Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[433]

Bullinger an
Ulrich von Württemberg
Zürich,
4. September 1534

Autographes Konzept: Zürich StA, E II 338, 1370r.-1371v. Gedruckt: Kammerer 23f

Hat vor zwei Monaten eine Ermahnung an Herzog Ulrich geschickt [Nr. 407], die ihm nicht übergeben werden konnte, weshalb er sie ihm nochmals zusendet. Die Gegner der Wahrheit freuen sich darüber, daß die «Sakramentierer», womit die Anhänger der von Zwingli und Oekolampad vertretenen Abendmahlsauffassung gemeint sind, vom [Kaadener] Frieden ausgeschlossen sind, da deren Lehre im Reich nicht geduldet wird. Bullinger bedauert das, erhofft aber von Ulrich Besseres, um so mehr als Ambrosius Blarer berufen wurde, der dasselbe wie die Zürcher lehrt, und rechtfertigt deren Abendmahlsverständnis, indem er es in den Grundzügen zusammenfaßt. Bittet Ulrich, an der Wahrheit festzuhalten, und bietet seine Hilfe an.

Wiewol a ich berycht und eygentlich weyß, daß u[wer] f[ürstliche]g[naden] mines vermanens nitt notwendig, noch denocht hab ich guter vertruwter meynung vor zweyen monaten ein vermanung an u. f. g. geschryben 1 , die ouch überschickt, wiewol sy u. f. g. nitt überantwurt b , wie ich gehofft, one zwyfel uß gheiner untruw, sunder daß es sich vilicht sust nitt hatt, gschefften c und krieglicher unruwen halben, fügen wöllen 2 . Dieselben überschick ich nochmalens und bitt, u. f. g. wölle sy willicklich vernemmen. Dann was geneygten, underdienstigen 3 und getruwen willens zu u. f. g. wir, die das euangelion Jesu Christi predgend inn den stetten der Eydg[noßschaft] tragind, mitt was ernst wir ouch mittsampt unsern gemeynden für u. f. g. heyl, syg und wolfart zu gott geschruwen, was d fröuden wir ab u. f. g. syg 4 enpfangen , weist 5 , dem alle hertzen offen stond. Nun, so gott sin gnad und e barmhertzigheyt rychlich mitt u. f. g. geteylt, ||1370v. sind wir für und für in sorgen, daß nitt ettwan unser hoffnung 6 betrüpt werde, me durch der mißgönner 7 lyst 8 dann durch u. f. g. wüssen oder willen. Es wirt mitt besondern fröuden vonn den mißgünstigen der warheyt gerümpt, wie die sacramentierer

a darüber von Bullingers Hand: Copia des einen brieffs. Trotz dieser Bemerkung läßt die Gestaltung der Vorlage mit Einschüben und Korrekturen eher auf ein Konzept schließen.
b nach überantwurt gestrichen und verfertigt.
c vor gschefften gestrichen bottschafft.
d-e von was bis enpfangen am Rande nachgetragen.
1 Siehe oben Nr. 407.
2 Zur schwierigen Übermittlung des ersten Briefes s. oben S. 234, Anm. 2 und Wolfgang Mösel an Bullinger, 12. August 1534 (oben Nr. 423). Zur Übergabe des zweiten Briefes s. unten S. 313f, 5-7.
3 dienstbereiten (SI XIII 779f).
4 im Feldzug gegen Ferdinand I. zur Restitution Ulrichs als Herzog von Württemberg im Mai/Juni 1534.
5 weiß (derjenige).
6 Die Hoffnung, Ulrich leiste der Reformation im oberdeutsch-zwinglischen Geiste Vorschub, s. Bullinger an Philipp von Hessen, 4. Juli 1534 (oben Nr. 406).
7 Gemeint sind vor allem die Lutheraner.
8 Bullinger denkt wohl an die Anfang August von Schnepf und Blarer angenommene Konkordienformel (s. oben S. 279, Anm. 47. 2931, 6-39 u. ö.), von welcher er neuen Anlaß zu Streitigkeiten ums Abendmahl befürchtete (s. oben S. 292, 6-8).

f 9 , das ist wir, so der leer vonn g dem nachtmal Christi h anhengig, die von loblicher gedächtnüß H[uldrychen]Zwinglio und Jo[hannes] Oecolampadio uß heyliger geschrifft und allten leereren herfür tragen, uß dem fryden 10 geschlossen, allß 11 dero leer und wäsen imm heyligen rych nitt sölle geduldet werden 12 . Das unß nun hoch bedurte, wo daran ützid 13 sin söllte. Wir hoffend aber zu u. f. g., deßglich zu dem durchlüchtigen, gantz christlichen fürsten und h[erren], h[err]Philip[pen]lantg[rafen] ze H[essen], bessers, insonders so der hochgelert M. Amb[rosius] B[l]aurer, unser insonders geliepter bruder und mitarbeyter inn evang[elio] Christi, von u. f. g. berüft 14 und ze leeren i II 1371r. uffgestellt ist, der bißhar mitt unß und wir mitt imm einfalltiglich 15 , trüwlich und einmütig in disem und andern hendlen geleert, vonn dem u. f. g. ouch wol verstanden, was unser meynung, und daß wir die waren k gägenwirte [!] Christi imm nachtmol nitt verlougnend, ouch nie verlougnet habend, doch mitt dem underscheyd, daß alle fleyschliche gedancken hingelegt und alleß geistlich l , himelisch, inn anschowung und betrachtung deß gloubens 16 nach art der sacramenten verstanden werde, wie es ouch Augustinus und andere heylige lerer m verstanden 17 , die bekendt und gelert, das der angenommen, naturlich, endsam n 18 lyb Christi inn hymlen an o einem ort, hieniden aber ouch inn p betrachtung deß gloubens mitt sinen gnaden geistlich und krefftiglich q by uns sye 19 , daß dorumb er r mitt sinem lyb s nitt müsse vonn ort ze ort bewegt werden, der t ouch warlich imm geist und nitt fleyschlich geessen wirt vonn glöubigen, dann die unglöübigen

f nach sacramentierer gestrichen dardurch die.
g-h von vonn bis Christi am Rande nachgetragen.
i nach leeren gestrichen allß man glauplich sagt.
k waren am Rande nachgetragen.
l vor geistlich gestrichen warlich.
m heylige lerer am Rande nachgetragen.
n vor endsam gestrichen umbschryben.
o-p über gestrichenem und geistlich aber und inn krafft.
q geistlich und krefftiglich über gestrichenem hieniden.
r-s über gestrichenem sin angenommen fleysch.
t der über gestrichenem das.
9 Zu diesem Begriff s. noch oben S. 233, Anm. 14).
10 dem Friedensvertrag von Kaaden vom 29. Juni 1534.
11 als ob (SI I 199).
12 Zum Ausschluß der Zwinglianer aus dem Frieden s. oben S. 233, Anm. 14.
13 etwas.
14 Zur Berufung Blarers nach Stuttgart s. oben S. 284, 10f mit Anm. 11.279, 55-58.
15 einfach.
16 Bullinger folgte ganz der Theologie
Zwinglis; zum Begriff der «contemplatio fidei» s. Gottfried W. Locher, Grundzüge der Theologie Huldrych Zwinglis im Vergleich mit derjenigen Martin Luthers und Johannes Calvins, in: Zwa XII/8, 1967, S. 585-587.
17 Schon Oekolampad und Zwingli hatten in der Auseinandersetzung ums Abendmahl wiederholt die Kirchenväter zitiert, um zu beweisen, daß ihre Lehre nichts grundsätzlich Neues enthalte. Unter Hinweis auf Oekolampads 1525 in Basel erschienene Schrift «De genuina verborum domini: ‹Hoc est corpus meum› iuxta vetustissimos authores expositione liber» (Oekolampad-Bibliographie Nr. 113), in der die Abendmahlsauffassung der Kirchenväter ausführlich zur Sprache kommt, referiert Zwingli in «Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi» im Februar 1526 Äußerungen von Hieronymus, Ambrosius und Augustin, s. Z IV 852, 3-856, 6. Tertullian war ein weiterer Kronzeuge der Reformierten gegen Luther, s. HBBW III 30, 21-23. 32, 10-13 mit Anm. 6.
18 endlich, sterblich.
19 im Gegensatz zu Luthers Auffassung der Ubiquität.

das sacrament essend, aber nitt das, so durch das sacrament bedütet und fürgetragen wirt 20 .

Gnedigster fürst und herr, ich bitt u. f. g. umb gottes willen, sy wölle diß min schryben gnedencklich uffnemmen, bedencken und ze hertzen fassen, trüwlich ob der warheyt hallten u 21 , damitt dem rächten und waaren herfür geholffen, die nienen 22 verduncklet, warer gottesdienst gepflanzt, rächte und nütze studia gefürdert und aller superstition geweert werde. Wo sich noch bißhar die warheyt herfür v gethon un ||1371v. iro nitt stattlich, dappferlich w mitt grossem ernst nachkummen, hatt sy sich widerumb verloren mitt grossem schaden dero, die sy nitt ernstlich, volkommen, und wie es hört 23 , annamend. Gott wölle u. f. g in sinem willen, ze sinen eern und ze heyl der christenen gmeind trüwlich erhallten, daß sy x glich den frommen fürsten David, Ezechia, Josaphat und Josia handlend eewigs heyl und lob erlange. Was ich y aber darzu mitt z getrüwen diensten helffen, deßglych mitt leeren und schryben, ouch ernstlichem aa bitten zu gott, nützen bb möchte cc , will dd ich (weiß ouch, daß alle andere diener des worts by unß des früntlichen embietens 24 sind) ee alle zyt bereydt sin. Bittend, u. f. g. wölle unß befolhen haben umb der warheyt und deß herren Jesu willen, deß unwirdige, doch berüffte diener wir sind.

Datum Zürych, deß 4. septemb[ers] 1534.