Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON HARÜN ER-RASCHID. DER SKLAVIN UND ABU NUWÂS'

Der Kalif Harûn er-Raschîd, der Beherrscher der Gläubigen, war eines Nachts von quälender Unruhe geplagt und in trübe Gedanken versunken. Da stand er auf und wanderte in den Seitengängen seines Palastes umher, bis er zu einem Gemache



1000-und-1_Vol-03-299 Flip arpa

kam, vor dessen Eingang ein Vorhang hing. Er hob jenen Vorhang empor und sah am oberen Ende des Raumes ein Lager und auf jenem Lager etwas Schwarzes, das einem schlafenden Menschen glich; rechts davon brannte eine Kerze und links davon eine zweite. Während der Kalif noch voll Staunen dies Schauspiel ansah, erblickte er plötzlich einen Krug voll alten Weines und darüber den Becher. Als der Beherrscher der Gläubigen das bemerkte, erstaunte er noch mehr in seiner Seele, und er sprach: ,Gehört sich dergleichen für einen Schwarzen wie den daß' Darauf trat er näher an das Lager heran und sah, daß die Gestalt auf ihm eine schlafende Sklavin war, die ganz von der Fülle ihrer Haare bedeckt wurde. Nachdem er ihr Gesicht enthüllt hatte, erkannte er. daß sie dem Monde in der Nacht seiner Fülle glich. Dann goß er sich einen Becher von dem Weine voll und trank ihn aus auf die Rosen ihrer Wangen; und da sein Herz sich ihr zuneigte, so küßte er das Mal auf ihrem Antlitz. Sie erwachte und rief:

O Getreuer Gottes, was mag sein?

Er antwortete:

Nächtlich kehrt ein Wandrer bei euch ein,
Daß er Gast sei bis zum Morgenlicht!

Da sprach sie:

Ohr und Auge tun dir Gastespflicht.

Dann brachte sie den Wein, und sie tranken miteinander; und darauf griff sie zur Laute, stimmte ihre Saiten und spielte auf ihr einundzwanzig Weisen. Zuletzt kehrte sie zu der ersten Weise zurück, hub an zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Der Liebe Zunge spricht zu dir in meinem Innern;
Sie bringt von mir die Kunde, daß ich so lieb dich hab.
Ein Zeuge kündet klar mein übergroßes Leiden,
Mein wundes, banges Herz, das mir dein Abschied gab.



1000-und-1_Vol-03-300 Flip arpa

Ich konnte nicht verbergen, wie Liebe mich verzehrt,
Wie meine Tränen rinnen, wie meine Qual sich mehrt.
Ich wußte nichts von Liebe, eh ich dich lieb gewann;
Doch Gottes Ratschluß tritt an alle Welt heran.

Als sie ihr Lied beendet hatte, sprach sie: ,Mir ist Unrecht geschehen, o Beherrscher der Gläubigen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 339. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Sklavin sprach: ,Mir ist Unrecht geschehen, o Beherrscher der Gläubigen!' ,Weshalb denn,' fragte er, ,und wer hat dir Unrecht getane' Darauf erwiderte sie: ,Dein Sohn hat mich vor einer Weile um zehntausend Dirhems gekauft, und er wollte mich dir schenken. Aber da sandte ihm deine Gemahlin den genannten Preis und befahl ihm, mich in diesem Gemache von dir fernzuhalten.' Er sprach zu ihr: ,Erbitte dir eine Gnade von mir!' Als sie antwortete: ,Ich erbitte mir von dir die Gnade. daß du morgen nacht bei mir verweilest', sagte er: ,So Gott will', verließ sie und ging davon.

Als es nun Morgen ward, begab er sich in seinen Staatssaal und sandte nach Abu Nuwâs. Da aber der Bote ihn nicht fand, sandte er den Kammerherrn aus, um sich nach ihm zu erkundigen. Der fand ihn in einer Schenke, wo man ihn wegen einer Summe von tausend Dirhems, die er auf einen bartlosen Knaben verschwendet hatte, als Schuldner zurückhielt. Da fragte der Kammerherr ihn, was mit ihm sei, und jener erzählte ihm sein Erlebnis, wie es ihm mit dem schönen Knaben ergangen war und wie er die tausend Dirhems für ihn ausgegeben hatte. ,Zeig ihn mir,' hub nun der Kammerherr an, ,und wenn er es wert ist, so bist du entschuldigt!' Abu Nuwâs erwiderte:



1000-und-1_Vol-03-301 Flip arpa

,Warte, du wirst ihn alsbald sehen!' Während sie noch miteinander redeten, kam plötzlich der Jüngling und trat zu ihnen herein; er trug ein weißes Gewand, darunter ein rotes und unter dem ein schwarzes. Als Abu Nuwâs seiner gewahr wurde, stiegen die Seufzer in ihm empor, und er trug diese Verse vor:

Er zeigte sich in einem weißen Kleide
Mit einem Auge, das versonnen blickt.
Ich sprach: Du schrittest ohne Gruß vorüber,
Wo doch ein Gruß von dir mich hoch beglückt!
Preis Ihm, der deinen Wangen Rosen schenkte,
Der ungehindert schafft, was Er nur will!
Er sprach: Laß ab vom Reden! Mein Erschaffer
Macht alles herrlich; jeder fügt sich still.
Mein Kleid ist wie mein Antlitz, wie mein Glück -
Ist weiß in weiß und strahlet weiß zurück.

Als der Jüngling diese Worte vernommen hatte, legte er das weiße Gewand ab, so daß er in dem roten Kleide dastand. Und wie Abu Nuwâs ihn anblickte, begann er in noch größere Bewunderung auszubrechen und hub an diese Verse zusprechen:

Er zeigte sich im Anemonenkleide',
Gleichwie ein Feind, und doch ein Freund genannt.
Verwundert sprach ich drauf: Du bist ein Vollmond,
Du kommst, und wundersam ist dein Gewand.
Hat deiner Wangen Rot dich so gekleidet?
Hast du dein Kleid mit Herzensblut getränkt?
Er sprach: Die Sonne hat vor ihrem Scheiden
Mir ein Gewand aus Abendrot geschenkt.
Mein Kleid, der Wein und meiner Wange Schein
Ist rot in rot und nichts als rot allein.

Nachdem Abu Nuwâs auch diese Verse gesprochen hatte, legte der Jüngling das rote Gewand ab und stand nun in dem schwärzen



1000-und-1_Vol-03-302 Flip arpa

Kleide da.' Und wie der Dichter ihn erblickte, schaute er noch verlangender zu ihm empor, und er trug diese Verse vor:

Er zeigte sich in einem schwarzen Kleide;
Er nahte sich der Welt in dunkler Pracht.
Ich sprach: Du schrittest ohne Gruß vorüber,
Hast Feind und Neider schadenfroh gemacht.
Dein Kleid ist wie dein Haar und wie mein Glück -
Ist schwarz in schwarz und glänzet schwarz zurück.

Als der Kammerherr dies sah, wußte er, wie es um Abu Nuwâs stand, und daß er von Leidenschaft ergriffen war. So kehrte er denn zum Kaufen zurück und berichtete ihm davon. Der ließ alsbald tausend Dirhems bringen und befahl dem Kammerherrn, mit dem Gelde zu Abu Nuwâs zurückzukehren und es für ilm zu bezahlen, um ihn aus der Schuldhaft zu befreien. Da eilte der Kammerherr zu dem Dichter zurück, befreite ihn und begab sich mit ihm zum Kaufen. Und wie sie dort ankamen, sprach Harûn: ,Sing mir ein Lied, in dem die Worte vorkommen: O Getreuer Gottes, was mag seine' ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen!' gab er zur Antwort. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 340. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Nuwâs sagte: ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen!' Dann sprach er diese Verse:

Lange ward die Nacht in wacher Pein,
Müd der Leib und schwer die Sorge mein.
Ich stand auf und ging im Schloß umher
Rings durch die Gemächer kreuz und quer.



1000-und-1_Vol-03-303 Flip arpa

Und ich schaute -schwarz war die Gestalt -
Eine weiße Maid, vom Haar umwallt.
Ach, sie war des hellen Vollmonds Bild,
Wie ein Weidenzweig, von Scham verhüllt.
Und ich trank den Becher vor ihr, nahte mich,
Und das Mal auf ihrer Wange küßte ich.
Sie fuhr auf, in Traumverlorenheit,
Zitternd wie ein Zweig zur Regenzeit.
Dann begann sie mir ein Wort zu leihn:
O Getreuer Gottes, was mag sein?
Ich darauf Ein Gast klopft bei euch an,
Daß er bis zum Morgen weilen kann.
Und sie sprach: O Herr, ich zaudre nicht,
Ohr und Auge tun die Gastespflicht.

Da rief der Kalif: ,Allah strafe dich! Es ist ja, als ob du bei uns gewesen wärest!' Dann nahm er ihn bei der Hand und begab sich mit ihm zu der Sklavin. Als Abu Nuwâs sie, die ein blaues Gewand und einen blauen Schleier trug, erblickte, begann er in höchste Verwunderung auszubrechen, und er hub an diese Verse zu sprechen:

Sprich zu der Schönen in dem blauen Schleier:
Bei Allah. meine Seele du, erbarm dich mein!
Wenn die Geliebte den Geliebten peinigt,
So dringen aller Sehnsucht Seufzer auf ihn ein.
Bei deiner Schönheit, die in weißem Lichte strahlet,
Erbarm dich eines Herzens, das vor Liebe bricht.
Hab Mitleid mit ihm, hilf ihm in dem Liebeskummer,
Dem törichten Gerede der Menschen glaube nicht!

Als Abu Nuwâs diese Verse gesprochen hatte, setzte die Sklavin dem Kaufen den Wein vor. Dann nahm sie die Laute in die Hand, begann zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Willst andren du in Liebe gerecht sein, doch in Hörte
Mich bannen, daß der andre die Freud an dir genießt?



1000-und-1_Vol-03-304 Flip arpa

Gäb's einen Liebesrichter, so wollt ich dich verklagen
Bei ihm, auf daß in Recht er über mich beschließt.
Wenn du mich hinderst, mich zu deiner Tür zu wenden.
So will ich aus der Ferne dir meine Grüfte senden.

Darauf befahl der Beherrscher der Gläubigen, dem Abu Nuwâs so viel Wein zu geben, bis er seiner Sinne nicht mehr Herr war. Dann ließ er ihm noch einen Becher reichen; Abu Nuwâs trank einen Zug daraus und behielt ihn in der Hand. Nun befahl der Kalif der Sklavin, den Becher aus seiner Hand zu nehmen und zu verstecken; sie nahm ihm den Becher ab und verbarg ihn zwischen ihren Lenden. Darauf aber zückte der Kalif sein Schwert, stellte sich zu Häupten des Dichters auf und stach ihn mit der Schwertspitze. Jener erwachte alsbald, und wie er das gezückte Schwert in der Hand des Kaufen sah, da schwand der Rausch aus seinem Haupte. Dann sprach er-Raschîd zu ihm: ,Trage mir ein Lied vor und sage mir darin, wo dein Becher ist; sonst lasse ich dir den Kopf abschlagen!' Und Abu Nuwâs trug diese Verse vor:

Was ich sage, das ist seltsam:
Die Gazelle war der Dieb!
Sie stahl meines Weines Becher.
Als aus ihm ein Zug mir blieb.
Sie verbarg ihn an dein Orte,
Der das Herze mir betört.
Ihn nenn ich aus Furcht nicht, weil er
Dem Kalifen angehört.

Da rief der Beherrscher der Gläubigen: ,Allah strafe dich! Woher weißt du das? Aber wir wollen dein Wort gelten lassen.' Dann beschenkte er ihn mit einem Ehrengewande und tausend Dinaren; und Abu Nuwâs ging vergnügt von dannen.



1000-und-1_Vol-03-305 Flip arpa

Und ferner wird erzählt


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt