Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2244]

[Joachim Vadian an
Bullinger]
[St. Gallen,
zweite Hälfte September 1545]

Teilabschrift von unbekannter Hand (17. Jh.) a : Zürich ZB, Ms F 64, 649r.-v.

Vadian betrauert die viel jüngeren [Georg] Binder und [Kaspar]Megander, die [am 18. Juli bzw. am 17. August 1545] verstarben. Bucers Schrift [,,Von den einigen rechten wegen und mitlen Deutsche nation inn christlicher religion zu vergleichen", August 1545] hat er gelesen und erkennt darin die entgegenkommende Fürsorge Bucers, welcher die sich widerstreitenden Parteien liebt und eine Einigung sucht, auch wenn er dabei unbeständig erscheinen mag. Bösartigkeit kann Vadian sich bei Bucer nicht vorstellen; auch zweifelt er nicht daran, dass Bucer ein ganz bestimmtes Ziel verfolgt, ohne die [Heilige]Schrift aus den-Augen zu verlieren. Dies ist auch Vadians Einstellung; deswegen schwankt er aber nicht. Vielmehr teilt er die Lehre der Zürcher, doch ist er der Meinung, man müsse bei der Deutung der Geheimnisse [Gottes] die Wahl seiner Worte genau abwägen. Bullinger hat von einem zuverlässigen Freund [Blarer]2 erfahren, Vadian hätte bedauert, dass "seine Zürcher Luther ungerecht behandelt" haben. Die Sache verhält sich folgendermaßen: Frecht wollte Vadians Meinung [über das "Warhaffte Bekanntnuß"]erfahren. Vadian antwortete ihm, er hätte das Buch noch nicht gelesen, doch hätte er gehört, dass die Zürcher den verdienstvollen [Luther] sehr ungerecht behandelt hätten. Dies entspricht nämlich dem Urteil von rechtschaffenen Menschen aus [Vadians Umfeld], die die Zürcher schätzen, es aber gern sehen würden, wenn diese sich in

c In der Vorlage meis. Dort hat Myconius lediglich adiunctas aus adiunctis korrigiert.
d Adresse teilweise über das nicht mehr erhaltene Siegelband geschrieben.
17 Unbekannt.
18 Unbekannter bzw. unbekannte Brief(e).
19 Unbekannte Adressaten.
20 Theodor Bibliander.
a Ohne Datum, Unterschrift und Adresse.
1 Der von Vadian hier erwähnte, nicht erhaltene Brief Bullingers an ihn, in dem Vadians Unvorsichtigkeit bedauert wurde, ist in Blarers Brief vom 19. September 1545 (unten Nr. 2249) als ein bereits verfasster Brief erwähnt. Der vorliegende Brief, der auf dieses Schreiben Bullingers reagiert, wird also in der zweiten Hälfte September anzusetzen sein.
2 Vgl. oben Nr. 2227, 106-110.

ihren Schriften zurückhaltender und weniger bissig zeigten und ihre helvetische Suffisanz aufgaben. Vadian braucht hier keine Namen zu nennen, weil es jedem freisteht, eine eigene Meinung zu haben, und weil er die Zuverlässigkeit seiner Angaben selbst bezeugen kann. Also teilte er Frecht die Meinung anderer und nicht seine eigene mit, und zwar deshalb, weil er diesen dadurch für den Rest seines Briefes empfänglicher stimmen wollte. Darin wollte er Frecht zu verstehen geben, dass Luther sich über die Geheimnisse [Gottes]genauso ausdrückt, wie wenn die [Protestanten] über das Bischofs [amt]sprechen und sich dabei ganz überzeugt auf die [Heilige]Schrift berufen; dass Luther ferner der tropischen Redeweise feindlich gesinnt ist, wo doch das ganze Altertum diese anerkennt, und die Geheimnisse [Gottes] ohne diese nicht zu deuten wären; ferner, dass mit dem Sauerteig der Pharisäer, vor dem man sich hüten soll [vgl. Mt 16, 6-12 par.], nicht so sehr die falsche Lehre der Papisten gemeint ist als vielmehr die heuchlerische, prahlerische Verkehrtheit im Denken. Dies und noch anderes wollte Vadian Frecht verdeutlichen. Leider besitzt Vadian keine Kopie seines Briefes mehr. Er wollte sich Frecht gegenüber als Herold der Einträchtigkeit erweisen und diesen bitten, brieflich bei Philipp [Melanchthon]dafür einzutreten, dass nicht noch Unverschämteres geschehe. Inzwischen hat keiner von den anspruchsvollen Zuschauern auf Luthers [Angriff] reagiert. Doch freuen diese sich, die Mühe der in der Arena kämpfenden [eidgenössischen Protestanten] zu beobachten und nehmen sich dabei sogar die Freiheit heraus, Kleinigkeiten zu kritisieren! Bullinger soll nicht an Vadian zweifeln. Wenn dieser Zank doch nur beigelegt würde und die brüderliche Sanftmut zu Einigkeit führte! Vadian bedankt sich allerdings für Bullingers Verlässlichkeit und Offenheit, die er ihm in seinem mahnenden Brief [nicht erhalten] erwies.

[Gedruckt: Vadian BW VII 113-115, Nr. 84; Teilübersetzung: Joachim Vadian, Ausgewählte Briefe, hg. v. Ernst Gerhard Rüsch, St. Gallen 1983, S. 88f, Nr. 22.]