Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2026]

Martin Frecht an
Bullinger
Ulm,
29. Oktober 1544

Autograph: Zürich StA, E II 356, 36 (ohne Siegel) Ungedruckt

Erhielt gestern Bullingers Brief aus dem er ersah, dass Bullinger für seinen Brief dankbar war; behindert von Geschäften, Schmerzen und der Eile des jungen, gelehrten Überbringers kann er nun nur kurz zurückschreiben. Melanchthon teilte Frecht brieflich mit, dass ihn der wiederentflammte Abendmahlsstreit, der die Kirchen nicht heilt, sondern in Aufruhr versetzt, unendlich schmerze; dabei äußerte er die Möglichkeit, sich darüber mit Frecht bald mündlich zu unterhalten. Da der junge Überbringer aus Schaffhausen [Blasius Oechsli oder Jakob Rüeger] ein Exemplar von Luthers polemischer Schrift [,,Kurtz bekentnis"]mitbringt, muss Frecht das einzige [in Ulm]vorhandene Exemplar nicht schicken; das Übrige wird der Überbringer berichten. Angeblich will Kaiser [Karl V.]den Reichstag von Worms nach Augsburg verlegen und ein neues Buch zur Beilegung der [Streitigkeiten um die]Religion publizieren, das weder den Lutheranern noch den Katholiken gefalle. Große.

Salutem in domino, observande Bullingere.

Pridie tuas accepi literas 1 eo nomine quoque gratas, quod nunciarint hae a et tibi meas 2 qualesquales gratas esse. Etsi autem illis debebam copiosius respondisse, tamen et occupationibus ac doloribus exciusus simuique eruditi huius iuvenis 3 festinantia prepeditus, ut vides, ruditer et breviter rescribo, dominum rogitans, ut vestrum calamum ita moderetur et regat, ne b Christi veritate et vestra modestia indignum quicquam committatis.

Optimus Melanchthon ad me scribens ita prefatur: "Si profunderem lachrymas ut vester Danubius aquas, non exhauriretur dolor meus, quem mihi adfert instauratio belli greek greek c , nec de mearum rerum mutatione valde angor; doleo turbari ecclesias, non sanari. Nam controversia his rixis non explicatur nec dirimitur. Multa mecum cogito, de quibus fortasse brevi coram colloquemur." Haec ex meis ipsis precordiis optimus Philippus scripsit obtestans quemvis, ut christiana moderatione prudentum sermones reprimantur.

Quoniam autem eruditus iste iuvenis Schaffhusianus 5 acerbissimi Lutheri

a In der Vorlage haae.
b Nach ne gestrichenes qd für quid oder quid[em].
c In der Vorlage greek greek
1 Nicht erhalten.
2 Dieser verlorene Brief Frechts an Bullinger war möglicherweise eine Antwort auf Nr. 1971, Z. 20-69.
3 Siehe unten Anm. 5.
4 Dieser Brief Melanchthons von ca. Mitte
Oktober 1544 ist nicht erhalten; s. MBW, Regesten IV, Nr. 3709 (mit weiterer Lit.).
5 In Frage kommen Blasius (Blesi) Oechsli(n) (Bovillus) oder Jakob Rüeger (Ruger; Roger). Beide stammten aus Schaffhausen und studierten in Wittenberg; Rüeger hatte sich im September 1543, Oechsli im November 1543 in Wittenberg immatrikuliert (Wittenberg, Matrikel I 206, s.v. Jacobus Roger; 208, s.v. Blasius Bovislus [Bovillus]). Sie hatten 1544 beim Rat um Verbesserung

scripti 6 exemplar Tigurum perferet, non erat, quod ego mitterem; commune enim unum duntaxat hic habemus. Reliqua viva haec epistola narrabit.

Spargitur quidem cesarem 7 velle Wo[r]maciensia comitia Augustam transferre 8 et novum alium quendam librum religionis componendae ergo proponere, qui neque Lutheranis neque papistis sit acceptandus 9 . Dies haec et alia revelabit.

Amici ac fratres reverenter vos omnes resalutant, cum quibus optime vale in eo, qui veritas est et promachus noster.

Raptim, Ulmae, 29. octobris 1544.

Martinus Frechtus.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heynricho Bullingero, ecclesiae Tigurinae antistiti fidelissimo et dignissimo, domino et fratri suo observando. Zürch. ihrer Stipendien gebeten, die ihnen zunächst abgeschlagen worden war; erst durch Melanchthons Vermittlung wurde gegen Jahresende ihrem Gesuch entsprochen und das Stipendium um ein weiteres Jahr verlängert; s. MBW, Regesten IV, Nr. 3758; Schaffhausen StA, Bestand Kirche, M III 1 [Stück 2: Bürgermeister und Rat an Philipp Melanchthon zu Wittenberg bezüglich der Studenten Jacob Ruger und Blasius Oechsli, 17. Dezember 1544]; und unten Nr. 2042. -Lit.: Eduard Im-Thurn, H[ans]W[ilhelm]Harder, Chronik der Stadt Schaffhausen. Viertes Buch. Vom Eintritt in den Bund der Eidgenossen bis zur Lostrennung vom Reiche im westphälischen Frieden 1501-1648, Schaffhausen 1844, S. 193; Robert Lang, Geschichte des Stipendiatenwesens in Schaffhausen. -Beiträge zur vaterländischen Geschichte 12, 1932, S. 81f.

6 Luthers "Kurtz bekentnis"; s. oben Nr. 1971, Anm. 20; unten Nr. 2037, Anm. 3.
7 Karl V.
8 Diese Nachricht rührt vom Augsburger Bischof Otto Truchsess von Waldburg her, der am 7. Oktober 1544, soeben von Brixen nach Augsburg zurückgekehrt, einer Ratsabordnung von Fürsten gegenüber Entsprechendes geäußert hatte; s. Friedrich Zoepfl, Geschichte des Bistums Augsburg und seiner Bischöfe, Bd. 2: Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Reformationsjahrhundert, München und Augsburg 1969, S. 178; ferner Vadian BW IV/1 352f.
9 Vielleicht kam diese Nachricht auf in Verbindung mit den Reformgutachten, die Kaiser und Stände erarbeiten wollten; s. RTA JR XVI/1 60; Paul Heidrich, Karl V., Bd. 2, S. 43.