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[2269]

[Bullinger] an
Ambrosius Blarer
[Zürich,
zwischen dem 19. und 22. Oktober 1545]

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 66 (Siegelabdruck) Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 396, Nr. 1226

Eine Antwort auf die Frage, ob gläubige Menschen sich mit Nichtchristen verbünden dürfen, ist nur schwer zu geben. Einerseits stellt man fest, dass die Bündnisse, die das Volk Gottes u.a. mit den Syrern und den Assyrern schloss, meistens ein schlechtes Ende nahmen. Es wäre also besser, sich möglichst vor solchen Bündnissen zu hüten. Wenn andererseits der Nachbar, dessen Religion nicht ganz rein ist, in gutem Einvernehmen [mit den Protestanten] lebt, ohne deren Religion zu verfolgen, darf man sich mit diesem verbünden, falls dies von Nutzen sei und die Lage es erfordern sollte. So hat Abraham sich mit den Kanaanitern verbündet, David mit heidnischen Königen und Salomon mit Chiram. Der Herr sagt ferner: "Wer nicht gegen uns ist, ist für uns" (Mk 9, [40]). Jene also, die [die Protestanten] nicht verfolgen oder bekämpfen, soll man nicht als Feinde oder Hunde ansehen. Im Allgemeinen aber muss der Gläubige vorsichtig bleiben, sich hüten, Menschen (ob gläubig oder ungläubig) zu vertrauen und darauf achten, seinen Glauben stets frei ausüben zu können. Dürfte er aber kein Bündnis

5 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
6 Philipp von Hessen.
7 Karl V.
8 Albrecht V. von Brandenburg, Kurfürst von Mainz, war am 24. September 1545 gestorben.
9 Nachfolger wurde Sebastian von Heusenstamm.
10 Nicht ermittelt.
1 Das Datum geht aus dem Empfangsdatum (s. unten Anm. b) und aus der Beobachtung hervor, dass Bullingers Briefe meist ein bis drei Tage brauchten, um an Blarer übermittelt zu werden.

schließen, dürfte er auch in keiner Stadt leben, die nicht ganz reinen Glaubens ist, zumal er sich der Obrigkeit der Stadt verpflichten muss. Kann man also auf ein Bündnis verzichten, sollte man das tun. Wenn nicht, darf man ein solches eingehen, solange der Glaube dabei frei bleibt, auch wenn [der Partner] nicht ideal ist. Oft verbündet man sich mit Menschen, die man als ganz fromm erachtet, [wobei] manchmal Menschen, vor denen man sich hütet, frommer [als angenommen] sind. Hier braucht man Gottes Führung, und man sollte sich Zeit lassen. Dieses in Eile verfasste Gutachten soll geheim bleiben.

Uff üwere vrag 2 ist gantz gfarlich 3 ze antworten; dann wer kann mitt der wallt sachen umbgan, das er sich nitt ettwas beflecke? Uwere vrag ist, ob sich ouch glöubige lut zu unchristen verbinden mögind.

Da sich 4 ich aber wol, das die püntnissen, so die glaubige konig des volck gottes mitt den unglöubigen Syriern, Assyriern, etc., gehept, meerteyls übel ußgschlagen sind. Deßhalb das aller sicherist ist, wer yenen 5 kan und mag, sich ze hüten vor solichen püntnissen. Und daruff dienend die ort der gschrifft Deut. 7, [1-4], Isaiae 30, [1-3], und 31, [1. 3], etc.

Wo aber darnäben lüt befonden werdent, die nitt aller dingen unser religion pur und luter 6 sind, doch traglich 7 labend und unser religion nitt vervolgent, sunder duldent, und ettwas grosser sach nutzbarkeit und zimlicher anlaß heist 8 mitt den selben ettwas verstandts 9 machen, da kinde ich keinem gottes volck darvorn sin 10 Dann Abrahamm, unser aller vatter,"11 hatt puntnissen gemacht und gehept nach siner notturfft mitt Chananeiern, 12 David mitt ettlichen heidnischen königen 13 und Solomon mitt Hiram 14 So spricht der herr, Marci 9, [40]: "Welcher nitt wider uns ist, der ist mitt uns", etc. So sol man die, die unsern glouben nitt durächtend 15 den uns ußdingen lassend 16 und nitt anfächtend; nitt für offne vind 17 hallten und ir gar nüt wollen, sy alls hund verschuppffen 18 19 dann damitt mee schadens dann nutzes wol solte geschafft werden.

Und hierinn wirt ettlicher gstallt 20 °ein glöubig hertz wol wag suchen, sich boten vor vertrösten 20 und verlassen 22 weder uff glöubige noch unglöubige verpündete, 23 und das es den glouben fry behallt, den nieman übergab 24 . Wo

2 Siehe oben Nr. 2263,77-91. —An welche Bündniskonstellation Bullinger bei der Abfassung dieses Gutachtens dachte, führt er unten Nr. 2284, 6-13, aus.
3 heikel.
4 sehe.
5 irgendwie.
6 pur und luter: ganz rein.
7 einträchtig.
8 und zimlicher anlaß heist: und gute Gründe es fordern.
9 Bündnis.
10 darvorn sin: es verhindern.
11 Vgl. Röm 4, 16.
12 Gen 21,22-34.
13 Vgl. 2Sam 5, 11f; 21, 1-3.
14 Chiram, König von Tyros; s. 1Kön 5, 1-12.
15 schmähen; verfolgen.
16 den uns ußdingen lassend: uns erlauben, den [Glauben von dem zu vereinbarenden Eid]auszunehmen.
17 Feinde.
18 verächtlich behandeln.
19 Vgl. Phil 3, 2.
20 ettlicher gstallt: in jedem Fall.
21 Versprechen.
22 Zuversicht.
23 Vgl. Jer 17, 5.
24 den nieman übergab: ihn [den Glauben] niemandem abtreten soll.

das ein glöubiger nitt thun mag, so mag er ouch in kein statt zühen, die nitt allerding luters und reins gloubens ist, da er sin lib und gilt verbindt und underwirfft der oberkeit der statt. 25

Welcher da uß blyben mag, 26 thut wol. Wer aber niendart hin kummen kan 27 muß und mag sich wol da 28 niderlassen, doch sinen glouben rein behallten. Also und der gstallt vermeinnen ich, nitt unbillich sin verstand ze machen mitt denen, die nitt gar just sind 30

[W]ir a machend offt ver-|| 66v. stend mitt lüten, die wir haltend für vast 31 fromm. Die aber, die wir schühend 32 sind ettwas frommer. Dorumb ist das spyl 33 schlippfferig 34 . Man muß gott hatten umb radt und huss. Sed et tempus et occasio suppeditat aliquando consilium.

Datum ut supra 35 in yl. Dann wie ich vernamm, das der karrer 36 noch nitt hinwäg was, schreib ich das flux. Ich bitt, ir wöllindts üch behallten und nieman zeygen.

[Adresse darunter:] Dem wirdigen, wolgelerten, frommen und getruwen m. Ambrosien Blaureren, predicanten zu Constantz, sinem eerenden lieben herren. Constantz b .