Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

[2536]

Camillo Renato
an Bullinger
[Chiavenna],
15. August 1546

Autograph: Zürich StA, E II 365, 60 (Siegelspur) Druck: Petrus Dominicus Rosius a Porta, Historia Reformationis Ecclesiarum Raeticarum, Bd. 1/2, Chur und Lindau 1772, S. i 12f; Graubünden, Korr. I 97f, Nr. 73; Renato, Opere 156f, Nr. 9

Renato hat Bullingers letztes Schreiben [nicht erhalten]1 dankbar empfangen und den Standpunkt der Zürcher zur Kenntnis genommen. Darauf will er nicht reagieren, um Bullinger nicht lästig zu fallen oder ihm eigensinnig zu erscheinen. Der Herr möge allen, besonders den Dienern seines Wortes, eine Geisteshaltung schenken, die für die Unterweisung empfänglich ist; denn wo immer man die [von Gott gesetzten]Grenzen überschreitet, sündigt man, genauso wie dies Adam einst tat. Daher sollten alle darauf achten, nie Ansichten in ihren Predigten oder Büchern zu befürworten, nur weil diese ihnen gefallen, denn solche müssen auch im Buch des Lebens [= in der Bibel]belegt werden können. Wenn nicht, werden ihre Befürworter den Nachfolgern nur Probleme verursachen. So plagen uns heute noch Augustin, Ambrosius, Hieronymus und Gregor [der Große], obwohl sie schon längst tot sind. Wir reden und schreiben viel und bilden uns dabei ein, dem Christentum und der Nachwelt in der Frömmigkeit und im Kampfe gegen den Antichristen zu nützen. Möge dies tatsächlich der Fall sein! Diese Klarstellung erachtet Renato als notwendig, zumal die Schriften der frühen und noch mehr diejenigen der späteren [Theologen]weiterhin viel Unheil stiften. Bullinger soll berichten, was er bei den gegenwärtigen Unruhen erfahren hat. Das Konzil zu Trient kommt nicht voran. Möge es gänzlich verkommen! Freunde haben berichtet, dass ein französischer [richtig: ein italienischer] Bischof [Giovanni Tommaso Sanfelice, Bischof von Cava de' Tirreni] gegen einen anderen Bischof [Dionysius de Zanettinis, Bischof von Kreta ], dessen Spitzname Grechetto ist, handgreiflich geworden ist. 2 Bullinger möge den für Celio Secondo [Curione] bestimmten Brief nach Lausanne weiterleiten. Grüße an alle wie auch von allen, besonders von Agostino Mainardi, Pfarrer in Chiavenna.

1 Renato wollte die brüderliche Mahlzeit (,,epulum"), die seiner Meinung nach in 1 Kor 11, 21. 33f, bezeugt ist, wieder einführen und deren Abhaltung mit der Abendmahlsfeier in Verbindung bringen; s. HBBW XV, Nr. 2212. 2245. 2279. Am 3. November 1545 hatte Agostino Mainardi Bullinger gebeten, dazu Stellung zu
nehmen; s. HBBW XV 623. Diese Stellungnahme entspricht wohl dem hier erwähnten und nicht mehr erhaltenen Brief.
2 Zum Zwischenfall, der sich in Trient am 17. Juli ereignete und das Thema der Rechtfertigung durch den Glauben zum Anlass hatte, s. Jedin, Trient II 160-162; CT 352-363, Nr. 146-149.