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[2310]

Johannes Haller an
Bullinger
Augsburg,
24. Dezember 1545

Autograph: Zürich StA, E II 370, 6-8 (Siegelfragment) Ungedruckt

Auch wenn Haller vielleicht bald nach Zürich kommt, muss er Bullinger doch beizeiten über seine Situation informieren. Bis jetzt hat er über den Bund Gottes und dabei über die vornehmsten Glaubensartikel und die Sakramente beider Testamente, darunter auch über das Abendmahl, gepredigt, was aber [Wolfgang]Musculus und seine Komplizen sehr aufbrachte. Darauf berief der Rat am 23. Dezember alle Prediger ein und untersagte ihnen jede Feindseligkeit gegen Haller. Bürgermeister [Hans] Welser warf vor allem Musculus Hochmut vor. Dieser brach daraufhin in die schärfsten Worte aus und konnte von [Michael]Keller und den Übrigen kaum gezügelt werden. Am Tag darauf reichte er ein Entlassungsgesuch ein. Was nun wird, weiß Haller nicht. [Johann]Meckart, [Johann] Flinner und [Johann] Traber, alle noch größere Lutheraner als Musculus, hassen Haller nur deshalb, weil er Zürcher ist. Sie wollen seinen Weggang. Haller bemüht sich, der Zwietracht entgegenzuwirken. Einerseits ist er von den kirchlichen Streitigkeiten und von der gegen ihn gerichteten Feindseligkeit sehr betroffen, andererseits tut ihm die der Wahrheit beraubte [Augsburger] Kirche leid. Alles wird nach Bucers [Gottesdienst]ordnung von 1535 [richtig: 1537]ausgerichtet, die man als Konkordie bezeichnet. Haller orientiert sich daran, sofern es ihm gestattet ist, sie dem Volk auf fromme Weise auszulegen; anderenfalls kann er nicht bleiben. Einige [...]schrieben an die Räte von

e In der Vorlage Menlishefor.
f In der Vorlage perpeuo.
30 Johann Jakob Menlishofer d.J.
31 Christoph von Landenberg.
32 Christoph von Braunschweig, Erzbischof von Bremen.
33 auff dem gejagt: auf der Jagd.
34 Es handelt sich tatsächlich um ein Gerücht.
35 Wohl ironisch gemeint: Es lässt sich nicht alles im Lande fangen.
36 Den vorliegenden Brief versandte Blarer zusammen mit seinem Brief vom 30. Dezember; s. unten Nr. 2316, 1.

Kurfürst [Johann Friedrich] von Sachsen und Landgraf [Philipp von Hessen]nach Frankfurt, dass ein Zürcher [nach Augsburg]berufen worden sei, womit die Kirche und die Eintracht zerstört und das [Schmalkaldische] Bündnis gebrochen werde. Das wurde dem [Augsburger] Rat mitgeteilt, der standhaft Rechenschaft für seine Entscheidung ablegte; Haller hat den Brief nämlich gelesen. [Die Augsburger Räte] schrieben auch ihren Frankfurter Gesandten, unter ihnen Nikolaus [Müller gen.] Maier, dass sie sorgfältig nach dem Denunzianten forschen. Musculus fürchtet sich und denkt deshalb an seinen Weggang, der ihm aber wegen des [von ihm erregten]Anstoßes nicht gestattet wird. In Hinsicht auf Haller ist noch nichts entschieden worden. Die [Augsburger]Pfarrer haben sich beschwert, dass Haller ihnen entgegen dem üblichen Verfahren nicht vorgestellt und auch nicht geprüft worden sei. Der Rat antwortete, dass die von Haller mitgebrachten Zeugnisse und auch Hallers [Predigten] eine Prüfung nicht erforderlich machten, dass er aber willens sei, ihnen Haller vorzustellen. Dies wird wahrscheinlich kurz nach den Festtagen geschehen. Haller weiß nicht, ob seine Anwesenheit oder seine Abwesenheit für [Augsburg] besser wäre. Da die Bürger ohnehin schon parteiisch sind, wird Augsburg nie zur Ruhe kommen und stets der Schwärmerei verdächtigt, solange Haller bleibt. Wenn sich nur der Zürcher Rat nicht in die Augsburger Angelegenheiten eingemischt hätte, damit die Sache des Herrn nicht in Verruf gerät! Die [Zürcher] sollen sich darüber beraten. Solange Luther die Zürcher angreift (angeblich verfasst er eine Schrift gegen sie), kann Haller der Kirche Augsburgs nicht nützlich sein. Vielleicht wird [Georg] Frölich Nachrichten senden. Bullingers vor kurzem eingetroffener Brief [Nr. 2302] war Haller willkommen, doch ist er um Bullingers Gesundheit besorgt. Dieser soll Haller im Hinblick auf Musculus beraten. Größe an Bullingers Familie, Gwalther und [Wolfgang Haller]. [P.S.:] Georg Frölich wünscht, dass Bullinger den Landgrafen [Philipp von Hessen]schriftlich zu seinem Sieg beglückwünsche.

S. Quamvis brevi forte ad vos sim reversurus, 1 non possum tamen te non in tempore de rebus meis facere certiorem. Concionatus sum hactenus de testamento dei, quem locum ita disposui, ut in ipso praecipuos religionis articulos traetaverim. Deveni ergo ordine ad utriusque testamenti sacramenta. Explicavi post alia etiam coenae negotium simpliciter et pure. Qua re adversarii (Musculus scilicet cum suis complicibus) ita commoti sunt, ut mira erga me coeperint consilia, nec potuerint etiam suam illam virulentiam celare. Vocati sunt ergo a senatu 23. huius mensis concionatores omnes, 2 et graviter omnibus interdictum est, ne vel ullo signo malevolentiam suam erga me manifestent 3 Habuit longam et disertam valde contra eos orationem consul Welserus 4 Obiecit eis superbiam, praesertim Musculo, et de primatu contentionem; qua re Musculi ulcus ita tetigit 5 ut sibi non potuerit temperare, sed in virulentissima eruperit verba vixque a Cellario 6 et caeteris fratribus potuerit compesci. Crastina statim supplicationem (ut vocant) consuli obtulit, petens dimitti, et se multas habere causas iam pridem etiam ortas et

1 Haller reiste kurz nach dem 5. Januar 1546 zurück nach Zürich; s. Rat von Augsburg an den Rat von Zürich, 5. Januar 1546 (Zürich StA, A 202/1, Nr. 8).
2 Vgl. den Augsburger Ratsbeschluss vom 23. August 1545, zitiert bei Roth III 266f, Anm. 15: "Die unainigkait, die sich zwischen den herrn predicanten ereügt [=
zeigt], soll durch die herrn 13 mit besten fugen und mitlen hingelegt werden."
3 Vgl. Georg Frölich an Bullinger, 25. Dezember 1545 (Nr. 2313, 18-22).
4 Hans Welser.
5 ulcus ... tetigit: Vgl. Adagia, 1,6,79 (ASD 11/2 102-104, Nr. 579).
6 Michael Keller.

veteres, quibus motus dixit se non posse amplius huic servire ecclesiae. Quid tamen futurum sit, ignoro. Haec hodie acta sunt. Caeteri fratres, Mecardus Flimnerus 8 et Traberus 9 Luteriani toti et Musculo magis infecti, ita me oderunt, ut nihil supra, saltem quod Tigurinus sum; de caetero nihil habent, quod conquerantur, nisi quod forsan metuunt suis honoribus aliquid decessurum me praesente. Hoc ergo unum cupiunt et quaerunt, ne recipiar, sed eiiciar iterum. Ego, qui semper pacis studiosus fui, etiam hic ago, quicquid possum, ne tanta discordia dissolvatur ecclesia; et dubito prorsus, quid mihi agendum sit. Hinc me discordia fratrum, ecclesiae offendiculum, insidiae ac pericula privata torquent; hinc rursum ||7 ecclesiae me miseret huius, quae pios multos habet, quam doleo veritate destitui et desolari. Praescripsit Bucerus formam, quae concordia vocatur. 10 Aedita est anno 1535 11 , cuius praesidio nunc machinantur omnia, cuius ego verba (quamvis non omnia) recipio, modo liberum sit ea pie populo (ut tu in tuis recte mones literis 12 interpretari; quod si mihi concessum non fuerit, nunquam manebo.

Caeterum perscripsere quidam 13 Francofurtum ad principis electoris Saxonici 14 et landgravii 15 consiliarios Tigurinum vocatum, hinc turban ecclesiam

7 Johann Meckart (Möckart), geb. 1507 in Günzburg, gest. 1559 in Augsburg. 1528 Lateinschulmeister in Augsburg; dort 1535 Diakon zu St. Moritz, 1542 Diakon am Dom, 1544 Pfarrer an St. Georg. 1546 Feldprediger Sebastian Schertlins von Burtenbach. Am 26. August 1551 entlassen. Vorübergehender Aufenthalt in Bern. Am 12. Juni 1552 Pfarrer an St. Anna in Augsburg. 1557 Teilnehmer am Wormser Religionsgespräch. Meckart verkehrte brieflich mit Musculus und verfasste einen weitverbreiteten Katechismus. — Lit.: Pfarrerbuch Bayerisch-Schwaben 135, Nr. 789; Bähler, Haller 9, Anm. 34.
8 Johann Flinner (Renner; Flindner, Flintner), geb. um 1520 in Zeil am Main (Kr. Haßberge, Bayern), gest. 7. Dezember 1578 in Heidelberg oder Straßburg. 1535 Immatrikulation in Ingolstadt; 1557 Immatrikulation in Heidelberg. 1541 Diakon, 1542 Pfarreiverwalter, 1544 Pfarrer an Heilig Kreuz in Augsburg. Am 26. August 1551 entlassen. Am 12. Juni 1552 wieder Pfarrer an Heilig Kreuz, 1552 entlassen. 1553 in St. Aurelien in Straßburg, 1555 Kanonikus an St. Thomas. 1556 am Spital in Baden-Baden. 1556 Pfarrer und Kirchenratsmitglied an Heilig Geist in Heidelberg.
1559 Pfarrer am Münster zu Straßburg. —Lit.: Pfarrerbuch Bayerisch-Schwaben 56, Nr. 311.
9 Johann Traber, gen. Tischmacher, geb. um 1490 in Babenhausen, gest. vor Herbst 1555 in Faimingen. Evtl. 1506, sicher 1512 als Inhaber einer Pfründe im Memmingen und noch 1530 als Kaplan bezeugt. 1536 in Dickenreishausen. 1543 Spitalpfarrer in Augsburg. Am 26. August 1551 entlassen. 1551 wurde er in Zürich finanziell unterstützt. Am 12. Juni 1552 wieder Spitalpfarrer in Augsburg. Am 25. August 1552 erneut entlassen. 1553 in Donauwörth, 1554 in Lauingen und Faimingen. — Lit.: Pfarrerbuch Bayerisch-Schwaben 215, Nr. 1277; Bähler, aao, S. 9, Anm. 36; Studentenamtsrechnungen 1551 (Zürich StA, G II 39.2, 1551).
10 Die "Forma", die gerade neu aufgelegt worden war (s. oben Nr. 2295, Anm. 1), wurde 1537 zum ersten Mal veröffentlicht (VD 16 A 667:ediert in EKO Xll/2, 72-84.
11 Gemeint ist: 1537.
12 Siehe oben Nr. 2302, 16-19.
13 Unbekannt; s. Roth III 238f.
14 Johann Friedrich I. von Sachsen.
15 Philipp von Hessen.

et concordiam, infringi foedus 16 , etc. Hoc ad senatum nostrum perscriptum est et exprobratum eis. Respondent illi constanter et, quare hoc fecerint, reddunt rationem. Legi enim ego literas. Scripserunt item legatis, quos ipsi habent Francofurti 17 (inter quos et d. Nicolaus Maior 18 ), ut diligenter inquirant, a quibus haec evulgata atque ipsi apud principes delati sint, et ut in tempore haec significent ipsis. Hac de causa timens sibi Musculus prior abitum meditatur, qui tamen propter offendiculum ei non concedetur.

Mecum praeterea adhuc nihil actum est. Conquesti sunt fratres (quia aliud quaerere non potuerunt) me praeter morem eorum nondum praesentatum, ut vocant, nec examinatum esse. Senatus se talia et tanta de me habere testimonia respondit, ut supervacaneum eis visum sit me examinari; ad haec totam ecclesiam iam posse de mea fide, eruditione et gratia a domino data testari. Quid ergo opus sit adhuc examinatione? Tamen, ut satisfieret eis, volunt, ut breviter me eis exponam. Quod, quando futurum sit, nescio adhuc. Brevi tamen puto post ferias. Eo facto spero finienda negotia mea.

Audis ergo, vir clarissime, in quantis versetur hae ecclesia aerumnis, cui nescio praesentia an absentia mea melius consuli possit. Dissidium praesente me nunquam cessabit, et cives, etiam alias factiosi, suas sequentur partes. ||8 Vellem ergo, ut magistratus noster Tigurinus nec se nec suos his imniisceret turbis, quo minus suspectum esset domini negotium. Quamdiu enim vel nomen saltem Tigurini manet Augustae, suspecta erit haec ecclesia nescio cuius schwermeritatis, et posset commodius per alterius nominis homines aedificari. Fac ergo, obsecro, ut rebus his in tempore consulatur. Paratus ego sum pro nomine domini mei agere et ferre quidvis, modo aedificem. Sed profecto Tigurinum nomen parum Augustae aedificabit praesertim stringente iterum suo impuro in nos stilo Luthero, quem aiunt contra Tigurinos iam aedidisse vel aedere librum satis magnum, 19 quem tamen nondum vidi. Curabo tamen, ut, si possim habere exemplaria, mecum feram. Qua re multorum animi suspitionem iniquam de nobis capient. Dominus tamen dabit his quoque finem 20 , qui frequentibus nobis exorandus est precibus, ne veritatem supprimi sinat.

De rebus novis plura forte scribet d. Laetus 21 , qui eas me melius novit. Tantum enim hisce meis vexor negotiis, ut nova parum curem, nisi quatenus cuivis vigili et pastori curanda sunt. Caeterum literae tuae nuper ad me missae fuerunt mihi gratissimae, nisi quod adversam tuam praedicarunt valetudinem.

16 Der Schmalkaldische Bund. — Vgl. auch Roth III 238.
17 Zum Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt s. oben Nr. 2285, 70-77 und Anm. 37.
18 Nikolaus Müller gen. Maier. — Daneben noch Marx Pfister und Michael Sedelmaier; s. Roth III 267, Anm. 16, sowie Reg. (dorther die Vornamen).
19 Dazu kam es nicht. Zu diesem bereits früher geäußerten Gerücht einer Antwort Luthers auf die "Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio" s. oben Nr. 2166, 2-9; 2222, 19-26 sowie Nr. 2231, 31-48. Siehe aber dagegen Nr. 17-22:2228,1—17.
20 Vgl. Vergil, Aeneis, 1, 199.
21 Georg Frölich schrieb am 25. Dezember; s. unten Nr. 2313.

22 Dominum oro ex animo, ut te nobis restituat et in multam aetatem incolumem conservet. In te enim magna ecclesiae sita est spes. Proinde pro te orare non cessabit. De Musculo bene mones. Agam et concedam, quod possum. Quod non possum, constantia vincam. Caeterum de rebus omnibus plura audies, ubi venero. Haec raptim scribere volui, ne nescires, quid mecum ageretur. Tibi vero, Bullingere doctissime et charissime pater, me commendo. Tu me commenda domino, ut spiritu suo animum meum certe perturbatum erigat et confortet.

Salutabis meo nomine familiam, d. Rodolphum Gvaltherum, fratrem charissimum, 23 et alios [pios et]a doctos. Salutant te d. Cellarius, d. Bernhardinus [Ochinus], Bethuleius 24 et d. Laetus, qui tamen ipse scrib[et. Bene val]e. 24. decembris 1545. Augustae Vindelic[orum].

Tuus ex animo b. Hallerus.

||8v. Postquam haec scripsi, suasit d. Laetus, ut adhortarer te, ut ad Landgravium scriberes et gratulareris ei de sua victoria, quo erga veritatem nostram propensus et benevolus esse pergeret, ubi videret suam etiam nobis cure esse salutem. 25 Vale iterum.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Heinrycho Bullingero, ecclesiae Tigurinae antistiti fidelissimo, domino ac patri suo plurimum colendo. Zürich. An m. Heinrich Bullinger.

a Hier und unten Textverlust durch Öffnen des Briefes. Fehlstellen z. il ergänzt aus der Abschrift von Johann Jakob Simler (Zürich ZB, Ms S 58, 163f).
22 Brief Nr. 2302 (vgl. oben Z. 29f), dessen Text Johann Heinrich Hottinger nur durch eine von Bullinger veranlasste Abschrift bekanntgewesen sein wird. In der für oder von Bullinger angefertigten, nicht mehr erhaltenen Abschrift wurden offensichtlich dessen gesundheitliche Probleme all-
mählich mit "plura iam non potui" zusammengefasst. Vgl. aber oben Nr. 2303 vom gleichen Tag, wo Bullinger über schwere Kopfschmerzen klagt.
23 Wolfgang Haller.
24 Sixt Birck.
25 Ein entsprechendes Schreiben Bullingers an Landgraf Philipp von Hessen ist nicht bekannt. Die Stadt Augsburg selbst hatte den Landgrafen schon früher beglückwünscht; s. PA II 64 (unter Okt.INov.).