder aber die Frau selbst zu schenken, woraus man ersieht, wie grundfest die Familienverbände damals zusammenhielten.

Die Stellung der Frauen in einer polygamen Ehe war und ist natürlich eine sehr verschiedene. Als Nama-daki wird die erste, als Jime-tu die zweite Frau bezeichnet. Die zweite Frau wird mit derselben Umständlichkeit wie die erste geheiratet, aber es versteht sich von selbst (nach allem bisher Berichteten), daß die erste Frau bei der Wahl der zweiten mit Rat und Tat zur Seite stand und daß die zweite Gattin sich der ersten in allen Dingen unbedingt unterordnen mußte. Außer diesen "echten", weil zeremoniell aus dem Zustande der Unberührtheit heraus geheirateten Gattinnen gab es noch die Jao-passi, das sind Frauen, die ererbt sind, oder Witwen, also solche, die aus anderem Familienverband übernommen in den eigenen eingegliedert sind. Mit ihrer Einreihung war keinerlei besondere Zeremonie verbunden. Auch gewannen sie nie gleiche Besitzoder Verfügungsrechte, gleiches Ansehen wie die "echten" Gattinnen. Auch dann nicht, wenn sie dem Gatten Kinder schenkten. — Andere Beischläferinnen gab es vordem auf dem Lande nicht, wohl aber in den Städten, wo ja überhaupt die familiären und sozialen Verhältnisse ganz andere waren.

Solange der Familienvater gesund, wohlauf und rüstig war, behielt er die Leitung des Familienbesitzes unbedingt in seinen Händen. Ich sah einige alte Männer, die ihren geschichtlichen Erinnerungen nach gut 8o Jahre alt waren, die ergrauende Söhne und Enkel und Urenkel in dem weitverzweigten Gehöft hatten. Sie dachten aber gar nicht daran, ihre Oberherrschaft aus den Händen zu geben. Allmorgendlich holte sich jeder der "Jungen" die Ration für den



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Tagesbedarf, ebenso der verheiratete Enkel usw. Erst wenn ein Hausvater so alt geworden ist, daß er nur noch ganz kümmerlich herumkriechen, jedenfalls nicht mehr zur Farm herausgehen kann - wenn der alte Mann damit sich begnügt, tagsüber in der Sonne zu sitzen und sich so über die mangelnde Körperwärme hinwegzutäuschen, erst dann - und auch dann wohl meist unter einem energischen Druck seiner Nachkommenschaft - faßt er den Entschluß, die Zentralleitung des Gehöftes und Wirtschaftslebens aufzugeben. Er ruft alle Familienmitglieder zusammen und hält eine Ansprache in folgendem Sinne: "Ich danke euch, daß ihr alle eure Arbeit immer so gut ausgeführt habt. Ich bin nun alt und kann nicht mehr auf die Felder gehen. Ich kann kein Fleisch mehr verzehren und keine Kolanüsse kauen. Ich will nun alle meine Farmen meinem Bruder (oder ältesten Sohne) geben. Der wird von jetzt ab für euch sorgen, wie ich bislang für euch gesorgt habe. Folgt ihm nun, wenn er euch auffordert, eure Arbeiten zu verrichten. Gehorcht ihm und glaubt ihm. Er hat alles von mir gelernt. Wenn ihr das tut, wird alles gut gehen." Damit geht dann die Leitung des Familienbetriebes auf den Bruder oder ältesten Sohn des alten Mannes über, und dessen erste Frau hat nun für den zurückgetretenen Vater zu sorgen.

Es bleibt noch übrig, eine Liste der Arbeitsteilung aufzustellen, wie sie auf dem Lande und in den Landstädten sich von selbst ergibt.

Männerarbeit: Frauenarbeit:
Farmarbeiten. Wasser- und Feuerholztragen.
Hausbau. Bereitung des Essens.
Schmiedehandwerk. Versorgung der Kinder.
Lederhandwerk. Einbringung von Feldfrüchten.
Schneiderhandwerk. Frisieren.
Flechten von Matten, Körben Töpferei.
und Türvorhängen. Spinnen.
Tabakspfeifentöpferei. Arbeit am Griffwebstuhl.
Holz- u. Kalebassenschnitzerei. Verkauf von Viktualien.
Arbeit am Trittwebstuhl.
Verkauf von Kleidern.

Naturgemäß ist die Ausbildung der Handwerke auf dem Lande verhältnismäßig schwach. Das meiste besorgt der Mann im eigenen Gehöfte. Nur der Schmied und die Töpferin nehmen eine abgesonderte Stellung ein. Dagegen hat die Organisation der Handwerke und Handwerker in den Städten Nupes, genau wie in den anderen alten Städten des Zentralsudans, eine sehr große Ausbildung erfahren, die z. B. in Bida fast genau dem tunesischen Arbeitssystem entspricht, wie es in Sugs ihre bekannteste Form gefunden hat. Aber über diese Ausbildung der Zünfte werden wir in einem besonderen Kapitel zu berichten haben.


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