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Kapitel 

[756]

Thomas Blarer an
Bullinger
Konstanz,
3. März 1536

Autograph: Zürich StA, E II 357, 17f (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW I 785f

Schreibt deutsch um der Deutlichkeit willen. Sowohl die Domherren als auch die Stadt Konstanz beanspruchen die jährliche Grundrente von 12 Gulden auf einen Kornzehnten in Kloten; der Zürcher Rat hat nun für Hans Konrad Escher, der den Zins aufbringen muss, im Falle einer Zahlung an die Stadt Konstanz Sicherheiten verlangt, die nicht üblich sind. Bullinger soll in Erfahrung bringen, ob sich ein Prozess gegen das Domkapitel lohnen würde, auch wenn sich die Originalurkunden bereits vor Jahren, als [Jakob] Grebel diesen nachfragte, nicht mehr beibringen liessen. Bittet um diskrete Nachforschungen bei Vertrauenspersonen. Der Bote wird wieder nach Konstanz zurückkehren.

S. Scribam Germanice, ne vocabulorum defectus negocium obscuret.

Es hebt sich, gunstiger, lieber herr Bullinger, ain spann#1 ettlicher gult 2 halb, welche die thomherren von Costenz ain parthy und mine herren alß verwalter der fabric 3 ald 4 kirchenbuws hie im munster der ander tail vermainend 5 intzeziechen. Ist jerlicher guldt zwölff a gold guldin, gemelter fabric zugehorig, welche gegrundt ist uff ainen kornzehenden zu Clotha 6 nechst by Zurch, und zinssers Hans Conratt Escher 7 den merertail und ettlicher zu Clinga 8 by

a vor zwölff gestrichenes hu.
1 Streit (SI X 279-285). —Vgl. die gründliche, aber auf unvollständigem Material beruhende Behandlung dieses Streitfalles (unter Einbezug des vorliegenden Briefes) bei Ekkehart Fabian, Ein Konstanzer Reformationsprozess vor dem Zürcher Rat zwischen Kirche, Politik und Recht 1525/1535-1538/1546, in: FS Karl Siegfried Bader. Rechtsgeschichte, Rechtssprache, Rechtsarchäologie, rechtliche Volkskunde, hg. v. F. Elsener und W. H. Ruoff, Zürich und Köln/Graz 1965, S. 121-148. Vgl. auch die Antwort Bullingers an Thomas Blarer, unten Nr. 757.
2 Grundrenten, Abgaben (SI II 285f; DRW IV 1256-1260).
3 Gebäude, Vermögensmasse (SI I 636; DRW III 341).
4 oder.
5 sich für berechtigt halten (SI IV 312).
6 Kloten (Kt. Zürich).
7 Hans Konrad Escher, 1506-1572, aus dem adeligen Zürcher Geschlecht der Escher vom Luchs stammend (von 1536/37 an Gerichtsherr zu Uitikon; vgl. Louis Kägi, Uitikon. Aus der Vergangenheit eines Zürcher Dorfes, Uitikon 1975, S. 48), wurde im Jahr 1526 Mitglied des Großen, 1529 des Kleinen Rates, dem er bis zu seinem Tode angehörte. Escher - von Bullinger 1544 als "vir certe bonus et nostri amans" bezeichnet (Vadian BW VI 304) — war durch geschäftliche wie verwandtschaftliche Beziehungen mit der Ostschweiz und mit Konstanz verbunden; im Jahre 1526 hatte er Dorothea Grebel, eine Tochter Jakobs, geheiratet und war so mit Vadian, welcher deren Schwester

Zurzach och b ettwas an berurten 12 fl. Solchen zinß habent nach usstrettung 9 unserer c pfaffhait 10 baid tail ingezogen, namlich nach dem Capler krieg 11 ain statt Costentz, davor aber und sydhär dem nechsten krieg 12 habents die jhensid sees 13 intzogen; doch stond die nechst 14 verfallnen zwen zinß uss, welche wier an den Escher guttlich d erfordt haben. Der hatt sich uff ain e[rsamen] rat zu Zurch gelendt 15 , die habent minen herren, ainem rat hie e , gschriben 16 , das sich der Escher empiet 17 , er welle f die g här richten 18 doch das im mine herren versicherung geben, so er durch ander ersucht wurd, nitt zu schaden komm, und das wier in im selbigen schaden vertretten sölltend 19 . Habent unß och anzögt, das die stiffts herren sölche zinß vermainent inzeziechen, deshalb mier sy sollent antwurt wissen lassen. Es ist aber nitt bruchlich, solch schadlossbryff 20 ze geben, dann es möcht unß verfuren 21 und erst in spenn pringen. Aber ainer gewonlichen quittung halb mag man sich nitt sperren, sunst ist sorg, der Escher und sine mittverwandten 22 wurdent onersucht h23 von thomherren nitt pliben.

b vor och gestrichenes den andern.
c unserer über der Zeile nachgetragen für gestrichenes der.
d guttlich am Rande nachgetragen.
e hie über der Zeile nachgetragen.
f welle über der Zeile nachgetragen für welchs, das vorerst noch zu well korrigiert wurde.
g die am Rande nachgetragen.
h vor onersucht gestrichenes so.
Martha zur Frau hatte, verschwägert. Auch seine politische Tatigkeit erstreckte sich in die Ostschweiz: Bereits im November und Dezember 1531 war er als Verweser für den am Gubel gefallenen St. Galler Schirmhauptmann Jakob Frei eingesetzt (vgl. Kurt Spillmann, Zwingli und die zürcherische Politik gegenüber der Abtei St. Gallen, St. Gallen 1965. — MVG XLIV, S. 106f), und als Schirmhauptmann wird er auch in den Jahren 1540-1542, 1548-1550, 1564-1566 und 1572 genannt. Dazwischen amtete er immer wieder als Obervogt zu Fluntern (Zürich). Aus dem Briefwechsel mit Vadian sind noch mehrere Briefe erhalten; von einer eventuellen Korrespondenz mit Bullinger ist nichts überliefert. — Lit.: Vadian BW IV-VII Reg.; EA IV/1b-e und IV/2 Reg. (z. T. ungenau); Schnyder, Ratslisten 574; LL VI 430. VIII 119; Hans Georg Wirz, Zürcher Familienschicksale im Zeitalter Zwinglis, in: Zwa VI/10, 1938, S. 540f.
8 Klingnau (Kt. Aargau).
9 Auszug, Flucht (SI XIV 1478f).
10 Geistlichkeit, Klerus (SI V 1063f). — Das Domkapitel war 1526/27 im Gefolge der Reformation aus der Stadt Konstanz ausgezogen und hatte sich auf der andern Seeseite, in Überlingen, niedergelassen (vgl. Rublack, Konstanz 45f).
11 Gemeint ist der Erste Kappelerkrieg 1529.
12 seit dem letzten Krieg, d. h. dem Zweiten Kappelerkrieg von 1531 (vgl. auch Fabian, aaO, S. 124, Anm. 17).
13 diejenigen jenseits des Sees, d. h. die Domherren (vgl. oben Anm. 10).
14 zuletzt (SI IV 636).
15 gestützt (SI III 1309).
16 Zürich an Konstanz, 22. Febr. 1536 (vgl. Fabian, aaO, S. 129f). Konstanz antwortete bereits tags darauf, wollte aber nichts entscheiden, da die Pfleger abwesend waren (vgl. ebd., S. 130; Original: Zürich StA, A 205. 1, Nr. 156).
17 anerbiete (SI IV 1868f).
18 an uns kommen lassen (vgl. SI VI 376-379).
19 haften, für den Schaden einstehen sollten (SI XIV 1482).
20 schriftliches Versprechen, einen unvorhergesehen eintretenden Schaden zu ersetzen (SI V 465).
21 gefährden (SI I 982).
22 Mitbeteiligten (Grimm VI 2429).
23 unbehelligt (SI VII 222).

Dyß handels hab ich in gutem vertrauwen euch antzögen wellenn mitt pitt, wo ier das mitt komenlichait 24 thun köndtent, mier ze erfaren: So min herren rettig wurdent, uff den underpfanden ier recht ze suchen 25 und der zinssen, so usstönd i , rechticklich begären von wegen der fabric, welche bill[ich]k26 solten l alß zum kirchen buw m geordnette 27 gulten in n der ||18 statt belibenn o , ob wiers wider die inred der vermainten ansprach 28 , so die thomherren darzu habent und on zwiffel ins recht schön p dargeben 29 wurdent, mochtent erhalten 30 . Dann solts uns abgesprochen werden, alß mier unß doch q nitt versechent 31 , were es besser nitt angefangen. Es sind nitt hopt r bryff 32 vorhanden; dan es ain alt closterlechen ist, und hatt sich der Grebel 33 , so vormals gezinsst hat, vor s jaren beworben, das man in bryff ließ hören, warumb er den zinß gäb. Es ist aber kein hoptbryff vorhanden gwesst 34 .

Schrib ich alles von underrichts 35 wegen, und wie wol ain kunfftig urtail nitt gut ze erlernen 36 ist, so mogt ir danocht byloffig und so vil sich gepürt wol etwas beschaids finden by gut vertruwten personen. Desshalb an euch min pitt, ier welt euch des nitt beschweren 37 und in gehaim nachfrag haben und dann

i so usstönd am Rande nachgetragen.
k Wortteil fehlt wegen Beschädigung des Papierrandes.
l in der Vorlage solte.
m vor buw gestrichenes g.
n vor in gestrichenes belib.
o nach belibenn gestrichenes sölltend.
p vor schön gestrichenes da.
q doch über der Zeile nachgetragen.
r hopt am Rande nachgetragen.
s vor vor gestrichenes, nur teilweise lesbares ber[...]by.
24 ohne Mühe, unschwer (vgl. SI III 285).
25 gerichtliche Beurteilung zu verlangen (SI VI 253f).
26 richtigerweise (SI IV 1167).
27 bestimmte (SI I 440).
28 gegen den Einwand des vermeintlichen Anspruchs.
29 darstellen (SI II 93).
30 behaupten (SI II 1232).
31 was wir eigentlich nicht erwarten (SI VII 567f).
32 Originalurkunden (SI V 457).
33 Jakob Grebel, geb. um 1460, gest. 1526, aus einem alten Zürcher Junkergeschlecht stammend, war ein reicher Eisenhändler und einflussreicher Politiker. 1494 wurde er Mitglied des Großen Rates, von 1512 bis 1526 gehörte er dem Kleinen Rat an. Er versah zahlreiche politische Ämter - 1500-1504 und 1507-1510 war er z. B.
Landvogt von Grüningen (vgl. Dütsch, Landvogte 209), 1514-1522 jedes zweite Jahr Obervogt von Horgen und 1515-1518 Rechenherr - und war einer der meistbeschäftigten Ratsverordneten der Reformationszeit. Der kirchlichen Reformbewegung gegenüber verhielt er sich wohlwollend, beurteilte Sachfragen jedoch immer selbständig. Er pflegte freundschaftliche Beziehungen sowohl zu Zwingligegner Amgrüt wie auch zu seinem Schwiegersohn Vadian. In der Pensionenfrage blieb er in Opposition zu Zwingli. Auf dessen Betreiben hin wurde ihm 1526 wegen angeblichen Pensionenbezugs der Prozess gemacht, der am 30. Oktober mit der Hinrichtung des altgedienten Politikers endete. — Lit.: Jacob 84. 173-177 und Reg.; Fabian, Geheime Räte 514; [Carl Keller-Escher], Die Familie Grebel. Blätter aus ihrer Geschichte, gesammelt zur Erinnerung an die am 27. Oktober 1386 erfolgte Einbürgerung in Zürich. Für Freunde als Manuskript gedruckt, Frauenfeld [1884], S. 42-52.
34 Zum Rechtsverfahren zwischen Domkapitel und Jakob Grebel im Jahre 1525 vgl. Fabian, aaO, S. 123.
35 Information (SI VI 319f).
36 in Erfahrung zu bringen, abzuschätzen (SI III 1384).
37 die Mühe auf euch nehmen.

furderlich mier dasselbig zuschriben. Vernempt im besten, das ich euch mitt solchem bemug, es beschicht uß gutem vertruwen, und das 38 ich besser weg nitt haben mag. Sunst solt ich euwer vil grosser und mherere 39 geschefft damitt nitt hindern. Euch ze dienen, bin ich begierig.

Datum zu Costentz in yl —dyser bott 40 wurt wider här gon - 3. martii 1536. jar.

Thoma Blarer, e[uwer]g[uter] fründ.

[Adresse auf der Rückseite des folgenden Blattes:] Dem erwurdigen, wolgelerten hernn Hainrichen Bullinger, predicanten zu Zurch, minem gunstigen herren und liebenn frund. Zurch.