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[3090]

Joachim Vadian
an [Bullinger]
St. Gallen,
7. Dezember 1547

Autograph: Zürich StA, E II 351, 41f (Siegelspur) Druck: Vadian BW VI 682-685, Nr. 1597

[J] Vadian hat Bullingers Brief [nicht erhalten] empfangen und sich besonders über dessen letzten Abschnitt gefreut. Dort schrieb Bullinger, dass die Helvetier the [schon von alters her bestehenden] vagen Verträge [die sie einander verpflichten] keineswegs in Frage stellen, usw 2 und dass die noch bestehende Hoffnung, ihre Heimat doch noch [vor einem kaiserlichen

b Hier und unten Textverlust durch Beschädigung dec Paniers
14 Am 2. Dezember, in Nr. 3088,27-41.
15 Vgl. z.B. 2Kön 6, 15-23; 19, 35; 2Chr 20, 15-25; 32, 7-22.
16 Vgl. 2Thess 1, 12.
17 Vgl. 2Kor 12, 9.
18 Mt 28. 18.
19 Vgl. 1Tim 6, 15; Apk 17, 14; 19, 16.
20 . . Vgl. Ps 2, 10-12. - De via perire: venire in errorem; vgl. WA LV/2/1.1 43,15.
21 Vgl. z.B. 2 Sam 22, 48f; Ps 18 (Vuig. 17), 48f; Apk 19, 1f.
22 Röm 8, 37.
23 Der Teufel.
24 Vgl. Job 12, 31; 16, 33; sowie Apk 3, 21; 12, 10.
1 Dass Bullinger der Empfänger ist, ergibt sich aus dem Inhalt und aus dessen heutigem Standort.
2 Vgl. Nr. 3088,18-21. - Auf dem am 22. November begonnenen Tag konnten die Eidgenossen erneut keinen Kompromiss

Angriff] schützen zu können, durch nichts Besseres gestärkt und stimuliert werden kann als durch das Vertrauen in ihre Eintracht. Denn ohne diese zusammenschweißende Zuversicht nützt ihnen der Ruf bereits während dreier Jahrhunderte den Angriffen der Feinde durch ein beinahe unglaubliches Glück unversehrt standgehalten zu haben, nichts! -[2] Die anderen von Bullinger mitgeteilten Nachrichten erfuhr Vadian ebenfalls von einem Ratsgesandten [...]. Den St. Gallern wird vieles brieflich aus der Fremde zuteil. Davon will nun Vadian einiges berichten, auch wenn Bullinger schon etliches aus den Briefen seiner Freunde erfahren haben wird. - [3] Die Konstanzer sollen sich mit Kaiser Karl V. versöhnt und sich entschlossen haben, diesem den Fußfall zu leisten, 3 obwohl sie von ihm nicht die erbetenen Geleitbriefe erhalten haben. Dass sie sich den Eidgenossen gegenüber so zurückhaltend gezeigt haben, 4 erklärt sich wohl aus ihrer Überzeugung, dass die Eidgenossen angegriffen würden, und es ihnen demnach nicht dienlich wäre, sich diesen anzuschließen. Es ist doch ärgerlich, dass sie so wenig von den Eidgenossen halten, als ob sie schon wüssten, dass diese einem Angriff des Kaisers nicht standhalten würden! -[4] In Ulm sollen erfahrene Kriegsleute gesagt haben, dass die Unterwerfung der Schweizer dein Kaiser viel mehr Mühe bereiten wird als die der Reichsstände, dass jener jedoch davon nicht absehen und seinen Angriff besser als die früheren vorbereiten werde. -[5]Die Lindauer sollen durch eine wichtige Gesandtschaft einen inhaltlich unbekannten [kaiserlichen]Befehl erhalten haben. 5 König Ferdinand soll die Bregenzer und die Feldkircher dazu aufgefordert haben, sich zu rüsten und mit Vorräten einzudecken. Auch sollen einige Fähnlein dorthin geführt, etliche hochrangige Personen als deren Hauptleute ernannt und den Letzteren verschiedene Aufgaben zugewiesen worden sein. Wo und wozu, ist unbekannt. -[6] Der Kaiser soll schwer an der Gicht leiden und sich einige Tage nicht mehr gezeigt haben. 6 Die Stände sollen sich ihm gegenüber durch einen zweijährigen Bund verpflichtet haben, 7 was sehr bedauerlich ist! Doch es war zu erwarten, dass er trotz des ihm entgegengebrachten Widerstands seinen Willen durchsetzen würde. -[7]Der Bischof von Trient, Kardinal Cristoforo Madruzzo, ist in Rom angekommen und wurde von Papst Paul III. schlecht empfangen. 8 [Zwischen Kaiser und Papst]sei man sich allein darüber einig, dass das Konzil dazu dienen müsse, die Wahrheit auszutilgen. Doch wegen des [durch den Kaiser veranlassten]Mordes an dem pädophilen 9 Herzog von Piacenza, Pier Luigi Farnese, ist der Papst über den Kaiser sehr erzürnt, so dass es vermutlich zu einer fatalen Auseinandersetzung zwischen den beiden kommen wird. Man ist jedoch der Meinung, dass zu Lebzeiten des Kaisers der Papst Piacenza nicht mehr zurückerhalten wird, ja, dass er vielmehr der Gefahr ausgesetzt ist, ail seine Territorien in Italien zu verlieren, wenn er sich nicht dem Kaiser anschließt. -[8]Magdeburg soll den Kurfürsten Moritz von Sachsen angegriffen haben. Das soll diesen dazu veranlasst haben, Augsburg am 29. November, um sechs Uhr morgens, zu verlassen. 10

finden, der ihnen erlaubt hätte, dank einer gemeinsam nachgesprochenen Eidesformel (die in Rücksicht auf die protestantischen Orte auf jegliche Anrufung der Heiligen hätte verzichten müssen) ihre Treue zu den alten Bünden wieder zu bekunden und zu bekräftigen; s. EA IV/1d 895 zu n. Doch wie schon früher (s. HBBW XIX 42 und Anm. 202) beteuerten sie sich gegenseitige Treue.
3 Ein falsches Gerücht; vgl. Nr. 3088, Anm. 10; Nr. 3089,12-15; Nr. 3092,31- 34.
4 Vgl. Nr. 3062,34-50.
5 Siehe dazu Nr. 3092,27-31.
6 Vgl. Nr. 3092, Anm. 31.
7 Ein falsches Gerücht; vgl. schon Nr.
3051,39-41. - Sowohl der Kurfürstenrat als auch (obgleich in einem geringeren Maß) der Fürstenrat kamen den Erwartungen des Kaisers bezüglich des von diesem gewünschten deutschen Reichsbundes nicht nach; s. Fritz Hartung, Karl V. und die deutschen Reichsstände von 1546-1555, Darmstadt 1971, S. 36-41.
8 Vgl. Nr. 3074, Anm. 27; Nr. 3076,[3]; Nr. 3092, Anm. 46.
9 In der Vorlage steht: "Buseron" (Buhlknabe; s. SI IV 1749).
10 Vgl. Nr. 3092,43-48 und Anm. 39. - Vadians Quelle ist der an ihn am 4. Dezember gerichtete Brief Martin Frechts (Vadian BW VI 681).

Andere behaupten aber, dass der Kaiser ihn beauftragt habe, einige tausend Reiter anzuwerben. -[9] Das Kammergericht soll seine Geschäfte wieder aufgenommen haben. Es wird sich bestimmt an dem Willen des Kaisers orientieren müssen, besonders in den Religionsangelegenheiten, die auf dem. Konzil als verbindlich beschlossen werden. Wer sich dabei weiterhin den Mönchen, Nonnen und Pfaffen entgegensetzt, wird geächtet werden. Alles zielt daraufhin, den gottlosen Haufen des Antichristen mit der Rückerstattung von dessen Gütern zufriedenzustellen. Es ist zu befürchten, dass der Einspruch der Reichsstädte 11 den Kaiser nicht von seinen Absichten abhalten wird. Zwar behauptet diese,; er wolle niemanden mit Gewalt von seiner Religion abbringen, doch werden die Rechtssprüche des Kammergerichts unerbittlich ausfallen. Gott möge eingreifen! - [10] [Die Statthalterin der Niederlande], Königin Maria von Ungarn, hat sich zu ihren Brüdern [Kaiser Karl V. und König Ferdinand] nach Augsburg begeben. 12 Sie kam zusammen mit zwei Witwen, nämlich mit der Herzogin von Lothringen, [Christina von Dänemark], 13 und mit der Prinzessin [Anna] von Oranien 14 . König Ferdinand organisiert des Öfteren Bankette für sie. Kardinal Otto Truchsess von Waldburg, Bischof von Augsburg, ist Maria entgegengeritten und hat für sie in einer seiner Residenzen (in "Rüßmershausen" 15) ein pompöses Festgelage organisiert, an dem viele geistliche und weltliche Persönlichkeiten aus dem Adel teilnahmen. Kurz: Alle wollen erhabener erscheinen, als sie es sind! 16 - [11] Viele hoffen, dass Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen noch während des laufenden Reichstags aus der Gefangenschaft entlassen werde, doch niemand erwartet, dass dies auch auf Landgraf Philipp von Hessen zutreffen könnte. Man ist der Meinung, dass es dem Letzteren nicht so schlecht geht, dass aber eigenartige Machenschaften im Gange seien, die sich hinter glänzenden Täuschungen abspielen. Nur wenige Leute haben eine gute Meinung von Herzog Moritz von Sachsen. Das trifft auch auf einige kastrierte Hähne 17 zu. -[12]Es soll gewiss sein, dass die Schotten im Begriff waren, sich samt ihrem Königreich und der jungen, verwaisten Königin [Maria Stuart]18 dem König Eduard VI. von England zu ergeben, um aus den beiden Königreichen nur noch eines zu machen, das weder England noch Schottland, sondern Britannien hätte heißen sollen. Allerdings wollten sie ihr Land und ihre junge Königin nicht preisgeben, ehe diese und der König von England 19 volljährig würden, was aber die Engländer nicht annehmen wollen., da sie schon jetzt alles regeln möchten. 20

11 Siehe dazu schon Nr. 3021, Anm. 89; Nr. 3069,16-21; Nr. 3070,36f; Nr. 3076, Anm. 3.
12 Siehe Nr. 3031, Anm. 53. - Die Königin reiste über Stuttgart nach Augsburg; s. Zürich StA, A 227.1, Nr. 91.
13 Siehe Nr. 3031, Anm. 60. - Sie war die Witwe Herzog Franz' I. von Lothringen.
14 Siehe Nr. 3081, Anm. 4. - Diese war die Witwe von René de Chalon, Graf von Nassau und Prinz von Oranien, und die Schwester von Herzog Franz I. von Lothringen. - Dass die beiden Witwen gemeinsam mit Maria von Ungarn in Augsburg eintrafen, geht auch aus NBD X 204, Anm. 1, hervor.
15 Vgl. MBW-T XVII 288, Nr. 4971. - Hier kann nicht eines der beiden Römershausen in Hessen gemeint sein. Aus dem in oben Anm. 10 erwähnten Brief Frechts wird aber deutlich, dass Zusmarshausen gemeint ist. -Nicht nur der Bischof, sondern
auch König Ferdinand und dessen Sohn Maximilian sind der Königin am 21. November entgegengeritten; s. Collection des voyages des souverains des Pays-Bas, hg. y. Louis Prosper Gachard, Bd. 2: Itinéraire de Charles-Quint de 1506 a 1531. Journal des voyages de Charles-Quint de 1514 a 1551, hg. y. Jean de Vandenesse, Brüssel 1874, S. 350f.
16 In der Vorlage steht: "So geedt niernandtz mer auf den fassen, sonder allain da fornen auf den zechen." - Vgl. dazu TPMA XIII 357f.
17 In der Vorlage steht: "capaunen". - Hier sind wahrscheinlich hochrangige deutsche Geistliche gemeint, die damals von vielen genauso wie Moritz von Sachsen als Verräter des deutschen Landes angesehen wurden.
18 Sie war damals fünf Jahre alt.
19 Er war damals zehn Jahre alt.

-[13]Gruß. -[14][P.s...] Vadian bittet Bullinger ganz besonders, den beigelegten Brief nach Basel an Francisco de Enzinas weiterzubefördern. Dieser befand sich vor einigen Tagen in Konstanz bei den Blarers. Warum er nicht wie geplant 21 wieder nach St. Gallen zurückkehrte, inn von dort durch Zürich nach Basel zurückzureisen, weiß Vadian nicht. Vermutlich ist etwas Unerwartetes passiert. Hieronymus Sailer stellte ihm einen Reiter [...] als Reisebegleiter zur Verfügung. Zuvor aber hatte Enzinas ganz freundlich aus Memmingen an Vadian geschrieben und ihm dabei einen Gruß an Bullinger aufgetragen. 22 Er ist wirklich ein liebenswürdiger Mensch! -[15]Bullinger sei erneut gegrüßt! -[16] Vom Zürcher Chorgericht 23 hat Vadian noch keinen Brief erhalten, sonst hätte er diesen weiterbefördert. Er wird Bullinger auf dem Laufenden halten. -[17]Wenn Bullinger vorhatte, sich auf das Konzil zu begeben, soll er dies Vadian mitteilen. Würde er ihn als Begleiter mitnehmen? Bestimmt besteht noch kein Grund zur Eile, denn wenn es dem Papst mit seiner Einladung an die Eidgenossen, doch das Konzil zu besuchen, ernst gewesen wäre, hätte er diesen bereits Geleitbriefe zukommen lassen. 24 Doch bis dann werden die protestantischen Orte ihn eines Besseren belehren 25 und ihm im Einzelnen darlegen, unter welchen Umständen (von denen er weder etwas gehört hat noch hören will) es wirklich erforderlich wäre, christliche und gültige Konzilien zu organisieren. Gott möge uns befähigen, die Wahrheit zu lieben!

20 Vadians Quelle ist erneut der in oben Anm. 10 erwähnte Brief Frechts (Vadian BW VI 680).
21 Siehe Nr. 3077,[1].
22 Bei dem hier erwähnten Brief wird es sich kaum um Enzinas' Brief an Vadian vom 20. November gehandelt haben, da dort lediglich Folgendes steht: "Bene vale et saluta meis verbis dominum Johannem Sailerum et reliquos amicos" (Enzinas BW 310), es sei denn, dass Vadian es von sich selbst aus für angemessen hielt, unter die "amicos" auch Bullinger zu zählen. - Der in Enzinas' Brief erwähnte Johannes (Hans) Sailer (gest. vor Ende 1553) war ein Bruder von Hieronymus Sailer; Vadian BW VI 289, Nr. 1333; Conradin Bonorand, Hieronymus Sailer aus St. Gallen, Schwiegersohn des Augsburger Großkaufherrn Bartholomäus Welser, und seine Tätigkeit im Lichte seines Briefwechsels mit Vadian, in: Zwa XX, 1993, 105. 117.
23 Das Gremium, das in Zürich für die Sittenvergehen zuständig war. - Vielleicht
stand dieser Brief in Zusammenhang mit der Errichtung der ersten St. Galler Ehegerichtsordnung vom 9. Dezember 1547; s. Köhler, Ehegericht I 400-402.
24 In einem um diese Zeit eingetroffenen, aber nicht mehr genau zu datierenden Schreiben des Papstes an die Eidgenossen hielt jener diese u.a. dazu an, "ihre Prälaten und Gelehrten oder wenigstens ehrsame Botschaften auf das Concil oder Gesprächtag zu schicken"(EA IV/1d 893 zu o). - Siehe dazu ferner aaO, S. 906f 1. - Zur Eidgenossenschaft und dem Konzil s. Nr. 3082, Anm. 6.
25 In der Vorlage steht: "wellend wir imm den staub von den oren blasen". Hier vermutlich im Sinne von: Ihm unsere Ansicht klarmachen; s. SI I 413. - Sebastian Franck, Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe mit Kommentar, Bd. 11: Sprichwörter, bearb. y. Peter Klaus Knauer, Bern, etc., 1993, S. 343, erklärt die Redewendung mit: "Tuis te pingam coloribus" (Ich werde dir dein wahres Wesen offenbaren).