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Donnerstag 1. November 1917

Die Revolution in Rußland.

Das Vorparlament.

Sp. Petersburg, 1. Nov. (Havas) Tereschtschenko führte in seiner großen Rede im Vorparlament u. a. weiter aus:

Die provisorische Regierung beschäftigt sich mit den Problemen, die sie für die künftige Entwicklung Rußlands als wesentlich erachtete, und suchte eine Lösung für sie zu finden. Die Regierung hat die Maitage nicht vergessen, als der Waffenstillstand den .Krieg durch einen schimpflichen Sonderfrieden zu beendigen drohte. Das ganze Land verwirft heute den Gedanken an einen solchen Frieden. Die Regierung hat auch die Anstrengungen nicht vergessen, die sie machen mußte, um der Armee das Bewußtsein ihrer Aufgabe zu vermitteln. Diese Periode. und besonders die Zeit von Mitte Mai bis Ende Juni, war die peinlichste und schwierigste für das Ministerium des Aeußern. Mit dem Einsetzen der russischen Offensive hat sich dann die Sachlage geändert, um diese Offensive hat auch ihre Wirrung auf die feindlichen Staaten gehabt. Das Kabinett Clam-Martinic wurde gestürzt, da es zu wenig Sympathie bekundete für die in Oesterreich sich geltend machenden autonomen Aspirationen. Auch in der deutschen Regierung kam es zu Personenwechseln. Hätte der Elan, der um diese Zeit in der Revolutionsarmee sich offenbarte, nicht wieder nachgelassen, wir würden bereits den Frieden haben. Aber leider haben der Mangel an Verantwortungsgefühl und der von der früheren Regierung her vorhandene Keim der Zersetzung unserer Armee in dem Maße geschadet, daß sie eine Reihe von Niederlagen erlitt, die das Land in diese Bestürzung versetzten. Die Arbeiter- und Soldatenvertreter haben auf ihrer Reise an die Front den Glauben in die Kraft der Demokratie, die schließlich den Sieg erringen wird, im ganzen Lande aufs neue gefestigt.

Die Regierung führt nach wie vor in ihrem Programm den Verzicht auf Entschädigung, die Anerkennung des politischen Selbstbestimmungsrechts der Völker, sowie den Verzicht auf Gebietseroberungen.

Der gegenwärtige Krieg zerfällt in drei Elemente: das strategische Problem, das von den Armeen zu lösen ist, die politische Aktion und das Wirtschaftsproblem. Der Minister erörtert sodann diese drei Faktoren im Hinblick auf die Verhältnisse in den feindlichen Staaten. Er versichert, daß die Zentralmächte in militärischer Hinsicht nicht siegreich sein werden. Jeder Sieg bedeute die Verwirklichung eines Planes, der auf die Vernichtung des Gegners abziele. Dieses Bestreben der Mittelmächte sei aber längst gescheitert. besonders nach der Schlacht an der Marne. Seit dieser Schlappe sei der Feind zu dem System der aktiven Verteidigung übergegangen. Gegenwärtig operiert er an den Fronten, die die geringste Widerstandskraft zeigen, und wo er, wie ihm bekannt ist, dank unsern Irrtümern und unserer Schwäche leichte Erfolge erzielen kann. Allein die Westmächte werden den Stoß, der den deutschen Hegemoniegelüsten die Erfüllung bringen soll, aufzufangen wissen. Das deutsche Volk ist sich dessen vollkommen bewußt. Die Unglücksfälle, von denen Italien soeben betroffen wurde. bedeuten nur einzelne Episoden in dem riesenhaften Ringen. Sie genügen nicht, um dem Feinde den Endsieg zu sichern.

Der Minister konstatiert dann, daß die Erklärungen der deutschen Regierung hinsichtlich des Friedens nicht immer aufrichtig gewesen seien. Er führt einzelne Beispiele an und zitiert Stellen aus den Reden Michaelis' und Kühlmanns. Dann vergleicht er die Kriegsziele der Ententestaaten mit denjenigen der Mittelmächte.

Der Minister spricht feiner von der deutschen Politik. Er betont die Gefahren, die für Rußland auf der wirtschaftlichen Expansionspolitik, die Deutschland in den besetzten Gebieten treibe, erwachsen können. Deutschland suche diese Länder in einer Weise zu organisieren, daß ihm auch nach dem Kriege sein Einfluß gesichert sei. In einigen Fällen werde ihm dies vielleicht gelingen, im ganzen werde der Plan jedoch scheitern. Für Polen, Litauen, Kurland habe Deutschland bereits einen detaillierten wirtschaftlichen Kolonisationsplan ausgearbeitet. Rußland werde sich aber eines Ausganges auf ein nicht zufrierendes Meer nicht berauben lassen. Die strategischen Teilerfolge der Deutschen werden für den Ausgang des Krieges nicht entscheidend sein.

Rußland müsse jetzt seine reichen Hilfsquellen aller Art dem Heile des Vaterlandes weihen. Es müsse sich jetzt schon vorbereiten auf den Kampf gegen die wirtschaftliche und industrielle Expansion der Deutschen. Alle Klassen der russischen Bevölkerung. namentlich die Arbeiterführer, haben die Pflicht. die Entwicklung der Wirtschaftskraft Rußlands tätig zu fördern. Um dies zu erreichen, müsse der Krieg fortgesetzt werden im Einvernehmen mit den Alliierten, in noch engerem und noch regerem Zusammenwirken. Mittel und Wege dieses engen Zusammenwirkens werden auf der bevorstehenden Pariser Konferenz ausfindig gemacht werden

Sodann beschäftigt sich der Minister mit dem Programm der holländisch-skandinavischen Komites, soweit es sich auf Rußland bezieht. Wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf Polen Anwendung finde. so könne dasselbe nicht auch für Litauen und Kurland gelten, da dies russisches Gebiet sei. Wenn Rußland sich seinen Ausgang zur Ostsee verschließen lasse. werde es in die Epoche Peters des Großen zurücksinken. Das ganze russische demokratische Volk würde es mißbilligen, wenn die russischen Delegierten in Stockholm das Programm der holländisch-skandinavischen Kommission unterstützen sollten.

Die Regierung, bemerkte der Minister abschliessend werde bei der Verwirklichung ihres Programmes das militärische Mißgeschick und die peinliche innere Lage Rußlands in Berücksichtigung zu ziehen haben. Nichts destoweniger gibt die provisorische Regierung kategorisch die Versicherung ab, daß Rußland auf dem Wege weiter schreiten wird . den seine Eigenschaft

als Großmacht ihm vorschreibt, Damit aber Rußland seinen Rang behaupte, muß sich jeder Bürger darüber klar sein, daß er für die historischen Geschicke des Landes mitverantwortlich ist. Wir wollen, daß Rußland trotz seiner schwierigen Lage weiterhin groß bleibe. Wir wollen zeigen, daß wir einem großen Ideale dienen, zeigen, daß wir Söhne einer großen Nation sind.

Die Sowjets.S London, 31. Okt.

Den "Daily News" wird aus Petersburg telegraphiert, daß, je näher der Zeitpunkt des Zusammentrittes des Kongresses aller Sowjets heranrücke, die Opposition gegen den Kongreß sich verstärke. Zu gleicher Zeit wurde an die Arbeiter und Bauern ein Aufruf gerichtet, in welchem sie aufgefordert werden, den Kongreß, gegen den der Vollzugsausschuß der Sowjets aller Armeen bis dahin protestiert hat, zu unterstützen, während der Bauernrat eine oppositionelle Haltung einnahm. Es ist möglich, daß die Bolschewiki die Abhaltung des Kongresses unterlassen, da er in jedem Falle einen Mißerfolg davontragen wird.