Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[3057]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
27. Oktober 1547

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 279 (neu: 294) (Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 998f, Nr. 1115

[1] Wenn Bullinger geschrieben hätte, dass Helvetien angegriffen würde, wäre Myconius viel weniger niedergeschmettert als über die Nachricht von den [Verhandlungen der] Konstanzer [mit Kaiser Karl V]. Diese Mitteilung bedeutet nämlich, dass Helvetien besiegt wurde bzw. nicht mehr existiert! Er hoffte, nie so etwas erleben zu ,nüssen. Doch wenn Konstanz sich ergibt, muss er seine Hoffnung aufgeben, zumal diese Leiche [der Kaiser] die Stadt auf eine ganz andere Weise [im Reich]behalten wird, als Kaiser Maximilian I. es tat. Was soll dann aus dem Thurgau, aus uns [Basel, Bern, Schaffhausen und Zürich] und aus den übrigen [Eidgenossen] werden? -[2]Blieb denn Konstanz wirklich nichts anderes übrig? Warum haben clic Zürcher dieser Stadt (ob im Alleingang oder zusammen mit den anderen [protestantischen] Orten) keinen Schutz angeboten? Das wäre doch kein Verstoß gegen das Bündnis gewesen [das die Eidgenossen untereinander haben]. Mit Gottes Hilfe hätten die Zürcher die Konstanzer auch ganz alleine gegen diese Teufel [den Kaiser und seine ausländischen Truppen] schützen können! Doch sie haben Angst, und zwar vor den Fünf Orten, vor denen sie kuschen (wie dies aus einem neulich an die Basler gerichteten Brief hervorging). Zugleich aber halten sie den Baslern vor, sich dem Kaiser gegenüber allzu gefällig erweisen zu wollen. Dies ganz vertraulich. Myconius erfuhr von der Angst der Zürcher aus einem an ihn gerichteten Brief dein er Glauben schenkt, bis er eines Besseren belehrt wird. Er äußert sich hier so, wie dies unter Freunden üblich ist. -[3] Was auch immer für schöne Versprechungen die Fünf Orte machen, kann er diesen nicht trauen, da sie den Glauben bekämpfen und bereit sind, Leid in Kauf zu nehmen, wenn nur die [protestantischen Eidgenossen] dabei zugrunde gingen. [Frühere] Beispiele dafür können jetzt nicht angeführt werden, da der Bote [Andreas Müller] aufbrechen will. Deshalb kann Myconius auch keine Neuigkeiten mitteilen, außer dass der Augsburger Reichstag die Religion (ganz zu schweigen von allem anderen) vernichten wird, wenn Gott nicht eingreift! Johannes Gast machte sich eine Abschrift von einem Bericht darüber, die Bullinger von diesem vielleicht erhalten wird. -[4]Aus Antwerpen erfährt man, dass die Engländer weiterhin gottgefällig handeln. Sie haben zweimal gegen die Schotten gekämpft. Zuerst töteten die Engländer 15'000 Mann, dann 6'000. Nun soll mami sich in London um einen

f In der Vorlage: gratias.
47 Oben in Z. 64-69.
48 Das Großmünsterstift.

Frieden bemühen. -[5] Es heißt zudem, dass in Italien Papst Paul III. dein Kaiser den Krieg erklärt habe. Allerdings bezweifelt Myconius dies, zumal die Zürcher, die näher an Italien liegen., nichts dergleichen melden, und diese Leiche weder Soldaten nach italien schickt noch sich wegen des Papstes besorgt zeigt. Vielmehr stecken beide unter einer Decke, genauso wie es feststeht, dass es zu einer Verständigung ,nil dein türkischen Sultan Suleiman gekommen ist, um der Leiche zu ermöglichen, sich Deutschland zu unterjochen! Wegen der Fünf Orte wird nun Helvetien Ähnliches zustoßen, es sei denn, Gott behüte die Seinen davor. Wie soll er aber Menschen erretten, die es nicht wollen? - [6] Ein frommer, gelehrter und beredsamer französischer Flüchtling [...] erzählte, dass König Heinrich II. eine Liebhaberin [Diana von Poitiers] unterhält, mit der sein Vater Franz I. schon Verkehr hatte. Da Myconius sehr erstaunt darüber war, wiederholte der Erzähler seine Aussage, so dass er diesem glauben musste, auch wenn nicht jeder Anwesende dies tat. -[7]Anbei ein Brief zur umgehenden Weiterleitung an John Butler nach Konstanz. Hans Heinrich Winkeli ist verstorben und wird heute bestattet. -[8]Bullinger verhindere ein Abkommen zwischen Konstanz und dein Kaiser, sonst ist alles verloren! -[9]Gruß, auch an Familie und Kollegen.

S. Si nunciasses Helvetiam obpugnatam in 1 , non sic deiecisses ut dum scribis de Constantiensibus. 2 Istud enim nuncium hoc habet mihi: Helvetia victa est atque adeo nulla. Speravi hactenus prius me finiturum vitam quam audire aut videre finem Helvetic! Falsus videor, si Constantia se dediderit. Nam hunc locum aliter tuebitur cadaver 3 istud quam Maximilianus 4 . Inde quid Durgoia 5 , quid nos 6 , quid reliqui 7 ?

Non potuit aliter Constantia! Quid, si vos recepissetis in tutelam una cum reliquis, qui habent evangelium? Imo quid, si vos soli recepissetis? An id contra foedus? Non arbitror. Potuissetis etiam tueri per dominum soli contra diabolos istos 8 ! Sed timetis, ubi non erat timendum! 9 Adeo devoti estis Quinque pagicis! Scripsistis nuper literas ad nostros, e quibus timor ille satis constat. Interim autem nobis soletis tribuere, tanquam primi simus, qui caesaris voluntatem recepturi forent, 10 si quis postularet. Hoc in sinum tibi. Sic enim venit ad me per literas, quibus tantum tribuo, quantum convenit, dum ea fuerint adserta aut meliora accepero. Scis, quae amici inter se conferant. 11 Eam rationem ego hic sequor.

Quinque pagicis a non fido (summa summarum, quia fidem nostram ita persequuntur, ut queant pati malum, tantum ut nos pereamus), quicquid in

a Fehlt in der Vorlage.
1 Vgl. Bullingers Befürchtung vom 14. Oktober in Nr. 3041,2-12.
2 Bezug auf Bullingers Mitteilung vom 25. Oktober in Nr. 3054,22-30.
3 Gemeint ist Kaiser Karl V.; vgl. zuletzt die Verweise in Nr. 3023, Anm. 7.
4 Kaiser Maximilian I. - Um einen Anschluss von Konstanz an die Eidgenossenschaft zu verhindern, erschien er im September 1510 mit seinen Truppen vor der Stadt, doch ohne damals etwas gegen die Eidgenossenschaft zu unternehmen; s. Dobras, Ratsregiment S. 25-30. 47.
5 Der Thurgau, den die Eidgenossen 1460 von den Habsburgern erobert hatten.
6 Die vier protestantischen Städte Basel, Bern, Schaffhausen und Zürich.
7 Die katholisch gebliebenen Orte.
8 Gemeint sind der Kaiser und seine ausländischen Truppen; vgl. HBBW XIII 195,19; XVIII 200,22-26.
9 Ps 53 (Vuig. 52), 6.
10 Dieses Gerücht ist auch in EA IV/1d 859 a (1) und 862 zu a belegt.
11 Myconius betont dies erneut in Nr. 3071,16f.

ore habeant! Sunt exempla, quae non excidunt, quae ob nuncii 12 celeritatem scribere non possum. Qua ratione nec nova possum significare Praeter illud: Periit a comitiis Augustanis religio, ut reliqua taceam, ni dominus caveat. Descripsit causam Gastius a me. Forsitan mittit. 13

Ex Antwerpia est, Anglos in domino pergere fortiter et feliciter. Bis conflixerunt cum Scotis. 14 Nunc quindecim millia perimerunt, secundo sex. Londini conficietur pax. 15

Ex eodem loco est: In Italia pronunciatum bellum a papa 16 contra caesarem. Dubito hic nonnihil, quod vos propinquiores 17 nihil ea de re. Nam fertur cadaver ne militem quidem misisse in Italiam neque aliquid curae de papa gerere. Colludunt, qualiter cum Turca 18 collusum est hactenus, dum

12 Wohl der Zürcher Stadtbote Andreas Müller, der damals den Baslern das an sie, Bern und Schaffhausen gerichtete Rundschreiben der Zürcher vom 25. Oktober (s. dazu Nr. 3054, Anm. 23) übermittelte; s. Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1547/48, S. 53.
13 Dieser Bericht über den Augsburger Reichstag wurde einem an Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard gerichteten Brief entnommen, wie dies aus Gasts Brief vom 28. Oktober hervorgeht; s. Nr. 3060,22f.
14 Gemeint ist die Schlacht von Pinkie Cleugh vom 10. September 1547; s. dazu Nr. 3030, Anm. 54. Es erfolgte zuerst ein Überraschungsangriff der Schotten auf die Engländer, der für die Ersteren erfolgreich auszugehen schien. Doch kam es unmittelbar danach zu einem Gegenangriff, in dem die Engländer die Schotten besiegten; s. Gervase Phillips, The Anglo-Scots wars 1513-1550, Woodbridge 1999, S. 193-199; Nr. 3064.
15 Zu einem Frieden zwischen England und Schottland kam es erst am 24. März 1550 im Zuge des englisch-französischen Vertrags von Boulogne (der Vertragstext ist gedruckt in: Foedera, conventiones, literae et ... acta publica inter reges Angliae ...., hg. y. Thomas Rymer, Bd. 15, London 1713. S. 211-218, und datiert im Osterstil vom 24. März 1549 [= 15501 "avant pasques"). Doch erst mit dem im Juni 1551 erfolgten Vertrag von Norham (Abdruck ebd., S. 265-272) waren die kriegerischen Auseinandersetzungen offiziell beendet.
16 Paul III. - Eine Übertreibung, die vor dem Hintergrund der Ermordung des Papstsohnes Pier Luigi Farnese (s. Nr. 2964, Anm. 5), der Besetzung Piacenzas durch den kaiserlichen Statthalter von Mailand, Ferrante Gonzaga (s. Nr. 3016, Anm. 8), und dem daraus resultierenden Zerwürfnis zwischen Papst und Kaiser nachvollziehbar ist; s. Nr. 3021,58-62; Nr. 3031,26-28; Nr. 3042,112]; Nr. 3048,12-17. Der verängstigte Papst warb damals um Verbündete, um mit deren Hilfe Italien vom spanischen Joch befreien bzw. dem Kaiser Mailand, Genua und Neapel entreißen zu können; s. NBD X 185-189, Nr. 61; Pastor V 630-632; Maria José Bertomeu Masiá, La guerra secreta de Carlos V contra el Papa. La cuestión de Parma y Piacenza en la correspondencia del cardenal Granvela, Valencia 2009, S. 46-52. Für Spannung sorgten auch die Bestrebungen des Kaisers, das Konzil nach dem kaiserlichen Trient zurückzuverlegen. während der Papst eine Einflussnahme des Kaisers auf die Beschlüsse des Konzils befürchtete; s. ebd. 636f. Andere Zeitgenossen waren auch der Meinung, dass der Kaiser zur Durchsetzung seiner Interessen einen Konflikt mit der Kurie in Kauf nehmen würde: s. NBD X 159-162. Allerdings hegte dieser keine Kriegspläne gegen den Papst; s. Wilhelm Maurenbrecher, Karl V. und die deutschen Protestanten 1545- 1555, Frankfurt a.M. 1865, S. 180.
17 Nämlich an Italien.
18 Sultan Suleiman I.

Germaniam fecit miseram, exhaustam, servam cadaver. Idem accidet Helvetiae per Quinque pagicos, nisi dominus suos veut servare. Caeterum quomodo servabit, qui servari nolunt?

De Gallo 19 nihil dico, praeter hoc unum, quod Gallus 20 retulit ante dies sex, vir doctus, pius, exul, sermone suavis (ut talem nunquam audierim) b : "Rex, inquit, scortum 21 fovet, pascit, mit, quod pater 22 eius hactenus mut!" Tibi dico, quod ille libere dixit. Stupebam ego; narrationem repetiit; coactus sum credere, non autem cuipiam persuadere.

Literas ad Butlerum 23 quaeso Constantiam mittas quamprimum. Dominus Heinrichus Winckeli 24 mortem obpetiit. Hodie sepeliemus.

Cave, quod in te est, ne Constantienses conveniant cum caesare, alioquic periimus!

Vale in domino cum tuis et fratribus. Basileae raptim, 27. octobris anno 1547.

Tuus O. Myc.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Hinricho Bullingero, ministro Christi fidelissimo doctissimoque, fratri in domino venerando suo. Zu[ric]h. d