Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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7

[BULLINGER] AN
[BARTHOLOMÄUS STOCKER] BZW. LEO JUD
[Kappel],
17. April 1525

Autograph, Konzept: Zürich ZB, Msc S 13, Nr. 53 2 fol. S., Fragment Ungedruckt

Bullinger ermahnt den Empfänger des Briefes, in der evangelischen Abendmahlslehre keine Neuerung, sondern die ursprüngliche, auch von den Kirchenvätern geteilte Auffassung zu sehen und sich von Lehre und Terminologie der Scholastik loszusagen. Er wendet die Drohungen von Apk 14,9 ff auf die römische Kirche an, weist auf die seelischen Kämpfe vor seiner eigenen Bekehrung hin und wünscht dem Adressaten die Erkenntnis der wahren Anbetung Gottes.

— — — turas a . Ecce copiae cornu b3 . Si interpretationi diffidis, en locum loco illustravimus. Iudicet unctio 4 potius quam carnis pollute tenebre. An ne patres

a Anfang fehlt; der Text beginnt auf neuem Folio oben; Überschrift von J. J. Simlers Hand: Autogr., Bullingerus Leoni Jud, 17. Apr. 1525.
b copioso copiosius adsunt gestrichen, copiae cornu darübergeschrieben.
1 Bartholomäus Stocker, 1490-1561, Sohn des Ratsherrn und Hauptmannes Thomas Stocker, Magister, erhielt 1522 die Kaplanei und Frühmeßpfründe der Liebfrauenkapelle in Zug (UBZug II 2228.2229). Er wurde bald ein Anhänger der Reformation wie auch sein Amtskollege und Freund Werner Steiner (s. oben S. 45, Anm. 1). Die beiden können als Führer der kleinen evangelischen Gemeinde von Zug bezeichnet werden. Allerdings scheint Stocker der vorsichtigere gewesen zu sein; mit der Bittschrift um Freigabe der evangelischen Predigt und der Priesterehe war er zwar einverstanden, wollte jedoch dafür noch nicht offen einstehen (s. seinen Brief an Zwingli vom 5. Juli 1522, Z VII 528f). In Zug galt er jedenfalls als «Lutheraner». Zwingli scheint ihn geschätzt zu haben; Stocker wird als Zeuge von dessen Tod aufgeführt (HBRG III 167). Nach 1531 konnte er nicht mehr öffentlich für die Reformation auftreten, obwohl er seine Gesinnung nicht geändert zu haben scheint, wie sein Brief an Niklaus von Wattenwyl vom 13. Mai 1538 zeigt (Willy Brändly, Bartholomäus Stocker von Zug, in: Zwa IX 173f). 1556 wurde Stocker vor den Rat zitiert, weil er führende Persönlichkeiten als Lutheraner bezeichnet hatte - mit welcher Absicht, läßt sich nicht feststellen. 1539-1549 ist sein Aufenthaltsort unbekannt, s. Brändly, aaO, S. 171-176; Iten 400-402; Staedtke 276f. — Daß der eigentliche Empfänger dieses Schreibens Stocker war, ist hinlänglich bewiesen (s. Endre Zsindely, Aus der Arbeit an der Bullinger-Edition. Bullingers Brief an Bartholomäus Stocker bzw. Leo Jud vom 17. April 1525 — ein Beitrag zu seinen Bemühungen um eine Reformation in Zug, in: Zwa XIII 420-424). Stocker stand zu dieser Zeit in engem Kontakt mit Bullinger, der sich von Kappel aus aktiv für die Reformation in Zug einsetzte. Es ist bezeichnend, daß der Zuger Rat den Besuch der Predigt in Kappel verbot, und daß es gerade wegen Übertretung dieses Verbotes zu einer Protestaktion vor den Häusern Stockers und Steiners gekommen ist (22. Januar 1525). Am 28. Januar kam dann das Reformationsprojekt der eidgenössischen Orte zustande (EA IV/1a 572ff). Am 12. April 1525 wurde in Zürich die Messe abgeschafft. Durch diese rasche Entwicklung zur Vorsicht gemahnt, mochten Stocker und Steiner vor den letzten Konsequenzen in der Abendmahlsfrage zurückschrecken (s. Staedtke, Zug). Dieses Schreiben Bullingers ist zweifellos die Antwort auf einen Brief Stockers (nicht erhalten), in dem dieser Bedenken äußerte. Bullinger richtete auch am 10. Dezember desselben Jahres ein umfangreiches Schreiben an Steiner und Stocker über das Abendmahl (s. unten Anhang II, Nr. 5). Aus Steiners Korrespondenz mit Bullinger sind keine weiteren Stücke erhalten geblieben (vgl. Brändly, aaO, S. 174f).
2 Siehe oben S. 55, Anm. 1. — Bullinger schickte sein an Stocker gerichtetes Schreiben an Jud zur Begutachtung; Juds Adresse muß er nachträglich unter das Konzept gesetzt haben. Darum erscheint dieser als Adressat des Schreibens, was zu verschiedenen Fehldeutungen geführt hat (s. Zsindely, aaO).
3 Vgl. Adagia, 1, 6, 2 (LB II 221f).
4 Vgl. 1 Joh 2, 20. 27.

audire cupis? Quis antiquior Tertulliano 5 ? Quis diligentior Lactantio 6 ? Quis denique pientior et doctior Cypriano 7 ? Rem fortassis novam aut c inauditam causaris 8 ; quid vero inaudita? Quis unquam apostolorum panem hunc ita tractavit? Quis unquam primitivae ecclesie eum dei loco habuit? Unde, queso, has voces delatas dices: transubstantiatio [!], accidens, substantia, forma 9 ? An non titulotenus christianum impostrice philosophia submersum Thomam 10 aut Scotum 11 olfacis? Siccine odorandi organo privatus es, ut amodo nescias pium ab impio, peregrinum a d domestico, aut denique aquam a vino secernere? Persequtionem vero ob veritatem adeo abest, ut te vereri posse credam, ut ad apostolorum exemplum eius rei causa gaudere et exultare te e iam iam spiritu videam. Restat ergo, ut impietate adorandi abnegata vitam tuam ad litterarum praescriptum emendes. Et quid impientius eidololatria? Quis vero non tangit g panis adorationem longe h impudentissimam eidololatriam in i iniuriam dei vergere?

Audi, quid spiritus dei eidolatris promittat: «Et tertius angelus» etc. [Apk 14,9ff]. Ego (ut primo hoc moneam) nulla k parte iis accedo, qui ita plane hunc librum abiiciunt 12 ; tanta enim mysteria et tam diligentem scripturarum citationem, tantam 1 consolationem in cruce et tantam in eo deprehendo diligentiam in resurrectione explicanda, ut mirari nequeam, cur ydem [!] alii oculati m Argi 13 non viderint. Sed hec, ut exordinaria, ita rursus in orbem n nobis redeundum. Hoc docet ||1v. apostolus 14 fore imaginem quandam bestie, hoc

c novam aut übergeschrieben.
d b von ab gestrichen.
e nach te gestrichen spiritu.
f vor Quis gestrichen idololatriam horrendissimam.
g non tangit übergeschrieben.
h longe übergeschrieben.
i vor in gestrichen coram deo.
k vor nulla gestrichen non iuxta. l vor tantam gestrichen in eo deprehendo, ut.
m vor oculati gestrichen adeo [?].
n vor orbem gestrichen theatru.
5 Siehe oben S. 55, Anm. 3 und 4.
6 Lucius Caecilius Firmianus Lactantius, etwa 250 bis nach 317. —Bullinger hatte eine merkwürdige Vorliebe für Laktanz. Das Grundargument des Kirchenvaters gegen den heidnischen Götterdienst, nämlich die Geistigkeit Gottes, die nur in Geist verehrt und angebetet werden darf, wurde von ihm gegen die Äußerlichkeit und den Pragmatismus des mittelalterlichen Kultus eingesetzt (s. Schultheß-Rechberg 12; Staedtke 45).
7 Thascius Caecilius Cyprianus, etwa 200/210-258. — Bullinger scheint von ihm nur in geringem Maße beeinflußt worden zu sein (s. Staedtke 43).
8 Stockers Schreiben an Bullinger ist nicht erhalten.
9 Näheres zu diesen aus der aristotelischen Terminologie übernommenen Ausdrücken der scholastischen Abendmahlslehre s. Friedrich Loofs, Art. Abendmahl II, in: RE I 64, 30ff; Ferdinand Kattenbusch, Art. Transsubstantiation, in: RE XX 63ff; Hans Grass, Art. Abendmahl II, in: RGG I 25f.
10 Thomas von Aquin, 1225-1274.
11 Johannes Duns Scotus, etwa 1270-1308.
12 Im Gegensatz zu Erasmus, Luther, Zwingli, Oekolampad u. a., die der Apokalypse kritisch gegenüberstanden, war Bullingers Kanonbegriff auch in diesem Punkte traditionell (Staedtke 72). Ähnlich wie hier, verteidigte er die Kanonizität der Apokalypse in «De propheta libri duo», 1525 (Zürich ZB, Msc A 82,27f und Msc Car I 166, 41v. -42r.).
13 Argus = der hundertäugige Wächter der Io, der Geliebten Jupiters. Gemeint sind alle strengen Kritiker und Gegner der Apokalypse.
14 Der Apostel Johannes, nach kirchlicher Überlieferung Verfasser der Apokalypse.

est pape 15 , quam qui adoraverit, signo in hoc, ut imagini ministrare possit, in manus assumpto [Apk 14,9], hoc est unctione episcopali, is sit passurus horrenda illa tormenta, quae recencet [!]apostolus. Scilicet: «Bibiturus est is de vino ire» [Apk 14,10], hoc est, ira dei cadet in eum, ut in cecitate de peccato abeat in scelus et de scelere in nephas: Rom. 1 [18ff]. Inductus in eam falsa doctrina pape, que interim pietatis speciem habet; id quod loannes vocat «mixtum mero» [Apk 14,10], ad similitudinem Esaie: «Vinum tuum mixtum est aqua» etc. [Jes 1,22]. Quamquam non ignoro, quam aegre hec de sacramento sententia carni persuadeatur, neque mirum, cum tot o a Christo ipso, cui P et gratia et authoritas cum loquendi tum docendi aderat 16 , eo ipso tempore, cum eandem Camerinam [!] moveret 17 , desciverint; ut legimus loan. 6 [66].

Quartus q iam annus agitur, ut nosti, quod huius sententiae esse incipio 18 , et certe r tantum me in hac causa torsi, ut ab hoc man veluti parum integre sanitatis pisciculus toties s eiectus, sepissime de vita desperaverim 19 . Sed gratia deo, qui mihi ita meam pacavit conscientiam, ut nunc ne tantillum quidem, etiam cum totum [?] mare [?] importunissimis procellis sevit u , animum meum ex [?]

o nach tot etwas gestrichen.
p vor cui gestrichen qui.
q-r Von quartus bis certe aRvB nachgetragen, ut nosti in diesen Satz nachträglich eingesetzt; der Satzanfang im Text: Ego certe gestrichen.
s toties übergeschrieben. t-u ne quidem importunissime procelle quidem gestrichen, von ne tantillum bis sevit darübergeschrieben.
15 Die Vorstellung vom Papst als Antichrist findet sich seit dem 13. Jh. bei verschiedenen oppositionellen christlichen Gruppen; sie wurde auch von den Reformatoren aufgenommen und weiterentwickelt (vgl. Wilhelm Maurer, Art. Antichrist II, in: RGG I 433f).
16 Vgl. Mt 7,29.
17 Camarina war der Name einer Stadt und des sie schützenden Sumpfes in Sizilien. Die Stadt wurde viermal zerstört, zuletzt im Jahre 258 v. Chr. durch die Römer. Laut Überlieferung wollten einst die Einwohner den Sumpf austrocknen, befragten das Orakel und erhielten die Antwort: «greek greek greek greek greek greek = «Ne moveas Camarinam, etenim non tangere praestat.» Trotz dieser Warnung legten sie den Sumpf Camarina trocken und erleichterten somit dem Feind den Zugang zur Stadt (Leutsch-Schneidewin I 123). Der Spruch bedeutet demnach: sich selbst Böses zufügen oder Unannehmlichkeiten bereiten bzw. sich in unangenehme Dinge einlassen. «Movere Camarinam est sibi ipsi malum accersere», Adagia, 1, 1, 64 (LB II 51 D-F). Wenn also Bullinger bemerkt, daß auch Jesus damals, als er «eandem Camarinam moveret», von vielen Jüngern verlassen wurde, meint er damit, daß sogar der Herr den Widerstand der Menschen zu spüren bekam, als er sich derselben unangenehmen und gefährlichen Aufgabe widmete, wie zu Bullingers Zeit die Reformatoren, d. h. als er vom geistlichen Genuß seines Fleisches im Abendmahl lehrte.
18 Bullingers Bekehrung zur evangelischen Lehre fällt ungefähr in das erste Viertel des Jahres 1522 (HBD 6, 16f; 126, 10f; Krafft 13; Blanke 52). Dieser Zeitraum dürfte sich sogar noch etwas weiter zurück in das Jahr 1521 ausdehnen lassen (Staedtke 18f), was die hier mitgeteilte Aussage Bullingers zu bestätigen scheint. —Auch Köhler, ZL I 724, Anm. 1, weist auf Grund dieses Satzes auf die Zeit von 1521/22 hin, betont freilich, daß dabei das «incipio» unterstrichen werden müsse. Wenn er jedoch gleich danach einschränkend bemerkt, daß Bullinger hier «nur von der Verwerfung der Transsubstantiation spricht, seine positive Ansicht aber nicht entwickelt», so ist dem entgegenzuhalten, 1. daß ein guter Teil des Schreibens fehlt, und 2. daß Bullingers Meinung vom Abendmahl im Jahre 1525 aus anderen Werken hinlänglich bekannt ist. (Vgl. unten Anhang II, Nr. 2.4.5; auch Staedtke 234ff. 269f. 272ff).
19 Wahrscheinlich infolge des knappen Berichtes im Diarium (HBD 6, 12-17; 126, 10f) entstand der Eindruck: «Leicht und glatt war er zum neuen Glauben gelangt; der grossartige Seelenkampf, den Luther der Welt vorlebte, hatte ihn nicht ergriffen», Feller-Bonjour I 188. Diese Feststellung bedarf auf Grund von Bullingers dramatischer Schilderung seiner Bekehrung einer gründlichen Korrektur, vgl. auch Pestalozzi 18.

sacra [?]anchora 20 dimoveat v . Precorque deum, ut hanc tibi w sententiam, si modo vera est, de qua re minime dubito, ceterisque fratribus ita adaperiat, ut vere, hoc est in spiritu incipiatis verum, solum et omnipotentem deum adorare [Joh 4,24]. Cui gloria et imperium semper [Mt 6,13].

Sylvam [!] vero hanc x , hoc est rudern et Y impolitam argumentorum congeriem sive materiam boni, queso, consule; nam nitidiora aut etiam copiosiora occupationes non permisere. Tu ora pro me et ecclesia domini nostri Jesu Christi, ut eam quotidie magis adaugeat, ita ut dignum honorem et gloriam habeat z .

Gratia tecum.

Ex eremo aa mea, 17. aprilis 1525.

Salutabis Wernhereum [!] Steiner 21 et alios in Christo fratres.

[Adresse, von Bullinger wahrscheinlich später daruntergesetzt:] Erudito et vere pio viro Leoni Jud, fratri in Christo dilecto.

v Papier geknickt, der Text von totum bis dimoveat kaum lesbar.
w vobis gestrichen, tibi darübergeschrieben.
x hanc übergeschrieben.
y vor et gestrichen hanc.
z nach habeat gestrichen semper.
aa aus haeremo korrigiert.
20 Vgl. Adagia, 1, 1, 24 (LB II 35f).
21 Siehe oben S. 45, Anm. 1.