Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[905]

Bullinger an
[eine Ratskommission]
[Zürich,
kurz nach 24. Oktober 1536]

Autograph: Zürich StA, E I 30, 61, Nr. 5 (ohne Siegel) Ungedruckt

Bittet die Beauftragten des Rates, bei der Verhandlung über eine Besserstellung bedürftiger Zürcher Pfarrer auch Dietrich [Wanner] in Horgen zu berücksichtigen; dieser hatte sich nicht gemeldet, als [im Mai 1536]eine Eingabe an den Rat gemacht wurde.

alls vor ettlichen moneten a dises 1536. jars alle pfarrer, die nitt iro narung gentzlich gehept, mitt gschrifftlicher b ynlegung sich c becklagt 3 und min g[nedig] herren zum trüwlichisten gepättenn und vermanet, sy vätterlich und nach notturfft zu betrachten, hatt sich herr Dietrych 4 , zu Horgen pfarrer, nitt

a in der Vorlage monten.
b in der Vorlage gschrifflicher.
c sich am Rande nachgetragen.
1 Adressat waren wohl die Rechenherren Heinrich Walder, Johannes Haab, Konrad Escher, Itelhans Thumysen, Jörg Müller Hans Lütpold Grebel und Konrad Rollenbutz, die am 9. Januar 1537 den Beschluß faßten, Pfarrer Wanner aus dem Fraumünsteramt 15 Stuck zukommen zu lassen, bis durch den Tod des ehemaligen Pfarrers in Horgen, Ludwig [Bosan], weitere Mittel frei würden (s. unten Anm. e sowie Zürich StA, E I 12. 1, Fasz. 1, Nr. 8; vgl. auch oben Nr. 822 mit Anm. 4).
2 Das vorliegende Schreiben, mit dem Bullinger Dietrich Wanner als bedürftigen Pfarrer nachmeldete, dürfte nicht sehr lange vor dem Beschluß vom 9. Januar 1537, in dem Wanner als unterstützungswürdig aufgeführt wurde (vgl. Anm. 1), aber noch 1536 (vgl. Z. 1: "dises 1536. jars") abgefaßt worden sein. Seit der Einreichung der Liste der notleidenden Pfarrer am 18. Mai 1536 (vgl. oben Nr. 822) waren aber bereits einige Monate vergangen (vgl. Z. 1f). Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Bullinger die Informationen über Wanner auf der Herbstsynode, am 24. Oktober 1536, erhalten.
3 Vgl. Anm. 2.
4 Dietrich Wanner (Vannius), aus Weesen (Kt. St. Gallen), gest. 1550, war nach semen Studien in Basel - er immatrikulierte
sich 1513 (vgl. Basel, Matrikel I 317, Nr. 6) — von 1515 an vorerst im Schul-, dann im Kirchendienst in Solothurn tätig (vgl. Schmid, Kirchensätze 33. 306). Bereits im Jahre 1521 wurde er als Vikar dem zwinglifeindlichen Horgener Pfarrer Ludwig Bosan beigegeben, 1524 erscheint er als Pfarrer in Witikon, und von 1525 bis 1549 war er wieder Pfarrer in Horgen (beide Kt. Zürich). Sein Briefwechsel mit Bonifacius Amerbach über die Rückzahlung eines kleinen Darlehens veranschaulicht die dürftigen Lebensumstände, in denen er sich bis zum Jahre 1537 befand. Die Herbstsynode 1549 beschloß, den seit längerer Zeit bettlägrigen Wanner zu ersetzen (Zürich StA. E II 1, 356). Er wurde aus den Mitteln der Obrigkeit unterstützt und starb zu Beginn des Jahres 1550 in der Stadt (vgl. Zürich Stadtarchiv, VIII C 48; Bächtold, Bullinger vor dem Rat 177. 297). Wanner war als guter Musiker und als Freund Leo Juds bekannt. Er begann 1545 ein Taufbuch zu fuhren (vgl. Zürich StA, E III 58. 1, [1]-67) und hinterließ eine siebenbändige Nachschrift von Vorlesungen Biblianders zum Alten Testament (Zürich ZB, Ms Z V 823-829). — Lit.: Amerbach, Korr. III 494-496. 507. IV 28f. 335. V 59; Else Gutknecht, Eine Nachschrift von Biblianders Bibelvorlesungen, in: Zwa IV/5, 1923, S. 154; Paul Kläui, Geschichte der Gemeinde Horgen, Horgen 1952, S. 172-174. 180f. 193f; Pfarrerbuch 596;

ercklagt. Nitt das er nitt mangel habe, sunder das er sich höuschens 5 geschempt und minen herren nitt gernn überlägen ist 6 . Diewyl aber eerend d personen und lüt, die sins wäsens 7 ein gut wüssen tragend, anzeygend, das er wol hilff und besserung bedörffe, diewyl inn kind zu eerb angefallen 8 , ouch an einer gängen 9 stras sitze und vil überfals 10 habe, bin ich durch die selben bewegt, disen handel den verordneten über diß sachen 11 zu erscheinen 12 . Und bitten üch, min gnädig, lieb herren, ir wöllind den frommen, redlichen man üch befolhen haben. Dann er trüw inn allwäg und wärt ist, dem geholffen werde.

U[wer]w[yßheit]underthäniger

Heinrych

Bullinger e .

[Auf der Rückseite:] Von herr Dietrychs von Horgen wägen.

d vor eeren gestrichenes durch.
e Am unteren Blattrand von der Hand eines Schreibers: 15 stugk unntz uff abgang herren Ludwigs.
Gordon, Discipline 273; HBLS VII 416; Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550, hg. v. Peter Ochsenbein et al., Bd. III (Text), bearb. y• Beat Matthias von Scarpatetti et al., Dietikon-Zürich 1991, S. 313.
5 des Bettelns, Erbittens (SI II 1754f).
6 zur Last fallt (SI III 1208f).
7 über seine Lebensumstände, persönlichen
Verhältnisse (Grimm XIV/I 2 531f).
8 Wanner habe einige Kinder seines verstorbenen Schwagers zu unterhalten, so daß seine Familie sieben Köpfe zähle, hielten ihm die Rechenherren (vgl. Anm. 1) zugute. Über die Personen in seinem Haushalt vgl. auch Amerbach, Korr. III 495, 24f. IV 29, 25f mit Anm. 2; HBBW V, S. 454, Anm. 5, und Zürich StA, E I 30. 61, Nr. 3.
9 vielbegangenen (vgl. SI II 355f).
10 Zudrang [von Bedürftigen, Bettlern] (SI I 737).
11 Vgl. Anm. 1.
12 darzulegen (SI VIII 795f).