Name: Athaulf,
| Westgothenkönig 410 —415, Bruder der Gattin Alarich I. und
dessen Nachfolger: er hatte, vielleicht das Haupt eines altedeln Geschlechts und
ein mächtiger Gefolgsherr, seinem Schwager aus Oberpannonien Verstärkungen
zugeführt; eine bedeutende Persönlichkeit: so erschien er den Zeitgenossen, so erscheint
er uns nach seinen Absichten und Erfolgen. |
Er gab, sowie er König
geworden, den Plan Alarich's, Sicilien und Afrika zu gewinnen auf und führte
im J. 412 nach wechselnden Verhandlungen und Feindseligkeiten mit Kaiser
Honorius sein Volk aus Italien nach Gallien, ungewiß, ob auf eigene Faust
oder ob aus Auftrag des Kaisers, der freilich leicht das ohnehin dermalen für
ihn verlorene Land den Gothen überlassen mochte, welche dasselbe erst dem von
Burgunden und Alanen unterstützten Anmaßer Jovinus und den empörten
Bauern, den Bagauden, entreißen mußten. A. trachtete offenbar vor Allem nach
ruhigem Landbesitz für sein seit mehr als 30 Jahren heimathlos umherirrendes
Volk, dem das oft sieghafte Schwert die bitter vermißte Pflugschar nicht zu ersetzen
vermochte. In Gallien angelangt neigt A. eine Zeit lang zur Verbindung
mit Jovinus: als aber der Westgothe Sarus, bisher im Dienst des Honorius
und ein alter Feind des Königs, zu dem Usurpator übergeht und dieser seinen
Bruder Sebastian zum Mitregenten annimmt, ergreift A. Partei für Honorius,
läßt den Sarus unterwegs überfallen und tödten, verbindet sich mit dem kaiserlichen
Präfecten Dardanus, sie erobern Valence und Narbonne und senden die
Häupter der beiden Brüder nach Ravenna an Honorius, dem gegen eine Getreidespende
auch die einflußreiche Schwester Placidia, welche seit 408 als Gefangene,
Geisel und Vermittlerin von dem gothischen Lager mitgeführt wurde,
zurückgegeben werden sollte. Aber dieses Uebereinkommen blieb von beiden Seiten
unerfüllt: A. mußte wieder zum Schwerte greifen, sein Volk zu versorgen: von
Marseille abgeschlagen, gewann er 413 Narbonne Toulouse und Bordeaux
und feierte (Januar 414) zu Narbonne mit großem Pomp in streng römischen
Formen seine Vermählung mit Placidia: ein Ereigniß, dessen hohe Bedeutung
von den Zeitgenossen lebhaft empfunden wurde. Der Gothenkönig, der gegenüber
der überlegenen römischen Culturmacht in Gallien sich lediglich als barbarischer
Eroberer an die Dauer nicht behaupten konnte, suchte nach Versöhnung
mit der römischen Welt. Weigerte diese Honorius selbst, so mochte A. als
Gatte der Tochter des großen Theodosius auch ohne kaiserliche Sanction als
Beschützer des Römerthums in Gallien auftreten und immer noch die Aussöhnung
mit seinem Schwager in Ravenna erhoffen. Denn es ist charakteristisch was
eine merkwürdige und glaubhafte Ueberlieferung (Orosius VII. 43) von Athaulf's
politischen Idealen berichtet: er selbst hat erklärt, nachdem er eingesehen, daß
er weder das Römerthum austilgen noch auch ein römisches Reich gothischer
Nation gründen könne, da der germanische centrifugale Sinn seines Volkes die
Einordnung in die Gesetzeszucht (civilitas) des römischen Staates nicht ertrage,
habe er den einzig offenen Mittelweg ergriffen, das Imperium durch die Kraft
seines Volkes zu stützen und durch engsten Anschluß an Rom zugleich dieses
Reich und sein Volk vor anderen Feinden zu schützen.Aber gerade die Vermählung mit Placidia zerstörte das Verhältniß zu Honorius
in unheilbarer Weise: denn Constantius, der dermalige Günstling und Beherrscher
des schwachen Kaisers, trachtete für sich selbst nach der Hand der Kaisertochter
und verfolgte deßhalb den Gothenkönig unversöhnlich bis in den Tod:
A., von Honorius in Gallien nicht anerkannt, erhob den schon früher von Alarich
(s. den Artikel) mit dem Purpur bekleideten Attalus, der als Privatmann
im Lager der Gothen lebte, abermals zum Gegenkaiser 414, mußte aber, von
Nahrungsmangel bedrängt, von der Zufuhr zur See durch die kaiserliche Flotte
abgeschnitten, Gallien räumen: er suchte, seine Residenz Narbonne und Bordeaux
aufgebend, von Constantius eifrig verfolgt, ruhigere Sitze für sein Volk in
Spanien. Barcelona wurde der Stützpunkt seiner Bewegungen: als ihm hier
Placidia einen Sohn gebar. der den bedeutungsvollen Namen Theodosius erhielt,
scheint die Hoffnung einer Versöhnung mit Rom nochmals ausgeleuchtet zu haben:
die Zeitgenossen beklagten den Tod des Kindes als ein verhängnißvolles Ereigniß.
Bald darauf wurde A. von dem in seine Dienste getretenen Gefolgsmann
eines alten Feindes (vielleicht des Sarus), der neben dem Blute seines Herrn
eigene Kränkung — Verhöhnung seiner kleinen Gestalt — rächen wollte, ermordet
(August od. Sept. 415). Sein Tod war von der römerfeindlichen Partei
im Gothenvolk vielleicht herbeigeführt worden : jedenfalls wurde er von ihr benutzt
: A. hatte sterbend seinem Bruder Rückgabe der Placidia und Anschluß an
Rom empfohlen ;
— dies politische Testament charakterisirt sein ganzes Leben —
aber nicht sein Bruder, sondern Sigrich, der Bruder des Sarus, wurde sein Nachfolger,
der die 6 Kinder Athaulf's aus früherer Ehe tödten ließ und durch die
harte Behandlung der Placidia seine römerfeindliche Politik bezeugte.Aschbach, Geschichte der Westgothen, Frankf. a. M. 1827. Rosenstein,
Geschichte des Westgothenreichs in Gallien, Berlin 1859. Dahn, Könige
der Germanen, Würzburg 1870.
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