Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2551]

Johannes Haller
an Bullinger
Augsburg,
26. August 1546

Autograph: Zürich StA, E II 370, 19 (Siegelspur) Ungedruckt

Haller vermutet, dass Bullinger seinen Brief [Nr. 2548 vom 24. August] noch nicht bekommen hat, zumal der Bote [...] meinte, ihn nicht vor dem 1. September überbringen zu können. Gestern kamen verbürgte Nachrichten. [Maximilian von Egmont, Graf von]Büren, hat mit Hilfe des Mainzer Bischofs [Sebastian von Heusenstamm] und durch eine Kriegslist den Rhein bei Bingen mit seinem niederländischen Heer überquert. Zuvor schickte er einige hundert Reiter in Richtung Oppenheim in Sichtweite der [Schmalkaldener]. Diese glaubten, das ganze [kaiserliche] Heer werde dort über den Rhein ziehen, und sammelten sich, um das zu verhindern.

c Hier und unten im engen Einband verdeckt. Fehlstellen ergänzt aus der Abschrift von Johann Jakob Simler (Zürich ZB, Ms S 61, 99).
d-d Am Rande nachgetragen.
9 Gemeint ist hier wohl eher der viel gereiste und damals durch die Veröffentlichung seiner "Bibliotheca universalis" (1545) bereits bekannt gewordene Konrad Gessner, als der seit 1531 (s. HBBW III 77, Anm. 6) in Zürich wirkende Stadtarzt Christoph Klauser.
10 Karl V.
11 Siehe dazu Nr. 2505, Anm. 41.
12 Vgl. z.B. Nr. 2467,251: Nr. 2492,2-12; Nr. 2508,39-43; Nr. 2529,11-14.

Inzwischen aber überquerte das Heer den Rhein weiter nördlich [bei Bingen]. Nun werden die beschämten [Schmalkaldener], die ja diesem Heer an Fußtruppen und Geschützen, wenn auch nicht an Reitern, weitaus überlegen sind, alles daran setzen, dieses zu bekämpfen. Infolge eines Blitzeinschlags am 7. August in einem Turm [in Mechelen], der als Lager für 700 Fässer Pulver diente, wurden 300 Gebäude und 700 Wohnungen völlig oder großenteils zerstört. Es gab 300 Tote und 170 Schwerverletzte. Der dortige Kaiserhof wurde dem Erdboden gleichgemacht. Ein bedeutsames Vorzeichen! Kaiser [Karl V.] hat unklugerweise [sein Lager bei Regensburg] verlassen und die Donau überquert. Er denkt wohl, dem Landgrafen [Philipp von Hessen], der Regensburg anstrebt, zu entkommen. Die [Schmalkaldener] aber zogen ihm nach, bis sie eine halbe Meile von seinem Lager entfernt waren. Haller hatte im letzten Brief von dem ausgeplünderten Proviantzug der [Schmalkaldener] berichtet. Diese konnten sich nun rächen. In der Nähe Ingolstadts versteckten sie Reiterkohorten und führten dann 500 Rinder an der Stadt vorbei. Die [Kaiserlichen]brachen erneut aus der Stadt hervor, mit der Absicht zu plündern, wurden aber von den Reitern überfallen und verloren dabei einige Männer. Hoffentlich dient die Gefangennahme des [Herzogs Heinrich von] Braunschweig als Vorspiel für Karl V.! Gestern erzählte der Stadtschreiber [Georg Frölich], dass die Fünf Orte an [der Tagsatzung] zu Baden beschlossen hätten, sich weder den [Schmalkaldenern noch dem Kaiser]anzuschließen, und dass sie den [Vier protestantischen Stadtkantonen] erlaubt haben, im Notfall den [Schmalkaldenern]Hilfe zu leisten. Gott sei Dank, wenn das stimmt! Wegen des herrschenden Pfarrermangels haben die Kaufbeurer [Michael] Keller mit der Suche nach einem nicht lutherischen Pfarrer beauftragt. Keller denkt an [Utz] Eckstein, den er von früher her kennt. Was meint Bullinger dazu? Weitere Kandidaten wären auch willkommen. Wenn die [Zürcher] schon nicht mit Waffen helfen, dann wenigstens auf diese Weise! Falls gelehrte Pfarrer zur Verfügung stünden, würde sich Haller bei der Stadt[obrigkeit] für ihre [Anstellung]einsetzen. In Eile, in Erwartung des Boten [Hans Großmann]. Gruße an die Amtskollegen. Grüße von Frölich, der nicht schreiben konnte, weil er an eine Ratssitzung gehen muss. P.S.: Anbei die Eidesformel, mit der sich der Kaiser dem Reich gegenüber verpflichtet hat. Da kann man feststellen, an welche Artikel er sich gehalten hat!

Salus et vita per Christum. Scripsi pridie ad te, venerande pater, quas nondum te puto accepisse literas 1 . Dicebat enim is 2 , cui dabam, non posse eas tibi reddi ante calendas septembris.

Quia autem heri plurima iterum advenere nova, pro officio meo te non celabo. Certa enim sunt. Dominus ille sive capitaneus Bürensis 3 , caesareani ex Inferiore Germania exercitus ductor, Rhenum ope Moguntini episcopi 4 traiecit apud Bingam 5 egregio usus stratagemate. Misit aliquot centum equites versus Oppanum 6 in conspectu nostrorum, ut nostri existimarent totum exercitum secuturum et illic traiecturum, unde nostri conglobati et transitum ipsis prohibituri. Interim ipse cum exercitu inferius 7 traiecit; quo facto reliquos equites facile ad se recepit. 8 Nostri itaque (illis multo superiores peditatu et tormentis, non tamen equitatu) a hac neglecta re nunc illis instant

a Klammern ergänzt.
l Brief Nr. 2548.
2 Unbekannt.
3 Maximilian von Egmont, Graf von Büren.
4 Sebastian von Heusenstamm.
5 Bingen (Rheinland-Pfalz), westlich von Mainz
6 Oppenheim (Rheinland-Pfalz), südlich von Mainz und Bingen.
7 weiter nördlich.
8 Siehe dazu Nr. 2548, Anm. 50.

et pudore ducti absque praelio eos non dimittent. Forsitan ita dominus voluit, ut traiicientes trucidarentur, qui trans fluvium potuerant esse securi. Expectamus in dies aliquid amplius.

Praeterea, si forte nescitis, 7. augusti ostendit deus suam potentiam, siquidem fulmine in turrim 9 proiecto, in quo 700 pulveris tormentarii tonnae 10 reservabantur. 300 aedes una cum turri funditus evertit et 700 domus aliae magna ex parte dilaceratae et dissipatae, 300 item homines mortui et 170 graviter laesi. Caesaris 11 arx et aula, quam ibi habuit, radicitus evulsa. Quid sibi haec praesagia velint, quemvis puto intellecturum christianum.

Iam enim caesar imprudenter Danubio traiecto conatusque aufugere, existimans langrafium 12 Ratisponae inhiaturum interim se posse elabi. 13 Sed nostri noctu diuque profecti ad ipsius usque pervenere castra, ut vix medium miliare 14 sit inter utrumque. Speramus iam aliquid actum, quod tamen nescimus. Haeremus inter spem et metum 15 .

Nec possum praeterire stratagema nostrorum, quo ulti sunt Ingolstadiensium perfidiam. Scripsi enim superioribus literis, 16 quomodo nostris diripuerint commeatum. Nostri itaque occultatis aliquot equitum cohortibus 500 boves iuxta Ingoistadium egere. Illi denuo erumpentes direpturi ab equitibus proruentibus aliquot caesi, reliqui in urbem vix salvi evaserunt. 17

9 Das Sandtor (,,Zandpoort") in Mechelen (Prov. Antwerpen, B). Es wurde in der Nacht vom 6. auf den 7. August 1546 von einem Blitz getroffen; s. Robert Foncke, Die Explosion des Mechelner Sandtores (1546) in Flugschriften der damaligen Zeit, Antwerpen/Paris/Amsterdam 1932, S. 11-14. — Davon wurde (wohl in Augsburg) der folgende, aus einem Brief aus Mechelen vom 11. August entnommene Bericht gedruckt: Copey eines brieffs Durch einen gelerten und gloubwürdigen mann ... von dem erschröcklichen und grausamen ungewitter zu Mechlen in dem Niderland, s.I. 1546 (VD16 ZV27822 —vier Exemplare in Zürich ZB, u.a. Ms S 61, 74[a]). Die Schrift wurde auch in Straßburg nachgedruckt (VD16 H4998 — zwei Exemplare in Zürich ZB, u.a. Ms F 14, f. 82r.-85v.). In Basel erschien eine lateinische Fassung davon (VD16 H 4997). Dass Bullinger eine dieser (vermutlich deutschen) Auflagen kannte und möglicherweise auch davon ein Exemplar besaß, geht aus Nr. 2562,4f; Nr. 2564,30, hervor. Foncke, aaO, S. 86-94, hat sowohl den Straßburger als auch den vermutlich Augsburger
Druck veröffentlicht. Zu einem weiteren Augsburger Nachdruck, dem ein zusätzlicher Bericht beigelegt wurde, s. Nr. 2519, Anm. 31.
10 Etwa 40'000 kg; s. Foncke, aaO, S. 13.
11 Karl V.
12 Philipp von Hessen.
13 Der Kaiser war am 21. August von Regensburg in Richtung Neustadt ad. Donau aufgebrochen; s. Zürich St.A. A 177, Nr. 29 (Rat von Konstanz an den Rat von Zürich, 27. August 1546); Stälin 579; Schüz, Donaufeldzug 32; Nr. 2558,8-10.
14 eine deutsche Meile, ca. 7 bis 8 km. Vgl. Hoven s.v. — Sebastian Schertlin schreibt am 25. August: "gestern seind wir ein meil neben ime [= dem Kaiser] hergezogen. Hat sich gar nicht vernemmen lassen" (Herberger, Schertlin 158).
15 Zur Redewendung vgl. Titus Livius, Ab urbe condita, 8, 13; Sueton, De vita Caesarum, Claudius, 4, 4.
16 Siehe Nr. 2548,29-35.
17 Vgl. Sebastian Schertlins Brief vom 25. August: "Heut haben unsere reuter mit 1'400 pferden, welche aus Ingelstadt gezogen, scharmutz gehalten, auss inen 2 gefangen, ain Hispanier und ain Italiäner.

Speramus Brunsvicensis captivitate 18 Carob praelusum.

Audivi heri ab archigrammateo 19 , quid Badenae 20 actum: 5 pagos neutre accessuros parti, nostris 21 autem liberum esse auxilia, si opus fuerit, dare imperio 22 . Si sic se res habeat, ago domino gratias immortales.

Unum addam: Magna est apud nos ministrorum penuria; Kauffbürani libenter haberent aliquem bonum virum. Commiserunt Cellario 23 , ut quaerat aliquem. Illi autem ex veteri quadam consuetudine notus est Eggsteinius 24 videatur illi commodus esse. Rogavit, ut tibi scriberem, quid tibi hac in re videretur, aut si quem alium posses illuc promovere. Nolunt enim habere Lutheranum. Praeterea, si quos alios nosses bonos viros, significato nobis. So wirt man umb si schriben. 25 luvate vel in hac re, si non vultis armis. So man glert gsellen möcht han, welt ichs wol inn die statt promovieren.

Vale, et quamprimum potes, rescribe. Raptim expectante tabellario 26 . 26. augusti anno 1546, Augustae Vindelicorum. Saluta fratres. Salutat vos Laetus 27 , qui libenter scripsisset. Sed iam ipsi eundum ad senatum.

Tuus ex animo loan. Hallerus.

||19v. Mitto hic formam iusiurandi 28 , quo caesar erga imperium obligatus, sed quos servaverit hactenus articulos, ipse expende.

Gestern aubent hat [Daniel] Scheu[e]rschloss, der hessi[s]ch rittmaister, denen von Ingelstat 600 haupt vichs an der statt hinwegk getribenn zu vergleichung, das sie uns etlich proviant nider geworffenn" (Herberger, Schertlin 158f).
18 Anspielung auf die Gefangennahme Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel durch die schmalkaldischen Truppen; s. Nr. 2452, Anm. 2.
19 Georg Frölich.
20 Die Badener Tagsatzung, die am 9. August begonnen hatte; s. Nr. 2529, Anm. 27.
21 Die Vier protestantischen Stadtkantone.
22 den Schmalkaldenern. — Siehe dazu Nr. 2540, Anm. 24.
23 Michael Keller, der sich 1545 an der Einführung der Reformation in Kaufbeuren beteiligt hatte; s. HBBW XV 400, Anm. 1.
24 Utz Eckstein (gest. am 7. Oktober 1558 in Zürich). Zur Zeit der Abfassung des vorliegenden Briefes war er Pfarrer in Uster (Kt. Zürich) und hatte dieses Amt bis Mai 1558 inne. Seine publizistische Tätigkeit ging in die Literaturgeschichte ein. Von ihm ist ein Brief an Bullinger und an die Zürcher Prediger erhalten (HBBW II, Nr. 166). Im Jahr 1558
schrieb Bullinger in Ecksteins Namen an Bürgermeister und Räte von Zürich (Zürich StA, E II 338, 1563). — Lit.: Pf- Zürich 94. 250; Jakob Baechtold, Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, Frauenfeld 1892, S. 293-297; BBKL XVII 296-299 (mit weiterer Lit.). — Hans Vogler, der sich kurz zuvor in Augsburg aufgehalten hatte und dabei auch den mit Haller befreundeten Keller kennengelernt haben wird, war Vogt von Uster; s. Nr. 2525, Anm. 49.
25 Es ging damals um einen Nachfolger für den Kaspar Schwenckfeld freundlich gesinnten Matthias Espenmüller, dem man kurz zuvor die Predigt in Kaufbeuren verboten hatte, weil er sich nicht mit den lutherischen Pfarrern vergleichen konnte, und der sich am 2. Juni 1546 an der Universität Basel immatrikulieren ließ; s. Gritschke, Schwenck. 393; M-Basel 45, Nr. 31. — Pfarrer in Kaufbeuren wurde ab dem 22. Oktober Thomas Naogeorg; s. Nr. 2576, Anm. 64.
26 Hans Großmann, ein ehemaliger offizieller Bote Zürichs; s. Nr. 2552.
27 Georg Frölich.
28 Die Wahlkapitulation (,,capitulatio caesarea") vom 3. Juli 1519 (RTA-JR I 864 —

[Adresse darunter:] Clarissimo doctissimoque viro d. Heinrycho Bullingero, domino patrique suo venerando. Zürich, an M. Heinrich Bullinger.