arpa Themen Datenbank: "Herodot, vorderer Orient um 500 v.ch.."


Erstes Buch. Klio.
I 162-167

Nach dessen Tode kam Harpagus als Nachfolger zur Führung des Heeres; er war von Geburt selbst ein Meder, welchen Astyages mit dem gottlosen Mahle bewirtet hatte, derselbe, der auch dem Cyrus zum Königtum verholfen hatte. [1] Dieser ward damals von Cyrus zum Feldherrn ernannt und suchte, als er nach Jonien gekommen war, die Städte durch Erdwälle einzunehmen; sowie er innerhalb der Mauern die Bewohner eingeschlossen hatte, ließ er Erdwälle gegen die Mauern aufführen und begann die Belagerung. Zuerst in Jonien griff er Phokäa an.


***
163.

Diese Phokäer waren die ersten unter den Hellenen, welche weite Schiffahrten gemacht haben: sie sind es, welche Adria [2] , Tyrrhemen, Iberien und Tartessus entdeckt haben; auch führten sie diese Seefahrten nicht mit runden [3] Schiffen aus, sondern mit Fünfzigruderern. Als sie nach Tartessus gekommen waren, wurden sie bei dem Könige der Tartessier, dessen Name Arganthonius [4] war beliebt: daß man mit gerösteten Gerstenkörnern den Nacken des Tiere: welches geopfert werden sollte, bestreute.

dieser herrschte über Tartessus achtzig Jahre und lebte in allem hundertundzwanzig. Bei diesem Manne wurden die Phokäer so beliebt, daß er sie anfangs aufforderte, Jonien zu verlassen und in seinem Lande da, wo sie wollten, zu wohnen; nachher aber, als er die Phokäer dazu nicht bewegen konnte, aber durch sie von dem Wachstum des Meders [1] erfuhr, gab er ihnen Mittel, um ihre Stadt mit einer Mauer ringsherum zu versehen: er gab ihnen reichlich, denn der Umfang der Mauer beträgt nicht wenige Stadien, und dieselbe besteht ganz und gar aus großen, wohl zusammengefügten Quadern.


***
164.

Auf eine solche Weise kam die Mauer der Phokäer zu stande. Harpagus aber rückte heran und begann die Belagerung, wobei er ihnen erklärte, er würde zufrieden sein, wenn die Phokäer nur eine einzige Brustwehr der Mauer niederreißen und ein Gebäude (dem Könige) heiligen wollten. Die Phokäer, welche der Sklaverei durchaus abgeneigt waren, verlangten nur einen Tag Frist, um sich die Sache zu überlegen, dann wollten sie ihm antworten; während der Zeit ihrer Beratung aber sollte er sein Heer von der Mauer wegführen. Darauf erklärte Harpagus, er wisse wohl, was sie zu thun gedächten, aber dessenungeachtet wolle er ihnen gestatten, sich mit einander zu beraten. Während der Zeit nun, in welcher Harpagus sein Heer von der Mauer weggeführt hatte, zogen die Phokäer ihre Fünfzigruderer ins Wasser, brachten ihre Kinder, Weiber und alle Gerätschaften an Bord der Schiffe, außerdem auch die Götterbilder aus den Tempeln und alle Weihgeschenke, ausgenommen, was Erz oder Stein oder Malerei [2] war: alles übrige brachten sie in die Schiffe; stiegen dann selbst hinein und segelten ab in der Richtung nach Chios: das von Menschen verlassene Phokäa nahmen dann die Perser in Besitz.


***
165.

Als aber die Chier den Phokäern die sogenannten Önussischen [3] Inseln käuflich nicht überlassen wollten, aus Furcht, es

möchte daselbst ein Handelsplatz entstehen, und ihre eigene Insel dann vom Handel ausgeschlossen werden, so machten sich darauf die Phokäer auf den Weg nach Cyrnus. [1] Denn auf Cyrnus hatten sie zwanzig Jahre zuvor infolge eines Götterspruches eine Stadt aufgebaut, deren Namen war Alalia. Arganthonius war damals bereits gestorben. Auf dieser Fahrt nach Cyrnus schifften sie zuerst noch einmal nach Phokäa zurück und machten die persische Besatzung nieder, welcher von Harpagus die Bewachung der Stadt übergeben war. Hernach, als sie dieses ausgeführt hatten, legten sie gewaltige Schwüre auf denjenigen von ihnen, der von dem Zuge zurückbleiben würde, versenkten überdem einen Klumpen von Eisen [2] und verschwuren sich, nicht eher nach Phokäa zurückzukehren, als bis dieser Eisenklumpen wieder zum Vorschein gekommen wäre. Als sie nun von da nach Cyrnus weiter schiffen wollten, erfaßte über die Hälfte der Bürger ein Verlangen und ein Jammer nach ihrer Stadt und ihren Wohnsitzen, so daß sie des Eidschwures nicht achteten und zurück nach Phokäa schifften; der andere Teil von ihnen aber hielt seinen Eid und schiffte von den Önussen dann weiter fort.


***
166.

Als sie nach Cyrnus gekommen waren, wohnten sie gemeinsam mit den früher dort Angekommenen fünf Jahre lang und bauten Tempel auf. Weil sie aber fortwährend alle, die um sie herum wohnten, mit Raub und Plünderung heimsuchten, so zogen, infolge einer gemeinsamen Übereinkunft, die Tyrrhener und Karthager gegen sie aus, jedes Volk mit sechzig Schiffen. Die Phokäer bemannten ihrerseits auch ihre Schiffe, deren es sechzig an Zahl waren, und eilten ihnen entgegen in das sogenannte Sardonische [3] Meer, wo es

zu einer Seeschlacht kam, in welcher den Phokäern ein kadmeischer [1] Sieg zu teil ward. Denn vierzig ihrer Schiffe wurden zu grunde gerichtet und die zwanzig noch erhaltenen waren unbrauchbar, weil sie ihre Schnäbel verloren hatten. So schifften sie nach Alalia zurück, nahmen Kinder und Weiber und alles andere Besitztum, das die Schiffe zu fassen im stande waren, an Bord, verließen dann Cyrnus und steuerten gen Rhegium.


***
167.

Von der Mannschaft der zu grunde gegangenen Schiffe hatten die Karthager und Tyrrhener bei weitem den größeren Teil in ihre Gewalt bekommen, den sie dann abführten und steinigten. Hernach aber ward den Agylläern [2] alles, was an dieser Stelle, wo die gesteinigten Phokäer lagen, vorbeiging, verrenkt, verstümmelt und vom Schlage getroffen, auf gleiche Weise Kleinvieh, Jugvieh und Menschen. Da sendeten die Agylläer nach Delphi, weil sie die Sünde wieder gut machen wollten. Die Pythia gebot ihnen darauf das zu thun, was die Agylläer auch noch jetzt vollziehen: sie bringen nämlich den Phokäern große Totenopfer und feiern Turnspiele wie Wettkämpfe zu Roß. Dieser Teil der Phokäer erlitt also einen solchen Tod. Die- jenigen aber von ihnen, welche nach Rhegium geflohen waren, machten sich von da wieder auf und gründeten in dem önotrischen Lande die Stadt, welche jetzt Hyele [3] heißt; sie gründeten aber diese Stadt, nachdem sie von einem Manne aus Posidonia [4] erfahren hatten, daß die Pythia in ihrem Spruche, Cyrnus zu gründen, nicht die Insel, sondern den dortigen Heros gemeint habe. Also verhielt es sich mit der Stadt Phokäa in Jonien.