Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2080]

[Johannes Gast] an
Bullinger
[Basel],
9. Februar 1545

Autograph: E II 366, 240 (Siegel) Ungedruckt

Gast geht es gut. Er schreibt selten, weil er nichts Wesentliches zu sagen hat und Bullinger bei der Abfassung der Schrift [,,Warhaffte Bekanntnuß"] gegen den "neuen Papst" [Luther] nicht stören will. Gut, dass die Zürcher, gestützt auf die Heilige Schrift, Zwingli wie auch Gasts Lehrer Oekolampad gegen Luther verteidigen. Gast fragte [die Pfarrer und Theologen zu Basel], ob sie nicht wenigstens einen Brief zur Verteidigung ihrer Kirche gegen Luthers Wahnsinn schreiben wollten, erhielt aber eine abschlägige Antwort. Er will diesen Sommer einige Psalmen herausgeben, vielleicht zusammen mit einer [einleitenden] Epistel, in der er Oekolampads Lehre vom Abendmahl zu verteidigen gedenkt, falls die Brüder es billigen. Wenn Luther doch nur geschwiegen hätte! Die Antwort [der Zürcher] wird bestimmt jeden weiteren Kampf mit ihm unnötig machen, zumal dieser nicht mehr antworten und auch nicht die Briefe [der Eidgenossen] lesen will. Luther soll bedauert haben, dass der Herzog [Kf Johann Friedrich von Sachsen] mehr als 1'000 Exemplare [vom "Kurtz bekentnis"] beschlagnahmt hat. In Augsburg sind [die] lutherischen Büchlein verboten worden. In Straßburg hat der Angestellte [...]eines Druckers [...]einen Sack Getreide auf den Straßen ausgesät und ausgerufen: "Was ich jetzt säe, wird später der Türke mähen"; er wurde festgenommen, geächtet und ist auf freiem Felde unweit der Stadt plötzlich verstorben. Gruße an Theodor [Bibliander], Pellikan und [Johannes] Fries. [Karl V]soll in Worms sein; die Fürsten eilen herbei. Kaufleute berichten von einem Triumphzug des Türken [Sultan Suleimans I.] mit all seinen Fürsten in Konstantinopel.

S. in domino. Bene valeo, domino sit laus.

Quod autem raro scribo, in causa est, quod nullum argumentum habeam te dignum, et timeo perpetuo, ne studium tuum et laborem in respondendo Neopapae 1 interturbem. 2 Probe facitis, quod Lutheri supercilium scripturis sanctis deprimatis. Et dominus id medii dedit, quo tandem agnoscatur ab omnibus, quod sit homo et quod errare possit. Habet spiritum superbum, qui hominem indies singulos arrogantiorem reddit. Quod autem Oecolampadium, preceptorem meum, defendere simul cum Zvinglio conamini, 3 vehementissime probo. Nam nostros ecclesiae proceres 4 allocutus sum hac de re, an velint saltem epistolam edere, qua ecclesiae nostri doctrinam defenderent contra Lutheri insanias. Responderunt sibi nihil esse cum Luthero negotii, libellum 5 esse fanaticum et furiosum. Tacui ad haec verba apud me cogitans nescio quid de iis quibus ecclesiae negotium demandatum est.

1 Luther.
2 Die Zürcher verfassten damals die Schrift "Warhaffte Bekanntnuß" als Antwort auf Luthers "Kurtz bekentnis"; s. oben Nr. 2061, Anm. 9.
3 Im ersten, geschichtlichen Teil ihrer Schrift betonten die Zürcher, dass sie schon vor dem Marburger Religionsgespräch
von 1529 der Auffassung waren, dass Leib und Blut Christi "geistlich, nit lyblich" im Abendmahl seien; s. "Warhaffte Bekanntnuß", Zürich 1545, f. 7r.-v.
4 Das Kollegium der Pfarrer und Theologen zu Basel.
5 Luthers "Kurtz bekentnis".

Psalmos quosdam editurus sum hac estate, 6 quibus fortassis epistolam affigam Oecolampadii doctrinam in negotio eucharistie, si fratribus consul-tur videtur, defendentem, ne omnino muti videamur.

Utinam tacuisset Lutherus et ecclesiae nostri tranquilliores essent! Neque dubito, quin vos per omnia sitis responsuri, ut amplius non sit opus cum ista bestia decertare, quum nullum velit amplius responsum dare et ne legere ilias literas a nostris missas. 7

Audio, quod me alacrem reddit, ducem 8 plusquam mille exemplaria 9 Witembergae —nescio, cuius fuerit consilium -suppressisse, quod Luthero dolet. °Augustae libelli proscripti sunt Lutheranici; 11 o quam probe egerunt prudentes viri!

Argentina quidam impressoris famulus 12 coemit saccum frumenti et incepit per plateas civitatis discurrere et seminare frumentum dicens: "Das ich jetz bin seyen, das wirt hernach der Turck meyen", idque alta voce clamavit. Captus est ac in vincula coniectus, tandem proscriptus et vix dimidium miliare a civitate venit ac a subitanea morte occubuit in agro. Vide, quid dominus instituat cum nostris istis hominibus!

Vale. 9. februarii 1545.

Salutato d. Theodorum 13 et Pellicanum cum Frisio.

||240v. Caesarem b14 aiunt esse Wormaciae. 15 Principes advolant. Triumphum habuisse Turcam 16 Constantinopoli cum omnibus suis principibus constanter affirmant mer[ca]tores, 17 et quid illic instituat, divinare possumus.

a venit ac über der Zeile nachgetragen.
b Der Text dieses Nachtrags ist teilweise im engen Einband verdeckt.
6 Zu solch einer Veröffentlichung kam es nicht. Im Jahr zuvor (Februar 1544) hatte Gast eine Anzahl Predigten Oekolampads zu den Psalmen 73-77 und 137 in lateinischer Übersetzung herausgegeben; s. HBBW XIV 100 und Anm. 12.
7 Vgl. Luthers Aussage im "Kurtz bekentnis", WA LIV 155f.
8 Kurfürst und Herzog Johann Friedrich von Sachsen.
9 Luthers "Kurtz bekentnis".
10 Diese Nachricht könnte Gast von seinem 1542-1553 in Leipzig studierenden Neffen Philipp Bächi vernommen haben; s. Leipzig, Matrikel I 642; II passim. Weder im Vorwort der Herausgeber zu Luthers "Kurtz bekentnis" in WA LIV 119-135 noch bei Hans-Peter Hasse, Bücherzensur an der Universität Wittenberg im 16. Jahrhundert, in: 700 Jahre Wittenberg. Stadt-
Universität-Reformation, im Auftrag der Lutherstadt Wittenberg, hg. v. Stefan Oehmig, Weimar 1995, S. 187-212, wird darüber berichtet.
11 Steht vielleicht dieses Verbot im Zusammenhang mit dem gut vier Monate später veröffentlichten Augsburger Ratsdekret vom 20. Juni 1545, welches den Druckern untersagte, etwas ohne vorherige Genehmigung der Zensoren zu drucken? Siehe Roth III 149 und Anm. 113.
12 Unbekannt.
13 Theodor Bibliander.
14 Karl V.
15 Kaiser Karl V. traf erst am 16. Mai 1545 in Worms ein; s. oben Nr. 2065, Anm. 23.
16 Sultan Suleiman I.
17 Näheres konnte nicht ermittelt werden, jedoch könnte hier eine Verwechslung zwischen "(H)adrianopoli" (Edirne), wo sich der Sultan im Winter 1544/45 aufhielt, und "Constantinopoli"vorliegen; s. oben Nr. 2071, Anm. 30.

[Adresse darunter:] An denn eerwürdigen und wolgelerten hernn meister Heynrich Bullinger, pfarhernn zu Zurich, meynem lieben, gunstigen herren. Zurich.