Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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Einleitung

Alles deutet auf einen bevorstehenden Krieg hin, und zwar nicht nur der Inhalt der Briefe, sondern auch schon deren große Anzahl. Im Jahre 1545 bestand der uns bekannte Briefwechsel Bullingers aus 259 Briefen. Für das Jahr 1546 sind es etwa 420! Nicht dass nun mehr Briefe aus Bullingers eigener Feder erhalten geblieben wären: Mit diesem Band sinkt sogar der Anteil jener Briefe von 24.7%— für das Jahr 1545 —auf 19.4%. Auch ließe sich diese abrupte Zunahme der erhaltenen Briefe nicht mit einer plötzlich drastisch steigenden Popularität Bullingers über die Jahreswende 1545/46 erklären. Denn schaut man genauer hin, ist für das Jahr 1546 kaum eine größere Anzahl neuer Briefschreiber als im vergangenen Jahr zu verzeichnen, auch wenn deren Zahl selbstverständlich stets wächst, zumal mit den Jahren Bullingers Einfluss, nicht zuletzt dank dessen Publikationen, immer größer wurde. Tatsache ist, dass wegen der im Jahre 1546 herrschenden angespannten internationalen politischen und religiösen Lage der Briefwechsel mit Bullingers bisherigen Korrespondenten intensiver und im Durchschnitt inhaltsreicher wird, so dass es gar nicht mehr möglich wäre, wie bis anhin die Veröffentlichung der überlieferten Briefe eines ganzen Jahrgangs des 16. Jhs. in einem einzigen Band unterzubringen. ***

Das Ausmaß von Bullingers Vernetzung für die in diesem Band umfasste Zeitspanne

Der vorliegende Band enthält 134 Briefe und involviert abgesehen von Bullinger 47 Korrespondenten. 54 dieser Briefe entstanden im Rahmen von Kontakten innerhalb der Eidgenossenschaft inklusive der zugewandten Orte St. Gallen und Graubünden und den Untertanengebieten im Aargau. Involviert sind folgende Städte bzw. Gebiete: Basel (22 Briefe), St. Gallen (elf), der Aargau (sieben) — dabei hauptsächlich Aarau —, Chur (sechs), die protestantischen Ortschaften Bern, Kappel am Albis (Kt. Zürich), Schaffhausen und Stein am Rhein, und die katholischen Städte Solothurn und Luzern mit je einem Brief. Zwei weitere Briefe wurden aus Zürich selbst an Bullinger geschrieben.1

67 Briefe wurden mit Personen aus dem damaligen süddeutschen Raum gewechselt. Bekannt sind 25 Briefe mit Augsburg, 24 mit Konstanz, sieben mit Reichenweier (heute Riquewihr, Elsass), sechs mit Straßburg, zwei mit

1 Nr. 2391. 2416.

Memmingen und je einer mit Lindau, Rottweil und Ulm. Fünf weitere Briefe entsprechen Kontakten mit Hessen (Frankfurt a. M., Marburg und Nidda), drei mit Ostfriesland (Emden und Oldersum, wobei einer 2 von einem Friesen, der sich zu Besuch in Osnabrück befand, verfasst wurde), drei mit dem Erzbistum Köln (Bonn, Buschhoven und Köln) und einer mit Wittenberg. Im Ganzen sind es also, wenn man dabei von der Eidgenossenschaft absieht, 79 Briefaustausche mit Korrespondenten aus dem damaligen deutschen Reich, von denen 66 Briefe zwischen Zürich und dem Gebiet des heutigen Deutschlands ausgetauscht wurden.

Außerdem ist noch ein Brief aus Nozeroy im damaligen Burgund erhalten. Rechnet man nun den Briefwechsel mit dem Elsass (Straßburg und Reichenweier) dazu, ergeben sich 14 Briefaustausche zwischen Zürich und dem Gebiet des heutigen Frankreichs.

Die dreißig in Zürich verfassten Briefe und ihre Überlieferung

Zwischen Januar und Mai 1546 wurden in Zürich 30 Briefe verfasst, von denen zwei an Bullinger gerichtet 3 und 28 von Bullinger für auswärtige Korrespondenten bestimmt waren. Von diesen 28 Briefen sind sieben nur durch Abschriften bekannt, von denen zwei auf den Zürcher Theologen Johann Heinrich Hottinger (1602-1667) zurückgehen, die für die hier in Frage kommende Zeitspanne alle heute noch erhaltenen Briefe an Johannes Haller in Augsburg ausmachen. Die fünf anderen Abschriften gehen auf Bullingers Initiative zurück. Alle fünf Briefe werden heute noch in Zürich aufbewahrt und wurden für Bullinger von Schülern oder ehemaligen Schülern in Zürich abgeschrieben: Zwei von Josias Simler 4 (damals wohnhaft im Hause Bullingers), zwei weitere von Leodegar Hirsgarter 5 (damals Provisor an der Lateinschule des Großmünsters in Zürich) und einer von einer leider zurzeit nicht bestimmbaren Hand 6 . In allen fünf Fällen handelt es sich um Briefe, die Bullinger als sehr wichtig erachtete und von denen er deshalb eine Kopie anfertigen ließ, darunter auch den wichtigen, nach Luthers Tod verfassten Brief an Philipp Melanchthon, 7 den Letzterer wohl vorsichtshalber spätestens, als er von allen Seiten in seinem Lager angegriffen wurde, verbrannte.

Bullingers Schreiben an Melanchthon hatten sich die Augsburger gewünscht. 8 Doch geht Bullingers Brief an Melanchthon, der tatsächlich auf den 1. April zu datieren ist, 9 auf Bullingers eigene Initiative zurück. Er

2 Nr. 2415.
3 Nr. 2391. 2416.
4 Nr. 2358 (an Wolfgang Musculus) und Nr. 2361 (an Gervasius Schuler).
5 Nr. 2404 (an Philipp Melanchthon) und Nr. 2429 (an Musculus).
6 Nr. 2401 (an Johannes Pistorius).
7 Nr. 2404.
8 Siehe Nr. 2392 und 2409 vom 24. März und 2. April 1546.
9 Siehe Nr. 2407 und Anm. 15.

wurde nämlich verfasst, ehe der in Augsburg am 24. März geschriebene Brief des Altbürgermeisters Jakob Herbrot 10 in Zürich eintraf. 11 Ambrosius Blarer in Konstanz erhielt leihweise eine Abschrift von Bullingers Schreiben 12 und wird vermutlich selbst einen ähnlichen, heute nicht mehr erhaltenen Brief an Melanchthon versandt haben. 13 Fest steht, dass Blarer und andere sich über Bullingers Schreiben an Melanchthon sehr freuten, 14 und dass auch Bullinger sich offensichtlich etwas davon erhoffte, 15 während der erst fünfundzwanzigjährige Haller erstaunlicherweise schon ahnte, dass solch ein Brief keine Auswirkung haben würde! 16 In der Tat hat Melanchthon Bullinger nie darauf geantwortet, sonst wäre solch ein wichtiges Schreiben heute wohl noch in Zürich aufbewahrt oder zumindest bezeugt. Der nächste erhalten gebliebene Brief Melanchthons an die Zürcher datiert vom 20. August 1555, und dazu kam es auch nur deshalb, weil Bullinger erneut als Erster an Melanchthon geschrieben hatte. 17

Die 21 anderen erhaltenen Briefe Bullingers entsprechen alle dem abgeschickten Original. Acht davon konnte Bullinger selbst vor der Vernichtung retten, indem er sie nach dem Ableben ihrer Empfänger wieder zurückverlangte: Sechs sind an Oswald Myconius 18 (in Basel) und zwei an Joachim Vadian 19 (in St. Gallen) gerichtet. Acht weitere Briefe Bullingers, nämlich alle heute noch bekannten Schreiben Bullingers an Ambrosius Blarer, befinden sich in St. Gallen auf der Kantonsbibliothek (Vadiana). 20 Zwei weitere Briefe Bullingers an Matthias Erb (in Reichenweier) liegen in Basel auf der Universitätsbibliothek, 21 wo ein Teil von Erbs Nachlass aufbewahrt wird. Ein Brief Bullingers an Michael Keller (in Augsburg)22 , ein weiterer an Eberhard von Rümlang (in Bern)23 sowie ein dritter an Vadian 24 befinden sich jeweils in Wolfenbüttel, Zofingen und Forlì. Habent et litterae fata sua ...

Die zweiundzwanzig nur in zusammengefasster Form dargebotenen Briefe

Von den 134 hier veröffentlichten Briefen werden 22 alleine in Form einer ausführlichen Zusammenfassung dargeboten, weil ihr Text bereits an anderer Stelle in befriedigender Weise veröffentlicht wurde. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass, um überhaupt solch einen schon veröffentlichten Brief richtig zusammenfassen zu können, dieser bearbeitet und, falls er zusätzlich kein genaues Datum trägt, auch datiert werden muss. Nur

10 Nr. 2392.
11 Siehe Nr. 2408.
12 Siehe Nr. 2437 und Anm. 30; Nr. 2444,1; Nr. 2446 und Anm. 27.
13 Vgl. Nr. 2413,58-60; Nr. 2437,39f; Nr. 2444.5f und Anm. 3.
14 Siehe Nr. 2437,38-41.
15 Siehe Nr. 2424,58f.
16 Siehe Nr. 2422,23-26.
17 MBW-Reg VII 334, Nr. 7558.
18 Nr. 2321. 2345. 2365. 2375. 2407. 2431.
19 Nr. 2326 und 2353.
20 Nr. 2319. 2332. 2340. 2376. 2383. 2387. 2396. 2446.
21 Nr. 2360. 2424.
22 Nr. 2357.
23 Nr. 2433.
24 Nr. 2425.

schon ein flüchtiger Blick auf einige dieser Briefe genügt, um sich des Arbeitsaufwandes bewusst zu werden. 25 Dazu kommt, dass ein Drittel dieser 22 Briefe Teil des Briefwechsels zwischen Vadian und Bullinger ist, und dass ausgerechnet Vadian sich in seinen Briefen des Öfteren nicht klar oder eindeutig ausdrückt, da er Angaben, die er bei seinem Korrespondenten voraussetzen konnte, stillschweigend überging.

Neues zu Vadian

Da gerade die Rede von Vadian ist, sei hier betont, dass der vorliegende Briefband den Text bzw. Auszüge von drei neuen, bislang unbekannten Briefen aus der Korrespondenz zwischen Bullinger und Vadian veröffentlicht. Einer davon 26 stammt aus Bullingers Feder. Dass er erhalten ist, stellt eher eine Seltenheit dar, weil Vadian während der für die Eidgenossenschaft gefährlichsten Zeit des Schmalkaldischen Krieges Bullingers Briefe mit kompromittierendem politischen Inhalt verbrannte. 27 Ein weiterer Brief überliefert noch unbekannte Angaben zum Tode von Otmar Gluß (alias Johannes Schuhmacher), dem Dekan der Abtei St. Gallen, 28 und ein drittes Schreiben erzählt vom verdienten Schicksal, mit dem Gott angeblich einen Teil derjenigen, die im April 1545 die Waldenser in der Provence niedergemetzelt hatten, bestraft haben soll. 29 Bei beiden dieser Briefe Vadians handelt es sich um Auszüge, die uns dank der von Johann Jakob Wick (1522-1588) angelegten, bedeutenden Nachrichtensammlung erhalten geblieben sind — eine Sammlung, die der Öffentlichkeit seit einigen Monaten erstmals in digitaler Fassung vollständig zur Verfügung steht. 30

Auch zu berichten ist hier über zwei noch unbekannte und erhalten gebliebene Gedichte Vadians. Eines davon ist auf Deutsch verfasst und kommentiert das vom Papst Paul III. nach Trient einberufene Konzil 31 . Mein Freund Rudolf Gamper (der sich während Jahrzehnten durch unermüdliche Forschung über Vadian und die handschriftlichen Bestände der Schweiz verdient gemacht hat) wird dieses Gedicht veröffentlichen. Das andere, das

25 Siehe z.B. Nr. 2318. 2336. 2342. 2358f. 2373. 2380.
26 Nr. 2425.
27 Siehe Vadian an Bullinger, 14. November 1547, Vadian BW VI 674, Nr. 1573. — Nach Vadians Tod veranlasste Bullinger die Rückgabe seiner Briefe an Vadian (s. aaO, S. 910) und notierte auf diesem Briefbündel folgende Bemerkung: "A morte eius ad me remissae, sed ex mille decem." (s. aaO, S. 894, Anm. 1).
28 Nr. 2400.
29 Nr. 2411.
30 Auf der Plattform http://www.e-manuscripta.ch.
— Zu dieser Sammlung s. Die Wickiana. Johann Jakob Wicks Nachrichtensammlung aus dem 16. Jahrhundert. Texte und Bilder zu den Jahren 1560 bis 1571, ausgewählt, kommentiert und eingeleitet von Matthias Senn mit Transkription ins Neu-Hochdeutsche, Zürich 1975; und zuletzt Franz Mauelshagen, Wunderkammer auf Papier. Die "Wickiana" zwischen Reformation und Volksglaube, Epfendorf 2011 — Frühneuzeit-Forschungen 15.
31 Siehe Nr. 2380, Anm. 1; Nr. 2425, Anm. 5.

aus vier lateinischen Versen besteht, entstand anlässlich des Selbstmordes von Otmar Gluß, den Vadian nicht gerade schätzte. 32 Hier sei schließlich noch eine von Vadian verfasste und bisher unbekannte deutsche Übersetzung eines lateinischen Briefes aus dem 11. Jh. erwähnt. Sie wurde in Johannes Stumpfs "Eidgenössischer Chronik"veröffentlicht 33 und gab Bullinger Anlass klarzustellen, was er als gute Übersetzung betrachtete, nämlich eine solche, die nicht wortwörtlich, sondern sinngetreu erstellt wurde 34 .

Zu Vadians Briefwechsel mit Bullinger sei noch angeführt, dass, wenn für das ganze Jahr 1545 achtzehn Briefe zwischen den beiden Männern erhalten geblieben sind, es allein für die ersten fünf Monate des Jahres 1546 schon elf sind, von denen sechs 35 von Interesse für die Entstehungsgeschichte von Stumpfs Chronik sind. Einige dieser Briefe offenbaren manches über die Motive, die verfolgten Ziele und die Arbeitsweise des Historikers Vadian.

Die fünfzehn "neuen"Korrespondenten

Für die Zeitspanne dieses Bandes kommen 15 "neue"Korrespondenten Bullingers hinzu, mit denen im vorliegenden Band 22 Briefaustausche entstanden. Allerdings handelt es sich bei diesen Korrespondenten längst nicht nur um neue Kontakte oder Bekanntschaften Bullingers.

Fünf davon waren dem Zürcher schon seit längerem bekannt. Dies gilt im Falle des neuen Stadtschreibers von Zürich, Hans Escher vom Luchs, der 1545 das Amt des verstorbenen Werner Beyel angetreten hatte. Das Gleiche gilt auch für den wie Bullinger aus Bremgarten stammenden Bernhard Lindauer, damals Diakon und Schulmeister in Stein am Rhein, für den Bürgermeister von Chur, Luzi Heim, den Bullinger schon seit August 1539 kannte; 36 für den in Solothurn amtierenden Stadtschreiber Georg Hertwig, dessen Name zwar im Briefwechsel Bullingers hier zum ersten Mal auftaucht, den Bullinger aber bereits gekannt haben muss, zumal Hertwigs erster und übrigens einzig erhaltener Brief an Bullinger mindestens ein an ihn gerichtetes Schreiben des Reformators voraussetzt, welchem ein neu erschienenes Werk beigelegt worden war. Schließlich kannte Bullinger bereits, und dies mindestens seit 1539, 37 den aus einer Luzerner Patrizierfamilie stammenden Jost von Meggen, den ehemaligen Landvogt von Baden (1539-1541) und Vogt von Beromünster (1543-1545), der uns heute hauptsächlich wegen seiner in den Jahren 1542/43 unternommenen Pilgerreise ins Heilige Land bekannt ist, weil er nämlich dieses Erlebnis schriftlich unter dem Titel "Peregrinatio Hierosolymitana" festhielt. Im einzigen uns erhaltenen Brief zwischen Bullinger und Meggen geht es genau um diesen Bericht. Der Katholik Meggen hatte den historisch und geographisch interessierten Protestanten gebeten,

32 Siehe Nr. 2400,20-24.
33 Siehe Nr. 2425 und Anm. 4 und 7.
34 Siehe Nr. 2425,8f.
35 Nr. 2318. 2342. 2352f. 2359. 2425.
36 Siehe HBBW IX 204, Nr. 1301.
37 Siehe HBBW IX 155f, Nr. 1280.

sein Manuskript zu überarbeiten! Und aus Brief Nr. 2398 erfährt man, dass der Reformator eingewilligt und dem Verfasser die mit Korrekturen und Verbesserungsvorschlägen versehene Handschrift zurückgeschickt hatte. Ob Bullingers Beiträge der später im Jahre 1580 von Meggens Pflegesohn, Jost Segesser von Brunegg, besorgten Ausgabe dieser Schrift einverleibt wurden oder nicht, muss leider offen bleiben.

Vier weitere neue Korrespondenten stehen unmittelbar in Verbindung mit Bullingers Beteiligung (als Examinator) am Zürcher Schulwesen. Es sei hier daran erinnert, dass 1545 bereits neue Briefkontakte mit ehemaligen Studierenden aus Zürich (Heinrich Hindermann und Johannes Schmid, alias Fabricius Montanus), die sich zum Weiterstudium nach Marburg begeben hatten, entstanden waren. Dieser Briefwechsel sollte sich auch über das Jahr 1546 erstrecken. Im Oktober 1545 hatte ferner der achtzehnjährige Ludwig Lavater, Sohn des Zürcher Bürgermeisters Hans Rudolf und künftiger Schwiegersohn Bullingers, sein Studium in Straßburg aufgenommen. Mitte März 1546 38 wurden der gerade achtzehn Jahre alt gewordene Huldrych Zwingli d.J., Sohn des in Kappel gefallenen Reformators, sowie das kaum fünfzehn Jahre alte Patenkind Bullingers, Josias Simler, beide —wie Lavater —künftige Schwiegersöhne Bullingers, nach Basel zum Weiterstudium entsandt. Während Zwinglis Sohn brieflich wohl eher mit seinem Schwager Rudolf Gwalther in Kontakt gestanden haben mag, datieren die ersten Briefe Lavaters und Simlers an Bullinger aus dem Jahre 1546. Sie enthalten wie diejenigen ihrer Kameraden aus Marburg hochinteressante und unbekannte Angaben zum Studentenleben und Schulwesen ihrer jeweiligen Studienstätte. Im vorliegenden Band befindet sich auch ein Brief eines ehemaligen Schülers von Zürich namens David Wäber. David war ein Sohn des in Bern wirkenden Diakons Johannes Wäber und hatte im Gegensatz zu den zuvor erwähnten Schülern kein großes Interesse am Studium gezeigt, so dass er in seinem einzig erhaltenen Brief an Bullinger die Vermutung oder sollte man fast sagen die Befürchtung äußerte, das Wohlwollen Bullingers verspielt zu haben. Ein weiterer mit dem Schulwesen Zürichs in Zusammenhang stehender Brief ist ein Schreiben des Rates von Schaffhausen. Daraus wird ersichtlich, dass Bullinger sich für das Weiterstudium zweier seiner Ansicht nach begabten Studenten aus Schaffhausen eingesetzt hatte; ein Antrag, dem die Schaffhauser tatsächlich auch nachkamen.

Der Kontakt zu vier weiteren neuen Korrespondenten Bullingers entstand durch eine gemeinsame Bekanntschaft. Eine besonders wichtige Rolle spielte dabei Johannes Haller, der seit November 1545 den Augsburgern als Pfarrer ausgeliehen worden war. Nach einer kaum zweimonatigen Probezeit entschloss sich der Augsburger Rat, den Neuankömmling fest anzustellen, 39 und schickte diesen dementsprechend am 5. Januar 1546 in Begleitung eines

38 Siehe Nr. 2378 und Anm. 4.
39 Siehe HBBW XV 647, Anm. 5.

seiner Stadtreiter 40 und mit einem ausgezeichneten, für den Zürcher Rat ausgestellten Zeugnis 41 nach Zürich zurück, im Hinblick auf seine definitive Übersiedlung nach Augsburg mit Frau Elsbeth, geb. Kambli, und Töchterchen Agnes. Zwischen dem 19. und dem 21. Februar 42 verließen Haller und seine kleine Familie wiederum Zürich, diesmal flankiert von einem offiziellen Reiter Zürichs. 43 Sie trafen am 28. Februar 44 in Augsburg ein. Dank Haller konnten nun die Zürcher, darunter Gwalther, Konrad Gessner und besonders Bullinger, die bereits in Augsburg vorhandenen Sympathien und Kontakte festigen und neue knüpfen, was dem süddeutschen Reformator Martin Bucer weder entging noch gefallen konnte. Da dieser ohnehin schon seit jeher besorgt über die anfällige Einheit der Protestanten Deutschlands war, machte er zum Teil Georg Frölich, den Stadtschreiber Augsburgs, den er als Trojanisches Pferd bezeichnete, 45 für diesen seiner Ansicht nach gefährlichen neuen Zustand nicht zu Unrecht 46 verantwortlich. Und so entstand ein neuer Briefwechsel mit dem schon längst den Zürchern bekannten und ihnen wohlgesinnten Pfarrer Augsburgs Michael Keller sowie auch mit dem seit Herbst 1545 47 in Augsburg an der Kirche St. Anna auf Italienisch predigenden ehemaligen Generalvikar der Franziskaner Bernardino Ochino, dessen lebhafte italienische Predigten sich damals sogar bei Anton Fugger großer Beliebtheit erfreuten. 48

Der Briefkontakt mit Peter Medmann aus dem Umfeld des reformfreundlich gesinnten Kölner Erzbischofs Hermann von Wied kam durch die Vermittlung eines ehemaligen Täufers zustande, nämlich durch den ursprünglich aus Köln stammenden Gerhard Westerburg, 49 der vermutlich dank Johannes a Lascos Wirken in Ostfriesland Abstand von den Anabaptisten nahm. 50 Der schon bald fünfzig Jahre alte John Hooper fand seinerseits einen Kontakt zu Bullinger dank seiner Beziehungen zu einem anderen in Straßburg wohnhaften englischen Flüchtling namens Richard Hilles und zu dem jungen Zürcher Studenten Ludwig Lavater. 51

Einen besonderen Fall stellt der als Präzeptor der Knaben Bartholomäus und Anton Sailer angestellte junge Mann namens Matthias Claudius dar, zumal dieser sich Bullinger von selbst als Briefkorrespondent anbot, nämlich als Übermittler von Nachrichten aus Ulm, Augsburg und vom Regensburger Reichstag. 52 Im Falle des Pfarrers Johann Werner Wiga scheint hingegen

40 Siehe Nr. 2351 und Anm. 3. 5. 34.
41 Siehe Nr. 2324, Anm. 7.
42 Siehe Nr. 2332, Anm. 19.
43 Siehe Nr. 2364, Anm. 1.
44 Siehe Nr. 2364,1.
45 Siehe Nr. 2351 und Anm. 20.
46 Siehe nämlich HBBW XV Reg. s.v. Frölich, Georg.
47 Siehe HBBW XV 597f.
48 Siehe dazu Nr. 2428 und 2431.
49 Siehe Nr. 2419.
50 Siehe HBBW XV 403, Anm. 4 und 6. — Neues zu Westerburg wird man in einem Aufsatz von Alexandra Kess, der voraussichtlich 2015 erscheinen wird, erfahren.
51 Siehe Nr. 2336f.
52 Nr. 2331.

die Initiative des ersten Kontaktes auf Bullinger zurückzugehen. 53 Im Sommer 1545 wurde Wiga zum Pfarrer in Rottweil ernannt 54 — eine kleine süddeutsche Freie Reichsstadt, die seit 1463 zugewandter und seit 1519 sogar "ewig zugewandter" Ort der Eidgenossen war. Wie kam es wohl zu diesem Kontakt, zumal dieser, wie es scheint, nicht auf Johannes Gast —den sowohl Bullinger und Wiga kannten —zurückzuführen ist? Pflegte vielleicht Bullingers Bruder, Johannes (Reinhart), der in seinen jungen Jahren in Rottweil studiert hatte, 55 weiterhin Kontakte zu dieser Ortschaft? Erfuhr vielleicht Bullinger von dieser neuen Pfarrbesetzung durch den in Zürich wirkenden Erasmus Schmid, der früher in Rottweil Prediger gewesen war, 56 oder auch durch einen der vielen Rottweiler Glaubensflüchtlinge, die im Jahre 1529 ihre Stadt verlassen mussten, 57 und von denen einige sich in der Eidgenossenschaft — vielleicht sogar in Zürich — niedergelassen hatten? Doch zurück zu Wiga. Als Bullinger von dessen Ernennung in Rottweil erfuhr, ließ er ihm — und zwar ohne dass er darum gebeten worden wäre — eines seiner Bücher, vermutlich seinen Ende August 58 neu erschienenen Markuskommentar, zukommen und versprach darüber hinaus, auch seinen Matthäus- und seinen Lukaskommentar zu schicken! 59 Keineswegs billige Geschenke, auch wenn Bullinger einen Teil dieser Exemplare wohl vom Drucker Christoph Froschauer als Belohnung für die diesem immer wieder erwiesenen Dienste gratis bezogen haben mag, wie dies aus dem für seine Kinder verfassten und kürzlich von Rainer Henrich wiederentdeckten und veröffentlichten Testament hervorgeht. 60 Auch im vorliegenden Band fehlt es nicht an weiteren Beispielen für solche Buchgeschenke vonseiten Bullingers. Ihnen kann man dank der den Werken Bullingers gewidmeten Einträge unseres Registers leicht auf die Spur kommen.

Die damaligen Hauptkorrespondenten Bullingers

Im Jahre 1545 waren Bullingers Hauptkorrespondenten Ambrosius Blarer (45 Briefaustausche), Johannes Gast (23), Oswald Myconius (23) und Joachim Vadian (18). Für die ersten fünf Monate des Jahres 1546 beobachtet man eine kleine Änderung. Die wichtigsten Korrespondenten sind nun Blarer (23 Briefwechsel), Myconius (12), Vadian (11) und Haller (9). Der Briefwechsel mit Gast (7 erhaltene Briefe) nimmt zugunsten des Briefaustausches mit Myconius ab. Wir haben bereits in den vorhergehenden Bänden 61 auf die Krise aufmerksam gemacht, die 1544 und 1545 die Beziehung zwischen

53 Nr. 2334.
54 Siehe HBBW XV 446, Anm. 28.
55 Siehe HBBW I 114, Anm. 17.
56 Siehe HBBW II 27. Anm. 1.
57 Siehe HBBW III 82, Anm. 19; VI 263, Anm. 19. —Bullingers Interesse an Rottweil wird etwa im Jahre 1540 immer
wieder deutlich; s. z.B. HBBW X 191. 193.
58 Siehe HBBW XV 511 und Anm. 37.
59 Siehe Nr. 2334.
60 Bullinger, Testament 22.
61 HBBW IV 16; HBBW XV 18-20.

Bullinger und Myconius trübte. Es ist wohl der angespannten politischen Lage zu verdanken, dass die beiden Antistites von Zürich und Basel sich wieder öfters schrieben. Die Initiative zu diesem intensiveren Briefaustausch geht wiederum auf den Zürcher zurück. Am 3. Januar betonte er seinem Korrespondenten gegenüber, dass es zwar nichts Interessantes mitzuteilen gebe, er ihm aber doch schreibe, weil er einen zuverlässigen Boten habe. 62 Auch wenn Myconius zunächst nur wenig schreibt, führt Bullinger den Briefwechsel beharrlich fort, bis er dann am 2. März seinen Korrespondenten ausdrücklich fragt, warum dieser denn nicht antworte, obwohl es so vieles zu berichten gäbe. 63 In der Folge intensivierte sich der Briefaustausch zwischen den beiden Kirchenführern.

Das Hinzukommen Hallers lässt sich allein schon aus dem oben Geschriebenen erklären. Wenn im Falle Blarers und Myconius' der Briefwechsel hauptsächlich den damaligen politischen Ereignissen gewidmet ist, findet man, wie schon angedeutet, im Briefwechsel mit Vadian manches, das im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte von Stumpfs "Eidgenössischer Chronik" steht, und im Briefwechsel mit Haller vieles und gar Unbekanntes, das einen Bezug zum damaligen Kirchenleben Augsburgs hat. 64 Ein weiterer Korrespondent Bullingers, der zu dieser Zeit wichtiger wurde, ist Matthias Erb aus Reichenweier. Während im ganzen Jahr 1545 sieben Briefe zwischen Erb und Bullinger erhalten geblieben sind, sind es alleine in den fünf ersten Monaten des Jahres 1546 schon sechs. Wie bei Blarer und Myconius benachrichtigt man sich im Wesentlichen über die damalige Lage, wobei im Falle Erbs auch dessen Auseinandersetzung mit Veit Dietrich in Nürnberg, 65 die religiöse Entwicklung im benachbarten Mömpelgard 66 und die Erbangelegenheiten 67 des am 23. Februar 1546 verstorbenen Erasmus Schmid, der zwischen 1536 und 1538 in Reichenweier gewirkt hatte, hier ebenfalls der Erwähnung wert sind. Der Briefwechsel mit Gast, dem zweitwichtigsten Basler Korrespondenten Bullingers, enthält schon wie früher interessante Angaben zu den Druckern und den Neuerscheinungen aus Basel. 68 Auch erwähnenswert ist die Tatsache, dass es fast ausschließlich Gast ist, der uns immer wieder in seinen Briefen auf echoartige Weise Nachrichten zu Zürich übermittelt, die Bullinger sonst nie weitererzählt hätte, nämlich indem er den Zürcher um weitere Informationen oder um Stellungnahmen zu dem von ihm Gehörten bat. 69 Er muss wohl im Gegensatz zu Myconius, der kaum wusste, wann sich ein Bote von Basel nach Zürich begeben würde, 70 ein guter Marktbesucher und sonst auch ein kontaktfreudiger Mensch im damaligen Basel gewesen sein.

62 Nr. 2321.
63 Nr. 2365.
64 Siehe z.B. Nr. 2451 und unten bei Anm. 212.
65 Siehe Nr. 2360. 2418. 2424. 2450.
66 Siehe Nr. 2333. 2360. 2418. 2424.
67 Siehe Nr. 2418. 2424. 2441.
68 Siehe Nr. 2362. 2368. 2372. 2394. 2435.
69 Siehe Nr. 2348. 2362. 2368.
70 Siehe z.B. HBBW XV 506,1-5; und unten Nr. 2341. 2345. 2435.

Der Briefschreiber Bullinger

Meine Beobachtungen über Bullingers Bemühungen, mit Melanchthon Kontakt aufzunehmen, den Briefwechsel mit Myconius zu intensivieren und seine Publikationen immer wieder und sogar auch an Unbekannte zu verschenken, führen mich dazu, einige Bemerkungen über Bullingers Person zu machen. Sein Wesen kommt nämlich in seinem Briefwechsel viel mehr als in seinen gedruckten Schriften zum Ausdruck. Und aus den Briefen geht klar hervor, dass er keineswegs, etwa wie Bucer, interessiert daran war, ein Apostel der Einheit zwischen den Protestanten zu werden, weil dies seiner Ansicht nach bedeutete, auf den inneren, von Christus verliehenen Frieden verzichten zu müssen, 71 oder sich nicht Gottes Wort unterzuordnen. 72 Dem hessischen Superintendenten Johannes Pistorius erklärt er, 73 dass man sich wegen des Abendmahlsstreites nicht zu schämen brauche, denn es gäbe Streitigkeiten, die vom Herrn gebilligt würden und die für die Kirche günstigere Auswirkungen hätten als etwa eine zu große Zuversicht oder Friedfertigkeit. Wolfgang Musculus, der sich aus dem Abendmahlsstreit herauszuhalten versuchte, gibt er zu verstehen, dass es in dieser Angelegenheit nicht möglich sei, neutral zu bleiben, 74 und in einem Schreiben an Gervasius Schuler, seinen ehemaligen Kollegen in Bremgarten, betont er, dass eine Mittelposition nicht zu verantworten wäre. 75 Auch in den Religionsgesprächen mit den Katholiken, an denen Bucer stets teilnahm, konnte er nur eine Gefahr für die Wahrheit erkennen. 76 Obgleich Bullinger immer wieder betonte, dass er bereit sei, sich durch die Heilige Schrift eines Besseren belehren zu lassen, belegen die Äußerungen in seinen Briefen ganz eindeutig, dass er keinen Zweifel daran hegte, dass es für ihn nur eine richtige theologische Auffassung gab, und zwar diejenige, die seinem Schriftverständnis entsprach. Diese Haltung kommt im vorliegenden Band in seinen Briefen an Musculus, Schuler oder Pistorius gut zum Ausdruck.

Wenn Bullinger also im Gegensatz zu Bucer (den er auch in den Briefen des vorliegenden Bandes wegen seiner Bemühungen um die Einheit scharf kritisiert 77 ) zu keinem Kompromiss bereit war, so erweist er sich doch als sehr geschickter Taktiker.

Wichtig war es ihm zum einen, dass die Zürcher Kirche nach außen hin den Eindruck der Einheit erweckte und dementsprechend für ihren guten Ruf sorgte. Immer wieder hebt er ganz stolz diese Eintracht hervor, 78 auch

71 Siehe z.B. HBBW XIV 554,50-54 (wo Bullinger Bucer einlädt, seine Bemühungen um Eintracht unter den Protestanten aufzugeben); HBBW XV 318,14f (wo Bullinger den Frieden mit Christus über den Frieden mit dem Kaiser stellt).
72 Siehe Nr. 2357.
73 Mit Nr. 2401.
74 Nr. 2358.
75 Nr. 2361.
76 Nr. 2376.
77 Siehe z.B. Nr. 2376,76-79; Nr. 2377,28; Nr. 2387,16-22.
78 Siehe z.B. HBBW XIV 475. 499; HBBW XV 550; unten Nr. 2368 und Anm. 41.

wenn er dabei Meinungsverschiedenheiten oder Spannungen verschweigt. 79 Noch an seinem Lebensabend, nämlich in seinem für den Zürcher Rat verfassten Testament, empfiehlt er seiner Stadt, diesen Schein der Eintracht weiterhin zu pflegen. 80

Ebenfalls wichtig war es ihm, die Sympathie der Gegner oder der Unentschlossenen durch Freundschaftsdienste zu gewinnen. So manche Zuneigung erwarb er sich durch seine Gastlichkeit, die in den an ihn gerichteten Briefen immer wieder bezeugt wird. Auch seine unzähligen Buchgeschenke an andere, und zwar nicht nur solche seiner eigenen Schriften, dienten ihm dazu, Beziehungen zu knüpfen oder zu pflegen. Mit ihnen trug er natürlich auch zur Ausstrahlung von Zürichs Gedankengut bei. Er konnte auch durchaus Dinge behaupten, die nicht ganz stimmten, solange sie dazu dienten, Vorbehalte abzubauen und für Entspannung zu sorgen. So gab er zum Beispiel in einem Brief an Musculus vor, 81 dass dessen Güte von Haller hoch gepriesen worden wäre, auch wenn Haller nichts dergleichen geschrieben hatte. Er wusste seine Korrespondenten zu beruhigen. Dies tat er zum Beispiel gegenüber Myconius 82 und Vadian 83 , die von Hallers Einsatz in Augsburg nicht sonderlich begeistert waren, zumal sie fürchteten, dass man den Eidgenossen vorwerfen könnte, in Augsburg für Zwietracht zu sorgen —und dazu kam es auch tatsächlich. 84 Auch konnte er übertreiben und Erb mitteilen, dass Haller in Augsburg sehr freundlich aufgenommen worden sei. 85 Und dem Empfänger eines Ermahnungsschreibens kann er versichern, dass dessen Überbringer nichts über den Inhalt wüsste, um dies sogar als Beweis seiner freundschaftlichen Beziehung anzuführen, wobei man später vom Übermittler selbst erfährt, dass dieser über den Inhalt des Briefes sehr wohl informiert war. 86

Als Bullinger sichere Nachricht über Luthers Tod erhalten hatte, zeigte er sich davon in seinem an einen ihm vertrauten Korrespondenten (Ambrosius Blarer) gerichteten Brief nicht sehr betroffen und bemerkte sogar, dass mit diesem Tod kaum die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der reinen Abendmahlslehre bestünde, zumal zuvor auch noch Bucer (der fortan noch mehr in den Abendmahlsstreit eingreifen würde) sterben müsste 87 —ganz im Gegensatz zu Vadian, der Luthers Tod bedauerte. 88 Doch seinem lieben Haller in Augsburg gab Bullinger den Ratschlag, sich maßvoll und ehrenhaft über den Verstorbenen zu äußern. 89 Eine Taktik, an die er sich selbst in

79 Siehe z.B. HBBW XV 381f, Nr. 2189; und unten Nr. 2348. 2362.
80 HBSchrzT 366.
81 Nr. 2429,47-49.
82 Nr. 2375,27, und Nr. 2428,34-37.
83 Siehe HBBW XV. Nr. 2303; und unten Nr. 2342.
84 HBBW XV, Nr. 2290. 2310; und unten Nr. 2322. 2327. 2351. 2422.
85 Nr. 2360.
86 Vgl. Nr. 2361 mit Nr. 2364.
87 Nr. 2376,72-83; Nr. 2387,16-22.
88 Siehe Nr. 2380.
89 Siehe Nr. 2377.

seinem Brief 90 an Melanchthon hielt, auch wenn ihm einige zu Luthers Tod veröffentlichte Publikationen nicht gefielen, 91 Luthers Bestattung für seinen . Geschmack zu pompös war 92 und er in einem Schreiben 93 an einen vertraulichen Verteidiger der Zürcher in Bern bemängeln konnte, dass Luther (auch wenn er sich Christus anvertraut habe und dieser ihm wohl seine Irrtümer verzeihen werde) auf seinem Sterbebett gar nichts gesagt habe, das zur Bewahrung der reinen Lehre, zum gegenseitigen Verzeihen, zur Einheit der Kirche oder zur Abschaffung der sittlichen Missstände an der Wittenberger Universität beigetragen hätte.

Bullingers taktische Gewandtheit wird ebenfalls aus folgender Begebenheit ersichtlich. Der schon oben erwähnte, in Straßburg wohnende englische Flüchtling John Hooper plante eine Reise nach England, um bei dieser Gelegenheit wenigstens zu einem Teil des ihm zustehenden Vermögens zu gelangen. Diese Heimreise beschäftigte ihn innerlich selbstverständlich sehr, da sie lebensgefährlich werden konnte. Dementsprechend ist es völlig normal, dass Hooper sich damals mit der Frage auseinandersetzte, ob es erlaubt sei, an einem von Gott nicht gebilligten Gottesdienst teilzunehmen, wenn man es müsse. In seinem Schreiben an Bullinger 94 erklärte er, dass er es zwar nicht glaube, doch würden ihn andere mit ihren Einwänden unsicher machen. Diese bestritten nämlich Johannes Calvins deutliche Ablehnung eines solchen kompromissbereiten Verhaltens und beriefen sich dabei auf Stellen im Alten Testament, aus denen hervorgeht, dass Kinder Gottes sich auch in schwierigen und gefährlichen Zeiten unter den Gottlosen aufgehalten haben, ohne dass sie sich als solche zu erkennen gegeben hätten. Zu dieser heiklen Frage hatte Calvin bereits in einer im März 1537 erschienenen Veröffentlichung klar Stellung bezogen 95 und schon damals 96 das Missfallen der Straßburger Wolfgang Capito und Martin Bucer erregt, welche sich in dieser Angelegenheit zurückhaltender und nuancierter als Calvin zeigten. 97 1543 und 1544 hatten sich dann erneut Guillaume Farel 98 und Calvin 99 , und zwar gleich mit vier Schriften, sehr scharf gegen die Christen

90 Nr. 2404.
91 Siehe Nr. 2387 und 2413.
92 Siehe Nr. 2424.
93 Nr. 2433.
94 Nr. 2336.
95 In den Epistolae duae de rebus hoc saeculo cognitu necessariis, Basel 1537 (Bibliotheca Calviniana I 41-43, Nr. 37/1.
96 Siehe Herminjard V 439-443.
97 Siehe Frans Pieter Van Stam, The Group of Meaux as First Target of Farel and Calvin's Anti-nicodemism, in: BHR 68/2, 2006, 267-272.
98 Guillaume Farel, Epistre envoyée aux reliques
de la dissipation horrible de l'Antechrist, [Genf], [Jean Girard], 1544, und: Epistre exhortatoire à tous ceux qui ont congnoissance de I'Evangile, les admonestant de cheminer purement et vivre selon iceluy, glorifiant Dieu, et edifiant le prochain par parolles, et par oeuvres, et saincte conversation, [Genf], [Jean Girard], 1544 (GLN 1407f).
99 Jean Calvin, Petit traicté monstrant que doit faire un fidele entre les papistes, [Genf], [Jean Girard], 1543; und: Excuse ... a Messieurs les Nicodemites, sur la complaincte qu'ilz font de sa trop grand'

geäußert, die sich wie einst Nikodemus 100 nur nachts — wenn niemand sie sehen konnte — als Jünger Christi zu erkennen gaben.

Was tut nun Bullinger mit solch einer heiklen Anfrage? Es ist wohl anzunehmen, dass er diese im Sinne von Farel und Calvin beantwortet haben wird. Auch müsste er gewusst haben, dass er dabei gegen Bucer — dem er ohnehin nicht gewogen war —Stellung nehmen würde. Hooper in einem an ihn persönlich gerichteten Brief zu antworten, hätte also die Möglichkeit mit sich gebracht, dass Bullingers Brief auch anderen Flüchtlingen gezeigt oder ausgeborgt hätte werden können und schließlich sogar Bucer zur Kenntnis gelangt wäre. Durch einen persönlich an Hooper gerichteten Brief hätte Bullinger sich also in Bucers eigenem Revier indirekt gegen diesen geäußert und dadurch einen neuen Streit in einer fremden Kirche auslösen können. Ein solches Verhalten war jedoch Bullinger zuwider, da er selbst keine Freude daran gehabt hätte, wenn ihm so etwas in Zürich zugestoßen wäre. Dies zeigt nämlich auch — wie wir es bald im Falle Hallers sehen werden — sein Verhalten gegenüber Musculus, einer der Hauptfiguren der damaligen Augsburger Kirche. Dem nachfragenden Exulanten nicht zu antworten, hätte allerdings bedeutet, dass Bullinger nicht bereit gewesen wäre, seiner Aufgabe nachzukommen, nämlich Zeugnis für die Wahrheit abzulegen, die er aus Gottes Wort zu entnehmen glaubte. 101 So entschloss sich der Taktiker Bullinger, Hooper zu antworten, doch nicht mit einem an ihn gerichteten Brief, sondern mit einem an den in Straßburg studierenden jungen Zürcher Ludwig Lavater adressierten Schreiben. Diesen beauftragte er, Hooper die Antwort laut vorzulesen. 102 Natürlich hätte der Flüchtling eine Abschrift der Antwort auch so erstellen können, doch hätte Bullinger sich dann wenigstens nicht den Vorwurf machen müssen, nicht alles getan zu haben, um bei der ihm ohnehin als zwingend geltenden Bekundung der Wahrheit eine neue Konfrontation mit Bucer zu vermeiden.

Ein letztes Beispiel soll uns nun zeigen, dass der Taktiker Bullinger nicht nur darauf bedacht war, ein gutes Image von Zürich zu vermitteln, das Gedankengut seiner Stadt auf geschickte Weise zu exportieren und sich nicht als Unruhestifter aufzuführen, sondern dass er auch bereit war, gegebenenfalls zu einem Kompromissverhalten zu greifen, solange dabei der Glaube weiterhin ungefährdet bekundet werden konnte. Hier kommt bestimmt die Erfahrung des pragmatischen Eidgenossen Bullinger zur Geltung. Seit dem Zweiten Kappeler Frieden (November 1531) musste er nämlich lernen, nach Wegen zu suchen, die es Menschen unterschiedlicher religiöser Meinungen weiterhin ermöglichten zusammenzuhalten, ohne sie dabei zum Verzicht auf ihren Glauben zu zwingen.

rigueur, [Genf], [Jean Girard], 1544 (Bibliotheca Calviniana I 132-134, Nr. 43/6; 165s., Nr. 44/9).
100 Siehe Joh 3, 1-21.
101 In seinem Brief an Musculus vom 18. Februar
erklärt er, dass es gottlos gewesen wäre, auf Luthers Irrtum und auf dessen ungerechte Beschuldigungen nicht zu antworten; s. Nr. 2358.
102 Siehe Nr. 2440,19-22.

Johannes Haller wurde, wie wir schon gelesen haben, den Augsburgern auf deren Anfrage hin im November 1545 zur Verfügung gestellt. Diese Anstellung ging u.a. auf die Initiative der Altbürgermeister Jakob Herbrot und Hans Welser sowie auch auf den begeisterten Einsatz des Stadtschreibers von Augsburg, Georg Frölich, zurück. Sie sollte der immer stärker spürbaren "Lutheranisierung" der Augsburger Pfarrerschaft Einhalt gebieten. Hallers Anstellung wurde jedoch ohne Wissen des Amtskollegen von Bullinger in Augsburg, dem fünfzigjährigen Wolfgang Musculus, durchgeführt. 103 Es ist verständlich, dass Letzterer über die vollendete Tatsache dieser Neueinstellung nicht gerade erfreut war und dies auch Bullinger zu verstehen gab. 104 Ebenfalls verständlich ist es, dass die ganze Angelegenheit dem jungen Haller bald sehr peinlich wurde, 105 und dass Bullinger sogar in Erwägung zog, diesen eventuell aus Augsburg zurückzurufen, 106 offensichtlich allein schon deshalb, weil er anderswo keinen Zwist stiften wollte, 107 auch wenn er stets bemüht war, dasjenige, was er als "Wahrheit"betrachtete, weiterzuvermitteln und dementsprechend auch gerne Einfluss auf andere Gemeinden nahm, wie dies aus seiner Korrespondenz mit Bern, mit dem Aargau und dem Appenzellerland ersichtlich wird und nun im Falle Augsburg ebenfalls beobachtet werden kann. So berät sich zum Beispiel Haller mit Bullinger über die für seine Predigten als Grundlage zu benutzenden biblischen Bücher, 108 so dass Haller erfreut feststellen kann, dass dank seines Gebrauchs von Bullingers Predigtnotizen Letzterer nun auch in Augsburg predigen würde. 109

Kommen wir nun zu der Begebenheit, die Bullingers Bereitschaft zu einem Kompromissverhalten belegt. Ende November 1545 schickte Haller die soeben erneut erschienene Gottesdienstordnung Augsburgs an Bullinger. 110 Diese ging auf eine Vorlage Bucers aus dem Jahr 1537 zurück und enthielt im Zusammenhang mit dem Abendmahl zweideutige Aussagen, die Bullinger ohnehin missbilligte. 111 Ratlos fragte der junge Haller seinen Mentor, wie er sich nun gegenüber dieser Gottesdienstordnung verhalten solle. Daraufhin beriet sich Bullinger mit Theodor Bibliander und gab Haller den Rat, sich an die dort übliche Gottesdienstordnung zu halten, um weiterhin in Augsburg bleiben zu können, jedoch gleichzeitig zu verlangen, dass er sich dafür in seinen Predigten über das Abendmahl im Einklang mit seiner Auffassung

103 Siehe HBBW XV 650f.
104 Siehe HBBW XV 641-644, Nr. 2287.
105 Siehe HBBW XV 691-695, Nr. 2310. Noch im April 1546 muss Haller berichten, dass er den Neid seiner Amtskollegen deutlich zu spüren bekomme; s. Nr. 2422. Im Mai glaubt Sixt Birck, diesbezüglich eine Besserung melden zu können; s. Nr. 2442.
106 Siehe HBBW XV 677f, Nr. 2303.
107 Vgl. auch Nr. 2446, wo Bullinger ausdrücklich betont, dass er Streitigkeiten nicht liebe.
108 Siehe Nr. 2389. 2443.
109 Siehe Nr. 2389,36f.
110 Siehe HBBW XV 657f, Nr. 2295 und Anm. 1.
111 Siehe z.B. HBBW XIV 460f,42-55; und unten Nr. 2361,37-51; Nr. 2358 und 2401.

äußern dürfe. 112 Dies sorgte zunächst für Probleme, 113 doch dank eines energischen Eingreifens vonseiten des Augsburger Rats wurde Haller dies gestattet, 114 so dass dieser nun im Namen der weiterhin zu garantierenden Einheit der Augsburger Kirche von einer Gottesdienstordnung Gebrauch machte, die sonst in Zürich nie geduldet worden wäre.

Noch ein letztes Wort zum Briefschreiber Bullinger. Er schreibt und schreibt, bis zur Erschöpfung ... Einen an Oswald Myconius gerichteten Brief beendet Bullinger mit der Bemerkung: "Ich bin in diesen Tagen vom Schreiben so erschöpft, dass ich kaum fähig war, Dir diesen Brief zu schreiben 115 . Auch nach einer während der Passionswoche (18. bis 25. April 1546) gehaltenen Predigt rafft er sich trotz aller Müdigkeit auf, um Haller, seinem ihm liebgewordenen Vertreter in Augsburg (den Frölich mit Bullinger vergleicht)116, doch noch einen Brief zu schreiben. 117 Offensichtlich wusste er, dass dies der zu zahlende Preis war, wenn er weiterhin informiert bleiben und auf die Theologie seiner Zeit Einfluss nehmen wollte.

In den erhaltenen Briefen ist noch so mancher verlorene Brief Bullingers bezeugt. Wir erfahren, dass er Briefe verfassen konnte, ohne je darum gebeten worden zu sein; ja dass er sogar Briefe an fremde Staatsmänner richtete, um diese aus eigener Initiative mit politischen Nachrichten zu versorgen: So zum Beispiel an den Straßburger Ratsherrn Mathis Pfarrer. 118 Doch mit seinen Briefen übermittelte er längst nicht nur Nachrichten. Er vermittelte damit theologische Abhandlungen, die gezielt auf seine Korrespondenten abgestimmt waren. Ferner erteilte er damit auch seelsorgerische Ermahnungen. So ist zum Beispiel ein Brief mit Ratschlägen bezeugt, die für einen christlichen Kaufmann bestimmt waren. 119 Wie wichtig die Briefe für die damaligen Menschen waren, wird vortrefflich aus einem Schreiben Hallers an Bullinger ersichtlich. Darin erzählt der in der Ferne lebende ehemalige Student Zürichs, wie er und der Stadtschreiber Augsburgs sich während einiger Stunden die aus Zürich an sie gerichteten Briefe gegenseitig vorlasen und sie kommentierten. 120

Die zahlreichen von Bullinger empfangenen Briefe und die in ihnen vermittelten Informationen boten ihm die Möglichkeit, das politische Leben seiner Stadt zu beeinflussen, auch wenn die von ihm übermittelten Nachrichten außerhalb von Zürich kaum eine politische Auswirkung hatten. Denn wie Bernhard Stettler in einer zur Veröffentlichung bestimmten Studie 121

112 Siehe HBBW XV 6751, Nr. 2302.
113 Siehe HBBW XV 691-695, Nr. 2310; und unten Nr. 2311.
114 Siehe Nr. 2324. 2327.
115 Nr. 2407,41f.
116 Siehe Nr. 2405,110f.
117 Siehe Nr. 2443,1-11.
118 Siehe Nr. 2440 und Anm. 12.
119 Bezeugt in Nr. 2439.
120 Nr. 2443.
121 Mit dem Titel: "Große Angst und kleine Zuversicht. Überleben in schwieriger Zeit. Die 1530er und 1540er Jahre im Spiegel der Vadianischen Korrespondenz".

über den Briefwechsel Vadians treffend bemerkt, musste sich Vadian (auch wenn dieser anders als Bullinger ein Staatsmann war) genauso wie seine eidgenössischen Briefpartner (darunter Bullinger) auf politischer Ebene hauptsächlich auf eine "Beobachterrolle" beschränken: "Sie konnten nicht handeln, sondern nur reagieren." Auf kirchenpolitischer Ebene hingegen ist es rückblickend möglich zu behaupten, dass Bullinger mit seinen Briefen wohl sehr viel erreicht hat. Denn auch wenn er im Gegensatz zu Frölichs Einschätzung im Laufe der Zeit nie als einer der wichtigsten Theologen der Reformation angesehen wurde, 122 erlaubten ihm die durch seine Briefe hergestellten Kontakte, das theologische Gedankengut Zürichs weit in die Ferne zu tragen.

***

Im Folgenden möchte ich nun in Kürze den Stoff dieses Bandes aus einem thematischen Blickwinkel darstellen, auch wenn ich mich dabei wegen der Fülle der sonst übermittelten Informationen auf die wichtigsten wie auch auf die meiner Ansicht nach interessantesten Anliegen beschränken muss. In der Folge werde ich die Verweise auf die Stellen, auf die ich Bezug nehme, nur dann in einer Fußnote anführen, wenn es nicht leicht möglich wäre, diese Stellen anhand des von uns angelegten Registers zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei hier ferner daran erinnert, dass alle Drucke oder handschriftlich gebliebenen Texte, die im vorliegenden Briefband erwähnt sind, ebenfalls in unser Register einbezogen sind und unter dem Namen des Autors oder im Falle einer anonymen Schrift unter dem ersten aussagekräftigen Wort des Titels eingeordnet wurden.

Politisches und Gesellschaftliches

Wie schon gleich zu Beginn dieser Einleitung angedeutet, spiegeln die hier veröffentlichten Briefe die angespannte internationale politische Lage der damaligen Zeit wider. In den Briefen ist die Rede von Auseinandersetzungen zwischen England und Schottland, 123 denen eine noch blutigere und schon länger andauernde Konfrontation, nämlich die zwischen Frankreich und England, zugrunde liegt. 124 Man hört von Truppenanwerbungen oder Truppenbewegungen sowohl südlich als auch nördlich der Alpen, die die in Frankfurt am Main versammelten Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes veranlassten, einen Brief zu verfassen, den sie ihren Verbündeten von Konstanz anvertrauten und in dem sie die Eidgenossen baten, jeglichen aus dem Süden kommenden Truppen den Durchzug durch ihr Gebiet zu verweigern.

122 Nr. 2405.
123 So in Nr. 2336 und 2384.
124 Siehe Nr. 2320 und Anm. 36; Nr. 2328.
2333. 2336. 2354. 2363. 2379. 2384. 2403. 2439.

125 Doch wiederholte Durchreisen von vereinzelten Soldaten und Heerführern konnte man nicht verhindern, 126 und noch weniger konnte man den aus den Niederlanden kommenden spanischen Truppen verbieten, den Rhein zu überqueren und so in Süddeutschland einzudringen, zumal diese Söldner vorgaben, für den Schutz von Wien und den Krieg gegen die Türken bestimmt zu sein. 127 Und unterdessen sollen in den belgischen Gebieten Geschosse für einen Krieg hergestellt worden sein. 128

Doch war man sich damals nicht einig, was für einen Krieg Kaiser Karl V. anzettelte. Trotz des Friedens von Crépy-en-Laonnois (September 1544) blieb nämlich die Beziehung zwischen Frankreich und dem Reich angespannt und prekär. 129 Einige befürchteten sogar, dass spanische Truppen des Kaisers Genf überfallen würden 130 und dem Herzog Karl III. von Savoyen oder dessen Sohn Emanuel Philibert helfen würden, wieder zu den seit 1536 von Bern und Frankreich besetzten Gebieten zu gelangen. 131 Bullinger glaubte zwar nicht, dass es zu einem Krieg zwischen Frankreich und dem Reich kommen würde, denn für ihn stellte die zwischen diesen beiden Mächten aufrecht erhaltene Spannung (bei der Karl V. sogar die Vermittlung des Schmalkaldischen Bundes in Anspruch nahm)132 nur ein Ablenkungsmanöver dar. 133 Andere hingegen, darunter auch Bullinger, 134 befürchteten einen Angriff des Kaisers auf das Bistum Köln, wo Erzbischof Hermann von Wied schon seit einigen Jahren versuchte, eine Kirchenreformation durchzuführen. Man meinte sogar, dass der Kaiser gleichzeitig Köln und den süddeutschen Raum angreifen würde. 135 Andere wiederum waren voller Zuversicht. Für Georg Frölich 136 zum Beispiel, den Stadtschreiber Augsburgs, war der Schmalkaldische Bund so stark und effizient, dass er der Ansicht war, dass der Kaiser gar keinen Angriff auf die Protestanten wagen würde; ja er glaubte sogar ankündigen zu dürfen, 137 dass Kaiser und Papsttum bald gänzlich zugrunde gehen würden. Bullinger aber scheint hier scharfsinniger gewesen zu sein. Von Karl V. versprach er sich 138 nichts anderes als von den grausamen Herrschern der Antike. Er war ferner überzeugt, dass der Kaiser überall seine Informanten hatte, sogar unter den Protestanten. Er ermahnte 139 ferner seine Zeitgenossen, sich nicht zu sehr auf den Schmalkaldischen Bund zu verlassen, sondern lud diese ein, bei Gott

125 Siehe Nr. 2327 und Anm. 28. — Siehe ferner dazu Nr. 2407. 2413. 2424. 2429. 2438.
126 Siehe Nr. 2428.
127 Siehe Nr. 2450.
128 So in Nr. 2332
129 Siehe Nr. 2341. 2363. 2375. 2379. 2383. 2403. 2438. 2441.
130 Siehe Nr. 2319.
131 Siehe Nr. 2319. 2327. 2344. 2379. 2383. 2413. 2441. 2449.
132 Siehe Nr. 2363. 2375. 2379.
133 Siehe Nr. 2375.
134 So in Nr. 2383.
135 Siehe Nr. 2373. 2375.
136 In Nr. 2351.
137 In Nr. 2403.
138 In Nr. 2383.
139 In Nr. 2345.

Zuflucht zu suchen, damit ihnen nicht Ähnliches zustoße wie einst den eidgenössischen Protestanten, die im Oktober 1531, während des Zweiten Kappeler Krieges, unerwartet besiegt wurden. Bullinger hoffte aber zugleich, dass Karl V., den er keineswegs schätzte, 140 doch noch von einem ähnlichen Schicksal wie einst Karl der Kühne ereilt werde, 141 welcher 1477 bei der Schlacht von Nancy (Lothringen) gefallen war, nachdem er im Jahr zuvor in Murten geschlagen worden war.

Die unten veröffentlichten Briefe zeigen, dass das Ausmaß der Gefahr nicht von allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen erkannt wurde. Die hohen Lebensmittelpreise hielten an, 142 mit Ausnahme einer vorübergehenden Senkung Mitte April. 143 Die damalige Nervosität, ja sogar die Wahrnehmung der damaligen Zeit als endzeitlich, lässt sich aus der plötzlichen, angeblichen Erscheinung von Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Mittelgebirge Kyffhäuser (Thüringen) ableiten. 144 Sowohl in Zürich als auch in Konstanz wurden angebliche Hexen umgebracht. 145 Man berichtete, dass der Teufel in Rottweil erschienen sei, 146 dass ein Winzer aus Nebikon (damals Amt Willisau) —den Bullinger allerdings als betrunken bezeichnete 147 — auf dem Heimweg blutrote Sterne erblickt habe, und dass im Schlachtgebiet des Zweiten Kappeler Kriegs unverweste Leichen entdeckt worden seien! 148 Auch Bullinger stellt fest, 149 dass, seitdem er in Zürich ist (1532), die Gottesdienste noch nie so gut besucht gewesen waren, so dass er vom vielen Predigen völlig erschöpft ist. Soviel zur spürbaren Nervosität in der Bevölkerung.

Die leider nur maschinenschriftlich gebliebene, hervorragende Doktorarbeit von Rudolf Mattausch (1954), 150 die wir bei unserer Arbeit immer wieder herangezogen haben, zeigt aber, wie viele protestantische Staatsmänner und Fürsten damals die Gefahr völlig unterschätzten. Jakob Sturm aus Straßburg, einer der wenigen Politiker, die sich der kritischen Lage sehr wohl bewusst waren, hatte während den in Frankfurt am Main (vom 15. Dezember 1545 bis 8. Februar 1546)151 und in Worms (vom 11. bis 22. April 1546)152 abgehaltenen Treffen des Schmalkaldischen Bundes tiefgreifende Strukturreformen sowohl politischer als auch finanzieller Natur befürwortet: Reformen, die den Bund gegenüber dem Kaiser gestärkt hätten. Doch Philipp von Hessen und die meisten Verbündeten machten diese Bemühungen zunichte: Die Letzteren, weil sie nicht willig waren, höhere Beiträge zu

140 Siehe Nr. 24241. 2433.
141 Siehe Nr. 2376.
142 Siehe Nr. 2320. 2350. 2451.
143 Siehe Nr. 2423.
144 Siehe Nr. 2387f. 2406.
145 Siehe Nr. 2365 und Anm. 6; Nr. 2370; Nr. 2398 und Anm. 8; Nr. 2444 und Anm. 14; Nr. 2449 und Anm. 14.
146 Siehe Nr. 2379 und Anm. 30; Nr. 2407.
147 In Nr. 2446.
148 Siehe Nr. 2437.
149 In Nr. 2431.
150 Siehe dazu unser Abkürzungsverzeichnis unter Mattausch.
151 Siehe HBBW XV 689, Anm. 12.
152 Siehe Nr. 2351, Anm. 67.

bezahlen, der Erstere, weil er nicht auf seine vorteilhafte Machtposition im Bund verzichten wollte. So wurden weder neue starke Verbündete, wie etwa Hermann von Wied, Erzbischof von Köln, Friedrich II. von der Pfalz oder die Freie Reichsstadt Nürnberg in den Bund aufgenommen, noch kam es zu einer Verlängerung des Bundes (weil man den Kaiser nicht provozieren wollte)153 , geschweige denn zu einer Sanierung der katastrophalen finanziellen Lage der Bundeskasse, nachdem Philipp von Hessen im Oktober 1545 fast im Alleingang einen Krieg gegen Herzog Heinrich von Braunschweig beschlossen hatte.

Wie wenig die Protestanten sich ihrer gefährlichen Lage bewusst waren, beweisen auch die völlig irreführenden Nachrichten, die in den unten veröffentlichten Briefen immer wieder über die beiden Treffen in Frankfurt und Worms übermittelt wurden. Des Öfteren entsprechen sie nicht den Tatsachen, sondern drücken vielmehr die unrealistischen Hoffnungen vieler Verantwortlicher der Zeit aus: Man hätte in Frankfurt sehr vieles erreicht. 154 Hermann von Wied, 155 Friedrich II. von der Pfalz, 156 Nürnberg und noch viele andere Städte und Fürsten, ja sogar der katholische Mainzer Bischof Sebastian von Heusenstamm, 157 seien dem Bund beigetreten. Das Bündnis habe man um zwanzig Jahre verlängert. 158 Betont wird auch, dass König Franz I. von Frankreich und König Heinrich VIII. von England den Bund hofierten, 159 wobei viele, darunter selbstverständlich die englischen Flüchtlinge, 160 aber auch Bullinger, 161 genau wussten, dass diesem Hofieren keine freundschaftliche Gesinnung den Protestanten gegenüber zugrunde lag, sondern nur persönliches Interesse: Im Falle Frankreichs war die Schwächung des Erzfeindes Karl V. beabsichtigt, im Falle Englands eine Hilfe gegen Frankreich. Wie blind manche damals sein konnten, zeigt das Beispiel des Konstanzer Staatsmannes Thomas Blarer, der, obwohl er selbst am Frankfurter Bundestag teilgenommen hatte, doch noch einen positiven Bericht über das Treffen erstatten konnte. 162 Viele andere ließen sich von diesen trügerischen Beurteilungen und Nachrichten begeistern, so zum Beispiel Joachim Vadian und Oswald Myconius. 163 Allein schon die Meldung einer vom Schmalkaldischen Bund abgeordneten Gesandtschaft an den Kaiser und nach Köln 164 genügte, um vielen einen Anlass zur Freude zu geben. Doch während einige, wie die damaligen Augsburger Stadtoberhäupter, sich der Überlegenheit der Protestanten so sicher waren (ja sich tatsächlich für schlauer als der Kaiser hielten, indem sie diesem einen Höflichkeitsbesuch

153 Siehe Nr. 2437 und Anm. 25.
154 So in Nr. 2368.
155 Siehe Nr. 2359. 2368.
156 Siehe Nr. 2348. 2353. 2368.
157 Siehe Nr. 2359.
158 So in Nr. 2348.
159 Siehe Nr. 2328. 2345. 2368. 2371.
160 Siehe Nr. 2439.
161 In Nr. 2345.
162 In Nr. 2384.
163 In Nr. 2359 bzw. 2371.
164 Siehe dazu die Verweise in Nr. 2413, Anm. 65.

in Donauwörth abstatteten und ihn sogar nach Augsburg einluden)165 , erwiesen sich andere vorsichtiger. Die Lindauer zum Beispiel ließen ihre Stadtmauern befestigen, 166 die Ulmer versuchten, sich aus dem Schmalkaldischen Bund zurückzuziehen, 167 wohl um den Kaiser nicht vor den Kopf zu stoßen, andere wiederum erkannten in der erneuten Ansetzung eines Reichstages in Regensburg nur ein zusätzliches Kriegsmanöver des Kaisers. 168 Der im Dienste Augsburgs stehende junge Eidgenosse Johannes Haller war sich völlig bewusst, wie verstrickt und unklar die damalige Lage war: In einem Brief an Bullinger meinte er, dass man nicht mehr wissen könne, was und wem zu glauben sei. 169

Unterdessen zog der Kaiser seine Fäden und sorgte für Verwirrung. Er ließ sich nicht in die Karten schauen. Er beruhigte seine Gegner 170 und schickte sogar nach Zürich, Vorort der damaligen Eidgenossenschaft, 171 einen Gesandten mit einem Brief, von dem Bullinger meinte, 172 dass der Kaiser noch nie ein solch freundliches Schreiben an Zürich und an die Eidgenossenschaft gerichtet habe.

Angesichts der angespannten Lage im Westen Europas ist es verständlich, dass die Nachrichten über die Türken und ihre Übergriffe in Osteuropa in den Hintergrund rückten, auch wenn man sich weiterhin bewusst blieb, dass die Türken eine Gefahr für das Christentum darstellten. Es sei in diesem Zusammenhang auf die gut dokumentierte Studie von Damaris Grimmsmann zu Bullingers Deutung der Türkengefahr und des Islam verwiesen. 173 Aus den unten veröffentlichten Briefen geht hervor, dass man sich damals sehr wohl bewusst war, dass der vom Kaiser ausgehandelte Frieden mit den Türken dem Kaiser ermöglichte, gegen die immer aufdringlicher werdenden Protestanten des Reichs oder gegen die französische Besetzung des Piemont und den zunehmenden Einfluss Frankreichs in Lothringen vorzugehen. 174 Auch befürchtete manche Herrschaft oder Reichsstadt, dass der vom Kaiser angeblich gegen die Türken gesammelte Beitrag eher dazu dienen könnte, den Krieg gegen die Protestanten und demzufolge gegen sie selbst zu finanzieren. 175 Bemerkenswert ist, dass zu dieser Zeit die Türken eher für gute Schlagzeilen bei den Protestanten sorgten. Denn auch wenn die von ihnen vollzogene Besetzung einiger Burgen in Ungarn 176 oder ihre Überfälle in Böhmen 177 beiläufig erwähnt wurden, war man sehr erfreut, berichten zu dürfen, dass die Türken in den besetzten Territorien die Verkündigung des

165 Siehe Nr. 2422.
166 Siehe Nr. 2342.
167 Siehe Nr. 2422. 2437. 2446.
168 Siehe Nr. 2332.
169 Siehe Nr. 2406,18-22.
170 Siehe z.B. Nr. 2370. 2375. 2428. 2441.
171 Zu dieser Funktion siehe HBBW XV 19 und Anm. 32.
172 In Nr. 2446.
173 Veröffentlicht 2012 in ARG CIII 64-91.
174 Siehe Nr. 2413 und 2428.
175 Siehe Nr. 2450f.
176 Siehe Nr. 2341.
177 Siehe Nr. 2450.

Evangeliums gestatteten, 178 ja dass sogar jene Protestanten, die gegen die Bilder in den Kirchen vorgingen, auf die Unterstützung der türkischen Obrigkeit zählen durften! 179

Es sei hier ferner unterstrichen, dass die damals im Reich herrschende militärische Nervosität auch Nachwirkungen in der Eidgenossenschaft hatte. Die Söldnerfrage wurde dadurch wieder aktuell. Einige verbreiteten die Nachricht, dass die Zürcher unterdessen auch nicht mehr so streng mit den Landsleuten seien, die als Söldner in einem Krieg in der Fremde gedient hatten. 180 Bullingers Entgegnung, 181 es handle sich dabei nur um ein unbegründetes Gerücht, kann aber nicht recht überzeugen, zumal er selbst im gleichen Brief zugeben muss, dass Zürich in der Söldnerangelegenheit nicht nur dem Druck der katholischen Ortschaften ausgesetzt war, sondern sogar zur Milde vonseiten der Berner eingeladen und deshalb anscheinend veranlasst wurde, die von ihr festgehaltenen Pensionenempfänger freizulassen, was Bullinger zum sarkastischen Kommentar veranlasste, dass Zürich bald den Pensionenempfängern, von denen Zwingli getötet wurde, ausgeliefert sein würde!

Zum Abschluss möchte ich noch allerlei anführen, das meiner Ansicht nach erwähnenswert ist. Es handelt sich dabei um Angaben von kultureller und gesellschaftlicher Bedeutung. Die hier veröffentlichten Briefe überliefern so manche Information über das damalige Bildungswesen. Hier sei auf Briefe aus Basel, 182 Marburg 183 und Straßburg 184 aufmerksam gemacht, die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich von ehemaligen Zürcher Studenten verfasst worden waren und auch Unbekanntes über den Unterrichtsstoff, das Schulleben oder die Identität ehemaliger Studenten der entsprechenden Universitäten oder Hochschulen vermitteln. Im Falle Basels sei darauf hingewiesen, dass, obgleich man sich bereits 1539 für die Beibehaltung der seit 1535 angefochtenen Universitätsdiplome entschieden hatte, Gast sich weiterhin abschätzig über die gerade mit einem Magisterdiplom ausgezeichneten Studenten äußerte. 185 Man erfährt sonst auch noch Einzelheiten zum Schulwesen beziehungsweise zu Schülern von Aarau, 186 Chur, 187 Schaffhausen 188 und Stein am Rhein 189 Aus einem der Briefe 190 geht ferner hervor, dass es damals einem Zürcher Lehrer nicht verboten war, neben seiner Unterrichtstätigkeit noch weiteren Geschäften nachzugehen.

Auch werden die interessanten Überlegungen Vadians zum Luzerner Traditionsrodel und dessen Datum, zur Entstehung der Stiftungen des Großmünsters

178 Siehe Nr. 2335. 2376.
179 Siehe Nr. 2363. 2375.
180 Siehe HBBW XV, Nr. 2316; und unten Nr. 2328.
181 In Nr. 2319.
182 Nr. 2368. 2386 und 2412.
183 Nr. 2347. 2350. 2426.
184 Nr. 2320. 2337. 2338. 2415. 2426. 2440.
185 In Nr. 2368.
186 In Nr. 2349.
187 In Nr. 2414. 2430. 2432. 2434. 2436.
188 In Nr. 2445.
189 In Nr. 2339.
190 Nr. 2368.

und des Fraumünsters in Zürich, zum Todesdatum des Heiligen Leodegar und zu den ersten Herzögen der Alemannen in diesem Band erstmals in deutscher Sprache zusammengefasst. 191 Man entdeckt ferner, wie noch Jahrzehnte nach dem Ableben des päpstlichen Gesandten Giovanni Antonio Campano (gest. 1477) die von diesem ausgesprochenen, für die Deutschen beleidigenden Verse "Schau dir, du kulturloses Land, meinen nackten Hintern an" möglicherweise im Zusammenhang mit dem gerade beginnenden Konzil zu Trient erneut die Gemüter reizten. 192 Ganz interessant ist auch der bei Bullinger belegte parodistische Gebrauch der Motette "Caesar habet naves validas" des berühmten niederländischen Komponisten Jakobus Clemens non Papa, alias Jacques Clément, deren genaues Entstehungsdatum unbekannt war und meistens auf einen späteren Zeitpunkt angesetzt wurde. Nun aber, und unter anderem dank des Briefwechsels von Bullinger, kann diese Motette in das Jahr 1545 eingeordnet werden. 193

Hier sei ferner auf eine interessante Aussage hingewiesen, die belegt, wie Geldüberweisungen schon damals kostspielig werden konnten. Der Zürcher Bürgermeister Hans Rudolf Lavater hatte seinem Sohn Ludwig erlaubt, sein Studium in Straßburg fortzusetzen. Bullingers Freund, Richard Hilles, ein in Straßburg lebender englischer Flüchtling, der den Beruf eines Kaufmannes ausübte und dem Bullinger bei Gelegenheit einen Käse aus der Schweiz (vielleicht einen Schabziger)194 als Geschenk schickte, 195 bot sich an, das für das Studium des Knaben benötigte Geld selbst vorzustrecken. Vom Vater verlangte er, dass das ihm geschuldete Geld dem in Zürich wohnhaften Landsmann John Burcher ausbezahlt werde. Vermutlich sollte dieser Betrag einen Teil der Kosten decken, die Burcher durch den Einkauf von Waren in der Eidgenossenschaft, die für Hilles bestimmt waren, entstanden. Und wenn Hilles dieses Angebot machte, 196 dann wohl deshalb, weil ihm dies genauso wie dem Bürgermeister Zürichs die erheblichen Kosten einer Geldüberweisung ersparen sollte. Hilles behauptet sogar, dass, wenn man so verfahren würde, die Kosten dreimal geringer ausfallen würden als bei einer Geldüberweisung!

Noch ein letztes Zeugnis, 197 das sowohl für die Geschichte der Mentalitäten wie auch für die der Medizin von Interesse ist: Im Falle eines angeblich vom Teufel gequälten Mädchens in Konstanz wird nach Zürich geschrieben, um die Dienste des städtischen Chirurgen Jakob Ruf zu beanspruchen, weil man gehört hatte, dass dieser ein solches Leiden mit "erlaubten und natürlichen Mitteln"(wohl pflanzlicher Herkunft) heilen könne. An diesem Beispiel wird gut ersichtlich, dass eine auf den religiösen Vorstellungen der Zeit beruhende Diagnose eine medikamentöse Therapie offensichtlich nicht ausschloss.

191 In Nr. 2342.
192 Siehe Nr. 2367. 2405.
193 Siehe Nr. 2376 und Anm. 46.
194 Vgl. nämlich HBBW XV 223. 340.
195 Siehe Nr. 2338. 2439.
196 In Nr. 2338.
197 In Nr. 2444.

Theologisches und Kirchenhistorisches

Es ist verständlich, dass angesichts der damaligen angespannten politischen Lage die Angelegenheiten kirchenpolitischer Natur meist in den Hintergrund rückten und sogar der theologische Abendmahlsstreit die Gemüter weniger erhitzte, auch wenn im vorliegenden Band drei recht interessante Briefe 198 veröffentlicht werden, in denen Bullinger seine Argumentation zum Thema des Abendmahls an jeden Korrespondenten anpasste.

Man erfährt nur beiläufig von der andauernden und vom Kaiser veranlassten Verfolgung der "Ketzer" in den Niederlanden, 199 die auch den in Antwerpen tätigen Drucker Jacob van Liesvelt, allerdings schon im November 1545, das Leben kostete. Einer der hier veröffentlichten Briefe führt in Bezug auf Liesvelts Hinrichtung ein Datum an, das nicht mit den zwei anderen bislang angegebenen Daten übereinstimmt. 200

Auch der Kölner Reformationsversuch wird meist nur noch gelegentlich und beiläufig erwähnt, 201 wobei aus zwei hier veröffentlichten Briefen 202 eine ganz neue Erkenntnis hervorgeht, nämlich, dass Erzbischof Hermann von Wied im April und im Mai 1546 jeweils einen Boten nach Zürich geschickt zu haben scheint.

Desgleichen wird relativ wenig berichtet über die damals in Gang kommende Reformation der Pfalz. 203 Für den größten Teil von Bullingers Korrespondenten ging diese Reform nicht weit genug. Der Engländer John Hooper bedauerte, 204 dass sie sich mit Luthers Auffassung über das Abendmahl (welche schlimmer als diejenige der Papisten sei) begnüge. Bullinger zeigte sich jedoch im Großen und Ganzen über diese Nachricht erfreut. Natürlich ging auch ihm diese Reform nicht weit genug. Immerhin verglich er sie mit den Reformen der frommen Könige Judas, Asa und Josaphat, welche die Baaltempel zerstören ließen, die Kulthöhen aber nicht. 205

Der unterschwellige Streit in Bern zwischen "Zwinglianern" und "Lutheranern" geriet auch fast völlig in Vergessenheit, zumal Bullingers Hauptkorrespondent in Bern, Eberhard Rümlang, beleidigt gewesen zu sein scheint. Rümlang hatte nämlich Bullinger in einem pathetischen Brief vom 7. Dezember 1545 206 inständig gebeten, ihn doch in seiner Heimat, in Zürich und Umgebung, mit einer neuen Stelle zu versehen, da er es in Bern nicht mehr aushalte. Bullinger wird diesem Wunsch nicht nachgekommen sein und Rümlang dabei möglicherweise erklärt haben, dass dessen Wirken in Bern weiterhin wichtig sei. Zumindest erkläre ich mir auf diese Weise

198 Nr. 2358 (an Wolfgang Musculus); Nr. 2361 (an Gervasius Schuler) und Nr. 2401 (an Johannes Pistorius).
199 Siehe Nr. 2381 und Anm. 7.
200 Siehe nämlich Nr. 2333 und Anm. 49.
201 In Nr. 2381. 2384. 2413. 2415. 2419.
202 Nr. 2431 und 2448.
203 Siehe Nr. 2333. 2353. 2384. 2441.
204 In Nr. 2336.
204 Siehe Nr. 2360 und Anm. 34.
206 HBBW XV 684f, Nr. 2306.

Rümlangs längeres Schweigen, dem Bullinger wieder als Erster mit einem Brief vom 27. April 207 entgegentrat. Schon zu Beginn seines Schreibens fragte der Zürcher Antistes vorwurfsvoll, warum er denn so lange vergebens auf einen Brief seines Korrespondenten warten müsse.

Doch auch im Falle Berns ist eine Begebenheit zu erwähnen, die zunächst unbedeutend scheint, die aber für die Zukunft der Berner Kirche wie auch für Rümlangs Berufsleben große Folgen haben sollte. Von Christian Hochholzer, einem ehemaligen Studenten Zürichs, der gelegentlich Abhandlungen oder Briefe für Bullinger abgeschrieben hatte und damals in der unter bernischer Herrschaft stehenden Kirche Aaraus wirkte, erfuhr Bullinger, 208 dass in Bern ein Schüler namens Peter Zeller den Text zu einem Lied verfasst hatte, in dem unter Anspielung auf die "Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio", 209 mit welcher die Zürcher sich 1545 gegen Luthers "Kurtz bekentnis"210 von 1544 gewehrt hatten, all diejenigen, die abstritten, dass der Leib Christi im Abendmahl eingenommen würde, als Schwärmer, Teufel und Wahnsinnige beschimpft, ja sogar beschuldigt wurden, nicht einmal an den ersten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zu glauben. Fast umgehend wandte sich Bullinger mit dem schon oben erwähnten Brief an Rümlang und bat diesen, die Behörden in Bern, unter anderem den Seckelmeister Sulpitius Haller und den Venner Peter Im Haag, darauf aufmerksam zu machen, dass, wenn man so etwas duldete, man ebenfalls in Kauf nehmen müsse, dass dabei die Berner Disputation von 1528 in Verruf gerate; kurz, dass die Berner sich gut überlegen sollten, ob sie wirklich soweit gehen wollten, zumal ihr Verbündeter Zürich weiterhin bereit sei, die Übereinstimmung der Berner Disputation mit Gottes Wort zu verteidigen. Dieser Vorfall sollte nicht nur Thomas Grynäus, den Lehrer in Bern, im November 1546 um seine Stelle bringen, sondern auch Rümlang die Möglichkeit bieten, das von ihm in der Stadtschreiberei Berns ausgeübte Amt mit einer Stelle an der dortigen Lateinschule zu tauschen, da nicht nur Grynäus, sondern auch dessen Kollege, Johann Heinrich Meyer, der am 24. November 1546 gestorben war, zu ersetzen waren. 211

Im gleichen Brief Bullingers an Rümlang findet sich noch eine weitere interessante Angabe, die mit der Berner Kirchengeschichte in Zusammenhang steht. Der bereits wieder nach Friesland zurückgekehrte Gerhard thom Camph, der 1545 eine Zeitlang in Zürich studiert und auch einige Tage in Bern verbracht hatte, schrieb offensichtlich der bernischen Kirche einen Brief, in dem die in Bern debattierte Frage, ob man den Kranken und Sterbenden das Abendmahl zu Hause erteilen solle oder nicht, behandelt war. Es wäre noch zu ermitteln, ob thom Camphs Brief heute in Bern aufzufinden ist.

207 Nr. 2433.
208 Mit Nr. 2420 (vom 13. April 1546) und Nr. 2427 (vom 21. April).
209 Siehe dazu HBBW XV 66, Anm. 9.
210 Siehe dazu aaO, Anm. 7.
211 Siehe dazu die in Nr. 2420, Anm. 10, angeführte Literatur.

In den unten veröffentlichten Briefen finden sich sonst noch Nachrichten, die zum Teil unbekannt sind und das Kirchenleben verschiedener Ortschaften betreffen. So zum Beispiel Angaben über Augsburg, besonders über den damaligen wöchentlichen Predigtplan und die während dieser Predigten ausgelegten biblischen Bücher; 212 über England, dessen Herrscher und Bischöfe — laut Richard Hilles — nicht ernsthaft beabsichtigten, das Evangelium anzunehmen; 213 über Isny, 214 Mömpelgard und Reichenweier, 215 über Trier, 216 Straßburg 217 und Ungarn 218 ; über die benachbarten, am Bodensee liegenden Gemeinden Arbon, Goldach und Rorschach, 219 und schließlich über die der Stadt Zürich untergeordneten Gemeinden Benken, Ellikon, Illnau, Marthalen und Rheinau. 220

Das am 13. Dezember 1545 eröffnete Konzil zu Trient wird in den hier edierten Briefen nur selten erwähnt, und wenn, werden meist unbedeutende Nachrichten vermittelt. Dies überrascht keineswegs, da die Protestanten sich von diesem Konzil gar nichts versprachen. Bullinger gibt nämlich deutlich zu verstehen, 221 dass es ein Werk des Antichristen sei und meint, dass, wer das Alte und das Neue Testament besitze, kein Geld für die Akten eines solchen Konzils auszugeben brauche. Matthias Erb aus Reichenweier mahnt ferner höhnisch, 222 dass die daran beteiligten Kardinäle und Legaten darauf achten sollten, nicht vor Stolz zu bersten wie einst die Frösche in der äsopischen Fabel.

Was sind nun im kirchengeschichtlichen Bereich die in diesen Briefen immer wiederkehrenden Angelegenheiten? Die Antwort fällt leicht: Zunächst das Zweite Regensburger Gespräch, dann, und zwar nach dem 1. März, Luthers Ableben in Eisleben in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar, und vom 30. März an die Ermordung des zur Reformation übergetretenen Spaniers Juan Diaz durch seinen Bruder.

Hier möchte ich lediglich einige Überlegungen über Luthers Tod und die damit verbundenen Publikationen anstellen. 223 Zu Bullingers Reaktion auf Luthers Tod habe ich bereits einige Bemerkungen gemacht. 224 Interessant ist ferner die Beobachtung, dass die Korrespondenten, die die kritische Haltung Bullingers gegenüber Luther wohl kannten, diese aber nicht völlig teilten, sich nur kurz über Luthers Tod äußerten. Dies trifft sowohl auf die in Basel wirkenden Johannes Gast und Oswald Myconius 225 wie auch auf den in

212 In Nr. 2351. 2389. 2443.
213 In Nr. 2328. 2336 und 2439.
214 In Nr. 2332.
215 In Nr. 2333.
216 In Nr. 2381.
217 In Nr. 2338.
218 In Nr. 2335. 2362. 2375 und besonders in Nr. 2363.
219 In Nr. 2342.
220 In Nr. 2391. 2416. 2451.
221 In Nr. 2377.
222 In Nr. 2333.
223 Siehe diesbezüglich Nr. 2364. 2367. 2369f. 2375-2377. 2382. 2385. 2387. 2389. 2390. 2392. 2395. 2404f. 2409. 2412f. 2415. 2418. 2421. 2424f. 2433. 2443. 2450.
224 Siehe oben bei Anm. 87.
225 Siehe Nr. 2379 (Myconius) und 2394 (Gast).

Konstanz tätigen Ambrosius Blarer zu, 226 wobei Letzterer einmal 227 die Bemerkung wagte, dass man nun nicht auch noch den Tod eines hervorragenden Werkzeuges Christi, wie es Bucer war, herbeiwünschen dürfe, wie dies Bullinger getan hatte, 228 auch wenn Bucers Art und Denkweise anders sei, zumal weder dessen noch Luthers Tod zur Beilegung des Abendmahlsstreites beitragen würde. Allein Vadian (der schon in anderen Fällen, 229 und zwar nicht nur bei historischen Fragen, bewiesen hatte, dass er fähig war, seine Meinung Bullinger gegenüber klar zu äußern, auch wenn diese nicht im Einklang mit der Wahrnehmung oder Beurteilung seines Korrespondenten stand) machte eine längere Aussage zu Luthers Tod: Er hätte sich gewünscht, dass dieser begabte Ausleger der Heiligen Schrift (damit meinte er Luther) der Kirche länger erhalten geblieben wäre, auch wenn er dessen "grobe"Abendmahlsauffassung und dessen zänkisches Gemüt bedauere. Er beendete seinen Brief 230 mit der treffenden Bemerkung, dass man wohl wisse, dass niemand fehlerfrei leben könne.

Ebenfalls bemerkenswert ist die Tatsache, dass Johannes a Lascos Anregung, 231 man wolle doch in Zürich eine kleine Publikation zu Ehren Luthers veröffentlichen, in der der Abendmahlsstreit völlig unerwähnt bleiben sollte, ignoriert wurde, und dies, obwohl Bullinger a Lasco hoch schätzte 232 und dessen Schriften gerne empfahl, ja diese sogar in seinem Umfeld auslieh. 233 Auch Blarers vorsichtig und indirekt geäußerter Vorschlag, die von Melanchthon an Luthers Beerdigung gehaltene Leichenrede in Zürich nachdrucken zu lassen, fand beim Zürcher Antistes keinerlei Anklang. 234

Es sei mir hier noch eine Bemerkung über die in diesen Briefen oft nur sehr vage angedeuteten Publikationen zu Luthers Tod gestattet. Im Nachhinein bin ich mir nicht mehr so sicher, dass die vierblättrige Quartschrift, die Vadian am 14. März als Trauerlied (epicoedia) bezeichnete, wirklich wortwörtlich als ein Lied beziehungsweise als ein in Versen abgefasster Text zu verstehen ist, oder ob dieses "Trauerlied" nicht doch mit der ersten Fassung des von Justus Jonas und Michael Caelius geschriebenen und ebenfalls als vierblättrige Quartschrift gedruckten Berichts über Luthers Ableben hätte identifiziert werden sollen. 235 Nicht ermittelt blieb leider auch das von Christoph Arnold, dem Obersten Sekretär der Stadt Neuburg an der Donau, verfasste Gedicht auf den verstorbenen Reformator, das Bullinger angeblich gut gefallen haben soll. Auch in der ausgezeichneten Arbeit von Christof Schubart 236 ist es nicht erwähnt. Ebenfalls von Interesse ist die durch Matthias Erb übermittelte Information, 237 dass der von Jonas und Caelius erstellte

226 Siehe Nr. 2370.
227 In Nr. 2385.
228 In Nr. 2376.
229 Siehe z.B. HBBW XV 21.
230 Nr. 2380.
231 In Nr. 2390.
232 Siehe z.B. Nr. 2361 und Anm. 21f.
233 Siehe Nr. 2346 und Anm. 6; Nr. 2443 und Anm. 38.
234 Siehe Nr. 2413 und Anm. 8.
235 Vgl. Nr. 2380 und Anm. 2, mit Nr. 2385 und Anm. 9, und Nr. 2387 und Anm. 3.

Bericht (und zwar in der erweiterten Fassung)238 über Luthers Tod und Bestattung, den Erb als "kindisch" bezeichnete, auch Graf Georg von Württemberg missfallen habe, und dass Letzterer deshalb den Straßburgern davon abgeraten hatte, diese Schrift in ihrer Stadt nachdrucken zu lassen, jedoch vergebens. Graf Georg hatte sich unter anderem sehr darüber geärgert, dass Jonas in seiner Schrift seinen Doktortitel erwähnen musste.

Abschließend einige Worte zu den heute als Non-Konformisten bezeichneten Personen, die in den vorliegenden Briefen erwähnt werden. Zunächst sei hier der aus dem Bistum Lüttich stammende Johannes Campanus erwähnt, über den wir Einzelheiten in einem Brief von Peter Medmann erfahren, 239 der ihn in früheren Zeiten persönlich gekannt hatte. Auch der Name von Kaspar Schwenckfeld kommt in diesem Band des Öfteren vor. Von großem Interesse ist der hier seit 272 Jahren zum ersten Mal veröffentlichte Brief 240 des heute weiterhin der Heterodoxie verdächtigten Martin Borrhaus, damals Professor der Theologie an der Universität Basel. Er hatte 1545 versucht, ein Treffen zwischen Schwenckfeld und den Zürchern zu initiieren. 241 In seinem Brief vom 7. Januar 1546 bemühte er sich auf ganz vorsichtige Weise zu erklären, dass er kein Anhänger Schwenckfelds sei, und dass er den von Bullinger angestellten Vergleich zwischen seinen Vermittlungsversuchen und denen Bucers nicht gerade als angemessen empfinde, wobei er noch die Bemerkung fallen ließ, dass Gott (also nicht Bullinger) die Bemühungen Bucers beurteilen werde. Ferner lud er Bullinger ein, Schwenckfelds Lehre über die Gottheit Christi genauer zu examinieren, ja auch die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass Schwenckfeld vielleicht genauso wie Bullinger ein von Gott begabter Mensch sei. Andere Briefe zeigen, wie Ambrosius Blarer sich vor einem Gespräch mit dem Schwenckfeldianer Hans Wilhelm von Laubenberg drückte. Erwähnt werden ferner die handschriftlichen (und heute noch erhalten gebliebenen) Bemerkungen, mit denen Schwenckfeld die oben schon genannte 242 Gottesdienstordnung der Augsburger kritisierte. Schwenckfeld hatte auf dem Rand eines gedruckten Exemplars von jenem Handbuch Anmerkungen angebracht, ehe er es den Augsburgern zukommen ließ. 243 Leider konnten die von Schwenckfeld aufgestellten und von Gervasius Schuler an Bullinger mitgeteilten Thesen nicht mehr ausfindig gemacht werden. 244 Das gegen Schwenckfeld gerichtete und von Johannes Haller gepriesene Büchlein eines Lutheraners namens Sebastian Coccius ist hingegen heute noch bekannt.

236 Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis. Texte und Untersuchungen, Weimar 1917.
237 In Nr. 2450.
238 Siehe dazu Nr. 2385, Anm. 9.
239 Nr. 2448.
240 Nr. 2329.
241 Siehe HBBW XV 34 und Anm. 219.
242 Siehe oben bei Anm. 110f.
243 Siehe Nr. 2389 und Anm. 24.
244 Siehe Nr. 2356 und Anm. 2.

Über die Täufer erfährt man, dass sie damals im Elsass, unter anderem in der Grafschaft Reichenweier, ziemlich gut Fuß gefasst hatten. 245 Auch im Zusammenhang mit St. Gallen werden sie erwähnt. 246 Zwei weitere Briefe 247 berichten über ihr Wirken in Friesland. Auch dem schon 1545 wieder aufgetauchten, ehemaligen Zürcher Täufer Wilhelm Reublin begegnen wir in diesem Band erneut als Bote des aus Bayern stammenden Leonhard Serin. Es scheint auch wahrscheinlich, dass der hier veröffentlichte Briefwechsel nun tatsächlich ermöglicht, dem weiteren Schicksal des Täufers Heinrich (Heini) Spättiker (der vermutlich mit dem Täufer Heinrich von Tägerig identisch ist) auf die Spur zu kommen. 248 Die Frage hingegen, ob die angeblich in Sachsen bezeugten Anhänger einer Sekte, die damals den Sabbat (Samstag) als Ruhetag und sogar die Beschneidung befürworteten, 249 Täufer waren, bedarf noch einer Antwort.

Prosopographisches

Wie in jedem Band des Bullinger-Briefwechsels findet man auch im vorliegenden Band eine Fülle von biographischen Angaben zu Personen ganz unterschiedlicher Herkunft und Berufe. Es seien hier lediglich einige, nach Möglichkeit in alphabetischer Reihenfolge angeordnete Namen angeführt.

So erfahren wir über Theodor Biblianders Vorhaben, eine Missionsreise ins Heilige Land und nach Ägypten zu unternehmen. 250 Wir werden über die Familienverhältnisse des in Chur tätigen Pfarrers Johannes Blasius informiert, 251 sowie auch über seinen auf Januar 1546 anzusetzenden Besuch in Zürich 252 und über seine Ende April 1546 in Begleitung seines "einzigen" Sohnes Paul unternommene Reise nach Zürich 253 . Wir lesen von einem Geschenk, das Bullingers Gattin Anna, geb. Adlischwyler, der ihr persönlich nicht bekannten Anna, geb. Lochner, Ehefrau des Augsburger Stadtschreibers Georg Frölich, zukommen ließ —ein Geschenk, das vermutlich in einer Stickarbeit bestand, auf der ein David-Motiv zu sehen war. 254 Wir erhalten Auskunft über den Pariser Aufenthalt und die dort verbrachten letzten Lebensstunden des aus Emden stammenden Adligen Enno Cirksena. 255 Wir werden in Kenntnis gesetzt von den damaligen Reisen Gilbert Cousins, 256 des ehemaligen Sekretärs von Erasmus, welcher hier (dies sei nur beiläufig erwähnt) einmal als "Graecus ille" bezeichnet wird. 257 Wir vernehmen Einzelheiten zum Briefwechsel des in Nürnberg amtierenden Pfarrers Veit

245 Siehe Nr. 2333.
246 Siehe Nr. 2407.
247 Nr. 2395 und 2415.
248 Siehe Nr. 2418, Anm. 2, und Nr. 2428 und Anm. 31.
249 Siehe Nr. 2353.
250 In Nr. 2367. 2405.
251 Siehe Nr. 2432 und Anm. 1.
252 Vgl. HBBW XV, Nr. 2312, mit unten Nr. 2343.
253 Siehe Nr. 2430. 2432. 2434. 2436.
254 Siehe Nr. 2351 und Anm. 9.
255 In Nr. 2415.
256 In Nr. 2368. 2393. 2402.
257 Siehe Nr. 2334 und Anm. 3.

Dietrich mit Matthias Erb in Reichenweier; zu den Todesumständen von Otmar Gluß, dem Dekan der Abtei St. Gallen; zur Hochzeit des in Marburg neu angestellten Professors Wigand Happel mit Katharina, geb. Eisermann; 258 zur Gefangenschaft von Herzog Heinrich von Braunschweig und dessen Sohn Karl Viktor; 259 zum Charakter von Jakob Herbrot, dem Altbürgermeister Augsburgs; 260 zur Brautschau des Zürchers Heinrich Hochholzer; 261 zu den Schwierigkeiten, welche die von den Konstanzern nach Zürich geschickten Studenten Konrad Hofherr und Jakob Metzler den Zürcher Schulbehörden bereiteten; zu Aussagen 262 und zum Verhalten 263 des Colmarer Augustinermönchs Johannes Hoffmeister, der Bullinger für einen wichtigen Anführer der "Philister", d.h. der Protestanten, hielt; 2M zum Lehrstoff und den Studienplänen des in Basel unterrichtenden Johannes Hospinian; 265 zur Lebenslage des damals in Straßburg in Richard Hilles' Haus wohnenden John Hooper; zur Studienzeit von Ludwig Lavater in Straßburg; zum bislang unbekannten Datum der Hochzeit von Ludwigs Schwester Anna mit dem später bekannt gewordenen Zürcher Glasmaler Carl von Aegeri; 266 zu den unüberlegten Aussagen des Weinheim von Zürich Heinrich Lochmann in Aarau über angeblich gängige Geldspiele in der Stadt an der Limmat; zur geographischen Lage von Johannes Marbachs Wohnhaus in Straßburg; 267 zu dem in Konstanz als Arzt wirkenden Johann Menlishofer und zu seinem Sohn Johann Jakob; 268 zu der reservierten Beziehung von Johannes Haller zum Augsburger Pfarrer Wolfgang Musculus; 269 zur Meinung der Nürnberger über den neu verheirateten Pfarrer Andreas Osiander; 270 zum Aufenthalt von Landgraf Philipp von Hessen Anfang Februar 1545 in Marburg 271 wie auch zum Gespräch, das dieser am 28./29. März 1546 mit Karl V. in Speyer führte; 272 zur Bezeichnung des Altbürgermeisters von Augsburg, Wolfgang Rehlinger, der sich 1544 nach Straßburg zurückgezogen hatte, als "glis" (Siebenschläfer); zur beruflichen Laufbahn von Peter Simler in Kappel am Albis 273 und zur Studienzeit von dessen Sohn Josias in Basel; zum fragwürdigen Benehmen eines Zürcher Wirts namens Ludwig Stapfer in Basel; zur in den 1530er Jahren erfolgten Berufung von Pierre Toussain an das Kloster Blaubeuren (Herzogtum Württemberg); 274 zum Verhalten von Hans Vogler d.J., als er von 1543 bis 1545 Schreiberlehrling in Reichenweier war, 275 und zu dessen heimlichem Ausreisen von

258 Siehe Nr. 2347. 2350.
259 Siehe Nr. 2321. 2326.
260 Siehe Nr. 2351. 2367.
261 Siehe Nr. 2410.
262 Siehe Nr. 2333.
263 Siehe Nr. 2418. 2424. 2441.
264 Siehe Nr. 2451.
265 Siehe Nr. 2386.
266 Siehe Nr. 2378 und Anm. 28.
267 Siehe Nr. 2320 und Anm. 44.
268 Siehe Nr. 2387. 2413.
269 Siehe Nr. 2441. 2451.
270 Siehe Nr. 2359.
271 Siehe Nr. 2350.
272 Siehe Nr. 2428. 2441.
273 Siehe Nr. 2378.
274 Siehe Nr. 2340.
275 Siehe Nr. 2450.

Zürich nach Augsburg; 276 zur Durchreise des Siebenbürgers Antun Vrancic durch Basel und Zürich im Rahmen einer Reise von Paris nach Venedig; zu den Vorfahren, den Sprachkenntnissen und zur theologischen Ausrichtung des Augsburger Staatsmannes Hans Welser 277 wie auch zu dessen angespannter Beziehung 278 zum Augsburger Pfarrer Michael Keller; zur Beliebtheit der Studenten-Pension, die Matthias Zell und seine Frau Katharina in ihrem Hause in Straßburg führten; 279 zum Zürcher Hans Wilpert Zoller und zu seiner Anstellung beim süddeutschen Feldhauptmann und Freiherrn Sebastian Schertlin von Burtenbach. Und selbst die nur beiläufigen Erwähnungen von Cosmas Meuchlin und Crispin König, die mit Reichenweier in Verbindung standen, sind deshalb von Interesse, weil wir heute über diese Personen kaum noch etwas wissen.

Zu Bullinger sei lediglich dies Eine noch hervorgehoben. Er schreibt Briefe bis zum Überdruss. 280 Er predigt bis zur Erschöpfung. 281 Er prüft die Schüler Zürichs. 282 Er betreut das Studium der bei ihm wohnenden Knaben. Und trotz allem nimmt er sich noch Zeit, um sich an der damals in Bearbeitung stehenden "Eidgenössischen Chronik" von Johannes Stumpf zu beteiligen, wie dies schon aus den Briefen unserer Bände 14 und 15 des Öfteren hervorgegangen ist. Sogar Vadian ist beeindruckt, dass sein Korrespondent diesem Unternehmen soviel Zeit widmen kann. 283 Dieses Engagement veranschaulicht Bullingers ausgeprägtes Interesse an der Geschichte und der Geschichtsschreibung, das sich in zahlreichen historischen Abhandlungen aus seiner Feder niedergeschlagen hat. 284

Bemerkenswertes zu Handschriften, Drucken und Druckern

Im vorhergehenden Band 15 konnte dank des Briefwechsels ein bislang falsch eingeschätztes Erscheinungsdatum der Erstausgabe von Calvins lateinischem Katechismus, der in Straßburg in der Offizin von Wendelin Rihel gedruckt wurde, richtiggestellt werden. 285 Auch wurden im letzten Band zwei noch kaum bekannte Flugschriften zum ersten Mal mit dem Kölner Reformationsversuch und auch miteinander in Verbindung gebracht. 286 Unterdessen hat Judith Steiniger eine Studie zu diesen beiden Drucken verfasst, in der die lateinischen Texte dieser Schriften vorgestellt, ediert, übersetzt und annotiert worden sind. 287

276 Siehe Nr. 2367. 2405f.
277 Siehe Nr. 2351. 2367.
278 Siehe Nr. 2443.
279 Siehe Nr. 2338.
280 Siehe oben bei Anm. 115.
281 Siehe oben bei Anm. 149.
282 Siehe Nr. 2446.
283 Siehe Nr. 2342.
284 Zu dieser Thematik vgl. nun umfassend Moser. Bullinger.
285 Siehe HBBW XV 498 und Anm. 8 (wo allerdings das zwei Zeilen vor Ende der Anmerkung angeführte Datum "1542" in "1545" zu korrigieren ist).
286 Siehe HBBW XV 397 und Anm. 18 und 21.

In den Briefen des vorliegenden Bandes 16 werden zwei Lutherdrucke erwähnt, deren Identifikation Probleme aufwirft. Zum einen ist die Rede von einer anonymen Schrift, die schon damals mit Luther in Verbindung gebracht wurde. 288 Die im entsprechenden Brief zu dieser Schrift gemachten Aussagen haben uns erlaubt, diese mit dem zum ersten Mal in Dresden im Jahre 1531 erschienenen "Rhatschlag Doctoris Martini Lutheri, ob dem Keiser, so er jmands mit gewalt des Euangelii halben uberziehen wolte, mit rechte widerstandt geschehen", in Verbindung zu bringen. Doch tragen alle uns bislang bekannten Nachdrucke dieses "Ratschlages", auch jene des Jahres 1546, den Namen Luther. Ferner geht aus dem erwähnten Brief nicht klar hervor, ob es sich um einen Druck oder nur um eine handschriftliche Abschrift handelte. Als sicher gilt allerdings, dass die Augsburger den Druck beziehungsweise den Nachdruck des Textes in ihrer Stadt verboten, weil dieser von einem bewaffneten Widerstand gegen den Kaiser abriet, und sie hinter dem Wiederauftauchen dieses "Ratschlages" katholische Gegner vermuteten.

Zum anderen erwähnt Georg Frölich in seinem Brief vom 12. Februar (Luther starb sechs Tage später) ein Büchlein Luthers, von dem einige der Meinung waren, dass dessen Autor damit seine zuvor erschienene und gegen die Löwener Theologen gerichtete bissige Streitschrift verbessert habe. 289 Anfang September 1545 war nämlich Luthers Publikation "Contra XXXII articulos Lovaniensium theologistarum" erschienen. 290 Sie wurde nicht nur von Bullinger, 291 sondern auch von Frölich, Ambrosius Blarer und Joachim Vadian 292 mit Zurückhaltung, wenn nicht sogar mit Kopfschütteln aufgenommen. Da die von Frölich am 12. Februar erwähnte Schrift Luthers sich ebenfalls mit den Löwener Theologen auseinandersetzte, kommt hier kaum eine andere Schrift in Frage als diejenige, die den Titel "Contra asinos Parisienses Lovaniensesque" trägt. Doch kennt man heute kein Exemplar eines etwaigen Druckes dieser Abhandlung. Wir wissen zwar, dass Pfarrer Joachim Mörlin 1565 einen Druck davon behauptet hat, doch berichtete der Eislebener Apotheker Johann Landau in einem Brief, den er kurz nach Luthers Tod verfasst hatte, 293 dass Luther in Eisleben noch bis zu seinem Tod an einem Text gegen die Löwener und Kölner Theologen gearbeitet habe, und dass diese Schrift, weil sie unvollendet geblieben sei, Kaspar Cruciger zur Fertigstellung für den Druck anvertraut worden sei. Frölichs Brief an

287 "Echo Melanchtonis [...]" und "Dialogus Philalethis et Genu [...]". Zwei im Rahmen des Kölner Reformationsversuchs verfasste, unbekannt gebliebene Flugschriften aus dem Jahr 1545, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein insbesondere das alte Erzbistum Köln 216, 2013, 57-94.
288 Siehe Nr. 2389 und Anm. 17.
289 Siehe Nr. 2351 und Anm. 36.
290 Siehe Nr. 2327 und Anm. 8.
291 In Nr. 2332.
292 In Nr. 2327. 2335 bzw. 2342.
293 Siehe WA LIV 445f.

Bullinger, dem Luthers Schrift beigelegt wurde, wirft nun neue Fragen auf. Wurde vielleicht, ehe Luther starb, ohne dessen Wissen eine frühere, ebenfalls noch unvollendete und an einen Freund mitgeteilte Fassung jener Schrift (Luther hatte daran schon im September 1545, dann wieder im Januar 1546 gearbeitet)294 gedruckt? Oder legte Frölich seinem Brief etwa eine Abschrift von einer handgeschriebenen Fassung dieser Schrift bei, die Luther einem Freund hatte zukommen lassen?

Ich habe bereits oben auf die Bedeutung von Bullingers Briefwechsel mit Vadian 295 in Bezug auf die Entstehungsgeschichte von Johannes Stumpfs "Eidgenössischer Chronik" aufmerksam gemacht und auch auf die Herkunft eines darin erschienenen Dokuments 296 hingewiesen. Weitere Briefe dieses Bandes verraten uns mit großer Wahrscheinlichkeit die Quellen zu den in Stumpfs Chronik veröffentlichten Angaben über die Burgen des Aargaus, nämlich die heute noch erhaltenen Notizen über eine Anzahl von Aargauer Festungen, die wir nun (was noch völlig unbekannt ist) dem damaligen Stadtschreiber von Aarau, Gabriel Meyer, zuschreiben können. 297

Vorliegender Band erlaubt ebenfalls nachzuvollziehen, wie es in Zürich im März 1546 zur Veröffentlichung der zehn Predigten des Kirchenvaters Theodoret von Kyrrhos (5. Jh.) kam. Wir erfahren auch, wie damals handschriftliche Notizen (darunter auch solche von Bullinger) zu Biblianders Genesisvorlesung gerne ausgeliehen und abgeschrieben wurden, und wie Konrad Gessner Texte von Dionysios dem Periegeten (2. Jh. n. Chr.) und von Prokopios von Gaza (5./6. Jh. n. Chr.) aus der 1544 von der Stadt Augsburg erworbenen griechischen Handschriftensammlung ausborgen durfte. 298 Bezeugt, jedoch weiterhin unbekannt sind eine Abhandlung des in Bern tätigen Diakons Johannes Wäber 299 und sechs Thesen des ehemaligen Kollegen Bullingers, Gervasius Schuler 300. In beiden Fällen handelt es sich um Handschriften zum Abendmahl. Schließlich gelang es uns vielleicht, eine handschriftliche Abschrift eines Pasquills, von dem bislang kein Druck bekannt ist, zu ermitteln. Man müsste allerdings noch den Text dieser Abschrift 301 ' mit dem eines fast gleich betitelten Pasquills ("Ein Gesprech von einem Landtßknecht und S. Peter, Bapst, Teuffel und Gabriel der Engel...") vergleichen, vom welchem Druckexemplare aus den Jahren 1547 und 1548 erhalten geblieben sind. 302

Zwischen Januar und Mai 1546 wurden keine neuen Schriften Bullingers gedruckt. Zuletzt war im Oktober 1545 die lateinische Fassung eines Auszugs aus Bullingers Matthäuskommentar (von August 1542) zum Thema der Auferstehung unter dem Titel "Resurrectio" erschienen. Diesem Druck ging

294 Siehe aaO, S. 445.
295 Siehe besonders Nr. 2318. 2342.
296 Siehe oben bei Anm. 33.
297 Siehe Nr. 2410 und Anm. 4 sowie Nr. 2420. 2427.
298 Siehe Nr. 2403 und Anm. 35-38.
299 Siehe Nr. 2346 und Anm. 5.
300 Siehe Nr. 2361 und Anm. 3.
301 Siehe Nr. 2418 und Anm. 52.
302 Siehe VD16 G1882f. ZV22767.

eine von Matthias Erb verfasste Widmung voraus. 303 Die entsprechende Stelle des Matthäuskommentars war ebenfalls schon Ende August 1544 in einer von Johannes Fries besorgten deutschen Übersetzung unter dem Titel "Hoffnung der Glöubigen" veröffentlicht worden. 304 Im vorliegenden Band erfahren wir nun, wie sowohl die lateinische als auch die deutsche Fassung dieser Veröffentlichung (die Bullinger als Kampfschrift gegen die zeitgenössischen Epikureer verstand)305 von den Lesern aufgenommen wurde. In den unten edierten Briefen werden ferner handschriftliche Abhandlungen Bullingers bezeugt, von denen nur noch ein Teil erhalten geblieben ist: So zum Beispiel ein für die Augsburger verfasster Bericht über die Kirche Zürichs und ihre Organisation; 306 der Text eines Vortrages ("Quod nullo consilio dissidium religionis componi possit"), in dem Bullinger seinen Zeitgenossen zu erklären versuchte, dass man in strittigen Religionsfragen zu keiner Einheit, auch nicht einmal mit Hilfe eines Konzils, gelangen könne; 307 und schließlich Bullingers Karlstagsrede vom 28. Januar 1546, die der Verfolgung der Kirche ("De persecutione Ecclesiae") gewidmet war.

Ganz besondere Erwähnung verdient die von Bullinger zwischen November 1545 und Januar 1546 verfasste Schrift "De Sacramentis", die erst 1551 in zwei verschiedenen und überarbeiteten Fassungen erscheinen sollte. 308 Anhand dieses Briefwechsels entdeckt man, wie Bullinger die Schrift schon kurz nach ihrer Abfassung an Freunde wie Ambrosius Blarer, Georg Frölich, Johannes Haller, Johannes a Lasco, Joachim Vadian und Johannes Wäber schickte und von ihnen eine Beurteilung erwartete. Es ging damals nämlich das Gerücht um, dass Luther nochmals eine giftige Schrift gegen die Abendmahlsauffassung der Eidgenossen publizieren würde; und diese Furcht hielt noch einige Wochen nach Luthers Ableben an. 309 Blarer hatte die im März 1545 erschienene "Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio"310 als zu lang empfunden. 311 Andere wiederum hatten den Zürchern vorgeworfen, sich in ihrer Antwort zu rechthaberisch und zu verletzend gegenüber Luther gezeigt zu haben. 312 Vielleicht hatte Bullinger sich diese Vorbehalte zu Herzen genommen 313 und vorbeugend sein Traktat "De sacramentis" verfasst, ehe Luthers Gegenangriff (zu dem es aber nie kam) erscheinen würde. Dass er damals darauf verzichtete, seine Abhandlung drucken zu lassen, auch wenn einige Augsburger sich dafür ausgesprochen und sogar eine deutsche Übersetzung der Schrift gewünscht hatten, 314 erklärt

303 Siehe HBBW XV 292 und Anm. 26.
304 Siehe HBBW XIV 330f, Anm. 9.
305 Siehe Nr. 2360.
306 Siehe Nr. 2351 und Anm. 59.
307 Siehe Nr. 2367 und Anm. 8; Nr. 2405.
308 Siehe Nr. 2332 und Anm. 29.
309 Siehe Nr. 2332. 2335. 2351. 2353. 2355. 2364. 2367. — Dass diese Angst begründet
war, geht aus WA LIV 446 und Anm. 7 hervor.
310 Siehe dazu oben bei Anm. 209.
311 Siehe HBBW XV, Nr. 2094. 2118.
312 Siehe aaO, Nr. 2131. 2158. 2223. 2231. 2244. 2291; und unten Nr. 2421.
313 Siehe nämlich HBBW XV, Nr. 2123.
314 Siehe Nr. 2422 und Anm. 24.

sich wohl durch das Ausbleiben von Luthers Antwort. Auch Blarer hatte 315 von einem Druck abgeraten, damit man die Zürcher nicht beschuldigen könne, den Streit als Erste wieder aufgenommen zu haben —eine Argumentation, der sich Bullinger offensichtlich anschloss. 316

Auch über die Drucker erfährt man interessante und meist noch unbekannte Einzelheiten: So über einen bereits 1546 in Aarau wirkenden Buchhändler, 317 oder über den von Johannes Oporin im Hafen von Frankfurt am Main erlittenen Schiffbruch, bei dem ein Teil seiner Produktion völlig durchnässt wurde. 318 Auch wird aus einigen dieser Briefe indirekt ersichtlich, wie der Basler Drucker Bartholomäus Westheimer sich damals der Geschäftsangelegenheiten seines wegen Ehebruchs aus Basel verbannten Kollegen Johannes Herwagen annahm. 319

Im Zusammenhang mit dem Zürcher Buchwesen ergeben sich ebenfalls zwei Informationen. Zum einen das Zeugnis des beim Drucker Christoph Froschauer angestellten und von Bullinger geschätzten Korrektors namens Peter Schmid, über den Rainer Henrich vor einigen Jahren einen interessanten Aufsatz verfasst hat. 320 Zum anderen etwas ganz Unerwartetes über die Zürcher Buchzensur: Man entdeckt nämlich, dass Vadian befürchtete, dass die Zürcher Zensoren die von ihm gegen die Mönche St. Gallens geäußerte Kritik in seinen für den Druck in Stumpfs "Eidgenössischer Chronik" bestimmten Abhandlungen abschwächen, ja sogar entfernen könnten. 321 Auf den ersten Blick fragt man sich, wie denn bei Vadian eine solche Furcht überhaupt entstehen konnte. Bei genauerer Überlegung aber erhält man eine Antwort auf diese Frage. Die Zürcher wurden nämlich während des 15. Jh. mit anderen eidgenössischen Orten zum Schirmort des Klosters St. Gallen ernannt. Offensichtlich fürchtete Vadian, dass die Zürcher Behörden, auch wenn diese sich unterdessen der Reform angeschlossen hatten, aus politischen Gründen nicht bereit wären, diese Schlüsselrolle aufs Spiel zu setzen, und dass sie dementsprechend die Auslassung oder die Überarbeitung der von Vadian gegen die Mönche seiner Stadt geäußerten Kritik hätten anordnen können. ***

Digitale Ausgabe von Bullingers Briefwechsel

Es ist mir eine Freude darauf hinzuweisen, dass seit Oktober 2013 die vierzehn ersten Bände mit dem Zusatzband 10A der Öffentlichkeit und ganz besonders der internationalen Gemeinschaft der Historiker und Philologen

315 In Nr. 2413.
316 Siehe Nr. 2425 und Anm. 6.
317 Siehe Nr. 2382 und Anm. 3.
318 Siehe Nr. 2435.
319 Siehe Nr. 2394 und Anm. 2; Nr. 2435 und Anm. 5.
320 Siehe Nr. 2352 und Anm. 2.
321 Siehe Nr. 2352f. 2359 und Anm. 3.

über unsere Website (http://www.irg.uzh.ch/hbbw.html) dank des Einsatzes von Monika Gubler und Taomir Ebersold von der Firma arpa Data Gmbh zugänglich gemacht wurden. Unterdessen wird an einer neuen Fassung dieser digitalen Ausgabe gearbeitet, die das Herunterladen des zurzeit erforderlichen "clients"unnötig machen soll.

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Es bleibt die angenehme Pflicht des Dankens. Zunächst richtet sich unsere Anerkennung an den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und an die Reformierte Kirche des Kantons Zürich, die die Edition des Briefwechsels von Heinrich Bullinger seit Jahren finanzieren und damit die Veröffentlichung dieser bedeutsamen Quelle ermöglichen. Es sei hier nämlich daran erinnert, dass durch die Menge der in ihr übermittelten Informationen, durch ihre Dichte (zwei Briefe jeden dritten Tag), ihre sich über fünfzig Jahre (1524—1575) erstreckende Zeitspanne, ihre geographische Weite und angesichts des wachsenden Interesses an Epistolographie und Netzwerken im Allgemeinen und der Frühen Neuzeit im Besonderen Bullingers Korrespondenz eine unentbehrliche Quelle für die Erfassung der Geschichte und Kultur Europas im 16. Jahrhundert darstellt.

Wir möchten ferner Peter Opitz, dem Leiter des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte, für seine stetige Unterstützung herzlich danken. Auch unseren lieben Kolleginnen und Kollegen desselben Instituts sei an dieser Stelle gedankt. Dankbar sind wir auch all jenen Personen, die unsere Arbeit in den Archiv- und Buchbeständen durch ihre freundlichen Hinweise und Angaben erleichterten oder bereicherten. Wir danken Rudolf Gamper, der uns bislang mit ausgezeichneten Aufnahmen der in der Kantonsbibliothek St. Gallen (Vadiana) aufbewahrten und hier veröffentlichten Briefen versehen hat. Ganz besonders gebührt unser Dank Ruth Jörg, die all unsere Briefe mit Interesse und Sorgfalt liest und uns mit wertvollen Ratschlägen versieht.

Es seien ferner in alphabetischer Ordnung die Namen (ohne Titel) all derer aufgezählt, die sich bei der Bearbeitung des einen oder anderen im vorliegendem Band veröffentlichten Briefes als behilflich erwiesen haben: Jan-Andrea Bernhard, 322 Rudolf Gamper, 323 Rainer Henrich, 324 Antonella Imolesi, 325 Hans-Jörg Künast, 326 Martin Leonhard, 327 Hans-Ueli Pfister, 328 Raoul Richner 329 und Kurt Jakob Rüetschi 330 .

322 Siehe Nr. 2363, Anm. 18 und 24.
323 Siehe Nr. 2318, Anm. 7.
324 Siehe Nr. 2321, Anm. 3; Nr. 2341, Anm. 9 und 16; Nr. 2345, Anm. 6; Nr. 2351, Anm. 18; Nr. 2363, Anm. 6 und 39; Nr. 2368, Anm. 37; Nr. 2379, Anm. 25; Nr.
2407, Anm. 3 und 35; Nr. 2428, Anm. 34.
325 Siehe Nr. 2425, Anm. a.
326 Siehe Nr. 2389, Anm. 24.
327 Siehe Nr. 2368, Anm. 37.
328 Siehe Nr. 2368, Anm. 37.

Den Satz dieses Bandes verdanken wir Christian Moser, der zudem die von uns verwendete Textverarbeitungssoftware Tustep an unsere Bedürfnisse angepasst und dadurch ermöglicht hat, Arbeitsgänge, die früher nur von Hand und mit großem Zeitaufwand erledigt werden konnten, zu automatisieren. Ihm sei hier unsere Anerkennung ebenfalls ganz besonders ausgesprochen.

Schließlich möchten wir hier die am 22. September 2013 völlig unerwartet verstorbene ehemalige Leiterin des Theologischen Verlags Zürich, Marianne Stauffacher, würdigen und uns bei der jetzigen Leitung des Verlags, Lisa Briner Schönberger und Hansruedi Hausherr, für die wohlwollende Betreuung und Verbreitung dieser im Auftrag des Zwinglivereins herausgegebenen Bände bedanken.

Reinhard Bodenmann

329 Siehe Nr. 2382, Anm. 3.
330 Siehe Nr. 2382, Anm. 6; Nr. 2384, Anm. 77; Nr. 2391, Anm. 8; Nr. 2395, Anm.
15; Nr. 2406, Anm. 35; Nr. 2407, Anm. 1; Nr. 2425, Anm. 21; Nr. 2450, Anm. 12f.