Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[106]

Geistliche von Zürich an
Albrecht von Brandenburg
Zürich,
17. Juni 1532

Gedruckt: An den Durchlüchtigen Hochgebornen Fürsten und herren Allbrechten, Marggrauen zu Brandenburg inn Prüssen etc. Hertzogen etc. Ein sendbrieff und vorred der dieneren des wort Gottes zu Zürich. Item ein büchlin Bertrami des Priesters von dem lyb und blut Christi an Keyser Karle vertütscht durch Leonem Jud diener der kilchen Zürich. M.D.XXXII., f. A2r.—B2r; Teildruck: Pestalozzi 164-168; Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzogthums Preußen, hg. v. Paul Tschackert, Bd. II, Leipzig 1890. —Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 44. Bd., Nr. 861.

Die Zürcher übersenden Leo Juds Übersetzung der Schrift des Ratramnus «De corpore et sanguine domini» und wenden sich gegen Luthers Sendschreiben an Herzog Albrecht. Darlegung der eigenen Abendmahlsauffassung und Zurückweisung von Luthers Vorwurf, die Zürcher seien Ketzer. Luthers Verdienste um die Erneuerung der Kirche werden zwar von den Zürchern anerkannt, dessen massive

b am Rande nachgetragen.
9 Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
10 Leo Jud.
11 Heinrich Utinger.
12 Unbekannt.
13 Heinrich Göldli studierte 1496/97 in Basel; 1504 wurde er Kaplan am Großmünsterstift, und spätestens seit 1520 war er in Rom als päpstlicher Schildträger (scutifer). Göldli hatte den üblen Ruf eines Pfründenjägers und mußte sich gegen entsprechende Vorwürfe auf der Tagsatzung rechtfertigen (EA III/2 1217 c. und 1220 I.). Nach 1526 versuchte er vergeblich, Ansprüche auf die Propstei Zurzach durchzusetzen. Wie Göldli, der der Reformation in Zürich eher ablehnend gegenüberstand, mit Zehnder bekannt wurde, ist nicht bekannt. —Lit.: Pestalozzi, Gegner Zwinglis 68-76; Jacques Figi, Die innere Reorganisation des Großmünsterstiftes in Zürich von 1519 bis 1531, Diss. phil. Zürich, Affoltern a. A. 1951, S. 44.117; HBLS III 582.
14 Erhard Wyß, gest. 1537, war zunächst Pfarrer in Bremgarten, dann seit 1506 Chorherr am Großmünster. Auch er zählte nicht zu den eifrigen Parteigängern der Reformation. — Lit.: Z VII 553, Anm. 8; Pestalozzi, Gegner Zwinglis 81; Pfarrerbuch 642.
15 Bezieht sich auf Bullingers gute Dienste bei der Eheangelegenheit Zehnders, s. oben Nr. 91.
1 Welchen Anteil Bullinger an der Abfassung dieses Briefes gehabt hat, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Ein autographer Entwurf ist nicht bekannt. Pestalozzi 164 schreibt die Autorschaft Bullinger zu; Weisz, Jud 96f dagegen meint, daß der Text des Sendschreibens von Leo Jud stamme, während Barge II 447 vermutet, daß in die Schrift an Albrecht «größere Partien aus Karlstadts fertiger Gegenschrift übernommen sind». Staedtke reiht das Schreiben unter die eigenen Werke Bullingers ein (HBBibI I 34).
2 Albrecht von Brandenburg, Herzog in

Anschuldigungen aber entschieden zurückgewiesen. Bitte an Herzog Albrecht, keine reformierten Gläubigen in die Verbannung zu schicken.

An den durchlüchtigen, hochgebornen fürsten und herren, herrn Allbrecht, marggraven zu Brandenburg, in Prüssen etc. hertzogen etc.

Gnad und frid von gott unserem vatter durch Iesum Christum unseren heyland. Durchleüchtiger hochgeborner fürst, es ist kurtz verruckter zyt ein sendbrieff an u[wer]f[ürstliche]g[naden] vom Luter ußgangen 3 , in dem er understadt u. f. g. zebereden 4 , das sy unverhörter sach 5 die jhene 6 , so syner leer des nachtmals halb widerwertig, des lands verwyse 7 , mit inen nüt ze schaffen habe, inen nit lose 8 , dann syn leer und artickel sye häll, klar, rein und ungezwyflet und imm evangelio der maß gegründt, das im den 9 niemand möge umbstossen. Der gründen aber zeygt er keinen an, sunder facht 10 bald an, nit allein uns unschuldigen iämerlich und grusam schälten, heißt unser blut (warlich nit uß apostolischem geyst) vergiessen 11 , sunder understadt sich ouch u. f. g. angeborne senfftmütigkeit ze bewegen und zereitzen wider die, die in u. f. g. fürstenthumb unserer meinung sind 12 , ze wüten, sy zu durchächten 13 und des lands zeverwysen. Und wiewol wir einmütiklich by uns beschlossen, uff syn buch im nut zeantwur-||A2v. ten (dann es des selben nit wärdt ist: wirt ouch sich selbs by allen vernünfftigen, recht verstendigen und guthertzigen gnugsamlich schenden 14 und zenüte machen), so hatt uns doch nit wöllen für gut ansähen, gantz unnd gar zeschwygen, bsunder gegen u. f. g., die er mit sölichem ruhen 15 unnd ungeschickten 16 schryben (wo sy gott nit verhüte) understadt ze verbitteren und wider die frommen unschuldigen ze verhetzen. Deßhalb wir in diser vorred nit dem Luter (der syn gmüt verhertet hatt und in syner bekentnuß sich thür 17 verpflichtet, wo er anders bekannt, das mans für ein unsinnigkeyt halten sölle, deßhalb er uns nit hört) antwurt geben, sunder ein demütige, trungenliche 18 und

Preußen, 1490-1568. Aus der reichen Literatur über ihn (s. Schl. 32529a-32663.51407—51410.61768-61783) seien besonders genannt: Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzogtums Preußen, hg. v. Paul Tschackert, 3 Bde., Leipzig 1890 (Nachdruck: Osnabrück 1965); Paul Tschackert, Herzog Albrecht von Preußen als reformatorische Persönlichkeit, Halle 1894. —SVRG XLV; Walter Hubatsch, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, Deutschordens-Hochmeister und Herzog in Preußen, 1490-1568, Heidelberg 1960. — Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 8; Walter Hubatsch, in: NDB I 171-173; HBBibl I 34. — Auf diesen einzigen Brief der Zürcher antwortete Albrecht von Brandenburg nicht.
3 Luthers Sendschreiben an Herzog Albrecht von Preußen (WA XXX/3 541-553). Über die Hintergründe und die kirchliche Situation in Brandenburg-Preußen s. ebda. Einleitung, S. 541-543; ferner Hubatsch, aaO, S. 161-166.
4 zu überreden.
5 ohne Anhörung (der Gegenpartei).
6 diejenigen.
7 Vgl. WA XXX/3 552,32-34.
8 nicht auf sie höre.
9 Gemeint ist Luthers Lehre vom Abendmahl.
10 fängt an, beginnt.
11 Es stimmt nicht, daß Luther in seinem Sendbrief Herzog Albrecht aufgefordert hätte, jemanden wegen seines Glaubens zu töten. Hingegen sah Luther in der Niederlage der Reformierten bei Kappel ein Gottesgericht (WA XXX/3 550,20-24).
12 Seit ca. 1530 gab es im Herzogtum Preußen eine reformierte Kolonie niederländischer Emigranten. Vgl. dazu WA XXX/3 541 und Walther Hubatsch, Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens, Band I, Göttingen 1968, S. 75-78.
13 gleichsam die Acht durchführen, eifrig verfolgen (SI I 78).
14 zuschanden machen.
15 rauhen, groben.
16 unschicklichen, ungehörigen (SI VIII 517).
17 auf das höchste (vgl. SI XIII 1329).
18 dringliche.

härtzliche bitt an u. f. g. thun wöllend, mit ableynung 19 der schmach und schältwort, die Luter nit allein uff uns, sunder uff die warheyt hatt getrochen 20 . U. f. g. aber wölle uns gnädigklich losen, unnser verantwurtung 21 hören und gedultig vernemmen, damit wir nit unverhört und unverantwurtet unschuldigklich verdampt und verurteilet werdint. Dann es sich ye nit zimpt, das Luter der kläger, der urteylsprächer und züge sye, des er sich in dem sendbrieff an u. f. g. undernimpt 22 ; wiewol er an dem teil, da er kuntschafft 23 wider uns solte dar thun, wenig grund 24 unnd warheyt ynfürt 25 , und gadt aber die klag scharpff und das urteyl gar grusam wider uns.

|| A3r. Wir aber habend syn 26 bißhar (wie alle glöubigen wüssend) in vil wäg verschonet und im syn frävel 27 und ungerympt schryben nie wöllen mit glycher maß widerlegen; und noch uff den hütigen tag begärend wir frid und einigkeit (so ferr sollichs mit gott und der warheit syn mag) mit im zehaben. Aber über das alles schmächt, schmützt 28 , schiltet und verlümbdet er uns, tastet 29 uns an mit schantlichen uneerlichen nammen, nennt uns schwermer, rottengeyster, kätzer, tüfelskinder, unnd andere schmachwort tricht 30 er uns uf, deren er doch (ob gott wil) mit der warheit keins zu eewigen zyten nimmermee mag bewysen. Es wäre billich, hochgeborner fürst und herr, das ein leerer der warheyt, ein diener gottes, nüt anders dann das geschäfft synes herrens, der in gesändt hatt, fürnäme, schüffe und ußrichtete, und den mund, den gott syn warheyt und wort ußzekünden bereit und gesübert hatt, nit so mit bitteren falschen schmachreden und lesterungen, nit so mit ungegründtem ytelem und lärem gschwätz befleckte, dann ye sölichs einem botten gottes und der warheyt übel anstadt.

Was schwermer 31 sygind, wissend wir nit 32 , rottengeister 33 aber und kätzer mag er uns mit keiner warheyt nennen, dann wir uns der götlichen gschrifft, der warheyt und einigkeit der kilchen Christi allweg beflissen und gehalten, habend kein irrige noch falsche meinung vor || A3v. uns, sunder das göttlich wort, grund des gloubens und der gschrifft, ouch den verstand 34 der alten leereren 35 , die von der heiligen kilchen adprobiert und angenommen sind, deren leer für kätzerisch und irrig (in disem artickel) nie gehalten; wie es dann Oecolampadius säliger gedächtnus 36 gnugsamlich bewärt 37 unnd bezügt hatt 38 , und es sich an imm selbs klarlich wirt erfinden.

19 Ablehnung, Zurückweisung (vgl. SI III 1284).
20 gezogen, geladen (SI XIV 248f).
21 Stellungnahme, Rechtfertigung.
22 das er unternimmt, dessen er sich unterfängt (SI IV 742).
23 Zeugnisse, Beweise (SI III 353).
24 Begründetes, Fundiertes.
25 anführt, vorbringt.
26 seiner, ihn (Luther).
27 frevelhaftes.
28 beleidigt (SI IX 1040).
29 greift (SI XIII 1977f).
30 lädt er uns auf, legt er uns bei (SI XIV 253).
31 Luther spricht in seinem Sendbrief von «Schwermer», vgl. WA XXX/3 548,37.
32 Daß man in Zürich den Ausdruck «Schwärmer» in seiner Bedeutung als «Schwarmgeist», «Sektierer» nicht gekannt hätte, ist
unwahrscheinlich. Immerhin übernahm Zwingli schon 1527 den Ausdruck in den Titel seiner Schrift «Früntlich verglimpfung und ableynung über die predig des treffenlichen Martini Luthers wider die schwermer» (Z V 771,1-3). Diese Stelle ist der älteste schweizerische Beleg (SI IX 2150).
33 Sektierer (SI VI 1789).
34 Verständnis, Auffassung, Meinung (SI XI 991f).
35 Kirchenväter, frühchristliche Theologen.
36 Oekolampad war am 24. November 1531 gestorben.
37 bewiesen.
38 Bezieht sich vor allem auf Oekolampads Schrift «De genuina verborum Domini, Hoc est corpus meum, iuxta vetustissimos authores expositione liber», 1525 (Oekolampad-Bibliographie, Nr. 113), wo er die Übereinstimmung

Ouch wirt u. f. g. in disem büchlin 39 , das garnach 40 vor sibenhundert jaren ein frommer man mit namen Bertram 41 uff ansuchen keiser Karles 42 , zu dess zyten sich diser span vom nachtmal ouch zutragen 43 , gemacht hatt, wol sähen, wie warlich der Luter uff uns 44 rede, das wir söliche meinung nüwlich erdacht oder uß einem finger gsogen habind, und wie war es sye, das syn meynung fünfftzehenhundert jar von der kilchen sye gehalten worden. Dann diser Bertram hatt geläbt zu den zyten des keysers Lotharii 45 , imm jar, als man gzelt hatt achthundert und viertzig jar, weliches sich yetz fast loufft uff die sibenhundert jar. Deßhalb wir nit mögend verdacht 46 noch beschuldiget werden, als wäre sin buch von uns erdacht. Zu Köln ist es funden unnd gedruckt im 31. jar durch Johannsen Prael 47 , von unserem diener einem 48 u. f. g. zu gefallen vertütscht. Vor viertzig jaren ist Bertram von dem hochgelerten Johanne Tritemio 49 , abbt zu Spanheim, under die fürnemen gelerten männer ge-|| A4r. zelt und sin leben beschriben worden 50 , also das man nit findt, das sin leer und meynung vom sacrament yena 51 sye vonn der kilchen weder verworffen noch für kätzerisch verdampt, sunder vil mer vom keyser Karle 52 angenommen und gelobt worden.

der symbolischen Abendmahlsauffassung mit den Kirchenvätern zu zeigen versucht; vgl. HBBW I 108,16f, wo ähnlich argumentiert wird.
39 Gemeint ist Leo Juds Übersetzung der Schrift «De corpore et sanguine Domini» von Ratramnus (s. unten Anm. 43). Dieser nun veröffentlichten Übersetzung wurde der vorliegende Brief der Zürcher Geistlichkeit an Albrecht von Brandenburg als Vorrede beigefügt. Die Zürcher sahen in Ratramnus einen Kronzeugen für ihre eigene Abendmahlsauffassung. Vgl. dazu J. N. Bakhuizen van den Brink, Ratramnus in gereformeerde handen, in: Archief voor Geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederland 10, 1968, S. 38-62.
40 nahezu.
41 Andere Schreibweise für Ratramnus. Zur Person und zum Werk dieses Mönchs aus dem 9. Jahrhundert vgl. Jean-Paul Bouhot, Ratramne de Corbie, histoire littéraire et controverses doctrinales, Paris 1976; Klaus Vielhaber, in: LThK VIII 1001f; Heinz Löwe, in: RGG V 801f.
42 Gemeint ist Karl der Kahle, römischer Kaiser, König des Westfrankenreiches (840—877), der sich von Ratramnus ein Gutachten erbeten hatte zu einem ihm gewidmeten Werk über die Eucharistie.
43 Um 831 verfaßte Paschasius Radbertus, Mönch und später Abt von Corbie, eine Schrift über das Abendmahl mit dem Titel «De corpore et sanguine Domini» (MPL CXX 1255-1350). Diese Schrift erfuhr durch Ratramnus eine entschiedene Kritik in dessen gleichlautendem Werk «De corpore et sanguine Domini» (MPL CXXI 103—170; Ratramnus, De corpore et sanguine Domini, Texte établi d'après les manuscrits
et notice bibliographique par J. N. Bakhuizen van den Brink, Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterkunde, Nieuwe Reeks, Deel LXI, No. 1, Amsterdam 1954).
44 über uns.
45 Lothar, 840-855, römischer Kaiser, ältester Sohn Ludwigs des Frommen.
46 verdächtigt (SI XIII 660).
47 Johannes Prael, 1530-1538 Buchdrucker in Köln (s. Benzing, Buchdrucker 225). Bei ihm wurde 1531 das Werk «De corpore et sanguine Domini» von Ratramnus gedruckt. Vgl. dazu Hermann Schüling, Die Drucke der Kölner Offizin von Johannes Prael (1530-1537), Köln 1963, S. 15f; Grimm, Buchführer 1535.
48 Leo Jud, s. oben Anm. 39.
49 Johannes Trithemius, 1462-1516, nannte sich nach seinem Geburtsort Trittenheim bei Trier. 1482 trat er in das Benediktinerkloster Sponheim ein, wo er schon 1483 zum Abt gewählt wurde. Trithemius entfaltete eine umfangreiche literarische und wissenschaftliche Tätigkeit. 1506 übernahm er das Schottenkloster in Würzburg, wo er 1516 starb. —Lit.: Klaus Arnold, Johannes Trithemius, Würzburg 1971. —Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg, 23; Paulus Volk, in: LThK X 366f; Heinrich Büttner, in: RGG VI 1042f.
50 Trithemius behandelt Leben und Werk des Ratramnus im «Catalogus scriptorum ecclesiasticorum sive illustrium virorum», 1531, f. LVII r.; der Catalogus ist eine posthume Neuauflage des 1492 veröffentlichten «Liber de scriptoribus ecclesiasticis».
51 jemals.
52 Karl der Kahle, s. oben Anm. 42.

Uss wölichem u. f. g. erleernet und ougenschynlich sicht, das Luters meinung niena 53 so lange zyt, wie er fürgibt und rümpt, geweret 54 hatt, ouch unsere warhaffte leer nie von der kilchen verworffen ist. Das widerspil 55 aber findt sich gar klarlich, das von der zyt Jesu Christi und siner apostlen vil hundert jar das nachtmal Christi von allen glöubigen, wie wir leerend, gehalten worden ist; und so offt dise ungegründte meinung uff die ban ye kommen 56 , so offt sind allweg fromme geleerte gotsförchtige männer gsin, die iro widerstrebt habend. Und mag Luter nit einen einigen 57 bewärten leerer anzeigen, der siner meynung gsin sye, biß uff Innocentium den bapst, den dritten des namens 58 , der von der schul zu Pariß sölichen artickel 59 gesogen, imm concilio Lateranensi bestätet hatt 60 . Dann er was ouch magister noster, dannenhar 61 er siner schul 62 ze gefallen, söliche falsche irrige unnd schädliche meinung der kilchen für einen artickel des gloubens 63 uffgetrochen 64 und dem römischen stul vil rychtag 65 domit angerichtet hatt; dem doch aller künigen und fürsten rychtumb nit gnug ||A4v. warend. Es hat ouch Luter selbs nit einmal 66 geschriben, diser artickel sye das buwfellig und krafftloß fundament des bapstthumbs, das von not wegen 67 fallen musse, so es weder uff Christum den waren grundstein, noch uff sin leer gegründt ist 68 . Und ist warlich spötlich 69 , ouch höchlich ze erbarmen, das Luter, ein sölicher geleerter man, ein sölich groß unnd schwär houptwee 70 überkommen hatt, das er sprechen gethar 71 , wenn er glych nüt umb syn meinung hätte 72 , wär im gnug 73 , das es die kilchen so lange zyt gehalten hatt 74 . Wölche kilchen, o Luter? Die kilchen Christi? Nein nein, das wirt sich mit warheyt nimmermee finden. Des bapsts kilchen? Die gadt unns nüt an, o Luter. Sähend, g. fürst und herr, soll des Luters argument hie gelten von lenge der zyt, so stadt das bapsthumb noch styff 75 , dann sy 76 immerdar uff die kilchen und länge der zyt bochend. Denn aber wurde alle leer des Luters zboden gstossen 77 , dann er ye anders

53 gar nicht, keineswegs (SI IV 762).
54 gedauert.
55 Gegenteil (SI X 161).
56 je aufkam, vorgebracht wurde (SI IV 1268).
57 einzigen.
58 Innozenz III., 1198-1216.
59 Zur theologischen Diskussion der Transsubstantiationslehre während des 12. Jahrhunderts vgl. Burkhard Neunheuser, Eucharistie in Mittelalter und Neuzeit, in: Handbuch der Dogmengeschichte, Bd. IV, Faszikel 4b, Freiburg 1963, S. 24-44. Lothar von Segni, der spätere Papst Innozenz III., verfaßte selbst ein größeres Werk zu dieser Thematik mit dem Titel «De sacro altaris mysterio» (MPL CCXVII 773 B-916 A).
60 Das 4. Laterankonzil von 1215 bestätigte die Lehre der Transsubstantiation und der Realpräsenz ausdrücklich, Denz. 802.
61 aus diesem Grund, weswegen (SI II 1566).
62 die Pariser Hochschule, an der Innozenz III. studiert hatte, s. Friedrich Kempf, in: LThK V 687.
63 Das Dogma der Realpräsenz, vgl. dazu Burkhard Neunheuser, in: LThK X 311-314.
64 aufgedrängt, aufgezwungen (SI XIV 252).
65 Reichtum, materiellen Vorteil (SI XII 979-982).
66 mehr als einmal, öfters.
67 notwendigerweise.
68 Bei aller Polemik gegen die römische Transsubstantiationslehre teilte Luther deren Auffassung, daß auf Grund der Konsekrationsworte Fleisch und Blut Christi in Brot und Wein kommen, s. Susi Hausammann, Realpräsenz in Luthers Abendmahlslehre, in: Studien zur Geschichte und Theologie der Reformation. Festschrift für Ernst Bizer, hg. v. Luise Abramowski und J. F. Gerhard Goeters, Neukirchen 1969, S. 164.
69 Spott erregend, zu Schande gereichend (SI X 626f).
70 Krankheit des Kopfes.
71 darf, wagt (SI XIII 1524).
72 wenn er nichts hätte, um seine Meinung zu begründen.
73 würde ihm das (als Argument) genügen.
74 Siehe Luthers «Sendschreiben», WA XXX/3 552,3-15.
75 fest, unerschüttert (SI X 1426-1436).
76 gemeint die Anhänger des Papsttums, die Katholiken.
77 zu Boden gestoßen, zugrunde gerichtet (SI XI 1601).

leert, dann es die römische kilchen so lange jar gehalten hatt. Wo bringt der zanck einen menschen hin? Luter solt ermässen, das sich die kilch uff gottes wort gründet, nit uff lenge der zyt.

Und ob er glych vermeint, hälle 78 , dürre 79 und ungezwyflete wort zehaben, so mußt er die selben ouch nach der meinung des geysts, nach art des gloubens und verstand der gschrifft ußlegen und verstan; sunst hätte der bapst ||A5r. ouch hälle wort sines irsals 80 , namlich: «uff disen felsen wil ich min kilchen buwen» [Mt 16,18]. Aber so er dise hälle wort der gschrifft gemäß nit ußleyt und verstadt, wirt erfunden ungetrüwlich mit gottes wort handlen 81 ; wöliches dem Luter ouch gschicht in den hällen worten Christi («das ist min lyb, der für üch gegeben wirt» [Lk 22,19]), wöliche er wider den sinn des geists, wider die art des gloubens, wider die gschrifft ußleyt und verstadt. Warend das nitt ouch klare hälle wort, do Christus sprach: «Es sye dann, das ir min fleisch essen und min blut trincken, werdend ir kein leben in üch haben» [Joh 6,53]. Noch verstundends etlich letz 82 und wurdend vom herren gestrafft 83 . Also do Christus sprach: «Lösend uff disen tempel, inn dryen tagen wird ich in wider uffbuwen» [Joh 2,19]. Diß warend ja hälle wort, aber sy wurdend im zur kuntschafft wider syn läben uffgerupfft 84 und fürgeworffen. Ob den worten des herren («das ist min lyb» [Mt 26,26]) sind wir nit uneinß, wir verstond aber die wort Christi geistlich und wie dem glouben gemäß, nit lyblich wie der Luter, dann Christus selbs redt, sine wort sigend geyst und läben 85 . Wiewol Luter grosse arbeit hat u. f. g. zebereden, das sechst capitel Johannis ghöre nit ins nachtmal 86 , des wir uns hie yetzmal nit beladen, aber was die alten leeren schrybend, lyt am tag und ist wider den Luter. Ouch sind wir nit so geschickt, nit so geystrych 87 , das wir von geistli- ||A5v. chem essen reden könnind noch mögind, als Luter unns bezycht 88 . Aber alle schmach unnd schand, die er uns zuleyt, wöllend wir gern tragen umb der warheyt willen und umb des willen, der für uns ouch geschmächt ist, werdend umb siner bitteren und gifftigen worten willen nit ein har breyt von der gfaßten und bekanten warheyt yena wychen noch abtretten, ob glych Luter noch so vil pluderet 89 , wöliches er uns ufftricht 90 , unnd ers aber warlich thut. Dann was ist sin red imm sendbrieff an u. f. g. anders, dann ein hochmütig stoltz, verachtlich, frävel, unnütz, eytel unnd ungegründt gschwätz und pluderen? Wir aber, die uff die warheyt gottes gegründt sind, lassend uns mit pluderen nit abtryben 91 , sonder man muß gschrifft und warheyt bringen. Darumb lassend wirs alles fallen 92 und verantwurtend allein das, das wir keyne kätzer noch rottengeister sind, dann wir noch nie mit gschrifft überwunden, noch des irrsals in einicherley 93 bewyßt 94 und überzügt 95 sind worden. Wir erbietend uns ouch noch hütbytag 96 ,

78 klare, reine.
79 einfache, ungeschminkte (SI XIII 1354).
80 als Beweis für die Richtigkeit seines Irrtums oder seiner Irrlehre (vgl. SI I 411).
81 erweist er sich als einer, der ungetreu mit Gottes Wort umgeht.
82 falsch.
83 getadelt, zurechtgewiesen (SI XI 2092).
84 vorgehalten, zum Vorwurf gemacht (SI VI 1210).
85 Vgl. Joh 6,63.
86 Siehe Luthers «Sendschreiben», WA XXX/3 547,17-548,36.
87 geisterfüllt; der Ausdruck scheint von Luther übernommen zu sein, vgl. Grimm IV/I 2 2789f.
88 bezichtigt.
89 schwatzt (SI V 30).
90 andichtet, nachredet (SI XIV 253).
91 von der Wahrheit abtreiben; von unserer Auffassung abbringen.
92 lassen alles unberücksichtigt.
93 in irgendeiner Weise.
94 es konnte uns nie nachgewiesen werden.
95 (durch Zeugen oder Zeugnis) überwiesen.

wär uns mit gschrifft und göttlicher warheyt bessers möge berichten, wöllend wir wychen 97 , das aber biß har nie geschähen. Aber Luter wil nit mitt gschrifft wider uns fechten, sunder mit dem schwerdt, rüfft und schrygt keyser, fürsten, herren und stett an, das man uns durchächte, vertrybe und tödte; ob das gött- ||A6r. lichem geyst gemäß sye, laß ich alle glöubigen urteylen.

Dwyl wir dann mitt der heiligen kilchen sind und mit der warheyt und mit dem warhafften verstand göttlicher gschrifft übereinstimmend, von keinem nie 98 mit göttlicher geschrifft des irrsals bezigen 99 und widerwisen 100 , wie könnend dann wir rottengeister oder kätzer verurteylet werden? Warlich, durchlüchtiger fürst und herr, Luter brucht mit uns so gar kein christliche liebe noch erbermd, das wir ouch by unseren fyenden mee erbermbd und mitlyden findend. Ists aber nit ein grusam ding, so vil kilchen, in denen vil tusend frommer glöubiger menschen sind, dem tüfel geben und verschetzen 101 ? Ulm, Memmingen, Eßlingen, Augspurg, Costentz, Lindouw, Zürich, Basel, Bern, Glariß, Soloturn, Schaffhusen, Appenzell, Mülhusen, Biel, all dry pünd 102 , Sant Gallen, das Ryntal 103 , das Turgöuw, Straßburg und andere vil stett, land, fürstenthumb, die in disem artickel dem Luter nit anhängig, die alle ja also verschetzen und hochmütigklich verwerffen und dem tüfel geben, wil sich christenlichem geist nit zuziehen 104 . Und ob wir glych in üsseren dingen zwyspaltig werind und irrtind, mußte man darumb glych die schwachen brüder also dem tüfel geben? Wöliches evangelium leert doch das? Wo hat man ye söliches von uns gegem Luter und ||A6v. sinen anhängern vernommen? Wiewol wir unsere meinung uß gottes wort, mit starcken gründen der gschrifft, offt wider in erhalten 105 habend und noch, wo es not ist, erhalten wöllend. Wir mögend ouch sin meinung der geschrifft ungemäß, gnugsam anzeigen, ja das sy wider die art 106 des gloubens ist, ein uffheben 107 unnd entlösung 108 des gantzen lydens und opffers Christi am crütz gethan. Noch habend wir in und die im anhängig weder mit worten noch hertzen nie gekätzert, nie dem tüfel geben, nie heissen verjagen noch tödten. So die apostel zu Hierusalem radt hattend der beschnydung halb 109 , gab Petrus ein radt, der näher sich zu christlicher fryheyt und warheyt zoch 110 weder der radt Jacobi, noch läsend wir nit, das Petrus darumb Jacobum verschupfft 111 oder so gar schmächlich verachtet habe. Paulus, der volkomner 112 , , verachtet nit den radt Jacobi, der aber den ceremonien etwas zugab 113 , laßt sich beschären 114 und richtet die glübt uß, damit die liebe nit zerrüttet werde. Unnd diser volkommen man ward alles allen menschen 115 umm Christus willen. Mögend dann wir umb christenlicher liebe willen, umb fridens und eintrechtigkeit willen nitt geduldet werden, so wir doch mit gschrifft nie berichtet 116 noch überwunden sind?

96 noch heute, noch jetzt (SI XII 1068).
97 dann wollen wir von unserer Meinung abrücken.
98 niemandem je.
99 bezichtigt.
100 überführt (Grimm XIV/I 2 1384).
101 verloren erklären, aufgeben (SI VIII 1684).
102 Die drei Bünde (Grauer oder Oberer Bund, Gotteshausbund und Zehngerichtebund), die dem heutigen Kanton Graubünden entsprechen, s. HBLS III 639.
103 Die eidgenössische Landvogtei im St. Galler Rheintal, s. HBLS V 612f.
104 geziemen.
105 mit Gründen erwiesen (SI II 1232).
106 Gemeint: die rechte Art.
107 Aufhebung (SI II 896).
108 Auflösung.
109 Vgl. Apg 15,1-21.
110 bezog, dazu paßte.
111 verstoßen (SI VIII 1084ff).
112 als der Vollkommenere.
113 Rechnung trug (SI II 94).
114 das Haar schneiden (SI VIII 1128); vgl. Apg
115 Vgl. 1 Kor 9,22. [18,18. 21,24.
116 berichtigt.

Wie ist aber der tüfel unser meister, so wir uns allein uff gottes wort buwend? Wir be- ||A7r. sorgend warlich, der Luter houwe zu wyt über die schnur 117 christenlicher bscheidenheit, er solt billich des spruchs Pauli gedencken: «Wer stand, der lug, das er nit falle» [1 Kor 10,2], und wüssenn, das hochfart 118 dem herren, deß diener wir sind, seer mißfalt. Mag doch Luter (dann er ouch ein mensch und menschlichen anfechtungen nit gar on 119 ) ouch fallen und irren. Hat in dann gott anfänklich zu sinem werckzüg gebrucht (das wir ouch bekennend 120 ), solt er dest mee demütig syn und danckbar, solt darumb uns nit so gar stoltz unnd hochprachtlich 121 verschupffen. Dann wenn man vons tüfels schul solte reden, bsorg ich, er wurde in siner bekantnus 122 ouch etwo ein stuck daruß genommen haben; dann alle frommen wol wissend, was es für ein buch ist, wie es der warheit und glouben zustimpt 123 . Wir lassends aber hie von züchten 124 wägen blyben mit sampt anderm hitzigem, zornwütigem schryben, so er imm sändbrieff trybt: als so er den frommen Carlostad so gar verachtet, das er im ouch sin hertz und gwissen urteilet 125 . Item das er den thüren und frommen man Ulrichen Zwinglin, nach sinem tod, mit so lästerlichen worten antastet 126 , das doch hyn heyden nit gebrucht und schantlich gehalten wirt. Wir erkennend Andream Carlostad für einen frommen biderben man, der weder siner leer noch läbens halb sträfflich 127 by uns wont. Wir versähend 128 uns ouch (so vil wir ||A7v. usserlich urteylen mögend), sin hertz und gwissen sye frölich 129 in gott. Den Zwinglin haltend wir für einen frommen thüren leerer der warheyt, berümend unns sines namens nitt, den man uns zu schmach ufftricht 130 , dann wir uns niemants rümend dann Christi. Wir erkennend in für einen wärchzüg gottes, durch den uns gott siner warheyt berichtet 131 hatt; inn sinem läben hatt er grosse sorg, mühe und arbeyt gehebt, wie er die warheyt und eer gottes pflantzte, wie er die nidergfalne 132 gerächtigkeit 133 und fromkeit 134 , die inn einer Eydgnoschafft ze grund gangen, wider uffrichtete, umb des willen hatt er alles mögen lyden unnd thun. Und domit er sölichs volfürte, ist er gstorben, und hat sin blut umb keiner mißthat willen vergossen, sunder das er gottes eer und gmeyne gerächtigkeit möchte wider uffrichten; des sind zügen alle frommen inn der gantzen Eydgnoschafft. Warumb woltend dann wir in nit mögen einen marterer, das ist einen zügen der warheyt nennen, so er die warheyt biß inn tod bekennt und verjähen 135 hatt, ja umb der warheyt und gerächtigkeit willen erschlagen ist?

117 Luther haue zu weit über die Schnur (SI IX 1295); zur Redensart vgl. Röhrich II 879f.
118 Hoffart.
119 von menschlichen Anfechtungen nicht völlig frei.
120 Bullinger anerkannte stets Luthers Verdienste um die kirchliche Erneuerung, s. Ulrich Gäbler, Der junge Bullinger und Luther, in: Lutherjahrbuch, 42, 1975, S. 138.
121 hochmütig (SI V 393).
122 Wahrscheinlich Luthers Schrift «Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis», 1528 (WA XXVI 241-509).
123 mit der Wahrheit und dem Glauben übereinstimmt.
124 Anstand, Rücksicht.
125 Siehe Luthers «Sendschreiben», WA XXX/3 550,17-20, wo Luther Karlstadt mit Kain vergleicht.
126 Ebenda, S. 550,20-24 wird der Tod Zwinglis und die Niederlage der Zürcher bei Kappel als Gottesgericht gewertet.
127 strafwürdig, tadelnswert (SI XI 2119).
128 nehmen an, glauben (SI VII 567).
129 ruhig, unbeschwert.
130 den man uns (indem man uns zur Schmach Zwinglianer nennt) zulegt (SI XIV 253).
131 gelehrt, unterrichtet (SI VI 436).
132 die darniederliegende.
133 Rechtlichkeit, Redlichkeit (SI VI 230).
134 Rechtschaffenheit (SI I 1297).
135 bezeugt (SI III 6).

Das aber die bäpstischen uns angesiget 136 und die unseren erschlagen habend, nimpt Luter zum argument und bewärung 137 , das unser gloub nit gerächt sye 138 . Wie aber diß sin argument in der gschrifft grund habe, gib ich allen rächtverstendigen ze urteilen. Was Josias ||A8r. gloub darumb ungerächt, das er imm krieg umkam 139 ? Hatt der türck darumb den rächten glouben, das er vil christen erwürgt und inen ansiget? Hatt Nabuchodonosor den rächten glouben, darumb das er die juden gfangen hinfurt 140 ? Ach wie ist uns doch der man so gar verwächßlet 141 ? Wir bekennend zwar, das wir billich von unser sünd wägen gstrafft sind und von des gloubens wägen, nitt das er ungerächt sye, sunder das wir im nit gmäß geläbt. Und wiewol söliche straff groß, ist sie doch minder dann unser mißthat erforderet; und ist ouch nit so groß, dann das wir die väterlichen ruten und hand gottes, ja sin väterliche trüw gegen uns noch erkennend, und inn siner leer und gnaden mee dann vor ye zunemend und bevestnet 142 sind. Es soll unns ouch sölicher fal 143 von unserem herren und gott, dem wir noch styff anhangend, keins wägs abfällig machen, so wyt fälts 144 , das Luters prophetzy und zeychendüten 145 waar sye. Wir suchend aber nit unser eer, wöllend ouch uns hiemit nüt rumen; das wir sind, sind wir uß gottes gnaden. Begerend ouch hiemit dem Luter sin eer und namen keins wägs zeschmeleren noch zeverkleyneren, verachtend im sin leer nit, haltend in für einen thüren diener gottes, erkennend, daß gott vil unnd grossen nutz durch in inn aller wält geschafft hatt. Das wöllend aber wir in ermant haben, das er gedencke, das er ouch ||A8v. ein mensch sye, und das es nit alles geist sye, das er schrybt, redt und handlet; das er ouch irren möge, das er sine armen mitarbeiter imm wärck gottes (uns) nitt so gar verachte. Dann ouch Petrus nach dem empfangnen geist geirret und von Paulo straff 146 geduldet hatt 147 . Wir sollend ye fleisch nit für geist verkouffen 148 . Saul was von gott erwelt, irret ouch in vil dingen. Des glychen David, ein mensch nach gottes willen, wie kan der sinen eebruch under dem geist verkauffen? Es hatt doch Moses der getrüw diener gefält und gestruchlet. Darumb bitten wir den Luter, er wölle uns für brüder erkennen, sich nit von uns abtrennen, uns nit verschupffen, wir erbietend 149 uns alles fridens und liebe gegen im, allein er tringe uns nit von erkannter warheit.

Und dwyl aber Luter uns, den übelthäteren, die umb ir mißthat hinuß an die richtstat gefürt werdend, verglychet 150 , ist unser demütig bitt an u. f. g., ouch an alle frommen fürsten und herren, stett und alle ständ des heiligen römischen rychs, man wolle nitt glych uffs Luters schryben einen biderben man mit wyb und kind ins ellend 151 tryben 152 , der nit glich kan glouben, was der Luter gloubt. Oder wo habend wir deß yena byspil in der leer Christi und der apostelen? U. f. g. wölle vil

136 besiegt (SI VII 488).
137 Beweis.
138 Vgl. WA XXX/3 550,25-30.
139 Vgl. 2 Chr 35,20-24.
140 Vgl. 2 Kön 25.
141 verwandelt.
142 gefestigt, bestärkt (SI I 1120).
143 Unfall, Unglück (SI I 734).
144 fehlt es (gemeint an Richtigkeit).
145 Vgl. WA XXX/3 551,33f.
146 Tadel (SI XI 2059).
147 Vgl. Gal 2,11-21.
148 ausgeben für (SI III 172).
149 entbieten (SI IV 1870).
150 Bezieht sich wahrscheinlich auf Luthers Äußerung: «... denn wir auch die ubeltheter, so durch offentlich gericht gestrafft odder abgethan werden ...» (WA XXX/3 551,2f).
151 Ausland, Verbannung (SI I 177).
152 Vgl. Luthers Ratschlag an Albrecht, die Reformierten des Landes zu verweisen (WA XXX/3 552,32-553,3).

styffer sin, dann das sy sich ab einer sölichen gschrifft 153 ||B1r. eines menschen lasse wider fromm unschuldig lüt verwilden 154 . Nun vermeynend wir ye ouch christen sin, ob wir glych in disem artickel und mit den bilden 155 dem Luter nit könnend zufallen 156 . Die liebe mit dem glouben der worten gottes ist uns der thürest schatz. Den glouben der gschrifft haltend wir thür und hoch, forschend im täglich flyssig nach, bittend gott das er uns die gschrifft ufschliesse 157 . Wo wirs ergryffend 158 , sagend wir im danck und lassend uns davon nit abtryben, wir wöllends ouch weder gemeert noch gemindert haben. Der heiligen vätteren gschrifft nemmend wir mit aller zucht und eererbieten an, verglychend sy flyssig mit der gschrifft und haltend sy inn denen eeren, inn denen sy begerend gehalten werden; was die gschrifft nit verwirfft, verwärffend wir ouch nit; wir bietend allen menschen liebe an, und nemmend sy ouch an von anderen. Und so glych 159 etlich irrend, verwärffend wir sy darumb nit glych, sind alle zyt bereitet, mit senfftmütigkeit bscheid 160 der leer zenemmen und zegäben. Wir sprächend nit, das es schlächt 161 brot und wyn sye, redend ouch nit verachtlich darvon, sunder nennends mit Paulo ein brott des herren, ein brot der dancksagung, nennends den lyb und blut Christi mit Christo. Aber die zugethanen wort vom Luter und anderen, uß wölichen zangk und strit a gefaßt 162 mögend werden, vermeinend wir unnötig, ergerlich unnd ||B1v. gfarlich sin. Wir bekennend ouch und gloubend, das der lychnam 163 Christi, der für uns in tod gegeben, unnd sin blut, das zu abwäschung unserer sünnd am crütz vergossen ist, warlich imm nachtmal zegegen sye unnd vonn den glöubigen genossen werde; aber der gstalt wie es dem glouben und gschrifft gemäß ist; wie es von den glöubigen verstanden und genossen mag werden, und so vil es ein spyß der seelen syn mag. Wir begärend offenlich und klarlich vor unseren kilchen 164 von disem handel zereden unnd der maß, das uns die kilch verstande. Wir gand mit warheyt umb und begerend nieman zebetriegen, nieman zeverfüren, darumb schücht unns 165 ab dem liecht gar nüt. Diß sye, hochgeborner fürst, uf des Luters anklag unser kurtze antwurt an u. f. g. und alle glöubigen, die wir umb gottes willen bittend, in disem handel nit zegahen 166 . Volge man dem rat Gamalielis 167 , ist unser sach nit uß gott, so mag sy nit bstan; ist sy uß gott (deß wir nit zwyfel tragend), mag sy nieman ußrüten noch temmen 168 . Was wil man sich dann eintwäders vergäbens bemügen 169 , oder wider gott verhouwen 170 ?

Des Bertrams büchlin 171 , so wir u. f. g. zuschrybend 172 , ist von uns nit ußgangen, das wir ütz 173 unserer meinung zebevesten 174 darmit wöllend ynfüren, sonder darumb,

a in der Vorlage strick.
153 Luthers Sendschreiben.
154 wild machen, zornig machen.
155 Bildern (SI IV 1197).
156 zustimmen (SI I 757).
157 verständlich mache.
158 begreifen, erfassen (SI II 715).
159 wenn gleichwohl.
160 Auskunft, Belehrung.
161 gewöhnlich, einfach (SI IX 50-52).
162 entstehen könnte.
163 Leib.
164 Kirchengemeinschaft, Kirchenvolk (SI III 232f).
165 unpersönliche Form von: scheuen vor, zurückscheuen (SI VIII 128).
166 eilig handeln, überstürzt handeln (SI II 101f).
167 Vgl. Apg 5,38f.
168 abwehren, bezwingen, unterdrücken (SI XII 1783).
169 bemühen, anstrengen.
170 sich verfehlen (SI II 1810).
171 Siehe oben Anm. 43.
172 zueignen, widmen (SI IX 1525 und 1527).
173 etwas.
174 zu befestigen, zu untermauern.

das u. f. g. und alle menschen sehind, das vor zyten unser mei- ||B2r. nung von den frommen leereren ouch gehalten ist. Es wölle sich ouch nieman ab etlichen worten, die von etlichen leerern in disem büchlin gebrucht werdend, ergern, als consecrieren, opfferen, altar, wasser in wyn thun etc. Dann sy uf ir zyt 175 doch in gutem verstand also zereden gepflegt habend, vil mee sähe man uf den zwäck, daruff der fromm Bertram yemerdar tringt: namlich, das der lyb und das blut Christi, das am crütz für uns geopffert ist, nit lyblich wäsenlich da sye, sonder allein imm glouben, in der gedächtnuß, in mysterio et sacramento. Nit on gefärd 176 , sunder uß göttlicher fürsichtigkeit ist diß büchlin yetz zu unseren zyten herfür kommen 177 ; dann wie es vormals keiser Karle zu geschriben ist, also verhoffend wir, keyserliche maiestat 178 werde sölichs büchly nit verachten, sunder, dwyl der namm mit einstimpt 179 , flyssig läsen und sich der meynung ouch halten.

Wir bittend, u. f. g. wölle uns armen unwirdigen unser schryben nit verargen, sonder es der meinung, wie es geschähen, von uns empfahen und zu gut halten.

Geben uf den sibentzehenden tag brachmonadts.

U. f. g. willige diener des worts zu Zürich.