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[384]

Dietrich Bitter
an Bullinger
[Köln],
25. Mai 1534

Autograph: Zürich StA, E II 361, 101 (Siegelspur) Gedruckt: Krafft 116f

Hat Bullingers Brief erhalten und verteidigt sich gegen die darin gemachten Vorwürfe, daß er zu wenig häufig schreibe und bisher nichts gegen die Messe verfaßt habe. Nachrichten über die Täufer in Münster, den Aufbruch ihrer Glaubensbrüder in Holland und die dortige Sekte [der Melchioriten]. Bitte um Vadians Epitome und um Nachrichten über den Kriegszug in Württemberg.

Mynen dienst moeglichs vlyß, lieber Henrice.

Uß gnaden des herrn sy myr frisch und gesunt. Das selbig erfrewt mich altzyt van dyr, dynem geliebten gemaehel 1 und anderen frunden zo erfaeren. Dyne brieb 2 sampt demghenen 3 , da abe sie meldong thoind, habe ich kortz nach oisteren diß jairs entfahen, in wilchen ich verschulter oirsachen neit unbillich gestraeft und bekeven 4 werde. Will dannoch mich damit etzlicher maeß, so ich eynigen geloeben 5 bey dyr habe, verschuldicht 6 haben, das ich im nest vergangnen vastelabent 7 brieb an dich gegebenn 8 mit eyns bisschoff boeden 9 van Costens, dairin eyn kleyn opusculum Rodolphi Agricole

1 Anna Bullinger, geb. Adlischwyler. - e und j stehen in Bitters niederdeutscher Rechtschreibung oft als Zeichen der Länge des vorangehenden Vokals.
2 Nicht erhalten.
3 demjenigen.
4 ausgescholten (Grimm I 1415).
5 Vertrauen, Glaubwürdigkeit.
6 entschuldigt (Grimm XII/I 1179).
7 Dienstag vor Aschermittwoch, 17. Februar 1534.
8 Nicht erhalten, da offenbar schon damals nicht bis zum Adressaten gelangt (s. Z. 12).
9 Der Bote des Bischofs Johannes von Lupfen ist unbekannt.

10 verfast 11 . Derselbig myr vestlich verheischt 12 hait, ouch darum geschenck van myr entphangen, dyr myne gering schryben ze behandigen. Mirck aber auß dynem schrieben, das sulchs neit gescheyn. Broeder Jacob 13 ist newlich bey myr gewesen; habe van im dyne gesuntheit und wailfart erfaeren, aber sonder briebe 14 laessen reysen, darum das ich offt van im geafft 15 bin und vergebes geschreben. Hywidder 16 machstu inreden 17 , myn verschuldung 18 sie nichts, warumb das ich neit gegen die miß 19 schriebe. Weyß neit, myn Henrice, was verhindernuß sulchs bißher hinderbleven 20 . Wils - gunt myr got lebens - verhaelen 21 und moeglichs vlyß besseren. Habe darum gedult, und wil neit dencken, dat sulchs verachtlich hinderlaessen 22 want 23 womit ich , dyr dienst ader willen bewysen mochte, byn ich geneigt. Mer, so ich dyr sonders neit weyß zo schryben ader zo schicken, bin ich get vertzochlich 24 , wills abestellen, sollt ich schoin neit mehr schrieben, dan a. b.

Myn Heinrice, by uns iß itzt nichts neuwes, dan das die widderdeuffer Monster in Westphaelen innehaben und aldae geweltlich thoben. Der bisschoff haets myt synem her krefftich umcingelt 25 . Wissen noch neit, wie es werden wil mit der oeverwynnog 26 . Die Hollender gelycher meynung 27 waeren hefftich uff der vart, etliche dusent, die 28 zo redden und zo schuttzen. Syn aber verhindert worden 29 . Ich hoer, das auch itzt under den Hollendern ein sect ist 30 , dey willen den komfftigen Messiam erwarden; laessen sich beschnyden. O herr, was ends sall syn dusser neuwer und seltzamer

10 Vielleicht meint Bitter Rudolf Agricolas «Epitome commentariorum dialecticae inventionis», die 1530 in Köln gedruckt worden war, s. Krafft, 116, Anm. 1.
11 inbegriffen (Grimm XII/I 310-312; SI I 1061f).
12 verheißen, versprochen (Grimm XII/I 554f).
13 Der wiederholt als Bote zwischen Köln und Zürich erwähnte Bruder Jakob ist nicht näher bekannt, s. HBBW II 104, 5. 254, 13.
14 ohne Brief.
15 zum besten gehabt, betrogen, enttäuscht (Grimm I 183).
16 Dagegen.
17 einwenden.
18 Entschuldigung (s. Anm. 6).
19 Messe.
20 aus welcher Verhinderung dies bisher unterblieben ist.
21 verschwinden lassen[?].
22 unterlassen worden ist.
23 denn (Grimm XIII 1864-1867).
24 in Verzug geraten.
25 Seit Ende Februar 1534 gab es eine Blockade der Stadt Münster in Westfalen. Die richtige Belagerung der Stadt kam erst im Mai zustande. Am 21. Mai begann die Beschießung.
Ein Sturmversuch am 25. Mai verlief erfolglos; zu den Einzelheiten s. Ludwig Keller, Geschichte der Wiedertäufer und ihres Reichs zu Münster, Münster 1880, S. 240-256.
26 Bezwingung, Überwindung.
27 gemeint sind holländische Täufer (s. Anm. 29).
28 die Täufer in Münster.
29 Der Aufbruch von mehreren tausend bewaffneten Täufern aus Holland, von denen man sich in Münster Hilfe erhoffte, fand vom 21. bis 25. März statt und wurde von den niederländischen Behörden aufgehalten. Die Anführer wurden hingerichtet, s. Keller, aaO, S. 162f; Deppermann 295.
30 Mit der Sekte meint Bitter sicher die holländischen Täufer, die nach ihrem wichtigsten Lehrer Melchior Hoffman Melchioriten genannt wurden. Besonders stark waren sie von apokalyptischen Hoffnungen bewegt und erwarteten bis 1535 eine radikale Weltwende. Wegen ihrer zunehmenden Aktivität seit Ende 1533 und ihren direkten Kontakten zu den Täufern in Münster machten sie viel von sich reden, s. Deppermann 278-295.

secten. Und geschuet sulchs allet underm schyn des evangelii. Gegenwordiger tzeiger 31 wirt dyr alle sachen beß vertzellen. Er ist mehr bey dyr gesyn.

Schick myr das opusculum Vadiani bey acta apostolorum gehoerich 32 , und gebuet myr wider, ist hyr etwas, das du gern hettes. Hiemit dem almechtigen befollen, der dich sampt dynem hueßgesind in gesuntheit beware.

Datum ylens uff maendach nae phingsten anno 34.

Diderich Bitter van Wipperfoird,

dyn gunstiger freund.

Die handelung des lantgrabens 33 und roemschen koenincks 34 im land von Wirtzburch 35 beger ich von dyr zo erfaeren, sampt der eidtgnossen anslegen und oebung 36 .

[Adresse auf der Rückseite:] Dem eirsamen, wailgeleirthen 37 mynem geliebthen freundt Henrico Bullingher, wonhafftzich zu Zuerich, zo handenn.