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[183]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
31. Januar [1533]

Autograph: Zürich StA, E II 343, 97. Siegelspur. -Ungedruckt

Empört sich über die bei der Schlichtung des Mandatstreites gegenüber den V Orten gezeigte Nachgiebigkeit der Tagsatzungsboten der Schiedorte, vor allem Berns. Dabei hätten die reformierten Orte für den Kriegsfall genügend Unterstützung von seiten des Landgrafen von Hessen und der Reichsstädte, nur wagt man nicht, ihr Angebot anzunehmen. Die Basler bemühen sich um die Eintracht zwischen Bern und Zürich. Gerüchte über eine unmittelbare Gefahr seitens der V Orte, welche von Kaiser Karl V. unterstützt werden sollen. Haller verspricht, Bullingers Briefe gut aufzubewahren, fürchtet jedoch seinerseits, daß seine Briefe in Bullingers Haus in fremde Hände geraten könnten. Er bittet um Bullingers Römerbriefauslegung und Pellikans Kommentare zum Alten Testament.

S. Lectis literis tuis 2 , charissime Heinrice, non potui satis admirari et temeritatem et stupiditatem illam oratorum 3 , qua non solum vobis, sed et omnibus nobis inurere 4 notam annisi vix Rhaeno emundandam maxime nostratum 5 , quibus ad pacem conficiendam iam dudum erat data potestas, modo nec apice derogaret gloriae ac verbo

2 Huldrych Zwingli.
3 Siehe die Briefe Segers an Zwingli in Z IX, X und XI.
4 Der Überbringer von Segers Brief ist unbekannt.
1 Die Jahreszahl ist aus dem Inhalt ersichtlich, s. vor allem Anm. 3. 6 und 9.
2 Nicht erhalten.
3 Gemeint sind die Boten der sieben eidgenössischen Schiedorte zur Schlichtung des
Mandatstreites an der Tagsatzung zu Baden am 21. Januar 1533, s. EA IV/1c 5.
4 Offenbar im Sinne der im 16. Jahrhundert auch in der Schweiz gebräuchlichen deutschen Redensart: «Diese Schande kann nicht einmal der Rhein abwaschen» u. ä. (SI VI 994).
5 Bern, einer der sieben Schiedorte, wurde an der Tagsatzung durch Hans Pastor und Franz Nägeli vertreten, s. EA IV/1c 5.

dei. Iam quid aliud hae preces 6 praetendunt quam ipsissimam veritatis abnegationem ac impietatis confessionem? Mirantur cordati nec desinunt admirari et expectare, quomodo tandem temeritatem hanc eluere velint. In summa: Dominus omnem occasionem nobis offert, qua gloria illius promoveri posset, nos omnem contemnimus. Quam commode iam cum principis Cattorum 7 et imperialium civitatum 8 nunciis multa pro mutua defensione agi possent 9 . Sed nemo illis loqui audet. Adeo timemus Antronios 10 illos. Bas[ilienses] laborant apud nostros cordatiores pro via concordiae 11 . Nihil negabunt nostrates, modo ab aliis interpellentur. Apud tuos excusare poteris nos, et brevi ad te perscribam, nisi prior resciveris, quibus artibus preces hae conficte sint.

Apud nos rumor est, quem literis credere nolui, qui nobis calamitatem minatur ab Antroniis Carolo 12 magistro connivente 13 . Caeterum et ego tuas sic observo literas, ut si vel ad apicem exegeris, praesto erunt 14 . Scio tuas aedes omnibus patulas, et id formidavi, quod mihi aliquando contigit, ab amicis legi, quae potius sepulta velim.

Quodsi Romanos 15 miseris, gratificaris mihi quam maxime. Perge faeliciter. Parochi omnes expectant. Si quid Pellicani commentariis 16 interim addetur, mittatur, tametsi usque ad 16. caput 3. Regum iam per Baltazarem 17 acceperim. Scribe perpetuo, et plurimum prodest.

Vale.

Ultima ianuarii.

Tuum minimum numisma.

6 Gemeint sind die an Zürich gerichteten mündlichen und schriftlichen Bitten der Schiedorte, die von ihnen in Baden am 21. Januar 1533 ausgearbeitete Vermittlungsformel anzunehmen und anzuerkennen, daß das Reformationsmandat vom Mai 1532 dem Landfrieden «nachteilig» sei (EA IV/1c 8v.). An der Tagsatzung hatte Zürich das vorgeschlagene «Mittel» zwar angenommen, sich aber wegen der Formulierung über die Unvereinbarkeit des Mandates mit dem Landfrieden beschwert, was die V Orte ihrerseits nicht annahmen, sondern die Sache vor einen eidgenössischen Rechtstag bringen wollten. In ihrem am 29. Januar 1533 in Baden verfaßten Schreiben versuchten die Boten der Schiedorte erneut, die Zürcher zu überreden, «zur Verhütung des Rechtens, die gütlichen Mittel anzunehmen», da ja die geforderte Erklärung «am Glauben keinen Nachteil und Kränkung bringe», EA IV/1c 11f.
7 Landgraf Philipp von Hessen.
8 Reichsstädte; gemeint ist vor allem Straßburg.
9 Ähnlich auch Myconius an Heinrich Utinger, 17. Januar 1533 (Rudolf Aussöhnungsversuch 507), und Capito an Bullinger (s. oben S. 48f). In Wirklichkeit war Zürich weitgehend auf sich gestellt (s. Pestalozzi 113f). Straßburg und Philipp von Hessen waren zwar immer hilfsbereit gewesen, seit der Zurückweisung von Philipps Hilfsangebot
durch Zürich im Zweiten Kappelerkrieg (Reformationsbündnisse 102-105) jedoch eher zurückhaltend, s. oben S. 43, 88-96.
10 Ein von Haller oft gebrauchter Spottname der V Orte, s. HBBW II 88, Anm. 3.
11 Zu den Bemühungen der Basler, vor allem von Oswald Myconius und Bürgermeister Jakob Meyer, um eine Wiederherstellung des Einvernehmens zwischen Zürich und Bern s. Kirchhofer, Myconius 114-126; Rudolf; Aussöhnungsversuch; unten Nr. 304 und 310.
12 Kaiser Karl V.
13 Zu den Bündnisplänen der V Orte und Freiburgs mit Papst und Kaiser s. oben S. 37, Anm. 5.
14 Zur Aufbewahrung von Bullingers Briefen bei Haller s. oben S. 37, 14f.
15 Zu Bullingers Römerbriefkommentar (HBBibl I 42) s. unten S. 59, Anm. 2.
16 Der zweite Band von Konrad Pellikans Kommentar zum Alten Testament (Rudolphi 208) erschien 1533, s. Zürcher 112.
17 Wahrscheinlich Balthasar Maler (Gedescher), 1494-1585, Mönch in Königsfelden, trat zur Reformation über, heiratete 1525 und arbeitete in der Folge als Buchdrucker und -binder in Zürich. 1532 erhielt er als Auszeichnung für seine in den beiden Kappelerkriegen geleisteten Dienste das Zürcher Bürgerrecht. 1552 heiratete er die Witwe des Eustachius Froschauer, des jüngeren Bruders von Christoph Froschauer d. A. Angaben

[Adresse auf der Rückseite:] Heinrico Bullingero, eximiae pietatis et eruditionis ecclesiastae apud Tigurum, fratri suo charissimo.