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Donnerstag 1. November 1917

Offener Brief an Präsident Wilson von Herrn C. J. K. Van Aalst,

Prasident der R. O. T. *)

(Aus dem Holländischen übersetzt von E. G.) "Zweifelsohne beginnt das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und den Niederlanden einigermaßen unangenehm zu werden. Entschuldigen Sie, wenn ich sage, daß wir das Gefühl haben, als ob Jhre Regierung uns den Fuß auf den Nacken setzt, ohne irgendwelche Rücksicht zu zeigen, ein Fuß, in einem Stiefel steckend, welcher ebenso schwer und ebenso schmerzhaft zu treten vermag als die andern Reitstiefel, welche bei Ihnen noch vor nicht langer Zeit auf eine solch strenge Weise kritisiert worden sind.

*) N. O. T. ist das holländische Gegenstück zur S.S.S.

Ich würde es nicht wagen, so offen zu sprechen, wenn ich nicht stets ein Freund Ihrer Nationalität und Ihrer Rasse gewesen wäre (was ich noch bin). Darum fühle ich mich berechtigt, Ihnen unumwunden meine Meinung zu sagen. und ich kann nicht glauben; daß das amerikanische Ohr gegenüber meinen Bemerkungen taub bleiben wird.

Amerika trachtet uns gefügig zu machen. nicht mit Hilfe von Argumenten oder mit freundlichem Drängen, sondern ; . , , . durch das Abschneiden von unserer Zufuhr. Es hält unsere Schiffe zurück, indem es die nötigen Bunkerkohlen verweigert, welche es übrigens gut entbehren könnte. Sie hindern uns in Verbindung zu bleiben mit unsern Kolonien, welche doch zu den Hauptbrunnen unseres nationalen Lebens gehören.

Finden Sie dies wirklich gerecht? Kommt dies nicht beinahe dem System von "Macht über Recht" gleich, welches durch die Tradition von Ihrem Land, von Ihrem Volk und Ihrer Geschichte so feurig verdammt wird?

Einige tausend Tonnen Lebensmittel und Viehfutter, welche durch unsere Regierung gekauft und bezahlt sind, aber in Ihren Häfen angehalten werden, waren bestimmt für unser Volk und für unser Volk allein. Dieselben waren konsigniert an unsere Regierung zu den Bedingungen der N. O. T .: sie waren nur ein Teil von dem Kontingent, welches schriftlich vereinbart war mit der britischen Regierung. Diese Vereinbarung wurde abgeschlossen, lange Zeit bevor sich Jhr Land an die Seite der Alliierten stellte.

Unsere Distributions-Bureaux und unsere Hausväter haben sich auf diesen Kontrakt gestützt zugunsten derer, die ihrer Obhut anvertraut sind. Durch das Auftreten der Regierung der Vereinigten Staaten hat diese Uebereinkunft in den Augen von vielen Holländern nur noch den Wert von einem . . "Fetzen Papier". Wie könnte man dies anders nennen, wenn Sie durch das Zurückhalten unserer Schiffe und das Abschneiden jeglicher Verbindung mit unseren Kolonien in die Rechte einer friedsamen und unschuldigen Nation eingreifen, die ihre Ansprüche nicht durch Waffengewalt geltend machen kann, die aber nichtsdestoweniger die Wahrung dieser Rechte mit Nachdruck verlangen darf.

Wir denken nicht daran, unsere Dampfschiffe und unsere Waren für Dinge zu verwenden, gegen die Sie sich gerichtet haben. Aber weil wir ein seefahrendes und koloniales Volk sind, fühlen wir es wie einen unerträglichen und unverdienten Hohn, daß unsere ohnehin schon geringe Freiheit eingeschränkt wird durch ein Land wie das Jhrige, mit keinem andern Zweck, als uns durch die Uebermacht zu zwingen . . . . . .zu tun was?

Um aufzuhören, Deutschland mit Lebensmitteln zu versehen?

Werter Präsident lassen Sie mich diese irrtümliche Ansicht ins richtige Licht stellen. Es ist eine lächerliche Zumutung, daß wir Deutschand ernähren sollten! Angenommen selbst, daß wir solches zu tun wünschten, dann würden wir es nicht können Unsere ganze Ausfuhr ist nicht einmal imstande. nur für einige Tage die Bedürfnisse des Deutschen Reiches zu decken. Die nüchterne Wahrheit ist daß Holland nach und nach ein Land der Einfuhr geworden um geblieben ist, um bestehen zu können. Nahezu alle für unsere Lebensbedürfnisse notwendigen Artikel müssen vom Auslande bezogen werden. Es würde den Zusammenbruch unseres nationalen Bestehens bedeuten, wenn wir ohne Einfuhr auskommen mußten.

Und begreifen Sie nun nicht, daß wir einen unentbehrlichen Teil dieser Einfuhr nur aufrecht erhalten können durch ein gewisses Maß von Ausfuhr (so gering und unbedeutend im Vergleich zu dem, was große Nationen nötig haben), welches einem Land wie dem unserigen ein unentbehrliches Tauschmittel verschafft? Wir streben stets darnach. daß dieser Tauschhandel nach beiden Seiten hin stattfindet.

Ich offenbare hiemit gleichzeitig, welches unsere wunden Punkte sind. Es wäre zwecklos, solches zu verbergen; sie sind übrigens allgemein bekannt. Von allen Seiten hat man auch Gebrauch davon gemacht. Sie selbst sind beschäftigt, solches zu tun. Sie, welcher — erlauben Sie mir dies zu sagen — an allerletzter Stelle an so etwas hätte denken sollen . .

So sehen Sie hier eine kleine Nation in großer Verlegenheit. Ist es möglich, daß nun das amerikanische Volk diese kleine Nation ihrem Schicksal überläßt und so mißbraucht?

Ich möchte Sie erinnern an ein anderes Volk welches seinerzeit klein war und ein großes Bedürfnis an Unterstützung hatte, welches bebte unter den Bedrohungen eines der stärksten Königreiche des Jahrhunderts welches aber immerhin seine Ansprüche auf Recht, Freiheit und Unabhängigkeit geltend machte.

Einer der ersten, welche jenem kleinen Volke in seinen bösen Tagen die Freundeshand reichten. war eine Republik in Europa, wo die Unabhängigkeit der Kleinen stets als ein heiliges Gut betrachtet wurde. In diesem Land war es, wo der Hilferuf der "Aufständigen" in herzlicher Weise beantwortet wurde. Von diesem Lande aus wurde die Sympathie für ihre Sache durch das Mittel von Büchern und Schriften in ganz Europa geweckt ,— dieses Land war es, welches mit bereitwilliger Hand materielle Unterstützung bot.

Ist es nötig, daß ich Ihnen noch .weitere Details in Erinnerung rufe, in welcher Weise die Niederlande sich an der Seite der amerikanischen Revolutionäre scharten, als Jhr Volk nach dem Laufe der menschlichen Entwicklung sich die anerkennung zu erobern trachtete für seine souveränen Rechte, für seine Selbständigkeit und keine Freiheit? Nach der Unabhängigkeitserklärung traten viele holländische Offiziere in den Dienst Ihrer Armee ein.

Die Befestigung am "Hudson-River wurde durch einen holländischen Ingenieur . konstruiert, welcher ein großer Freund von Georg Washington war.

Bereits im Jahre 1777 wurde in Amsterdam ein Kriegsschiff von Stapel gelassen für die neue Nation.

Noch vor wenigen Jahren, iim Jahre 1918, wurde durch Jhre Landsleute ein Gedenkstein angebracht in dem Gebäude im Haag, welches das erste Gesandtschaftsgebäude der Vereinigten Staaten war: die Aufschrift lautete: " Zum Zeichen der mehr als dreihundertjährigen, innigen Freundschaft und der großen Erkenntlichkeit des Volkes der Vereinigten Staaten von Amerika an die Niederlande."

Ich biete Ihnen diese Tatsachen nicht an wie einen Wechsel. Aber gewiß darf ich einen größern Wert davon knüpfen als ein bloßes Kuriosum. Ich gründe darauf unsern Anspruch auf Gerechtigkeit und Offenherzigkeit, sowie das Ersuchen auf Entgegenkommen und das Aufhören jeden Zwangs. Es wird Ihnen gewiß leicht fallen, eine wohlwollendere Haltung gegenüber Holland anzunehmen. Auch wird es nicht schwierig sein, Jhre Landsleute von der Notwendigkeit davon zu überzeugen. Unter den Erinnerungen, welche wieder vor mich traten, ist eine, die uns erzählt, wie die Stadt Baltimore während des Krieges von 1812 in einer schrecklichen Lebensmittelnot war: Ein Holländer, mit Namen Klas Taan. durchbrach die britische Blockade und brachte den Bürgern Hilfe mit einer Anzahl niederländischer Schiffe, welche mit Getreide beladen waren.

Beabsichtigen nun die Vereinigten Staaten das Gegenteil zu erreichen, indem sie durch ein herzloses System des Aushungerns, das niederländische Volk zwingen, sich vor Ihnen zu beugen? Dieses System würde ganz gewiß keinen Erfolg haben! Für uns würde es nur einen vorübergehenden Schlag des Schicksals bedeuten, für Sie aber eine ewige Ungerechtigkeit.

Ich behaupte immerhin, daß man so etwas nicht wagen sollte.

Worauf wir Anspruch haben, ist eine gerechte Politik. Ich verbleibe, geehrter Herr Präsident mit Hochachtung

van Aalst.

15. Oktober 1917.