[1935]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
24. Juni 1544

Autograph a : Zürich SIA, E II 336, 204 (neu: 222)(Siegelspur) Ungedruckt

Schickt einen Brief [von Martin Hentius] an Bullinger mit, den er zur Weiterleitung erhielt; antwortete auf Bullingers Brief [Nr. 1877]nicht, da er ihn nicht zur Hand hatte, und tut dies auch jetzt nicht, weil er keine Zeit hat, ihn zu suchen. Den von Bullinger empfohlenen Mönch hat er nach Bern weitergeschickt. Empfiehlt erneut Johannes Fabricius [Hans Schmid], der [in Zürich] wegen Prüfungsangst schlecht antwortete, aber Förderung verdient. Da Bullinger ihm misstraut, beschränkt Myconius sich auf einige wenige Nachrichten: Bedeutende Menschen fliehen vor schlimmen Verfolgungen in den Niederlanden zu ihnen [nach Basel]; der Andernacher Arzt [Johannes Winter] und der Gelehrte [Justus] Velsius wurden aus Löwen ausgewiesen und befinden sich jetzt in Straßburg; sollte Kaiser [Karl V.]den französischen [König Franz I.]besiegen, möchte Myconius lieber mit [Martin]Hentius in Kronstadt bei den Türken als in Deutschland sein.

S. Missa sunt, quae vides, ad me, ut ea reddi curarem tibi, 1 id quod animo facio promptissimo. Rescripsissem quoque ad tuas 2 , quas nuper dedisti, si fuissent ad manum. Quod quia nunc non facio, quaeso, ut boni consulas, quaerendi nanque non erat ocium.

Monachum abs te commendatum 3 octo diebus integris fovi. Exutum eleemosynarii nostri ad tempus volebant recipere ad Augustinios 4 ; verum id quia non placuit, Bernam dimisimus.

Commendo iterum tibi Ioannem Fabricium 5 , nam intelligo commendatos tibi nemini non commendatos. Dum nuper huc rediisset ad solvendum debita, conquestus est, ut in examine male respondent, quod timor ipsum sic totum occupasset, ut aliter non valuerit. Ingenii est minime mali nec inepti etiam ad literas, si stimulo perpetuo non careat. Hunc ergo si adhibueris tu vel alius quispiam, aliquando credo placiturum.

a Mit Unterstreichungen von späterer Hand.
1 Es handelt sich um einen nicht erhaltenen Brief von dem Siebenbürger Martin Hentius an Bullinger, wie aus Bullingers Antwort an Myconius (unten Nr. 1941) hervorgeht, dem Hentius die in Kronstadt 1542 erschienene, korrigierte Kosmographie von Johannes Honterus beigab; der Brief datierte vom 3. Januar 1544; s. Oskar Netoliczka, Honterus und Zürich, in: Zwa 6/2, 1934, 85-98; Karl Reinerth, Honterusprobleme, in: Südostdeutsches Archiv XI, 1968, S. 178f; Gedeon Borsa, Alte siebenbürgische Drucke (16. Jahrhundert),
Köln-Weimar-Wien 1996, 22-24. - Zu Hentius und Honter s. HBBW XIII 153f, Anm. 1. 236f, Anm. 1.
2 Gemeint ist Bullingers Brief vom 21. März 1544 (oben Nr. 1877); s. nämlich oben Nr. 1920, 20-23.
3 Unbekannt. Bullingers Empfehlungsschreiben ist nicht erhalten. Der Mönch wird auch in Bullingers Antwort an Myconius vom 12. Juli (unten Nr. 1941) erwähnt.
4 D.h. im Augustinerkollegium.
5 Johannes Fabricius (Hans Schmid); s. oben Nr. 1916 mit Anm. 1.

Nova scriberem, sed quia nuper, quae dedi, fide caruerunt apud te, quamobrem cesso. Sentio damnum haud mediocre, postquam ab aliis coepisti petere novarum rerum cognitionem. Ea de re forsitan in posterum significabo. Illud tacere tamen non possum, persecutionem in Germania Inferiore sic grassari, ut fugere inceperint magni homines 6 usque ad nos. Cupiunt et civitatem hic emere. Quid magistratus sit facturus, nescio. Andernacus medicus 7 8 et Velsius vir doctissimus, Lovanio eiecti nunc sunt , Argentinae. Probatur hinc fides caesaris 9 , quicquid de pace dicatur religionis. Si ille victor fuerit contra Gallum 10 , Coronae 11 malim esse inter Turcas 12 cum Hentzio 13

6 Unter anderen flohen auch die Flamen Cornelius van Lier, Joachim van Berchem und der etwa 43-jährige Täufer David Joris, der sich unter dem Pseudonym Johann von Bruck (Brügge) in Basel ansiedelte (s. oben Nr. 1883, Anm. 17; der Eintrag über die Zusage des Bürgerrechts ist zu finden in: Basel Stadtarchiv, Protokolle, Offnungsbuch 8, f. 100v.-101r.). Die rechtliche Grundlage für die Verfolgung der Protestanten bildete nach wie vor das Ketzeredikt von 1540; zu diesem s. HBBW X 204, Anm. 14. - Lit.: Aart Arnout van Schelven, De nederduitsche vluchtelingenkerken der 16 e eeuw in Engeland en Duitschland in hunne beteekenis voor de reformatie in de Nederlanden, 's-Gravehage 1908, bes. S. 3-11 zum Jahr 1544.
7 Zu Johannes Winter s. oben Nr. 1883, Anm. 18.
8 Justus Velsius (Jost Welsens), um 1510 bis nach 1581, aus Den Haag, Doktor der Medizin 1538 in Bologna, Arzt in Antwerpen, 1541 Abhaltung unerlaubter Vorlesungen in Löwen; auf Vermittlung Bucers im Juni 1544 Lehrer für Philosophie am Gymnasium in Straßburg. Ab August 1550 als Professor für Philosophie und Griechisch in Köln; Ende 1554 Entzug der Lehrerlaubnis, 1556 Ausweisung aus Köln. Im Mai/Juni 1561 bat er in Straßburg und dann in Basel um eine öffentliche Anhörung, die ihm nicht gestattet wurde. Velsius wandte sich daraufhin nach Zürich, wo er am 27. Juni 1561 Bullinger aufsuchte (s. HBD 66, Z. 12; für "Iustus vel Pius" lies "Iustus Velsius"; s. Zwa 2/4, 1906, 117) und ihm eine Schrift zur Begutachtung
überreichte. Im Namen der Zürcher Theologen verfasste Bullinger am 28. Juni 1561 ein Protokoll, das auch die Antwort der Zürcher enthielt und in der sie sich deutlich von Velsius' Ansichten distanzierten. Velsius verließ Zürich am 29. oder 30. Juni 1561, kam wieder nach Basel, wo er für einen weiteren Eklat sorgte, und begab sich von dort via Straßburg nach Marburg, von wo aus er im August als Prophet Gottes den Pseudoevangelischen in Straßburg, Basel und Zürich nochmals mahnend schrieb und diese zur Buße und einem frömmeren Leben aufrief. In der Folge ist er in London, Groningen, Köln und den Niederlanden nachgewiesen. Sein theologisches Profil ist nicht klar umrissen; unter seinen Zeitgenossen blieb er isoliert. - Lit.: Gundlach 176, Nr. 296; Philippe Denis, in: Bibliotheca Dissidentium, Bd. 1, Baden-Baden 1980. -Bibliotheca Bibliographica Aureliana 79, S. 49-95 (mit weiterer Lit.); Pollet, Relations II 199-343, besonders 326-330, 333-338, was Zürich betrifft; Amerbach, Korr. XI/2, Nr. 4641f, 4649; Klaus-Bernward Springer, in: BBKL XX, 1492-1495.
9 Kaiser Karl V.
10 König Franz I.; er hatte Kaiser Karl V. am 12. Juli 1542 den Krieg erklärt; s. HBBW XII 115, Anm. 71.
11 In Kronstadt (Siebenbürgen).
12 Die drei siebenbürgischen Stände (ungarischer Adel, Szekler und Sachsen) hatten auf dem Landtag von Thorenburg 1542 Siebenbürgen zu einem autonomen Fürstentum unter osmanischer Oberhoheit erklärt; s. Maja Philippi, Von der Schlacht

quam in Germania. Augeat deus in nobis spiritum suum. Amen. Vale cum tuis in domino.

Basileae, 24. iunii anno 1544.

Tuus Os. Myco.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero doctissimo, Tigurinorum antistiti optimo, suo in domino venerando.

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