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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE ERZÄHLUNG VON DEM WESIR DES KÖNIGS JUNÂN

Wisse, o Dämon, in früheren Tagen, die weit in entschwundene Zeitalter ragen, herrschte ein König namens Junân über die Stadt Fârs im Lande Rumân. Er besaß Reichtum und Heere und gewaltiges Ansehen, und seine Wachen waren aus aller Herren Ländern; aber sein Leib war mit einem Aussatz behaftet, den weder Ärzte noch weise Männer zuheilen vermochten. Er trank Heiltränke und schluckte Pulver und brauchte Salben, aber nichts half ihm, und keiner unter der Schar der Ärzte konnte ihn von der Seuche befreien. Schließlich kam in die Stadt des Königs Junân ein berühmter weiser Mann, der hochbetagt war; der hieß der weise Dubân. Dieser Greis war belesen in den Büchern, griechischen, persischen, römischen, arabischen und syrischen: und er war erfahren in der Heilkunst und in der Sternenkunde, er kannte die Grundsätze ihrer Wissenschaft sowohl wie die Regeln ihrer Anwendung, zum Nutzen



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und zum Schaden; auch kannte er alle Pflanzen, Gräser und Kräuter, die schädlichen und die nützlichen; und er verstand die Philosophie, und er umfaßte den ganzen Bereich der ärztlichen und aller anderen Wissenschaften. Als nun dieser Weise in die Stadt gekommen war und nur wenige Tage erst in ihr verbracht hatte, da hörte er, wie der König mit dein Aussatz behaftet war, durch den Allah ihn heimgesucht hatte, und wie all die Ärzte und Männer der Wissenschaften ihn nicht hatten heilen können. Als dem Weisen dies berichtet war, blieb er eine Nacht in tiefen Gedanken sitzen; doch wie der Morgen sich einstellte und die Welt mit seinem Licht und Glanzerhellte, da zog er seine stattlichsten Kleider an, ging zum König Junân und küßte vor ihm den Boden; dann fichte er zum Himmel in schönster Rede um die Dauer seiner Macht und seines Glücks, und er gab sich zu erkennen und sprach: ,O König, ich vernahm von dem Leid, das dich durch das befiel, was an deinem Leibe ist; und wie sich soviele der Ärzte unvermögend zeigten, es zu bekämpfen. Siehe da, ich kann dich heilen, o König; und doch will ich dir keine Arznei zu trinken geben noch dich mit einer Salbe salben.' Als nun der König Junân seine Worte hörte, sprach er erstaunt zu ihm: ,Wie willst du das beginnen? Bei Allah, wenn du mich heilest, so will ich dich reich machen bis auf deine Kindeskinder und dich mit Gnaden überhäufen; und was immer du wünschest, soll dein sein, und du sollst mein Tischgenosse und mein Freund sein.' Dann verlieh der König ihm ein Ehrenkleid und andere Geschenke und fragte: ,Kannst du mich wirklich ohne Arznei und Salben von diesem Leiden heilen?' Und der Weise erwiderte: ,Ja, ich kann dich heilen.' Der König geriet in höchste Verwunderung und sagte: ,O Arzt, zu welcher Zeit soll dies sein, wovon du zu mir sprichst, und in wieviel Tagen soll es geschehen? Eile, mein Sohn!' Und Dubân



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erwiderte: ,Ich höre und gehorche; es soll morgen sein.' Damit ging er zur Stadt hinunter und mietete sich ein Haus in der Stadt, in das er seine Bücher und seine Arzneien und aromatischen Wurzeln brachte. Dann wählte er die nötigen Arzneien und Kräuter aus und stellte einen Schlegel her; den höhlte er aus und machte einen Griff daran, und dazu machte er einen Ball mit großer Kunst. Am nächsten Tage, als er alles hergerichtet und fertiggestellt hatte, ging er zum König; und er küßte vor ihm den Boden und hieß ihn hinausreiten zum Reitplatz, um dort mit dem Ball und dem Schlegel zu spielen. Ihn begleiteten die Emire, die Kammerherren, die Wesire und die Großen seines Reiches; und ehe die Gesellschaft sich auf den Reitplatz gesetzt hatte, trat der weise Dubân zum König, reichte ihm den Schlegel und sagte: ,Nimm diesen Schlegel und fasse ihn mit diesem Griffe an; so! Jetzt reite auf den Platz und lehne dich gut übers Pferd und schlage den Ball so lange, bis Hand und Körper dir feucht werden: dann wird die Arznei durch deine Handfläche dringen und deinen ganzen Leib durchziehen. Und wenn du genug gespielt hast und die Arznei in deinen Körper gedrungen ist, so kehre in dein Schloß zurück, geh dann ins Bad, wasch dich ganz ab und lege dich schlafen, so wirst du gesund werden; und damit Gott befohlen!' Da nahm König Junân dem Weisen den Schlegel ab und faßte ihn fest; dann bestieg er den Renner und schlug den Ball vor sich her und jagte ihm nach, bis er ihn erreichte, und dann schlug er wieder mit aller Kraft und hielt derweilen den Griff des Schlegels fest in seiner Hand; und er hörte nicht auf, den Ball zu treiben, hinter ihm herzujagen und wieder zu treiben, bis seine Hand und sein ganzer Körper feucht waren und die Arznei von dem Griffe aus eindrang. Da wußte der Weise, daß die Arznei seinen Leib durchzogen hatte, und er hieß ihn heimkehren zu seinem Schlosse



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und unverzüglich ins Bad gehen; so kehrte denn König Junân alsbald heim und gab Befehl, das Bad für ihn allein ganz frei zu machen. Da ward das Bad für ihn frei gemacht; die Diener liefen, und die Sklaven eilten, und sie legten dem König ein frisches Gewand zurecht. Er trat ins Bad und wusch sich lange und gründlich; dann zog er im Bade seine Kleider an, trat hinaus und ritt in seinen Palast, wo er sich zum Schlaf niederlegte. Solches geschah mit König Junân; der weise Dubân aber ging nach Hause und blieb dort die Nacht über; und als der Morgen kam, begab er sich in den Palast und bat um eine Audienz. Der König befahl, ihn einzulassen; und nachdem er eingetreten war, küßte er vor ihm den Boden und trug dann mit feierlicher Stimme folgende Verse auf den König vor:

Stolz hob die Tugend ihr Haupt, wardst du ihr Vater genannt;
Und nennte manie einen andren, er hätte sich abgewandt.
O Herr des Angesichtes, dessen strahlendes Licht
Selbst des widrigsten Schicksals tiefes Dunkel durchbricht,
Möge dein Antlitz leuchten und strahlen immerdar,
Wenn auch des Schicksals Antlitz immer unfreundlich war!
Du hast in deiner Huld mir solche Gaben beschert,
Wie sie die Regenwolke dem sandigen Hochland gewährt.
Du verschenktest dein Gut, wie der Tau in der Wüste fiel;
Und so bist du jetzund auf der Menschheit Höhe am Ziel.

Als nun der Weise geendet hatte, sprang der König schnell auf die Füße und fiel ihm um den Hals; und er hieß ihn an seiner Seite Platz nehmen und legte ihm die kostbarsten Ehrenkleider an; denn als der König das Bad verließ, hatte er seinen Leib betrachtet und keine Spur des Aussatzes mehr gefunden: seine Haut war sauber wie blankes Silber. Darob hatte er eine übergroße Freude gehabt, und seine Brust hatte sich gedehnt vor lauter Glückseligkeit. Als es dann heller Tag geworden, war er in seinen Staatssaal gegangen und hatte sich auf den



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Thron seiner Herrschaft gesetzt, und seine Kammerherren und die Großen seines Reiches waren hereingeströmt, und unter ihnen der weise Dubân. Wie er also den Weisen gehört, stand der König rasch auf, ihm zu Ehren, und ließ ihn an seiner Seite Platz nehmen; dann stellte man Tische auf mit den leckersten Speisen, und sie aßen gemeinsam; und der König ließ ihn den ganzen Tag nicht von der Seite. Am Abend aber gab er dem weisen Dubân zweitausend Goldstücke, außer den Ehrenkleidern und anderen Geschenken in Fülle; und er ließ ihn auf seinem eigenen Rosse nach Hause reiten. Aber der König war noch immer verwundert über seine Heilung und sagte: ,Dieser Mann behandelte meinen Leib von außen und salbte mich auch mit keinerlei Salbe; bei Allah, wahrlich, dies ist nichts anderes als höchste Weisheit! Einem solchen Manne gebührt Lohn und Auszeichnung, und ich will ihn zum Gefährten und Freund für den Rest meiner Tage nehmen.' So verbrachte König Junân die Nacht in Freude und Lust, weil sein Leib gesundet und er von seiner Krankheit befreit war. Am nächsten Morgen kam der König Junân und setzte sich auf seinen Thron; und die Großen seines Reiches umstanden ihn, und die Emire und Wesire setzten sich zu seiner rechten Hand und zu seiner linken. Da fragte er nach dem weisen Dubân, und dieser trat ein und küßte vor ihm den Boden; aber der König stand auf vor ihm und hieß ihn an seiner Seite Platz nehmen und aß mit ihm und wünschte ihm langes Leben. Und er gab ihm Ehrenkleider und Geschenke und hörte nicht auf, sich mit ihm zu unterhalten, bis die Nacht sich nahte. Da wies ihm der König als Lohn fünf Ehrenkleider und tausend Dinare an; und voller Dankbarkeit gegen den König kehrte der Weise in sein Haus zurück. Als nun der König sich am nächsten Morgen wieder in den Staatssaal begab, umringten ihn seine Emire und Wesire und Kammerherren.



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Unter seinen Wesiren aber hatte der König einen, häßlich anzuschauen, eine Erscheinung von schlimmer Vorbedeutung; der war schlecht, geizig, neidisch und voll bösen Willens. Und als dieser Wesir sah, wie der König dem weisen Dubân solche Gunst erwies und ihm all die Geschenke gab, wurde er eifersüchtig auf ihn und sann nach, wie er ihm schaden könnte; sagt doch ein Spruch: ,Neid lauert in jedem Leib'; und ein anderer: ,Gewalttat birgt sich in jeder Seele; die Macht zeigt sie, aber die Schwäche verschweigt sie.' So trat denn der Wesir vor den König Junân, küßte den Boden vor ihm und sagte: ,O mächtigster König des Zeitalters, du, unter dessen Wohltaten ich herangewachsen bin, ich habe dir gewichtigen Rat zu bieten, und hielte ich ihn zurück, so wär ich ein Bastard; wenn du mir also befiehlst, ihn kundzutun, so sage ich ihn dir alsbald.' Da sprach der König, den die Worte des Wesirs beunruhigten: ,Und welches ist dein Rat?' Jener darauf: ,O erhabener König, die Alten haben gesagt :Wer nicht das Ende bedenkt, hat nicht das Schicksal zum Freund; ich aber sehe den König auf unrechtem Wege; denn er ist huldvoll gegen seinen Feind, der es auf den Untergang seiner Herrschaft absieht; diesen Mann überhäuft er mit seiner Gunst und mit Ehrenbezeigungen ohne Grenzen und macht ihn zu seinem nächsten Vertrauten. Deshalb fürchte ich für des Königs Leben.' Der König, der sehr unruhig geworden war und die Farbe wechselte, fragte: ,Wen verdächtigst du, und auf wen spielst du an?' Und der Wesir erwiderte: ,Wenn du schläfst, so erwache; ich meine den weisen Dubân.' Da rief der König: ,Pfui! Das ist mein treuer Freund, der mir lieber ist als alle Menschen, weil er mich geheilt hat durch etwas, was ich in der Hand hielt, und mich von meiner Krankheit befreit hat, gegen die alle Ärzte nichts vermochten; ja, seinesgleichen ist in unseren Tagen nicht zu finden -weder



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im Abendlande noch im Morgenlande, nicht in der ganzen Welt! Und von einem solchen Mann sagst du so harte Dinge! Von heut an setze ich ihm ein Gehalt und Einkünfte fest, jeden Monat tausend Goldstücke; und wollte ich auch mein Reich mit ihm teilen, es wäre noch geringer Lohn. Ich muß wohl glauben, du sprichst so nur aus Neid, wie man mir vom König Sindibâd berichtet.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 5. Nacht anbrach, sagte ihre Schwester zu ihr: »Erzähle uns doch deine Geschichte zu Ende, wenn du nicht schläfrig bist«; und Schehrezâd fuhr fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Junân zu seinem Minister sagte: ,O Wesir, dich hat der Neid auf diesen Weisen gepackt, und du möchtest, daß er getötet werde; aber ich würde es nachher bereuen, genau wie König Sindibâd es bereute, daß er den Falken getötet hatte.' Da sprach der Wesir: ,Verzeih mir, o König unserer Zeit, wie war das?'

So begann der König


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