[2775]
[Ambrosius Blarer
an Bullinger]
[Konstanz],
27. Januar 1547
Autograph: Zürich StA, E II 357, 223f (ohne Siegel) a
Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 576f,
Nr. 1399[1] Blarer hat mit Dank Bullingers Brief [Nr. 2767] erhalten. — [2] Er ist in einer guten
geistigen Verfassung und Gott dankbar, dass dieser ihm schon so lange seine Fürsorge erwiesen
und ihn schon so oft vor den Feinden gerettet hat! Nun ist er bereit zu sterben. Er weiß,
dass er dabei dieses elende Dasein gegen die ewige, himmlische Ruhe eintauschen wird.
—[3]Die gegenwärtige heillose Lage betrübt ihn sehr. Der Feind führt sich so keck und frech
auf und die [Protestanten]sind so verzagt! Gott möge den Seinen verzeihen, ihnen ein neues
Gemüt schenken und sie erretten! —[4]Der Konstanzer Rat übersendet dem Zürcher Rat eine
Kopie des Eides, den die fünf Städte [Biberach, Kempten, Isny, Memmingen, Ravensburg]
Kaiser Karl V. geschworen haben. Was für ein Jammer! — [5] Blarer muss sich diesmal
kurzfassen, da er viel zu tun und Besuch hat und zudem auch anderen schreiben muss. Doch
will er noch betonen, dass er Bullinger nichts vorzuhalten habe, da er gut wisse, wie sehr
Letzterer den Konstanzern zugetan ist und sich bemüht, Gottes Sache zu fördern. Zudem ist es
Blarer bewusst, dass Bullinger nicht alles bei den Seinen zu erreichen vermag. — [6] Der
Konstanzer Rat würde schon gern den Zürchern (auch den Bernern, Baslern und Schaffhausern)
zu verstehen geben, was er von diesen erwartet. Doch da er wohl merkt, dass sie nichts
ohne die anderen Orte unternehmen wollen oder dürfen und er ferner über die Gesinnung der
übrigen Orte gut informiert ist, wird er dies unterlassen und sich völlig Gott anvertrauen. Es
wird nämlich von einigen rundheraus gesagt, dass die Eidgenossen auf ihrer künftigen Tagsatzung
den Fall Konstanz' oder irgendeiner anderen Stadt nicht behandeln wollen.
—[7]Doktor Christoph [Klauser] hat in [Radolf]zell einen frommen Thurgauer [...] über die
Beschlüsse der letzten Tagsatzung ins Bild gesetzt und berichtete auch, wie die Eidgenossen
vorhätten, die [den Schmalkaldenern zugelaufenen eidgenössischen] Söldner zu bestrafen. In
[Radolf]zell herrscht fröhliche Stimmung. Dort und in der Umgebung versucht man, die den
[Schmalkaldenern] zugezogenen Hauptleute festzunehmen. Diesem Spaß aber könnte Gott
bald ein Ende setzen. —[8]Bullinger soll dem gegenwärtigen Boten [...]mitteilen, wann die
nächste sich mit Frankreich befassende Tagsatzung stattfindet. —[9]Man ist sich sicher, dass
der Kaiser die Eidgenossen angehen wird, damit diese die Basler dazu veranlassen, dem
jungen Herzog Christoph von Württemberg, dem Grafen Georg [von Württemberg-Mömpelgard]
und anderen keine Zuflucht zu gewähren. Das wird noch etwas geben! Blarer hegt
schlimme Vorahnungen! —[10]Die [in Nr. 2771]mitgeteilte Nachricht über Maximilian, den
Sohn König [Ferdinands I.], hat sich als falsch erwiesen. —[11]Ein Diener [...]des Hauptmanns
Marcell Dietrich von Schankwitz ist auf dem kürzesten Weg von Ulm nach Konstanz
gekommen. in der Umgebung Ulnis sollen viele Truppen lagern und in der Stadt selbst schon
viele italiener und Spanier Quartier bezogen haben. Der Kaiser sei in Geislingen [a.d. Steige]
gewesen. Unterdessen wird er in Ulm eingetroffen sein. Man habe ihn auf einem Pferd reitend
gesehen. Er lebt also noch und lässt in Erfahrung bringen, wer gewettet hat, dass er tot sei. Er
habe vor, vier Wochen in Ulm zu verbringen und sich dort behandeln zu lassen. Bestimmt wird
er dort länger bleiben. — [12] Gott wird gewiss alles wieder gut machen, und dies vielleicht
schon in dieser Welt. Ihm soll man vertrauen! —[13] Thomas Blarer und Konrad Zwick lassen
grüßen. Bullinger soll für die Konstanzer ernstlich beten und die guten Ratsherren und Freunde
in Zürich samt seinem eigenen Hauswesen grüßen lassen.
Insonders vertrauwter, allerliebster brüder, ewer getrüw schreiben 2 hab ich
abermals 3 zü grossem, hertzlichem danck vernommen. Der lieb gott welle
sein trüw und barmhertzigkait ewig uber euch und die ewern walten lassen!
Ich hyn meins tails (dem herren seye lob und preys in ewigkait!) b wol
getrost. Er hat mich nunmehr lang genüg mitt grosser kommelichait 4 und vyl
seinen gutthaten leben lassen, mich offt meinen finden 5 ausß dem rachen
gezogen. 6 Wann, wie und wa er will, geschech sein gnediger, allerbester will
an mir. Ich waiß doch, das ich diß angefochten 7 , ellend leben an ewige ru
und himlische sicherhait vertauschen wird, und von allem ubel seligklich
erlöst.
Aber gmain sachen, und das es alls 8 ellendklich zügaht (haide, auff der
find und unser seyten, sy alls 9 frevel 10 , die unsern alls verzagt sind) und
sovyl frommer hertzen und gotteskinder als erbermlich desshalb gequelt
werden, das thüt mir billich wee. Ach mein gott und getruwester vatter! Hab
ain gnedigs insechen. Verzich unser allte und newe schuld. Erreddt unß mitt
deiner gerechtikait. 11 Mach groß an unß dinen hailgen nammen. 12 Gib verstand,
weyshait 13 und hertz, c das wir c in disem schwären creutz erkennen
und thain 14 mögind, das dir gefellig und ehrlich und deinem gnadreychen
wort und evangelio furderlich seye. Amen.
Meine herren schicken den ewern 15 gethonen aid der funff stett 16 dem
kaiser 17 . Da werdt ir aber jomer uber jomer sechen! Gott seye unß gnedig.
Das ich wenig schrib dißmal, ist unzalbarer geschefft und frombder gest,
ouch vyl anders schreibens schuld, das ych yetz verrichten müß. In summa:
An ewer 18 truw, liebe und vleyß gegen unß und der sach gottes haben wir
kamen mangel. Das irs aber nitt alles bringen kondt, dahin ir gern wollt, 19
glaub ich hertzlich wol. Wir wellen den herren gott von hertzen anrüffen
und zü im schreyen, er welle alle gute anwisung 20 auß seinem wort wurklich
machen durch seines gaists krafft und sterck.
Was meiner herren anlygen und beger allezeyt were, berichteten sy euch 21 ,
auch Basel, Bern und Schaffhausen gern. 22 Diewyl sy aber sechend und
erfarend, das ir on die anderen Aidgnossen nichts handlen wellend oder
dörffend, und sy daneben wissend, wie die anderen 23 gesynnet seind, müssend
sy es underlassen und gott bevelchen. 24 Dem stond wir allso bloß. 25
Mögend nitt wyssen, wie und was wider unß gehandelt wirt. 224 Man sagt,
und schreibends ettlich rund 26 , das gemain Aidtgnossen sich entschlossen
uff disem tag 27 , das sy sich weder Costentz noch kainer anderen statt annemen
wellen. 28
Und ist ain frommer Turgöwer 29 yetz zü Zell 30 gesin. Dem hat doctor
Christoff 31 alles erzellt, was uff ewerm tag gehanndelt diser sach, ouch der
knecht strauff 32 und anderer ding halber. Ist zü Zell nitt geringe fröd, 33 d dann
man sücht zü Zell und allenthalb 34 die hoptleut und ander, so disen stenden 35
lebenden Christoph Schappeler hätte
bezeichnen können, den er in einem früheren
Brief auch als "Doctor" tituliert
hatte (s.
HBBW XT 129,80), wird hier
eher die Rede vom Zürcher Arzt Christoph
Klauser sein, zumal St. Gallen im
Gegensatz zu Zürich keine Abgeordneten
auf der letzten Badener Tagsatzung hatte
und demzufolge ein St. Galler kaum wie
ein mit der Zürcher Obrigkeit im engen
Kontakt stehender Stadtarzt ausführlich
über die Tagsatzungsbeschlüsse hätte berichten
können.
anhengig gewesen d. Aber der starck gott kan dem schympf 36 bald den boden
usstossen. Wirts ouch thain, so wir uns zü im bekerend.
Weht nitt lassen und 37 mich by disem botten 38 berichten, wann der tag
mitt dem Frantzosen 39 angehn werde.
Man versicht sich 40 gentzlich, der kaiser werde die Aidgnossen ankommen
41 , damitt sy die von Basel dahein vermögind 42 , damitt sy den jungen
hertzog Christoph von Wirtemperg, darzü auch grauff Törgen 43 , nitt ufthaltind
44 . Das wirt dann aber ain newe unrü geberen. O was gedancken hab ich
diß Orts! Aber der herr wirts wol recht alles schicken.
Mitte dem Maximilian, des königs 45 sun, ists nichts. 46 Man hats her ouch
geschriben, aber nichts daran.
Necht 47 ist des hoptmans Marcell Dietrichs knecht 48 , ainer von Ulm, den
allernechsten 49 kommen. Sagt, das es allenthalb um Ulm voller volck lyge,
ouch vyl Spanyer und Italiäner in der statt. Seye der kaiser zü Gyslingen 50
gewesen. Achte, er seye nunmehr gewisslich zü Ulm. 51 Sagt ouch von ettlichen,
die inn auff dem gaul habind sechen sytzen, seye kain zwyfel, er
seye noch by leben; lasse auch kuntschafft machen auff diejhenigen, so
seines tods halber gewett thon haben. 52 Er soll vier wochen zü Ulm bleyben,
sich allda inn das holtz lassen legen. 53 Man achtet aber, er werde Ulm nitt
bald verlassen usß vyl ursachen.
Aber der lieb gott wirts alles wol und vyllicht noch besser schicken, ouch
zytlich 54 , dann 55 es sich ansechen lasst. Im wellen wir trauwen und glouben
durch tod und leben. Er gebe hertz und ain starcken, vertrauwten gaist uff
seinen gwaltigen bystand, damitt wir auch im lyden und tod selbs sygen und
alle dise wellt sampt iren fürsten im glouben uberwynden mögend. 56 Amen.
Min lieber brüder 57 und vetter 58 empietend euch alles liebs und guts. Bittend
ernstlich für uns mitt allen frommen. Sagt allen güten herren und freunden
alles gutz und vyl grütz, sonderlich ewerm gantzen hausgesind. Gott
mitt euch! Datum 27. ianuarii 1547.
[Ohne Unterschrift.]
[Ohne Adresse.]