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Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

11.

Es war still und öde in diesem großen Gasthofe; Mitternacht war beinahe schon vorüber, die Lampen in den Gängen und Treppen brannten düster und trübe; es war dem Medizinalrat unheimlich zu Mute, als er zu dem einsamen Kranken hinanstieg. Der Lakai schloß die Türe auf, der Doktor trat ein, wäre aber beinahe wieder zurückgesunken. Denn ein Wesen, das seit einigen Tagen unablässig seine Phantasie im Wachen und im Schlafe beschäftigt hatte, saß hier wirklich und verkörpert im Bette. Es war ein großer, hagerer, ältlicher Mann; er hatte eine spitzig aufstehende, wollene Schlafmütze tief in die Stirne gezogen, seine enge Brust, seine langen, dünnen Arme waren mit Flanell überkleidet, unter der Mütze ragte eine große, spitzige Nase aus einem mageren, braungelben Gesichte hervor, das man schon tot und erstorben geglaubt hätte, wären es nicht ein Paar graue, stechende Augen gewesen, die ihm noch etwas Leben und einen schrecklichen, grauenerregenden Ausdruck gaben. Seine langen, dünnen Finger, die mit den hageren Gelenken weit aus den Ärmeln hervorragten, hatte er zusammengekrümmt; er kratzte mit heiserem, wahnsinnigem Lachen auf der Bettdecke.

"Schaut, er kratzt sich schon sein Grab!" flüsterte der kleine Mensch und weckte damit den Doktor aus seinem Hinstarren auf den Kranken. So, gerade so hatte sich dieser den Chevalier de Planta gedacht; dieses tückische, graue Auge, diese unheilverkündenden Züge, diese dürre, gespensterhafte Figur — es war hier alles, was die Sängerin von jenem schrecklichen Manne gesagt hatte. Doch er besann sich. Kam er denn nicht jetzt eben von der Verhaftung jenes Chevaliers? Konnte nicht ein anderer Mann auch graue Augen haben? War es zu verwundern, , daß ein Kranker abgefallen und bleich war? Der Doktor lachte sich selbst aus, fuhr mit der Hand über die Stirne, als wolle er diese Gedanken hinwegwischen, und trat an das Bett. Doch —selten noch hatte er in so langen Jahren am Bette eines Kranken Grauen und Furcht gefühlt — hier, es war ihm unerklärlich, hier befiel ihn eine Beengung, ein Schauer, die er umsonst abzuschütteln suchte, und er fuhr unwillkürlich zurück, als er die feuchte, kalte Hand in der seinigen fühlte, als er lange umsonst nach einem Puls suchte.



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"Der dumme Kerl," rief der Kranke mit heiserer Stimme, indem er bald Französisch, bald schlechtes Italienisch und gebrochenes Deutsch untereinander warf, "der dumme Kerl hat mir, glaube ich, einen Doktor gebracht. Sie werden mir verzeihen, ich habe nie viel von Ihrer Kunst gehalten. Das einzige, was mich heilen kann, sind die Bäder von Genua; ich habe der Bete schon befohlen, daß er mir Postpferde bestellt; ich werde heute nacht noch abfahren."

"Freilich wird er abfahren," murmelte der kleine Mensch; "aber mit sechs kohlschwarzen Rappen, und nicht nach Genua, wo der selige Fiesko ertrunken, sondern dahin, wo Heulen und Zähnklappem."

Der Doktor sah, daß hier wenig mehr zu machen sei; er glaubte die Vorzeichen des nahen Todes in den Augen, in den unruhigen Bewegungen des Kranken zu lesen, selbst jene Sehnsucht, zu reisen und hinaus ins weite zu kommen, war schon oft der Vorbote eines schnellen Endes gewesen. Erriet ihm daher, sich ruhig niederzulegen, und versprach, ihm einen kühlen Trank zu bereiten.

Der Kranke lachte grimmig. "Liegen, ruhig liegen?" antwortete er. "Wann ich liege, höre ich auf zu atmen ich muß sitzen, im Wagen muß ich sitzen, fort, weit fort! —Was sagt der kleine Menschl Hat er die Pferde bestellt? Kleiner Hund, hast du mein Gepäck in Ordnung ?"

"Ach, Herr und Vater!" krächzte der Kleine; "jetzt denkt er an sein Gepäck; ja, einen schweren Pack Sünden nimmt er mit, der Unmensch . Es ist nicht an den Himmel zu malen, was er geflucht und gotteslästerliche Reden geführt hat."

Der Medizinalrat faßte noch einmal die Hand des Kranken. Fassen Sie Vertrauen zu mir," sagte er; "vielleicht kann Ihnen die Kunst doch auch nützen; Ihr Diener sagte mir, es sei Ihnen eine Schußwunde wieder aufgegangen; lassen Sie mich untersuchen!" Murrend bequemte sich der Kranke dazu, er deutete auf seine Brust. Der Arzt nahm einen schlechtgemachten Verband weg; er fand — eine Stichwunde nahe am Herzen. — Sonderbar! es war dieselbe Größe, derselbe Ort, wie die Wunde der Sängerin.

"Das ist eine frische Wunde, ein Stick)! rief der Doktor und sah den Kranken mißtrauisch an. "Woher haben Sie diese Wunde?"

"Sie glauben wohl, ich habe mich geschlagen? Nein, beim Teufel! Ich hatte ein Messer in der Brusttasche, fiel eine Treppe herab und habe mich ein wenig geritzt,"

"Ein wenig geritzt!" dachte Lange. "Und doch wird er an dieser Wunde sterben.

Er hatte indessen Limonade bereitet und bot sie dem Kranken. Dieser führte sie mit unsicherer Hand zum Munde, sie schien ihn zu erquicken; er war einige Momente still und ruhig; doch als er sah, daß



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er einige Tropfen auf die Decke gegossen hatte, fing er an zu flucher und verlangte ein Schnupftuch. Der Lakai flog zu einem Koffer. schloß auf und brachte ein Tuch heraus — der Doktor sah hin, eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf — er sah wieder hin, es war dieselbe Farbe, derselbe Stoff, es war das Tuch, das man bei der Sänge- rin gefunden. Der kleine Mensch wollte es dem Kranken überreichen er Weß es zurück. "Gehe zu allen Teufeln, du Tier! Wie oft muß ich es sagen, Eau d'Héliotrope darauf!" Der Diener holte eine kleine Flasche hervor und besprengte das Tuch; ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer - es war dasselbe Parfüm, das jenes gefundene Tuch an sich getragen,

Der Medizinalrat bebte an allen Gliedern; es war kein Zweifel mehr, er hatte hier den Mörder der Sängerin Fiametti, er hatte den Chevalier de Planto vor sich; es war ein Hilfloser, ein Kranker, ein Sterbender, der hier im Bette saß; aber dem Doktor war es, als könne er alle Augenblicke aus dem Bette fahren und nach seiner Kehle greifen; er ergriff seinen Hut; es trieb ihn fort aus der Nähe des Schrecklichen.

Der kleine Lakai packte ihn am Rocke, als er ihn gehen sah. "Ach, Wohledler!" stöhnte er. "Sie werden mich doch nicht bei ihm allein lassen wollen? Ich halte es nicht aus, wenn er jetzt stürbe und dann sogleich als flanellenes Gespenst mit der Zipfelmütze auf dem Schädel im Zimmer auf und ab spazierte! Um Gottes Barmherzigkeit willen, verlassen Sie mich nicht!"

Der Kranke grinste fürchterlich und lachte und fluchte untereinander; er schien dein Kleinen zu Hilfe kommen zu wollen, er streckte ein langes, dürres Bein aus dem Bette, er krallte die dünnen Finger nach dem Doktor. Doch dieser hielt es nicht mehr aus. Er warf den Kleinen zurück und floh aus dem Zimmer; noch auf den untersten Treppen hörte er das gräßliche Lachen des Mörders.