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[2929]

Sebastian Schertlin
an Bullinger
Konstanz,
24. Juni 1547

Autograph: Zürich StA, E II 364, 101 (Siegelspur) Ungedruckt

[J]Als Sebastian Schertlin [zurück] nach Konstanz gelangte, erfuhr er, dass Kaiser Karl V. sich von Magdeburg entfernt habe und gegen Halle ziehe, weil er festgestellt hat, dass die [protestantischen]Streitkräfte sich bei Magdeburg sammelten. -[2]König Ferdinand hat sich vom Kaiser verabschiedet und zieht nach Böhmen. -[3] In Neapel haben sich bis zu 310'000 Bauern zusammengerottet. - [4] Der Kaiser soll erneut Kriegsvolk anwerben. - [5] Schertlin wollte dies Bullinger und Bürgermeister Johannes Haab mitteilen und steht ihnen weiterhin zur Verfügung.

Mein willig dienst und alles gut zuvor. Gunstiger, lieber herr, als ich hieher komen, 2 hab ich befunden, das der kaiser 3 , so er merckt, alle heupfen 4 unsers

1 Feldherr Sebastian Schertlin von Burtenbach, geb. 1496, gest. am 18. November 1577. Während des Schmalkaldischen Krieges stand er im Dienste der Stadt Augsburg. Als diese sich im Januar 1547 dem Kaiser unterwarf, zog er sich nach Konstanz zurück, wo er am 2. Februar eintraf. Nach wohl nicht erfolgreichen Versuchen, sich im Zürcher Gebiet niederzulassen, begab er sich nach Basel, wo er am 19. November 1547 eintraf (s. Nr. 3081,36-38). Dort durfte er sich bis Mitte Februar 1551 aufhalten, ehe er auch diese Asylstätte verlassen musste (Frau und Kinder blieben allerdings in Basel zurück, und er selbst kam noch auf Besuch). Im April 1548 hatte er nämlich König Heinrich II. seine Dienste als Feldherr angeboten, nachdem er sich vergebens um eine Aussöhnung mit dem Kaiser bemüht hatte. Daraufhin wurde er von diesem am 3. August 1548 geächtet, was die Orte der Eidgenossenschaft mit Ausnahme von Bern und Zürich dazu veranlasste, sich schließlich im Oktober 1550 für seine Ausweisung auszusprechen. Ab Ende Februar 1552 fungierte er an verschiedenen Orten als Söldnerwerber und -führer. Nach einer Erkrankung in der Picardie erhielt er vom König einen Urlaub und wohnte zwischen Februar
und August 1553 erneut in Basel. Nachdem er auf jeglichen Dienst gegen Kaiser und Reich verzichtet hatte, wurde er vom Kaiser begnadigt und durfte im Herbst 1553 sein Gebiet Burtenbach wieder betreten. Vorliegendes Schreiben ist der Beginn einer längeren, sich bis Juli 1551 (mit der Ausnahme eines einzelnen Briefes vom 14. April 1554) erstreckenden Korrespondenz zwischen Bullinger und Schertlin, in der hauptsächlich Nachrichten zu dem damaligen Geschehen übermittelt wurden. Erhalten sind 19 Briefe von Schertlin. - Lit.: s. HBBW XVIIf Reg.; XIX 189, Anm. 18; 274f, Anm. 22, und passim; Schertlin, Leben; EA IV/1e 440f im; Herberger, Schertlin; ADB XXXI 132-137; Alfred Stern, Zürich und Schertlin von Burtenbach, in: Turicensia, 1891, S. 114-128; Rudolf Thommen, Sebastian Schertlin in Basel, in: Basler Jb., 1897, 226-263; Paul Burckhardt, Basel zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges, in: BZGA XXXVIII, 1939, S. 91-96; Paulus, Schertlin.
2 Dieser Stelle zufolge hat Schertlin damals eine Reise von Konstanz aus unternommen. Da er über seine Rückkehr dorthin so schreibt, als wüsste Bullinger, wovon er redet, und da dieses Schreiben der Ausgangspunkt einer längeren Korrespondenz

tails auf Magdenburg zusamenziehen, 5 sich von Magdenburg gewendet und auf Hall 6 zeucht.

Der römisch konig 7 hat sich von ime getrent. Zeucht in Böhme.

In Neapoli solle das landvolck bis in 310'000 bei ainander sein. 8

Der kaiser sol widerumb in werbung umb volck sein. Got gebs alles gut.

Das hab ich euch, hem burgermaister Hans Hab sampt erpietung 9 meiner willigen diensten, nit verhaltenn sollen a [mi]t meins [ansa]gens nit hab bergen [w]öllenn. a Datum Constantz, den tag Johannis anno 1547.

Schertlin, ritter, subscripsit.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem wurdigen und wolgelarten hem maister Henrichenn Bullinger, pfarhern zu Zurich, usw., meinem gunstigen bern und vertrauten freunt. h

a-a Am Rande nachgetragen. Text teils im engen Einband verdeckt. -
b Darüber von Bullingers Hand H. Sebastian Schertli.
zwischen Schertlin und Bullinger ist (s. oben Anm. 1), wird er wohl kurz zuvor Zürich besucht haben. Schon länger wollte er nämlich Bullinger kennenlernen (s. HBBW XVIII 164,[4]). Dass es tatsächlich zu diesem Besuch kam, wird durch einen undatierten Eintrag in Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1546/47, S. 105 der verschiedenen Ausgaben, nach einem Eintrag vom 1. Juli, belegt. Laut diesem wurde zu Schertlins Ehren ein Festmahl im Haus Zum Rüden (zu diesem s. Memorabilia Tigurina 564f) veranstaltet, bei dem er (was vorliegendes Schreiben ebenfalls bestätigt) Bürgermeister Johannes Haab kennenlernte. Vermutlich informierte er sich auch über die Möglichkeit, sich im Zürcher Gebiet niederzulassen, da sein Verbleib in Konstanz nicht unproblematisch für diese Stadt war; s. HBBW XIX 274f,[3] und Anm. 22.
3 Karl V. hatte sich bis zum 7. Juni 1547 in Wittenberg aufgehalten und zog von dort nach Halle, wo er am 10. Juni eintraf und bis zum 23. Juni blieb; s. Stälin 580.
4 Haufen (Heere).
5 Aus einem Schreiben von Herzog Moritz an König Ferdinand vom 7. Juni 1547
geht hervor, dass sich um Magdeburg unter der Führung des protestantischen Feldherrn, Graf Albrecht VII. von Mansfeld, 32 Fähnlein und 4'000 Pferde befanden; s. Moritz von Sachsen PK III 431-433, Nr. 617, Anm.
6 Halle an der Saale.
7 Ferdinand I. zog mit seinem Heer nach Böhmen zurück, um die aufrührerischen Stände zu strafen, die ihn nicht unterstützt hatten. Er befand, sich spätestens am 2. Juni in Aussig (Ústí nad Labem, Böhmen), am 3. Juni in Leitmeritz (Litomerice, Böhmen), wo er bis mindestens zum 22. blieb, und spätestens am 29. Juni in Prag eintraf; s. Theodor Neumann, Beiträge zur Geschichte des Schmalkaldischen Krieges, der Böhmischen Empörung von 1547, sowie des Pönfalles der Oberlausitzischen Sechsstädte in demselben Jahre, Görlitz 1848, S. 7. 16; Moritz von Sachsen PK III 431-433, Nr. 617 mit Anm.; 446, Nr. 639; 452f, Nr. 651.
8 Siehe dazu zuletzt Nr. 2915.
9 Anerbietung. - Am Abfassungstag des vorliegenden Briefes wurde Johannes Haab erneut amtierender Bürgermeister von Zürich.