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Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SCHELM IN ALEXANDRIEN UND DEM WACHTHAUPTMANN

Einst lebte in der Küstenfeste Alexandrien ein Wachthauptmann; der hieß Husâm ed-Dîn. Als der eines Nachts in seinem Amtszimmer saß, trat plötzlich ein Kriegersmann zu ihm und sprach: , Vernimm, Herr Wachthauptmann, ich bin heute abend in diese Stadt gekommen und im Chân Soundso abgestiegen. Dort schlief ich, bis ein Drittel der Nacht verstrichen war; und wie ich dann aufwachte, entdeckte ich, daß meine Satteltasche aufgeschnitten und aus ihr ein Beutel mit tausend Dinaren gestohlen war.' Kaum hatte er seine Worte beendet, da ließ der Hauptmann auch schon die Führer kommen und befahl ihnen, alle Leute, die in dem Chân waren, herbeizuholen und bis zum Morgen gefangen zu halten. Und als es Morgen ward, befahl



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er, die Folterwerkzeuge zu bringen; dann ließ er jene Leute vor den Krieger, dem das Geld gehörte, kommen und wollte sie züchtigen lassen. Aber plötzlich erschien ein Mann, der sich durch die Menge drängte, bis er vor dem Hauptmann stand. ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 342. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wachthauptmann die Leute züchtigen lassen wollte. Aber plötzlich erschien ein Mann, der sich durch die Menge drängte, bis er vor dem Hauptmann und dem Krieger stand. Dann rief er: ,O Emir, laß alle die Leute da los; sie sind unschuldig. Ich bin es, der das Geld dieses Kriegers weggenommen hat; hier ist auch der Beutel, den ich aus seiner Satteltasche herausgeholt habe.' Alsbald zog er den Beutel aus seinem Ärmel und legte ihn vor den Hauptmann und den Krieger hin. Da sagte der Hauptmann zum Krieger: ,Nimm dein Geld wieder an dich; du hast jetzt nichts mehr mit diesen Leuten zu tun!' Nun begannen die Leute aus dem Chân und alle anderen, die zugegen waren, jenen Mann zu preisen und zu segnen. Der Dieb aber sprach: ,O Emir, das ist keine Kunst, daß ich selbst zu dir komme und dir diesen Beutel überbringe. Die Geschicklichkeit liegt darin, daß ich dem Krieger diesen Beutel zum zweiten Male stehlen werde.' Der Hauptmann fragte: ,Wie hast du es denn angefangen, du Schelm, als du ihn zuerst stahlest?' ,O Emir,' gab er zur Antwort, ,ich stand gerade im Wechslerbasar zu Kairo, da sah ich diesen Krieger, wie er dies Gold wechselte und in den Beutel da tat. Ich folgte ihm von Gasse zu Gasse, aber ich fand keine Gelegenheit, ihm das Geld abzunehmen. Dann reiste er ab, ich ging hinter ihm her, von Ort zu Ort, und ich suchte ihn



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unterwegs zu überlisten; aber ich konnte ihn nicht berauben. Als er schließlich in diese Stadt kam, folgte ich ihm, bis er in dem Chân dort abstieg. Ich ließ mich in dem Raum neben ihm nieder und belauerte ihn, bis er einschlief und ich sein Schnarchen hörte. Alsbald schlich ich ganz leise zu ihm, schnitt die Satteltasche mit diesem Messer auf und nahm den Beutel da an mich.' Mit diesen Worten streckte er seine Hand aus und nahm den Beutel vor den Augen des Hauptmanns und des Kriegers. Da traten die beiden und all das andere Volk zurück, um ihm zuzuschauen; denn sie glaubten, er wolle ihnen zeigen, wie er den Beutel aus der Satteltasche genommen hätte. Er aber lief plötzlich auf und davon und warf sich in einen Teich. Da schrie der Hauptmann seine Mannschaft an: ,Lauft hinter ihm her! Springt ihm nach!' Aber ehe sie ihre Kleider ausgezogen hatten und die Stufen 'hinuntergesprungen waren, war der Schelm schon fort. Nun suchten sie ihn, fanden ihn aber nicht; denn die Gassen in Alexandrien gehen alle ineinander über. Als die Leute dann zurückkehrten, ohne daß sie den Dieb gefaßt hatten, sprach der Hauptmann zu dem Krieger: ,Du hast keine Ansprüche mehr auf diese Leute; du kennst nun deinen Schuldner. Du hast sogar dein Geld empfangen; aber du hast es nicht festgehalten.' Darauf ging der Krieger ohne sein Geld fort; und die Leute waren nun aus den Händen des Kriegers und des Wachthauptmanns befreit. All das geschah durch die Güte Allahs des Erhabenen.



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Und ferner wird erzählt


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