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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

1. Die Bildung der Quorrakultur

Zum Verständnis der großen Bedeutung der Quorrakultur ist es notwendig, sich den Gang der Entwicklung, gegenseitiger Beziehungen und Verbindungen der Kulturströmungen des nördlichen Afrika an der Hand einer Kartenskizze klarzumachen. Wir dürfen nämlich sehr wohl Afrika als ein Becken bezeichnen, das mit Kultur angefüllt ist, so wie ein Kessel in der Erdoberfläche von einem See oder von einem Meer. Atlantischer Ozean, Mittelmeer und Indischer Ozean stellen gewissermaßen die Gestade dieses Kulturbeckens dar. Dieses Kulturmeer nun weist verschiedene Strömungen auf, die wie im Meere durch charakteristische Einmündungen, Richtungstendenzen und Ausklingen resp. Verlaufen geregelt sind.

Drei verschiedene Strömungen sind es, die die Kulturbewegung des größeren nördlichen Teiles von Afrika entscheidend beeinflussen.* Die erste setzte ein im nordöstlichen Afrika, etwa in Abessinien. Wir nennen sie die norderythräische Kultur. Auf diesem Strome glitt die Vorherrschaft einer islamischen Sekte, die Völkergruppe der sog. Schoa, das sudanische Staatswesen mit Erzbeamtentum und anderes mehr. — Die zweite Strömung, die syrtische, drückt von Norden herein, in alter Zeit vielleicht besonders von



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Klein-Afrika aus, später mehr östlich einmündend von den Syrteri her. Auf dieser Bahn glitten Bardentum und Ritterschaft als schicksalsbestimmende Kräfte, eine andere Form des Islam, die Fulbestämme usw. in den Sudan. — Zum dritten endlich drängte vorn Westen, vom Atlantischen Ozean her (daher atlantische genannt), eine tragende Welle gegen das Inland vor, die in alter Zeit einen vollausgebildeten, mythenreichen Polytheismus, eine streng gegliederte Theokratie (vgl. Atlantis Bd. IX) und allerhand hohe Kunst und Technik in das Kulturbecken Afrika trug.

Das Wesen der drei Strömungen ist ein naturnotwendig sehr verschiedenes. Die lange Bahn der norderythräischen Strömung verlieh allem auf ihr Hinziehenden etwas Zähes, besonders charakteristisch Afrikanisches, Langauswirkendes. Der Strom durch die Sahara bot Erziehung zu harter Männlichkeit, unbeugsamen Willen im Daseinskampf, Nerven- und Lebensstärke. Die Welle vom Atlantischen Ozean endlich kam durch verweichlichende Luft, war überall zu kurz, um in die Brandung tief herab- und hereinschlagen zu können und brach sich überall vorzeitig am Widerstand der Ströme von Norden und Osten.

Sie alle drei aber trugen lebendige, wurzelfähige und triebkräftige Kultur.

Sie alle drei wurden für die Afrikaner wieder und wieder geschichtsbestimmend.

Sie alle drei sind hier für uns deshalb so ungemein wichtig, weil sie - eine wie die andere - einem ganz bestimmten Gebiet zuzielten, nämlich dem der Quorraländer. Die Quorraländer sind immer wieder das Sammelbecken der drei großen nordafrikanischen Kulturströme geworden. Sie selbst, die Quorraländer, aber strahlten ihrerseits dann wieder aus dem lebendigen Reichtum einer merkwürdig stilkiar und harmonisch gediehenen Lebenskraft nach allen Richtungen Willen zur Ausdehnung und Entwicklung, Vertiefung und Erhöhung, Erweiterung und Zusammenfassung, Verfeinerung und Verklärung aus. Aus drei Richtungen drangen sicherlich mehrmals typische Kultureinheiten in dieses wahre Herz Afrikas. Aber immer wieder assimilierte die Genialität der Quorralandschaft das zunächst sinnlich wie seelisch Fremde. Immer wieder ist hier eine neue Einheit entstanden.

Wer die typische Wesenheit der norderythräischen Kultur finden will, darf sie nur im Osten des Tsadsees zu finden hoffen. Das eigentlich Syrtische lebte lediglich in den Djalibaländern, das typisch Atlantische ist allein an der Westküste erhalten. Im Sammelbecken der Quorraländer zeigt sich überall und in allem das Umgebildete, Verbundene, Zusammengefaßte, das aus solchen Vorgängen wieder geborene Neutypische und im Neutypischen Lebensverstärkte.



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Das so in den näheren und weiteren Quorraländern Entstandene war seit alters staatsformend und geschichtsentscheidend. Enge des Kernes und Weite der Schale hat aber im Laufe der Zeit stark geschwankt. Für unseren Blick bestimmend erscheint das den ersten Entdeckern sichtlich bekannt Gewordene. Und doch war dieses nur Lebenssinn einer Eintagsfliege. Die Tiefe und Größe der Vergangenheit, d. h. der ganze Bau der vollendeten Quorrakultur wurde nur noch durch den letzten Strahl einer untergehenden Sonne beschienen und erschien den stark geblendeten Europäern wie islamisches Jungvolk, arabische Außenphrase. Sogar unser großer Heinrich Barth ließ sich durch solchen Schleier täuschen.

Heute erst erkennen wir ganz das Bedeutende der Quorrakultur.


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